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»MW mm HchrÄkiilErMthttn K«)kistt Tageblatt. Nr «S Donnerstag, den SO März 1O1S 40. Jahrgang Drei Mime« W den Vesrtiimgrjghttli. Das Jahr 1813, dem wir zurzeit einen Krairz re.cher Erinnerungen widmen, weist drei charakteristische Erscheinungen aus, die aber durchaus in- und miteinander verwoben sind und erst als Ganzes ihre richtige Würdi gung finden können, wenn auch so, daß stets das eine Charakteristikum als gleichsam geistige Muster des folgenden sich darstellt. Das erste war die religiös-sittliche Erneuerung, die wie ein seelisches Naturereignis die Gesamtheit er- saßte und mit unwiderstehlicher Kvat vor- wäv.s riß. Die Gottesgeisel des korsischen Er oberers halte die Massen aus der Lethargie sittlicher Oberflächlichkeit aufgepeitscht. Man verstand die Warnerstimmen all der treuen Eckarte, die im Volke sich erhoben, man be sann sich auf sich selbst und erkannte, weil man es mit Schaudern erlebte, daß Welt und Weltgeschehen doch nur ein Narrenspiel, wenn cs nicht aus göttlich-ewigen Motiven abge leitet werden kann. Und von der Hochwacht dieser Erkenntnis aus setzte jetzt eine nerre, völkische Bewegung ein, die dev Gesamt heit Mut und Kraft gab, sich auch aus der geradezu katastrophalen Erniedrigung der Na tion des Staatsganzen, des geschichtlichen Preußen- und Deutschtums emporzuraffen. Der religiös-eMschen Erhebung des ganzen Vol kes, nicht bloß bevorzugter Einzelner, ward nun auch dessen patriotische kongenial; das zweite Charakteristikum jener Tage! Und dar auf folgte unmittelbar das dritte, ein Helden tum, das sich erst recht nicht auf einige glän zende Ausnahmen beschränkte, sondern gleich sam suggestiv die Massen erfasste, vor keiner Alters-, Standes-, noch 'onst natürlichen odcr künstlichen Schranke Habt machte, vielmehr das Volk der „Dichter und Denker" Plötzlich um- wandeltc zu dem einer Nation im ursprüng lich heroischen Sinn, dem das Naive in des Wovtes edelster Bedeutung eignet. Für solche Zeiten allein echter, weil aus den Wurzeln reinen Menschtums er a'1er Be geisterung befielst kein untrüglicheres Movkma, als dir Haltung des weiblichen Geschlechts. ES gibt keine wa'r'.aft grobe Zeit ohne wahr- lut grase Frauen; auf je weitere Kreffe der selben es zutrifft, desto größer ist die Zeit selbst, am allergrößten, wenn Heldinnen auch aus den schlichtesten Kreisen des Volkes er ste en. Das Jabr 1813 hat hierfür Sin Bes piel wie selten wieder in der Weltgeschichte hinler'assen. Dies bis ins Einzelnste nachzu- wetten, würde den Rahmen dieser Zeilen we t überschreiten. Statt dessen möchten sie wenig? stens kurz die Erinnerung an drei typische Vertreterinnen preußischen weiblichen Helden tums wachhalten, deren Beispiel genügend das b sher Gesagte erhärten dürfte. Die großen Märztage des Jahres 1813 waren gekommen. Der Aufruf „An mein Volk" sowie der „An die Frauen Preußens" waren erschienen. Der bekannte Profeior Steffens in Breslau hatte seine Studenlen für den, Eintritt in das Lützowsche Korps begeistert. Durch das ganze Volk ging die große, opfer reiche Bewegung; die Frauen blieben nicht zurück. Da sie nicht in den Kamps ziehen konnten, gaben sie ihre reichen Kleider, ihren Schmuck, selbst die Trauringe dahin. Inmitten, dieses nationalen Aufschwungs brachte die ehemalige Spenersche, jetzt „Vossische Zeitung", in den letzten Tagen des März die Zuschrift eines Hofrates Heun aus Breslau, in der es, wie wir einem Aufsatz Ernst Bürschels im Febrnarheßt von „Welt und Haus" entnehmen, folgendermaßen hieß: „Als ich während meines Aufenthaltes in Breslau das Ausrüstungsgeschäft der unbe- mittelten freiwilligen Jäger besorgte, kamen eines Tages mehrere junge Damen vom Lande nach der Stadt. Sie hörten von der allge meinen Bereitwilligkeit, mit der die Aus rüstung der freiwilligen Jäger unterstützt wurde. Eine jede gab, was sie nur irgend entbehren konnte, nur dis arme Fräulein Nany halte nichts — garnichls. Der Purvur der Unschuld, der ihre Wangen rötete, war ihr einziger Schmuck, die Tränen, die in die sem Augenblicke über das bittere Gefühl ihrer Armut in ihren Augen glänzten, ihre ein zigen Perlen. „Ich werde auch etwas geben!" sagte sie endlich nach langem, füllen Kämpft mit sich selbst, entfernte sich in ein Neben zimmer, ließ ihr langes seidenes Haar ab schneiden, verkaufte es für zwei Taler, kam, mit dem leichten Lockenköpfchen geschmückt, wieder in die Gesellschaft und legke mit fröh licher Herzlichkeit den Ertrag ihres großen Opfers zu den gesammelten Beiträgen. Alle Umstehenden waren von dem herrlichen Zuge des deutschen, wahrhaft edlen Mädchens über rascht. Ein Volk, unter dein solche Frauen tugend heimisch ist, gehört nicht zu den unter die Geißel des Zeitgeistes gesunkenen." Aus der Geschichte ist bekannt, wie dies Beispiel bei Hunderten deutscher Frauen und Mädchen zündete und sie zur Nacheiferung be- goisterie. Die Heldin aber ivar die erst fünf zehnjährige Ferdinande vonSchmed t a u. Als Tochter eines Majors am 26. April 1798 in Badenstoin in Ostpreußen geboren, starb sie hochbotagt am 24. Mai 1875 in Kö sen, hat also noch die Vollfrucht der Opfer des Jahres 1813 in der Begründung des deutschen Kaiserreiches erlebt. Eine WderWrerimmng: Sprengung der ElddrüLe zn Dresden. Der heutige 19. März ist ein interessanter Erinnerungstag an den Beginn der kriegerischen Ereignisse des Jahres 18l3. Der Aufruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. und die einsetzende Freiheitsbewegung des preußischen Volkes hatten den französischen Generälen doch eine gewisse Furcht eingeflößt. Die Nervosität war besonders groß in dem Hauptstützpunkie der Napoleonischen Elbestellung. Dies kam be sonders dadurch zum Ausdruck, daß die Fran zosen bereits am 9. März Vorbereitungen zur Zerstörung der Dresdner Elbbrücke trafen. Die Dresdner erhoben gegen die Sprengung energisch Protest, als aber neue Nachrichten von der An näherung dec Verbündeten nach Dresden dran gen, rückte der französische Marschall Davout mit 12000 Franzosen von Meißen nach Dresden vor und am 19. März morgens um halb 9 Uhr wurden 2 Bogen und ein Pfeiler der Brücke in die Luft gesprengt. Bei dieser Sprengung kam auch der Erbauer der Brücke — der Dresdner Baumeister Matthäus Fotius — ums Leben, indem er bei der Sprengung zerrissen wurde. Unser Bild zeigt die Dresdner Elbbrücke nach ihrer Zerstörung (nach einem zeitgenössischen Stich). Als zweite Heldin nennen wir Eleo nore Prohaska, die Tochter eines Potsdamer Unteroffiziers. Sie war am 11. Mai 1785 geboren und versah bei Aus bruch des Krieges den schlichten Dienst einer Köchin. Schon 28 Jahre war sie alt, als sie, von nationaler Begeisterung, ergriffen, sich, als Mann verkleidet, den Lützowschen Jägern unter dem Namen August Renz anschloß. Am 16. September fiel sie im Kämpft an der Göhrde; eine Kugel zerschmetterte ihr den lin ken Oberschenkol. Ueber ihren Tod berichtst eine zeitgenössische Angabe: „Sie starb am zweiten Tage nach dem Treffen mit der Standhaftigkeit eines alten Soldaten, unge achtet der großen Schmerzen, die sie litt, in Danneberg, wohin man sie gebracht hatte." Der Name Prohaska gehört ebenfalls für alle Zei ten der preußischen Ruhmesgeschichte an. Und noch eines dritten Heldenmädchens sei gebuchst, der zwanzigjährigen Johanna Stegen, Tochter eines Sulzvogts. Als am 2. April preußische Truppen vor Lüneburg gegen Abteilungen des französischen Korps Oudinot kämpften, verschossen sie in der Hitze des Gefechts ihre sämtlichen Patronen. Ein Munitionswagen wurde herbeigeschafft, aber das Unglück wollte, daß er umstürzte und nicht zu den fechtenden Mannschaften heran- geftbren werden konnte. Da eilte Johanna Stegen zu dem Wagen, füllte ihre Schürze mit den Patronen und trug sie ihren Lands leuten zu, mitten in den feindlichen Kugel regen hinein. Ihr heldenhaftes Vorgehen ent- schied den Kampf zugunsten der Preußen. Jo hanna Stegen ist, hochgeachtet, am 12. Ja nuar 1842 in Berlin als Gattin des Litho graphen Hindersin gestorben und ruht auf dem Sophienkirchhoft. Drei Mädchen, den vecschiedeniten Kreisen des Volkes angehörend, aber gleich in Be tätigung eines Heldentums, von dem noch späte Enkel singen und sagen werden. Hin- gsnommen vom Ernst der damaligen Zeit wurden sie leuchtende Vorbilder ihres ganzen Geschlechts; die Größe ihrer sittlichen Kraft, ohne die kein wahrhaft heroisches Varhalten denkbar ist, kann selbst von dec ödesten moder nen Geschichtsklitterung nicht in den Staub gezogen werden. Bedenken wir's wohl: der Ernst der Lage des Jahres 1913 ähnelt in manchen Beziehungen, wenn auch unter ande ren Symptomen, dein vor hundert wahren. Und nicht bloß draußen, 'andern selbst im Innern lagert dar Feind vor der Tür. Möge in den Stunden der Entscheidung, wenn sie über unser Volk Hereinbrechen sollten, denn- noch wieder ein Geschlecht, gleich heldenhaft wie im Jabre 1813, ersteben, insbesondere auch getragen von gleich hingebungsvoller Größe deutschen Frauentums. Ferdinand Katsch. Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne. Von Erich Friesen. 3. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Wo ist der Brief, Gerda?" fragte er ver wundert. „Auf dem Wege nach Tronisö. Ich Hale ffn soeben in den Briefkasten geworfen." „Garda!" „Ja, Erik. Ich fühle, daß es gut für Dich ist. Ob für mich? Wer weiß es!" Jit ihren Augen stehen zwei große Trä- nen. Der böse, böse Nebel . . . Zwei Tage nach jener heroischen Tat, die der tapferen kleinen Gerda Jespersen noch nachträglich manch heimlichen Seufzer grpreßle trifft Fräulein Arnoldsens Antwort ein. In kräftigen, fast männlichen Schriftzügen teilt sie Herrn Erik Niels kurz und geschäft lich mit, daß sie mit Konsul Dalands Arran gement einverstanden sei und den neuen Zei- chenle'rer ihrer Nichte sobald wie möglich er warte. In Eriks Gegenwart erscheinst Gerda heiter und zufrieden. Aber der kleine Blumenladen in der Bevliuske-gade — er wüßte zu erzählen von ihren Kämpfen, ihrem Schmerz und heim lich vergossenen Tränen. Der letzte Abend vor Eriks Abreise ist ein besonders trüber. Dichter als sonst noch lagert 'euchter Nebel über der Stadt. „Zum letztemnal," flüsterte Gerda wehmü tig, a's Erik sie, wie gewöhnlich, gegen sieben Uhr aus dein Blumenladen abhoVt. „Nicht zum letztenmal —" sucht er zu trösten, obgleich ihm selbst ganz eigen Weh ums Herz ist. „Doch, Erik. Zum letztemnal," beharrte sie. „Wenn jemand von einem Orte sortgeht, gleichviel, auf wie lange, so —" „Sag«, geh' nicht, und ich bleibe!" „— gleichviel, auf wie lange," wiederholt sie ernst, ohne auf seinen Einwand einzu gehen, „so tritt stets irgend eine Veränderung ein. Mollcicht wirst Du mich auch später wiederaus dem Geschäft abholen; aber ent weder bin ich dann wo anders in Stellung, oder die Mutter wohnt wo anders. Oder sonst etwas ist anders. Du darfst mir nicht böse sein, Liebster, wenn ich heule diesen harmlos glücklichen Abenden für immer Lebewolst sage." Er schlingt die Arme um ihren Hals, er drückt ihre kleinen, bittend emporgehobenen Hände an seine Brust, er scherzt und lackst — nichts vermag heute, jene altgewohnten Grübchen auf ihre Wangen zu zaubern, nichts die sonst so strahlenden, heute umflorten Augen zu erhellen. Still packt Gerda Eriks Koffer. Jeden Gegenstand streichelt sie sanft, bevor sie ihn an seinen Platz legt — „um ihn recht glatt zu machen" — wie sie entschuldigend sagt. Schweigend sieht Erik zu. Noch niemals erschien ihm feine Brmtt so lieblich, so be gehrenswert, wie mit diesem unausgesproche nen Leid in den kindlichen Zügen. Seit mehr denn einem Jahr hat der junge Mann das einzige große Zimmer in der Jes- persenfchen Wohnung inn?. Zuerst kümmerte er sich wenig um die kleine Gerda, die be reits früh morgens ins Geschäft ging und erst gegen Abend wieder heimkehrte. Bald jedoch fand er Wohlgefallen an ihrem fronen Lachen, ihrem herzigen Singsang. Und nicht lange dauerte es, da begann er die Stunden zu zählen, bis das lebensfrohe kleine Mädchen abends wieder durch seinen heiteren Frohsinn die enge düstere Wohnung in ein kleines Pa radies verwandelte. Wie es kam, daß sie auf einmal Braut und Bräutigam waren — er wüßte es selbst nicht zu sagen. Er weiß nur, daß ein woh liges Gef ühl durch seine Adern schlich, als er den hellblonden Lockenkopf an seine Brust zog und den ersten Kuß auf ihre frischen, willig dargebotenen Lippen drückte. Und Gerda? . . . Für ihr kindliches Herz bedeutet Erik Niels der Inbegriff alles Guten, Schönen, Edlen. Ihn einst ihr Eigen nennen zu dürfen, er scheint ihr ein übergroßes, unverdientes Göt tergeschenk. Und oft bangt im Geheimen ihr zaghaftes kleines Herz, daß noch etwas da zwischen treten könne, das ihr den Geliebten im letzten Augenblick entreißt. Ihr einziger Bruder Lorenz wohnt nicht bei Mutter und Schwester. Schon seit länge rer Zeit hat er eine kleine Junggesellenwoh nung in der Nähe des Hafens inne, wo er kommen und gehen kann, wie es ihm beliebt und wo niemand ihn mit Vorwürfen und Tränen empfängt, wenn er — seiner verhäng nisvollen Neigung folgend — einmal zu viel hinter die Binde gegossen hat und in bedenk lichem Zustande die schmale Holztreppe zu seinen Zimmern hinausschwankt. Durch eine gewisse GSistesüberlegenheit, ver bunden mit raffinierter Schlauheit und bedeu tenden 'kaufmännischen Fähigkeiten, hat er es verstanden, sich bei der Lebensversichevungsge- sellschafst „Skandinavier" einen festen Platz zu erobern, aus dem ihn selbst seine periodisch auftretenden TrunÄsuchtsanfälle nicht verdrän gen können. Selt frühester Kindheit kennen Lorenz Jes persen und Erik Niels einander; sie saßen zusammen auf der Schulbank, sie machten ge meinsam ihre ersten dummen Streiche. Erst als Eriks Geist sich schärfte, als sein Seelenleben eine bestimmte Richtung annahm, erkannte er, daß sein Naturell dem des frühe ren Spielkameraden ein völlig entgegengesetztes war. Der Mangel an Feingefühl, dev brutale Egoismus, verbunden mit einem geradezu verblüffenden Zynismus, der aus jedem Wort, aus jeder Handlung Lorenz Jespersens-spricht, stoßen ihn mehr und mehr ab. Und wäre es nicht um Gerdas willen — er hätte schon längst mit dem früheren Freunde gebrochen. Heute, am letzten Abend vor Eriks Ab reise, hat Lorenz Jespersen sich ausnahms weise einmal dazu bequemt, das Abendessen bei seiner Mutter einzunehmen. Die Stimmung ist eine gedrückte. Nur Lo renz spricht den Meisterleistungen von Frau Jespersens Kochkunst eifrig zu. Dann nimmt er sofort Abschied von Erik. Er Hobe noch ein Rendezvous mit einem frühe ren Arzt, einem ganz „eigentümlichen Kauz", dem er vor kurzem das Leben rettete und der seitdem mit unbegrenzter Dankbarkeit an ihm hänge. Wie befrsit von einem drückenden Alp, at men die drei Zurückbleibenden aus, als die Tür sich hinter Lorenzens Hünengestalt ge schlossen hat. Trotzdem will keine heitere Stimmung auff kommen. Auf allen lastet der morgende Tag mit seinem wehmütigen Abschied. Noch bis tief in die Nacht hinein sitzt Erik in seinem Zimmer am offenen Fenster gedankenvoll ins Woite starrend, während leichte Rauchwölkchen seinen gespitzten Livven entfliegen. Am nächsten Morgen begleiten Gerda und ihre Mutter Erik zum Bahnhof. In ihrer kindlich harmlosen Weise plaudert das Mädchen in einem fovt, um über den Schmerz der Abschiedsstunde hinwegzukommen. Ich glaube, ich! werde Dich zuerst sehr ver missen," lächelte sie unter Tränen. „Aber mit der Zeit gewöhne ich mich gewiß daran . . . Und — Erik, und —" „Was, mein Lieb?" „Tue am ersten Abend nach Deiner An kunft in Schloß Sandsgaard, bevor Du zu Bett gehst, etwas, >vas ich auch tun kann. Es erleichtert mir das Herz!" Sanft strsichelt er die klsinen bebenden Finger, welche die seinen fest umspannt halten. (Fortsetzung folgt.) - . . ,. : ' f ; . ' t