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VMM M HohnikiiiErMIHiiltt Nr. 1 Mittwoch, de« I Januar 1NL3 4V. Jahrgang »IHM ZUM neuen Jahr! ^um neuen Jahr, zum ersten Tag Lin Heller Gruß und psalterschlag. Vie rauscht's im Morgenwinde! Den jüngsten Sproß die Zeit gebar, wir grüßen laut das neue Jahr, Glück zu dem jungen Rinde! Heb an des Zahres offnem Tor Lin hoffend Herz getrost empor, itaß nichts den Schritt dir lähmen, Daß du der Sorgen Staub und Wust von deinem Herzen gläubig tust Und sparst dir Furcht und Grämen! Ls werde uns am deutsche» Herd Des edlen Friedens mehr beschert, Daß aller Hader weiche. Des Segens viel sei zugewandt Zm ganzen Lande jedem Stand, Dem Raffer und dem Reiche! wie dies und das auch kommen wird, Ls leitet uns ein guter Hirt An unsichtbaren fänden, Bis dann dies Jahr im Abendwind Als rechtes Segensjahr verrinnt, Und wir es preisend enden. Paul Kaiser. Beim GlMenMg des neue« Jahres. Novellen«? von A. Hinze. (Nachdruck verboten.) Mit gerunzelter Stirn verfolgte der Kom merzienrat Brückner die Nammen iin Kamin, wie sie an dem Brief des unbequemen Bitt stellers emporlobten. Solch ein unglückseliges Anhängsel, dieser Martin Hardt . . . Die Bekanntschaft rührte noch von jener Zeit her, da der jetzige Kommerzienrat, dessen Wahl zum Stadtrat bevorstand, barfuß in die Dorfschule gelaufen war un) der Martin immer zwei Schritte hinter ihm her. Dieser war in allem hinter dem intelligen ten Otto Brückner zurückgeblieben. Im übri gen war er solch ein gutmütiges Schal gei wesen, das brüderlich alles mit diesem teilte: Freude und Spiel, und wenn es not tat, auch Prügel und Brot. Ja, recht oft sogar war es vprgekommen, daß der große, kräftige Otto, mit dem ewigen Hunger, sich das Frühstücks brot des kleinen, schmächtigen Kameraden schmecken ließ, das dieser ihm gutwillig bot. Nun, dieses war mit den 20 Mark, die Kommerzienrat Brückner vor etwa Jahresfrist auf eine flehentliche schriftliche Bitte Hardts uni eine Unterstützung diesem hatte zukommen lassen, hinreichend zurückgezahlt. Der kleine, blasse Kamerad hatte eine naiv zur Schau getragene Bewunderung für Otto Brückners Befähigung gehabt, die der Lehrer rühmte und die den Pfarrer veranlaßt hatte, für diesen Dorfschüler ein Stipendium zu er- wirken, damit er anf's Gymnasium komme. So kam es, daß die Wege der langjähri gen Schulfreunde sich trennten. Martin Hardt war Schreiber geworden mit 000 Mark GelM. Otto Brückner war nach glänzend absol viertem Gymnasium in ein ansehnliches Groß- taumannshaus in einer alten Seestadt einge treten. Er war hier fabelhaft schneit avanciert und hatte, nachdem er Prokurist geworden, die Tochter seines reichen Prinzipals geheiratet. Nach deüen Tode ward er Inhaber des großen Geschäfts, erl iclt den Kommerzienrat titel und sollte, in Anbetracht seiner großen Verdienste um die städtischen Interessen, zum Stadtrat gewählt werden. Der ehemalige Dorfjunge hatte eine Rang stufe erreicht, mit der er wohl zufrieden sein konnte. Unbequem hierbei nur war ihm seine nied rige Herkunft und alles, was ibn hieran er innerte und sein gesellschaftliches Ansehen be drohte. Als daher vor Jahresfrist sich der einstige Schulkamerad bittend an ihn wandte, war ihm dies höchst unbehaglich gewesen. Ohne ein Begleitwort hatte er Hardt die 20 Mark gesandt. Nun, da dieser sich aber mals mit der flehenden Bitte um Hilfe in der Not an ihn gewendet, war er entschlossen, durch Ignorieren der Sache den lästigen Jugendfreund abzuschütteln. Es war ja beklagenswert, daß Hardt durch das Fallissement des Bankhauses, bei dem er angestellt gewesen, seine Stellung verloren und noch keine andere wiedergefunden l)otte und nun nüt Frau und Kind kwrbte. Ja, der Ver- zweistung nahe war, wie er angab Aber das soziale Elend war so groß, wer da jedem helfen wollte, würde kein Ende finden. Es würde ihm, dem Kommerzienrat Brück ner, ja allerdings ein Leichtes sein, Hardt hier am Ort einen Posten zu verschaffen. Dies aber hieße sich eine Last aufpacken, und nur zu bald würde es bekannt sein, daß der arm selige Schreiber und der Kommerzienrat Jugendfreunde gewesen . . . An dem einstigen „Proletarierjungen" würde wohl gar noch in zwölfter Stunde die Stadt ratswahl scheitern . . . Es blieb also dabei. Hardts Anliegen zu ignorieren war der einzige Weg, ihn für immer los zu werden! Der Zug von Härte, der in diesem Augen blick des Kommerzienrats Gesicht kante.e, schwand jäh, als jetzt im Nebengemach ein lallendes Kinderstimmck'en hörbar ward. Dieses lallende Stimmchen brachte es wr- tig, daß alles, was an Berechnung und Egois mus in Brückner herrschte, momentan hin- fchwmd in zärtlichster Liebe zu diesem seinem einzigen Kinde. Nach 10jähriger Ehe war vor jetzt Jahren ihm ein Bube geboren worden. Ein ..rüstiges, bildhübsches Kerlchen, — Otto Brück ner hatte also auch hier'in Glück gehabt. Die Portiere teilte sich und seine Frau, den Jungen auf dem Arm, trat lächelnd her ein. Sie zählte .ZO Jahre und war eine distin guierte Erscheinung. Die Zärtlichkeit, mit der sie auf das Kind niedettah, bewies, daß sic hinter einem etwas reservierten Wesen doch echtes, warmes Gefühl verbarg. „Kurtcken will Dir einen Kuß geben, Otto, er soll jetzt schlafen . . ." Damit reichte sie den Jungen, der vor Vergnügen kräftig strampelte, dem Kommer zienrat hin. Dieser scherzte und tätschelte mit Kurtchen, wie man es diesem streng blickenden Manne nicht zuzetraut hätte. „Ich wollte mit Dir noch über die Sil vesterfeier beim Schiffsreeder Dörmann spre chen, Otto," bemerkte Frau Brückner, indes sie klingelte und dem eintretenden Fräulein den Knaben übergab. „Ja — richtig, morgen ist ja Silvester und wir sind bei Dörmanns eingeladen! Ich hatte es ganz vergessen. — — — Was gedenkst Du denn anzuzieben, Luise?" „Natürlich die neue grüne Robe, die Du mir zu Weihnachten geschenkt hast!" lächelte Frau Luise. „Sprechen wollte ich indes mit Dir über unser neues Kinderfräulein. Du meinst doch auch, daß wir ihr Kurt anvcr- trauen können?" „Am Silvesterabend? Und weil es spät werden wird, bis wir zurück sind? Aber natür lich. Sie hatte ja doch prima Referenzen." „Allerdings. Aber mir scheint, sie hat Liebesgedanken —" „Und die sollen Kurt gefäbr.ich werden?" lächelte Brückner sarkastisch. „Insofern Fräulein Berta zu einem Stell dichein ginge, während sie Kurt bewachen soll. Das ist es, was ich fürchte." „So laß doch die alte Mertens kommen! Die ist treu wie Gold." „Die Mertens liegt am Rheuma darnieder—" „Mir scheint," unterbrach Brückner etwas un geduldig seine Frau, „hiß wir in der Liebe zu unserem Jungen übertrieben ängstlich sind. DaS Fräulein hat ja in besten Häusern zur Zufriedenheit gewirkt. Dir zur Beruhigung werde ich ihr morgen, bevor wir gehen, noch einschärfen, daß sie Kurt keinen Augenblick allein läßt." * * * Die letzten Stunden des alten Jahres waren gekommen. Uebcrall, wo frohgestimmte Menschen sich znsammengefunden, dampfte der Silvesterpunsch in den Gläsern, schwelgte man in Erinnerun gen verflossener Zeiten und, wie alljährlich an der Jahreswende, in neupulsierter Hoffnung auf kommende glückliche Tage. Auf den Straßen herrschte Silvestertrubel. Nur die vornehme Villenstraße, wo Kommer zienrat Brü ckner wohnte, lag still da, traum ast still. Dunkel lag das Haus da. Nur aus dem Souterrain schimmerte Licht, drangen gedämpft Stimmen. Hier taten sich die Domestiken bei Punsch und Pfannkuchen gütlich. Noch ein Lichtstrahl blinzelte hinter den geschlossenen Vorhängen eines Fensters im zweiten Stock. Hier saß am Bettchen des kleinen Kurt oas Kinderttäulein. Der Knabe schlief friedlich. Rosig und blondlockig, eine kleine Trotzfalte zwischen den eingezeichneten Brauen, lag er in seinem sei denen Kissen da. Fräulein Berta hatte sich ein Tischchen an das Bett herangerückt und schrieb beim Schein einer Arbeitslampc an ihren Schatz. Der Lampcnsckiein fiel auf den gesenkten an mutigen Mädelkops, auf die rasch über das Papier gleitende Feder und über dbe hübsche Buntstickerei an der Decke, welche das Tisch chen zierte und lang über dessen Rand herab- üel. Vom Kirchturm schlug es halb zwölf, als durch die Stille draußen ein leiser, aber ein dringlicher Pfiff hörbar ward, der sich in Zwischenräumen wiederholte. Dies mußte wohl ein bekanntes Signal für d e Schreiberin sein, denn sie legte die Feder bin und lachte leise in sich hinein. Lautlos erhob sie sich und trat ans Fenster. Als sie gleich darauf ins Zimmer zurück trat, schienen die Gedanken hinter ihrer Stirn sich zu jagen. Behutsam neigte sie sich über den Knaben. Er schlief fest. Dann lauschte sie hinab. Das nämliche Stimmengemurmel wie bisher drang herauf, — die Leute waren also noch bemi Schmausen. Mit einer lautlosen Geschicklichkeit, wie nur Ncbnng sie vorteilst, schlüpfte Fräulein Berta nun in den bereitliegcnden Wettermantel, zog dessen Kappmütze über den Kops, löschte die Lampe und war hinaus. Das Zugleiten der Zimmertür sollte, so vorsichtig es auch geschehen, von schweren Fol gen sein. Das Auslö'fchen der Lampe war ebenso l astig wie flüchtig geschehen. Hierdurch hatte sich die Flamme momen tan geduckt, schnellte aber durch den Luftzug, den die zuglettende Tür verursachte, in den Zylinder wieder zurück, und der jähe Licht- 'chein weckte den Knaben. Er blinzelte in das Licht hinein. Dann be- nmn er unruhig zu werden. Er krarelte in seinem Gitterbettchen auf und hielt Umschau. Nun kam ein klägliches: „Fräulein — Turt 's al.ein . . ." Und nun mit steigender Angst: .,Ma — ma!" Dabei hatte sich der kleine Mann aufge richtet und strampelte, während er sich am Bettgitter sesthielt, mit den Beinchen. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und glitt über den Bettrand, schrie auf und haschte m Fallen nach dem nächsten Halt — der Stickereidecke auf dem Tischchen. Diese gab nach, und mit dem Knaben zugleich fielen das Tischchen und die brennende Lampe zu Boden. * * * Zu derselben Ze>.t schritt der Schreiber Martin Hardt, vom Bahnhof kommend, durch .ne Straßen. Wie stets in seinem Leben, war er auch heute verspätet gekommen, hatte den Mittags zug versäumt und nun mit dem Abendzug ähren müssen. Dadurch war es für beute zu spät gewor den, seinen Jugendfreund, den Kommerzienrat Brückner, auszusuchen. Dieser hatte seinen Brief nicht beantwor tet. Daß es absichtlich geschehen, glaube der icküichte Sinn des Schreibers nicht. Vermut lich war Brückner verreist gewesen und hatte seinen Brief vielleicht noch gar nicht gelesen. Eine persönliche Aussprache und sich hieran knüpfende herzliche Bitte um Hilfe würde ent schieden wirksamer sein. Und ein Aufschub war nicht mehr möglich. Gleich morgen mußte er Brückner aufsuchen, denn die Not bei ihm dabeim war am Höchsten. Ein qualvoller Seufzer hob die Brust des Wandernden. Seit Wochen hungerte ihn und die Sorgen ließen iln nicht mehr schlafen. Und doch würde er es ertragen, wenn nur der Jammer uni Frau und Kinder nicht wäre! Wer kann Kinder hungern sehen? Und sein armes Weib, das bis in die Nacht hinein bei der Nähmaschine saß! Herr des Himmels, wenn der vornehm gewordene Jugendfreund nicht helfen wollte, denn — Hardt trat der Angstschweiß auf die Stirn Aber er redete sich Mut ein und fragte einen Passanten nach der Villenstraße. Er beabsich tigte. sich das Haus des Kommerzienrats an zusehen, um morgen nicht erst suchen zu müs sen. Denn sicher würde Brückner am Neu»- jahrstage nicht im Geschäftshaus, sondern in seiner Villa sein. Vom Kirchturm schlug es dreiviertel auf zwölf, als Hardt in die Pillenstraße einbog. Das alte Jahr rollte der Wende zu. Ein neues Jahr, eine neue Zeit, stieg herauf. — Alle die Menschen, deren Stimmen, in Er wartung des zwölften Glockenschlages, wie eine ferne Brandung über der Stabt schwirrten, sie alle erhofften Glück von der Zukunft. Er nicht. In einem bitterharten Leben war seine Glaube auf kommende bessere Tage verloren gegangen. Beklommen streifte sein Blick kste Reihe der Villen; die Eleganz und Wohlhabenheit, die sie verrieten, ließ ihn sein Vorhaben plötzlich ungeheuerlich erscheinen unh machte ihn verzagt,