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1796 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 33, 10 Februar 1910. vorzeitig an die Einschränkung ihrer Budgets gingen oder mit der Erneuerung ihrer Aufträge zurückhielten, bis in Sachen der Anzeigenbesteuerung Klarheit nach der einen oder anderen Seite geschaffen war. Zwar gelang es dem nachdrücklichen Be- mühen des Berbandes, insbesondere dem für die Bekämpfung der Anzeigensteuervorlage eingesetzten Ausschüsse, dessen Mit- glieder auch wiederholt an Versammlungen anderer Berufs- Vereinigungen teilnahmen und in Vorträgen die Verkehrsfeind lichkeit der geplanten Steuer darlegten, der gefährlichen Vorlage das verdiente Schicksal zu bereiten; aber schwere Opfer mußten inzwischen gebracht werden, und die Nachteile, die den ein zelnen Verlegern inzwischen erwachsen waren, mußten als end gültige Verluste gebucht werden. »Einen wesentlichen, von der Regierung indes nicht be absichtigten Vorteil hat die Anzeigensteuervorlage dem Fach- zeitschriftenverlage gebracht. Sie hat in den Verlegern das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt, sie hat die Reihen der Fachzeitschriftenverleger geschlossen und dem Verbände eine große Anzahl neuer Mitglieder zugeführt. »Die Anzeigensteuervorlage, bzw. die zwecks Bekämpfung der Steuer erlassene Umfrage an die deutschen Fachzeitschriften- Verleger brachte aber auch Klarheit über manche in unserem Berufe derzeit noch herrschende ungesunde Verhältnisse und Gebräuche, insbesondere auf dem Gebiete des Rabattwesens. Hier bieten sich dem Verband der Fachpresse Deutschlands E. V. noch ebenso dankbare wie schwierige Aufgaben, an deren Lösung er inzwischen tatkräftig und vertrauensvoll heran getreten ist. »Sehr häufig und eingehend hatte unser Verband sich auch im verflossenen Jahre mit postalischen Fragen zu beschäftigen, ohne indes auf seine vielfachen Eingaben einen auch nur ge ringen Erfolg erzielen zu können »Einem sehr beträchtlichen Mitgliederzuwachs steht nur ein geringer Abgang durch Austritt gegenüber. Mit aufrichtigster Freude stellen wir fest, daß uns im verflossenen Kalenderjahr keines unserer Mitglieder durch den Tod entrissen wurde.« . . . Die Neuwahl des Vorstandes ergab die in Nr. 31 d. Bl. Zum Prozes; gegen vr. H. Siez «L ILo. in Leipzig. (Vgl 1909 Nr. 198, 209, 219, 291; 1910 Nr. 27 d. Bl.) — Uber den Stand der Voruntersuchung gegen die am 25. August 1909 ver hafteten Direktoren und Prokuristen des unter der Firma v>. H. Liez L Co. in Leipzig eröffneten vorgeblichen Zeitschriften- Verlags berichten die »Leipziger Neuesten Nachrichten« folgendes: Nach ziemlich halbjähriger Arbeit ist es den Behörden ge- lungen, die Voruntersuchung gegen die Gesellschaft abzuschließen, die unter der Firma 1)r. H. Liez L Co. angeblich eine Familien zeitschrist herausgeben wollte, in Wirklichkeit aber nur darauf ausging, von vertrauensseligen Filialleitern möglichst hohe Kau tionen zu erlangen. In einigen Wochen dürfte die Angelegen heit auch durch die Staatsanwaltschaft zum Abschluß kommen. Was den Umfang der Manipulationen anbelangt, die von der genannten Gesellschaft ausgeführt worden sind, so ist dieser be deutend größer, als man ursprünglich annahm. Fast aus allen Großstädten Deutschlands haben sich Geschädigte gemeldet. Es dürften an 40 Personen Zusammenkommen, die mehr oder minder große Summen geopfert haben. Die Hauptmacher der berüchtigten Firma waren die beiden Geschäftsführer vr. H. Liez und der Kaufmann Arthur Böckel. Von ihnen wurden in allen größeren Zeitungen Annoncen erlassen, in denen gebildete junge Leute mit etwas Vermögen gesucht wurden. Nach den Annoncen sollten diese Leute bei geringer Arbeitsleistung ein reichliches Gehalt beziehen. Es wurde lediglich auf »vertrauenswürdige« Personen reflektiert, die möglichst mit dem Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis versehen waren. Meldeten sich Bewerber, so wurde ihnen mitgeteilt, daß es sich um den Verlag einer äußerst gewinnbringenden Zeitung mit einmaligem wöchentlichen Erscheinen handle. Außerdem sollten angeblich noch drei Neuerungen auf dem Gebiete der Reklame im lizenzweisen Verkauf, sowie ein chemisches Laboratorium aus gebeutet werden. Man suchte die Bewerber dann zur Übernahme einer Filiale zu veranlassen. Nach den von der Firma vr. Liez § Co. aufgestellten Gewinnberechnungen würden die Filialen, von 1 659 440 bringen; von dieser Summe waren als Unkosten für die Zentrale in Leipzig 331 840 .6 in Abrechnung gebracht, so daß nach Liez L Co. ein Jahresreinertrag von 1327600 verbleiben sollte. Das Kapital der einzelnen Teilhaber wollte man mit 6 Prozent im Jahre verzinsen. Außer einem Mindestgehalt von 200 monatlich war den Leuten ferner ein Anteil am Reingewinn zugesichert worden. Durch diese glänzenden Ausblicke und durch die rednerischen Fähigkeiten der Geschäftsführer ließ sich, wie schon gesagt, eine ganze Anzahl von Bewerbern verleiten, Gelder in Höhe von 500 bis zu mehreren tausend Mark herzugeben. Die so ge- wonnenen Filialleiter erhielten dann von der »Zentrale« in Leipzig vorläufig Prospekte, in denen die Propaganda erläutert wurde. Auf verschiedenes Drängen hin erschien endlich auch eine vornehm ausgestattete Nummer der Wochenschrift. Dann hörte die Tätigkeit der Zentrale einstweilen wieder auf. Im August vorigen Jahres drangen die Filialleiter, denen die Sache inzwischen eigentümlich vorgekommen war, auf eine Besprechung. Sie fand auch statt. Als man aber seitens der Geschäftsleitung neue Ausflüchte machte, erfolgte Anzeige bei der Behörde. Diese nahm dann die Verhaftung der Gründer und Leiter vor. Als man zur Aufnahme der vorhandenen Vermögensbestände, Geschäftsbücher usw. schritt, machte man verblüffende Wahr nehmungen. Die Bücher waren in ganz verwahrlostem Zustande und boten auch nicht den geringsten Einblick in den Betrieb des »großzügigen Unternehmens«; in der Kasse fanden sich annähernd noch — 3 Mark vor. Von den ganzen Geschäftseinlagen war außer verschiedenen Schuldscheinen nichts mehr vorhanden. Der Prozeß gegen die Gründer dieser eigenartigen »Verlagsanstalt» wird überraschende Momente in Fülle bringen. Vorläufig müssen wir jedoch von der Bekanntgabe weiterer Einzelheiten absehen. (Nach: »Leipziger Neueste Nachrichten«.) * Bom Reichsgericht. ^Nachdruck verboten.) — Die iVl6866n^6i- Loy8 60. als Privatpost. In der Strafsache gegen die »Raschen Boten« in Stuttgart, die am 13. Januar vom Reichsgerichte erledigt wurde, liegen jetzt die ausführlichen Urteilsgründe vor. Da diese von allgemeinem Interesse sind, so lassen wir sie hier ihrem wesentlichen Inhalte nach folgen. Nach dem klaren Wortlaute des Artikels 3 Absatz 1 der Post novelle vom 20. Dezember 1899 gehört es nicht zum Begriffe der dort verbotenen Privatbeförderungsanstalten, daß sowohl die Einsammlung als auch die Beförderung und Verteilung von un verschlossenen Briefen, Karten usw. gewerbsmäßig, betrieben wird, vielmehr genügt die gewerbsmäßige Befassung mit einem dieser drei in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge und planmäßigen Ver- einigung die Arbeitsweise der öffentlichen Postanstalten wiedcr- gebenden Betriebszweige. Daß gegebenenfalls unter allen Um ständen eine gewerbsmäßige Beförderung postpflichtiger Gegen- stände stattgefunden hat, stellen auf Grund ausreichender tatsäch licher Unterlagen die Urteilsgründe rechtlich bedenkenfrei fest. Des halb und weil ein Einfluß der Hereinziehung des Merkmals der Ein- sammlung auf das Strafmaß undenkbar ist, mag der Einwand des Angeklagten auf sich beruhen, daß das Einsammeln begrifflich eine Mehrheit von Absendern voraussetze. Soweit der Angeklagte die Annahme der Strafkammer als rechtsirrtümlich bemängelt, daß im Ortsverkehr die Beförderung von Briefen durch expresse Boten nicht schlechthin erlaubt sei, steht ihm gleichfalls der Wortlaut des Gesetzes, außerdem aber seine Entwicklungsgeschichte und sein Zusammenhang entgegen. Die §8 1 und 2 einerseits und die 8§ 1^ und 2a anderseits laufen selbständig nebeneinander her, und 8 2a gestattet für den Ver kehr im Ursprungsorte keine andere Ausnahme vom Postzwang, als die durch ihn selbst anerkannte; er gibt also für den Orts verkehr die entgeltliche Beförderung von Briefen nicht im An schluß an 8 2 allgemein frei, wenn sie durch expresse Boten ge schieht, sondern einzig und allein, wenn sie durch solche — expresse oder nicht expresse — Boten erfolgt, die weder das Ein sammeln gewerbsmäßig betreiben, noch im Dienste einer Privat beförderungsanstalt stehen. Schon das Fehlen einer von beiden Voraussetzungen schließt die Zulässigkeit der entgeltlichen Beförde rung verschlossener Briefe am Ursprungsorte aus, und daß des