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uns auf: wir halluciniren. Mag es sich um den Uebergang vom Wachen zum Schlafe, um einen hypnotischen Zustand, um eine leichte Narkose, um schwaches Fieber handeln, immer kommen dann die Erinnerungen wie Gespenster, die Blut ge trunken haben, und zwar nach ihrem (oder auch eines Hypno- tisirenden) Willen, nicht nach unserem Willen, obwohl wir uns doch noch leidlich frei vorkommen. Wenn ich ein wenig Fieber habe, aber nicht sicher darüber bin, so brauche ich nur die Augen zuzumachen, dann ziehen Gestalten an mir vorüber, etwas, das im gesunden Zustande nie vorkommt. Seit dem Tode meiner Mutter habe ich ihre Stimme nie wieder ge hört ; nur ein einzigesmal, als ich in einer traurigen Zeit mich nach Tische zur Ruhe hingesetzt hatte, habe ich die liebe Stimme genau so gehört wie einst. An diesem Beispiele sieht man, wie ganz anders unser Leben sein würde, wenn wir Macht über unsere Erinnerungen hätten. Wir könnten ja dann alles wieder erleben, was uns Freude gemacht hat, unsere Todten treffen, schöne Reisen machen, alle die gute Musik wiederhören und die Kunstwerke wiedersehen, die wir kennen, wieder jung werden. Auch über die gewöhnlichen Erinnerungen verfügen wir nicht frei, mögen sie abgeblasste Bilder sein, oder Worte. Jeder weiss, dass man sich nicht auf alles und auf das Meiste nicht zu jeder Zeit besinnen kann. Manche wenden dann künstliche Methoden an (Durchgehen des Alphabetes und dergl.), in der Regel aber spannt man nur seinen Willen an und weiss nicht, wie man das macht, d. h. man hat ein Gefühl der Spannung, und es kommt einem vor, als arbeitete etwas im Inneren. Mit einem Male fällt uns das Gesuchte ein. Mit Recht hat man sich von jeher besonders über die Fälle ge wundert, in denen die Spannung erfolglos zu sein schien, das Suchen aufgegeben wurde, und dann, manchmal nach geraumer Zeit, während irgend einer Thätigkeit die gesuchte Erinnerung auftaucht. Es ist, als ob man einen Jagdhund unter „such, such“ in die Wälder der Vergangenheit geschickt hätte, und dieser nun mit einem Male das Wild apportirte. Dabei handelt es sich um einen ähnlichen Fall wie bei der schon erwähnten Fortführung von Gedankengängen hinter unserem Rücken. Die Wiederbringung des Verlorenen ist allerdings einfacher, sie