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Trennung der einzelnen Triebe lasse mich von meinem Gefühle leiten. Aber das Gefühl ist seiner Natur nach dumm und gar nicht geeignet, mich die Mittel zu dem Zwecke finden zu lassen, zu dem ich hinge trieben werde. Wenn ich z. B. ein hübsches Mädchen sehe, so kann ein lebhaftes Gefühl in mir entstehen, das Wohlge fallen an und Verlangen nach dem Mädchen ist. Aber das Gefühl sagt mir nicht, was ich zu thun habe, um das Ver langen zu stillen, durch welches Verfahren ich die ersehnte Befriedigung finde. Nur weil wir den Trieb nicht direct erfassen können, schreiben wir gern dem Gefühle geheimniss volle Kräfte zu und verwechseln so das Signal mit dem, der das Signal giebt. Alles, was ich bisher von zwei Trieben gesagt habe, wäre bei den anderen zu wiederholen, bei dem Triebe zu Kindes liebe, der besonders vielfache und sehr zusammengesetzte Hand lungen erzeugt, bei dem Triebe zur Geselligkeit, bei der Kampflust, dem Verlangen nach Eigenthuml, der Herrschsucht u. s. w. u. s. w. Eine vollständige Aufzählung der Triebe ist (vor der Hand, vielleicht aber überhaupt) ein undurchführbares Unternehmen. Insbesondere kann man bezweifeln, ob die ein zelnen Bethätigungen der Haupttriebe selbständige Triebe zu nennen sind. Im Verhalten eines Vogels gegen seine Jungen könnte man unterscheiden: Brut-Trieb, Futter-Trieb, Schutz- Trieb, Reinlichkeits-Trieb, Vormach-Trieb u. s. w. Verfährt man überall so, so vermehrt sich die Zahl der Triebe ins Un endliche. Mag man mehr Neigung zur Spezialisirung oder zur Zusammenfassung haben, man wird unterscheiden Triebe erster Ordnung und solche untergeordneter Bedeutung. Auch solche Triebe, an deren Selbständigkeit man nicht zweifeln kann, sind doch in gewissem Grade von anderen abhängig, wie Kampflust und Eitelkeit, Sing- und Tanz-Trieb vom Geschlechtstriebe. Dieses ganze Gebiet ist seiner Art nach dunkel, aber es haben sich bisher auch nur Wenige Mühe darum gegeben. Betont sei hier noch, dass auch das sogenannte höhere Geistesleben ohne Trieb-Grundlage nicht bestehen könnte. Bei den als Talente bezeichneten Fähigkeiten, den Anlagen zu bestimmten Künsten und Wissenschaften (z. B. Mathematik, Sprachenkunde) ist es ohne weiteres klar. Jedoch es gäbe überhaupt keinen