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Erscheint werktSgllch. 7s"S."oS M.^ >!? S. 20 E°St-N«n- Nk. 151 (R. 87). Leipzig, Sonnabend den 19. Juli 1919. 8S. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Von deutscher Musik und deutschem Musikalienhandel. m. <11 siehe Nr. btt.)- Eine kleine Phantasie in Heller Dur-Tonart Uber mustklitcr arische Werke, insbesondere über Beethoven-Literatur. Vor einigen Jahren kam ich auf einer Vergnügungsreise in ein freundliches süddeutsches Städtchen. Vor einigen Jahren? Hier stocke ich schon, ist cs doch, als habe der Krieg unser Zeit bewußtsein bullig in Verwirrung gebracht. Bald scheint es, als wären die paradiesisch schönen Jahre vor 1914, die wir in ihrer Paradieseshellc so gar nicht zu würdigen gewußt ha ben, uns greifbar nahe, wie gestern , bald dünken sie uns Mythenhaft fern, als wären gar nicht wir es, dieselben Men schen, die das Damals erlebt und das Heute! — Auf einer Ver gnügungsreise? Kann man sich vorstcllen, daß man einst ver- gnügungsreiste, wohin man wollte, aus der Fülle der Schnell- nnd V-Züge sich einen auswählend — in die weite Welt hinaus, als freier Deutscher, dem das Bewußtsein des starken Vater landes schönster und sicherster Reisepaß war? Doch, so werde ich mit dem Bericht meines kleinen Reise« erlcbnisses wohl nicht weiter kommen. Also, ich trat in ein sauberes Uuiversitätsstädtchen, es war ein richtiger Maitag, strah- lender Sonnenschein, alles in der köstlichen Frische des ersten Grllncns und Blühens, viel gut bewältigte Arbeit lag hinter mir, einige Wochen glücklichen Nichtstuns lagen vor mir, cs war, als wüchsen mir Flügel! So schleuderte ich durch hübsche Anlagen dem Marktplatz zu, wie ich cs meist zu tun Pflege, um mich zunächst zu orien tieren; ein prächtiger, alter Platz, ehrwürdige Häuser, die von Hunderten von Jahren erzählen konnten, zum Eintritt einladend und doch zugleich dem Eintretenden durch ihren Alters-Adel und ihre gemessene Ruhe Pflichten des Verhaltens auferlegend. Wie ich mich gerade in ihre Würde und ihren Stil vertiefen wollte, fiel mein Auge auf eine große Buchhandlung, die sich in der Mitte der Häuser, gleichsam den ganzen Platz beherr schend, befand da war es um mich geschehen. Ich ging schleunigst näher und hatte bald — völlig in die Schätze der Auslage vertieft — .Häuser, Stil und Maitag vergessen. Aber es war auch ein Bücherladen so recht nach meinem Herzen, hohe, weite Fenster, die Auslagen nicht vollgepfropft, daß man vor lauter Büchern nichts sah, jedes Fenster bot nnr Proben aüs einem Literaturgebict, die Proben waren gut gewählt und so gestellt und gelegt, daß jedes einzelne Buch in Einband und Art zu seinem Rechte kam; es war ein Künstler, der hier Kunst werke des Wissens bot. Die Wirkung wurde noch erhöht da durch, daß ein völlig moderner Sinn in altehrwürdiger Um rahmung zu Worte kam. Ich wollte ans dieser Reise einmal nicht lesen, keine Bücher kaufen und alles verfügbare Geld zur Pflege des Körpers anlcgen. Aber was sind Entwürfe, was Vorsätze, wenn der Versucher an den schwachen Menschen heran tritt! Hier war der Versucher Hölderlin da lag er in der köstlichen Ausgabe des Jnsclvcrlags, die ich mir solange ge wünscht. Ehe ich mich versah, befand ich mich im Buchladen — der Eindruck innen war ein gleich guter wie der von außen, die Auslagen nahmen das Licht nicht fort, durch hohe Fenster flu tete von zwei Seiten Licht und Helle herein. Der Inhaber paßte ausgezeichnet in sein Reich, ein feiner älterer Herr mit weißem Vollbart und goldener Brille, der nicht — wie es jetzt Vor kommen soll -- seinem Kunden entgegentrat mit einer Miene, in der deutlich zu lesen steht: um Gottes willen, was wird der nun wieder verlangen, was ich nicht habe, oder nicht be schaffen kann — oder; ich war gerade so ausgezeichnet im Ausschreibcn der Rechnungen vertieft, warum stört der unange nehme Manu mich nun — — nichts von alledem, wie ein lie benswürdiger Gastgeber schien der Inhaber sich des Gastes zu freuen und zu sagen; bitte verfügen Sie über mich; er war gerade dabei, einem jungen Paare eine schöne Mörikc-Aus- gabe zu zeigen, wie ein echter Kenner seinem Freund einen edlen Tropfen kredenzt, so liebevoll wies er die Bücher vor. Die Unterhaltung über das zu wählende Werk ging hin und Wider, als plötzlich der Jüngling, der ein Violoncello in leichter Hülle im Arm hielt, ganz aufgeregt ausricf; »Was, du besitzt keine Beethoven-Biographie? Denken Sie, Herr, meine Braut hat keine Beethoven-Biographie!«; »sie«, die ganz wie der Maitag drau ßen, lieb und strghlend, aussah, schien sich dieses Mangels gar nicht zu schämen, vielmehr sagten ihre Augen nnr; bin ich nicht ein Glückskind, solchen Bräutigam zu haben? Der Bräutigam meinte, daß die Biographie von Marx, die er besäße, als zu umfangreich nicht in Frage käme, welche können Sie nun emp fehlen? Ter freundliche Inhaber wurde sichtbar etwas ver legen. »Vorrätig habe ich außer der kleinen Nohl-Biographie bei Rcclam keine — sie werden zu selten verlangt, aber ich kann Ihnen die wesentlichen nennen« — und nun las er »us dem Barsortimentskatalog von Brcitkopf die ganze Reihe von Namen vor. »Das sind ja viele, aber zu welcher raten Sic uns in diesem besonderen Falle?«, fragte der junge Manu, den beson deren Fall mit seinem einen freien Arm lächelnd nmschlingend. »Ach, gut sind sie alle « Als ich meine Wanderung einen Band .Hölderlin unter dem Arm fortsctzte, noch oftmals nach dem schönen Markt platz mit dem Juwel einer Buchhandlung zurückblickend, mußte ich mich, wie auch später häufig, dieses »gut sind sie alle« er innern. Einmal darauf achtend, erlebte ich ähnliche klassische Aussprüche, wenn es sich nm Musiker-Biographien handelte, in Buchhandlungen wiederholt, nur daß es mich bei mehr oder minder literalnrbeschlagenen Gehilfen oder Lehrlingen nicht wunderte, hingegen bei dem überaus feinen Buchhändler damals überraschte. Wie ich schon früher einmal erwähnte, haben sich die mnsikliierarischen Bücher sozusagen zwischen zwei Stühle gesetzt; die Buchhändler finden, daß diese Geistesfrucht von den Musikalienhändlern zu bestellen und zu ernten sei, während die Musik-Sortimenter, die sich meist nnr ungern mit Büchern be fassen, dieses für Amt und Pflicht der Buch-Kollegen erachten. (Dieser Zustand hat sich übrigens vorübergehend unter der all gemeinen Bücherkauf-Pfychose etwas gebessert.) Wie kommt es nun, daß, während cs kaum eine bessere Buchhandlung gibt, die nicht mehrere Goethe« und Schiller-Biographien führte, wäh rend in jeder Privatbibliothek Werke über das Leben unserer Literatur-Größen zu finden sind, man nach Werken über die KO)