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84, 13. April 1931. Küustig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. b.Dtschn. Buchhandel. 2387 » Da ist großes Leben. Es gibt einen trüben Wein, der schon von diesem Jahr ist und wunderbar schmeckt. Er zieht mächtig in die Beine. Um so lieber sitzen wir. Tabakschwaden wehen durch den niedrigen Raum, und der Wein riecht nach Erde und Sommer. Wir holen unsere Konserven heraus, säbeln das Fleisch auf dicke Butterbrote, stechen die Messer neben uns in das Holz der breiten Tische und essen. Die Petroleumlampe scheint wie eine Mutter über uns allen. Der Abend macht die Welt schöner. Nicht im Schützen graben, wohl aber im Frieden. Heute nachmittag sind wir ärgerlich einmarschiert, doch jetzt leben wir auf. Die kleine Kapelle, die in der Ecke spielt, wird rasch ergänzt durch unsere Leute. Wir haben nicht nur Klavierspieler und Mundharmonikavirtuosen, sondern sogar einen Bayern mit Baßzither bei uns. Dazu kommt Willy Homeyer, der sich eine Art Teufelsgeige zurechtbaut und mit Waschtrogdeckeln Glanz und Gloria von Becken, Pauke und Schellenbaum hineinpfeffert. Das Ungewohnte aber, das uns mehr als der Wein zu Kopf steigt, sind die Mädchen. Sie sind anders als nach mittags, sie lachen und sind zugänglich. Oder sind es andere? Mädchen haben wir lange nicht mehr gesehen. Anfangs sind wir gierig und befangen zugleich, wir trauen uns nicht recht, denn wir haben draußen verlernt, mit ihnen umzugehen; — dann jedoch walzt Ferdinand Kosole mit einer los, einem strammen Deubel mit mächtiger Brustwehr, an der er eine gute Gewehrauflage hat, und die andern folgen. Der süße, schwere Wein singt angenehm im Kopf, die Mädchen sausen, die Musik spielt, und in der Ecke sitzen wir zusammen um Adolf Bethke herum. „Kinder", sagt er, „morgen oder übermorgen sind wir wieder zu Hause. Kinder, Kinder, meine Frau — zehn Monate ist das nun her —" Ich lehne mich über den Tisch und rede mit Valentin Laher, der kühl und überlegen die Mädchen mustert. Eine Blonde sitzt neben ihm, aber er beachtet sie wenig. Während ich mich vorbeuge, drückt in meinem Rock etwas gegen die Tischkante. Ich fühle nach. Es ist die Uhr Heinrich Weß lings. Wie weit das schon zurückliegt — Jupp hat die dickste Dame erwischt. Er tanzt mit ihr wie ein Fragezeichen. Seine große Flosse liegt breit auf der mächtigen Kruppe des Mädchens und spielt da Klavier. Sie lacht ihm mit nassem Munde ins Gesicht, und er wird immer munterer. Schließlich schasstert er auf die Hoftür los und ist draußen. Ein paar Minuten später gehe ich hinaus, um die nächste Ecke zu suchen; — aber dort steht schon ein schwitzender Unteroffizier mit einem Mädchen. Ich trudele in den Garten und will grade beginnen, da kracht es mächtig hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Jupp mit der Dicken auf dem Boden kollern. Sie sind mit einem Gartentisch zusammen gebrochen. Die Dicke prustet los, als sie mich erblickt, und streckt mir die Zunge heraus. Jupp faucht. Ich verschwinde eilig hinter den Büschen und trete dabei jemand aus die Hand — eine verdammte Nacht —. „Kannst du Ochse nicht sehen?" brüllt ein Baß. „Kann ich wissen, daß du Mondkalb da liegst?" gebe ich ärgerlich zurück und finde endlich eine ruhige Ecke. Kühler Wind, gut nach dem Qualm drinnen, dunkle Häusergiebel, Lauben, Stille und das friedliche Plätschern, während ich pinkele. Albert kommt und stellt sich neben mich. Der Mond scheint. Mr pissen lauter Silber. „Mensch, Ernst, was?" sagt Albert. Ich nicke. Wir sehen noch eine Weile in den Mond. „Daß der Mist vorbei ist. Albert, was?" „Verflucht ja, Ernst —" Es knarrt und knackt hinter uns. Mädchen juchen hoch und jäh unterdrückt aus den Büschen. Die Nacht ist wie ein Gewitter, fiebrig geladen von ausbrechendem Leben, das sich wild und hastig aneinander entzündet. Im Garten stöhnt jemand. Ein Kichern antwortet. Schatten klettern vom Heuboden herunter. Zwei stehen auf einer Leiter. Der Mann preßt seinen Kopf wie ein Rasender in die Röcke des Mädchens und stammelt etwas. Sie lacht mit einer rauhen Stimme, die uns wie eine Bürste über die Nerven kratzt. Schauer rieseln mir den Rücken herunter. Wie nahe ist das beieinander, gestern und heute, Tod und Leben. Tjaden kommt aus dem dunklen Garten. Er ist schweiß- Lberströmt, und sein Gesicht leuchtet. „Kinder, jetzt weiß man doch wieder, daß man lebt", sagt er und knöpft seinen Rock zu. Wir gehen um das Haus herum und stoßen auf Willy Homeyer. Er hat auf einem Acker aus Kraut ein großes Feuer gemacht und ein paar Hände voll erbeuteter Kar toffeln hineingeworfen. Jetzt sitzt er friedlich und träume risch allein davor und wartet darauf, daß die Kartoffeln braten. Neben sich hat er ein paar amerikanische Büchsen koteletts liegen. Der Hund hockt aufmerksam an seiner Seite. Das flackernde Feuer wirft kupferne Reflexe in. sein rotes Haar. Von den Wiesen unten zieht Nebel herauf. Die Sterne funkeln. Wir setzen uns zu ihm und holen die Kar toffeln aus dem Feuer. Die Schalen sind schwarz gebrannt, aber das Innere ist goldgelb und duftet. Wir packen die Koteletts mit beiden Fäusten und sägen aus ihnen herum wie auf Mundharmonikas. Dazu trinken wir Schnaps aus unfern Aluminiumbechern. Wie die Kartoffeln schmecken! Dreht sich die Welt? Wo sind wir? Sitzen wir nicht wieder als Jungens bei Torloxten auf dem Acker und haben den ganzen Tag in der starkriechenden Erde Kartoffeln ausgewühlt, rotbackige Mäd chen in blauen, verwaschenen Röcken mit Körben hinter uns? Ihr Kartoffelfeuer der Jugend! Weiße Schwaden zogen über das Feld, die Feuer knisterten, sonst war es still, die Kar toffel war die letzte Frucht, abgeerntet war alles schon — nur noch die Evde, die klare Luft, der bittere, weiße, geliebte Rauch, der letzte Herbst. Bitterer Rauch, bitterer Geruch des Herbstes, Kartoffelfeuer der Jugend — die Schwaden wehen, wehn und verwehen, Gesichter der Kameraden, wir sind unterwegs, der Krieg ist zu Ende, alles zerschmilzt wunder lich — die Kartoffelfeuer kommen wieder und der Herbst und das Leben. „Mensch, Willy, Willy —" „Sache, was?" fragt er aufschauend, die Hände voll Fleisch und Kartoffeln. — Ach, Schafskopf, ich meinte ja ganz was anderes. Fortsetzung morgen!