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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.02.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191202087
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19120208
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19120208
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-02
- Tag 1912-02-08
-
Monat
1912-02
-
Jahr
1912
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.02.1912
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WtM Mw WknßkiMlMMtt Atijkigkr T«ge»lchtt. Nr. 31. Donnerstag, den 8. Februar 1V1Ä 3S. Jahrgang Bayern Im zmeitgröhten deutschen Bundesstaate Haden soeben die Wahlen zur Landesver- trettmg stattgesunden, die die bisher dort be stehende Mehrheit der Zentrumspartei vermin dert, aber nicht beseitigt haben. Seitdem vor mehr als 25 Jahren das schwere Leiden Königs Ludwig 2. die Einsetzung einer Regentschaft erforderlich machte, hatte im Lande nicht wieder eine solche Erregung ge herrscht, wie in den letzten Monaten. Das Bayernvolk ist zum nicht geringen Teil von einer derben Offenheit und Geradheit; was es aus dem Herzen hat, muß herunter, aber so bös ist das nicht gemeint. wo ist cs denn bei den bisherigen imrcren Wahlen nach kur zer, jäher Heftigkeit bald wieder zum Frieden gekommen, und erst jetzt hat zum ersten Mal der durch das ganze Reich gehende Widerstreit einen scharfen Zusammenstoß zwischen der Zen trumspartei und den verbündeten Strömungen der linken Seite hervorgerufen. Die Folge der Wahl ist eine teilweise Aenderung im Bestände des bayerischen Ministeriums. Fürst Bismarck hatte seinerzeit den Norden Deutschlands dessen Kops, den Süden das Herz des Reiches genannt, ohne welches die ses überhaupt nicht hätte gebildet werden kön nen. Und wir dürsen heute noch sagen, es würde gar nichts schaden, wenn sich so man cher Norddeutscher, der sich mehr als Weltbür ger wie als Deutscher fühlt, in süddeutsches Wesen vertiefen wollte; er bliebe dann vor den Hohlheiten des englisch-amerikanischen Snobismus, der sich in Deutschland so breit macht, bewahrt. Jedenfalls sind die guten Be ziehungen zwischen Bayern und den norddeut schen Bundesstaaten und zwischen den Hohen- zollern in Berlin und den Wittelsbachern in München von außerordentlicher Bedeutung. Bayern hat sich trotz aller modernen Neue rungen eine starke Eigenart bewahrt, und dar aus will es auch nicht verzichten. Diese Eigen art wird durch allen politischen Zwist, mögen seine Flammen augenblicklich noch so stark emporlodern, nicht verwischt werden, und wir laben ja gesehen, wie selbst die bayerischen Sozialdemokraten sich den Geboten ihrer nord deutschen Genossen keineswegs blindlings fügen. Darum müssen die außerbayerischen Be urteiler der Verhältnisse innerhalb der weiß- blauen Grenzpfähle sich hüten, übers Ziel hin auszuschießen, es könnten infolge davon Er scheinungen eintreten, die nicht erwartet wor den sind. Wenn die einzelnen deutschen Volks stämme sich aneinander abschleisen, dann wird damit dir heilsamste Wirkung des Zusammen schlusses der verschiedenen deutschen Bundes staaten erreicht 'ein. Es mutz auch im Auge behalten werden, datz Bayern in verhältnis- mätzig grötzercm Matzstabe trotz aller wert vollen industriellen Entwicklung ein Ackerbau treibendes Staatswesen geblieben ist, wie andere deutsche Staaten. Der Landmann hat sehr ost einen geraden Nacken, aber zu aller meist ein goldenes Herz. Bei dem hohen Alter des mehr als neun zigjährigen Prinz-Regenten Luitpold, des in ganz Deutschland populären Herrn, tritt in diesen Tagen sein ältester Sohn, der Prinz Ludwig, in den Vordergrund. Der künftige bäyrisckpc König ist durch manches nicht allein offene, sondern auch sachverständige und prak tische Wort überall bekannt geworden und in seinem Heimatlande außerordentlich beliebt. Im Kriege von 1866 durch eine Kugel, die ihm dem Militärdienst erschwert, verwundet, hat er sich der Landwirtschaft gewidmet und ist darin mehr als ein hervorragender Fach mann, eine Autorität geworden, die allge meine Anerkennung genießt. Bemerkenswert ist auch das Eintreten des Prinzen für einen Ausbau des Kanalnetzes und eine bessere Ver bindung der süddeutschen mit den norddeut schen Wasserwegen. Wenn ein Mann geeignet ist, durch kühle Besonnenheit und nationales Pflichtbewusstsein die zu hoch gehenden Wogen der politischen Leidenschaft zu dämmen, dann ist dies der Prinz Ludwig. Bayern wird Wohl im Scherz das Bier land genannt, aber nach den Zwistigkeiten am Bierti'che können nicht die Zustände im gan zen Staate beurteilt werden. In Bayern steckt eine in den wenigsten deutschen Staaten er reichte Sparsamkeit und eine nicht zu über bietende emsige Betriebsamkeit. Die stellen es auch verdientermaßen aut den Platz, der ihm seiner Größe nach gebührt. Politischer Kampf, wie er bei den Wahlen im ganzen Reiche tobte, ist keine Stockung, sondern ein Merk mal der Entwicklung, und die Erfahrungen führen am Ende selbst zum Rechten. Wenn wir bedenken, was wir in den mehr als vier Jahrzehnten deutscher Reichsgeschichte erfahren haben, braucht niemand um unsere Zukunst Angst zu sein. Nach der Unruhe des Tages kommt die Sicherheit der großen Ziele! OertLiches und Sächsisches. * — Geschlossene Zeiten. Ter Bußtag (6. März), dessen Vorabend und die Zeit vom Donnerstag nach dem Sonntag Judika, in diesem Jahre also vom Donners tag, den 28. März, bis zu und mit dem ersten Osterfeiertage gelten nach der sächsischen Mini- fterialverordnung vom 14. Februar 1911 als geschlossene Zeiten in Beziehung aus Tanzver anstaltungen an öffentlichen Orten, in Privat häusern oder in den Räumen geschlossener Ge sellschaften. Ausnahmen von diesen Bestim mungen dürfen in keinem Falle gestattet wer den. Das Abhalten von Konzertmusiken und anderen, namentlich der mit Musikbegleitung verbundenen geräuschvollen Vergnügungen an öffentlichen Orten ist am Bußtage, an dessen Vorabend von nachmittags 6 Uhr an (am Vorabend jedoch unter Gestattung ernster Musik stücke) und an den drei letzten Tagen der Kar woche verboten. Die Ausführung geistlicher Musiken und Oratorien kann dagegen an die sen Tagen gestattet werden, wenn sie mit der ernsten Feier jener Tage in vollem Einklänge stehen, in den Nachmittags- oder Abendstun den — also nach völlig beendigtem Gottes dienste — stattfinden und wenn dabei jede sonstige Festlichkeit ausgeschlossen bleibt. Theatralische Vorstellungen dürfen am Buß tage und in der Zeit vom Gründonnerstag bis mit Sonnabend vor dem ersten Osterscier- tage nicht stattfinden. Auch wird vorausgesetzt, daß zu denjenigen theatralischen Vorstellungen, die am Vorabend des Bußtages, wie in der Zeit vom Palmsonntag bis zum Mittwoch in der Karwoche zur Aufführung kommen, an gemessene ernste Stücke gewühlt werden, und daß namentlich die Aufführung von Possen und ungeeigneten Lustspielen unterbleibt. Es sind ferner verboten am Bußtage und am Karfreitage Schaustellungen (zu denen auch Lichtbildcrvorsührungen gerechnet werden kön nen), öftentliche Aus- und Umzüge, Vogel- und Scheibenschießen und Schießübungen, fer ner an den beiden genannten Festtagen und am ersten Osterseiertage die Abhaltung öffent licher Versammlungen aller Art, und am Buß tage und Karfreitage wie an deren Voraben den die öffentliche Ankündigung und Veranstal tung der von den Gast- und Schankwirten be sonders dem Vergnügen gewidmeter Veranstal tungen, wie Schlachtfeste, Schmause, Skattur niere, Bockbierausschank und dergl. Am Buß tage und in der Karwoche dürfen Trauungen nicht vorgenommen werden. * — Gesetz zur Ausführung des R e i ch S z u w a ch s ft e u e r g c s e tz e s i n Sachse n. Mit Dekret Nr. 32 ist dem Land tag gestern der Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Reichszuwachssteuergesetzes zu gegangen. Das Gesetz bestimmt, daß die von dein Ertrage der Zuwachssteuer nach Abzug der Anteile des Reiches und des Staates ver bleibenden 40 Prozent der bürgerlichen Ge meinde zusließen, in deren Bezirk das Grund stück liegt. Bei Grundstücken, die in einem selbständigen Gutsbezirk liegen, gehört dieser Anteil von 40 Prozent dem Bezirksverband, dem der Gutsbezirk angehört. Der Ertrag der Steuer ist, soweit er nicht vorhandenen Fonds zugewiesen wird, zu Beihilfen zur Anlegung neuer und zur Verbesserung bestehender Stra ßen anzusammeln und nach Bedarf zu ver wenden. Das Nähere beschließt die Bezirks versammlung. Sie kann dabei im Falle des Bedürfnisses die selbständigen Gutsbezirke vor zugsweise berücksichtigen. * — E r h ö h u n g der Stein- k o h l e n p r e i s c. Die jüngste Mitteilung über die Steinkohlenpreise ist dahin zu ver stehen, datz allgemeine Preiserhöhungen im ZwickawLugau-Oelsnitzer Revier nicht in Aussicht genommen sind. Die Preise einzelner Sorten der Verbandswerkc erfahren aber, wie von zuständiger Seite mitgeteilt wird, vom 1. April d. I. an allerdings kleine Er höhungen. * — Warnung. Ein Logisschwindler brandschatzt zurzeit die Provinz. Er gibt an, Engel zu heißen und will aus Tharandtstam men. Bald ist er Monteur, bald Sattler. In Freiberg hat er eine Vermieterin um 50 Mark beschwindelt. In Nossen hat er dasselbe Manöver wiederholt und 5 Mark erlangt, in Roßwein hat er ebenfalls erfolgreich gearbei tet. Der Betrüger ist etwa 27 bis 28 Jahre alt und 1,65 Meter groß. Vor ihm sei ge warnt! * Grüna, 7. Febr. Bei der hiesigen Ge- mcindesparkasse wurden im Monat Januar 1912 120255 Mk. 09 Pfg. in 867 Posten eingezahlt, dagegen betrugen die Rückzahlungen 99 829 Alk. 68 Pfg. Der Gcsamtsatz erreichte die Höhe von 280104 Mk. 52 Pfg. Neue Einlagebücher wur den 70 ansgefcrtigt, 39 Bücher sind erloschen. * Leipzig, 6. Febr. Das Schwurgericht verurteilte heute abend nach zweitägiger Ver- handlnng den Geschirrführer Klemens Albin Kliemann von hier, der am 25. Juni v. I. den Zigarrenhändler Beug in der Zweinaundorfer Straße erwürgte und beraubte, wegen Raub mordes zum Tode. * Niedersedlitz, 6. Febr. Gestern mittag entstand im Niederlagsraum des hiesigen Kon sumvereins ein erhebliches Schadenfeuer, ivobei eine große Menge dort lagernder Waren den Flammen zum Opfer fielen. Die fünf herbcige- cilten Feuerwehren waren mehrere Stunden lang angestrengt tätig. * Radeberg, 6. Febr. Die 30 Jahre alte Arbeitersfrau Hanfe versuchte sich mit ihren drei Kindern zu vergiften. Während das jüngste Kind im Alter von 1 Jahr bereits tot aufge- funden wurde, konnten die übrigen 6 und 4 Jahre alten Kinder und die Fran zwar noch lebend, aber in bedenklichem Zustande in das Krankenhaus geschafft werden. Ursache sind jedenfalls Familienzcrwürfnisse. ' Falkenstein, 6. Febr. Der etwa 50 Jahre alte Handarbeiter Ferdinand Rudert aus Werda wurde gestern in der Nähe der Plauener Talsperre, wo kleine Erdarbciten ausgeführt werden, von hereinbrechendcn gefrorenen Erd massen verschüttet und so schwer verletzt, daß der Tod bald darauf eintrat. Der Verunglückte hinterläßt Frau und Kinder. * Layda, 6. Febr. Auf der durch Schnee verwchnng gesperrten Eisenbahnlinie Mulda— Sayda konnte gestern nachmittag der gesamte Verkehr wieder ausgenommen werden. * Lehma i. (?., 6. Febr. Unser gegen 3000 Einwohner zählender Jndustrievrt befindet sich in der glücklichen Lage, für 1912 die Ge meindeanlagen soweit hcrabsetzen zu können, daß sie im Durchschnitt unter die Staatssteuer herab sinken. Außerdem wird hier von Erhebung einer Gemeindegrundstcner abgesehen. * Halle a. L., 6. Febr. Das Schwurge richt verurteilte gestern den 37jührigen Malcrge- Fremdes Reis Roman von C. Dressel. 2. Fo.tsetzung. (Nachd nck verboten.) Dörner merkte wohl, Frau Auguste, die immer ein Kind feineren Schlages ini winn gehabt, war von dem stämmigen kleinen Insulaner doch ein bißchen enttäuscht. Vielleicht, daß sie sich uni des eigenartigen Namens willen stärker für ihn inter essierte, bis sein persönlicher kindlicher Zauber sich ihr dann vollends ins Herz schmeicheln würde, woran er im Grunde nicht zweifelte. „Sollst deinen Willen haben," entschied er also, „meinen Namen kriegt er natürlich dazu. Sven Friederich Börner wird er heißen, denn über kurz oder lang adoptiere ich ihn natürlich in aller Form. Will nur abwartcn, ob der Junge bodenständig wird und uns nicht etwa eingeht. Erworben habe ich ihn mit alleir Rechten. Der Vater verunglückte im Wturmwetter auf dem Fischfang. Seine Witwe steht hilflos und schwächlich mit sechs Kindern da, von denen Sven das jüngste ist. Der Frau, die seit seiner Geburt hinfällig ist, mußte eine Hille aus großer Bedrängnis willkommen sein. Aber es war doch nicht bloß ein Handel. Sie hätte mir den Kleinen vielleicht nicht abgetreten, wenn sie nicht eben die tödliche Krankheit in sich spürte und wüßte, sie habe weder Kraft noch Zeit mehr, das Kind grohzuziehen." „Äch Gott, wie traurig. Und wenn nur der Jung nicht was abgekriegt har." „Da sei ruhig. Ich erkundigte mich genau danach. Der Arzt erklärte ihn für kerngesund, die Mutter leidet an einem örtlichen Schaden. Ich tat, was irgendwie zur Erleichterung ihrer Lage geschehen konnte, aber wie gesagt, ihre Jahre sind gezählt. Mit dem Kleinen nahm ich der Frau nur eine Last ab. Es bleibt ihr ja noch ein reicher .Kinderschatz, die größeren darunter sind ihr schon eine Hilfe, und Sven wird nun unser einziger lieber Sohn sein, nicht wahr, Gnstchen?" „Ja, ja, es wird schon werden, Fritz, an mir svll's nicht fehlen, ich will ihm Mutter sein." Und am Abend seines Einzugstages, als sich das Kind müde getummelt und nun schläfrig in seinem weißen Bettchen lag, beugte sich die Frau über das kleine braune Gesicht. Kein Statinen, kein Lachen mehr darin, wie den Tag hindurch. In den großen Augen ein trauer volles Nachdenken und um den schmalen, festen Mund ein seltsames Zucken. „Kleiner Sven, magst du hier sein ?" fragte sie leise. E ii schweres, tiefes Atemholen, das die schmale, kleine Brust erzittern machte. Weinte das Kind? Nein, die wehmütigen Augen blieben trocken, aber über die bebenden Lippen glitt es jetzt wie ein Stöhnen: „Min — inin Modder." Die verwöhnte Frau des reichen Fabrikanten erinnerte sich jählings des lange verpönten und vergessenen plattdeutschen Idioms ihrei Jugend. Sich tiefer herabneigend, murmelte sie weich: „Min leiw Sähn — jlaf, min sät Lütt ick bün ,o diu Modder, ick dliew bei di." Ihre Hand glitt zärtlich über das krause Blond köpfchen, die andere hatten die kleinen, derben Fäulte plötzlich fest gepackt. Jetzt hatten sie einander verstanden. Sie sahen sich in die Augen, die fremden, zwei, wie Vertraute. Und da kam Frieden in das bewegte braune Iungengesicht. „Ick wull good sün," flüsterte er mit einem schlaftrunkenen Lächeln voller Süße und Unschuld. Und so, die Händchen in seiner zweiten Mutter Hand geschmiegt, schlief Sven getröstet ein im neuen Va'erhans. Die Frau, die noch eine Weile an dem Bettchen ftehenblicb, tat ein heißes Gelübde. Erschauernd spürte sie die Größe, die Heiligkeit der Mu ter- pflicht und ahnte, sie könne bei aller Schwere und Verantwortung die süßeste auf Erden sein. Wer nun erwartet, fortan miifsc alles eitel Freude und Wohlgefallen sein zwilchen Mutter und Sohu, irrt gewaltig. woen batte Feh er, Unarten, wie jedes Kind, und Frau Auguste konnte ihre Hauptschwächen, Eitelkeit und Ehrgeiz, nicht m hr fahren lassen, selbst in ihren alternden Tagen richt, und denen wurde der Junge nur selten gerecht. Zudem hatte die Kinderlose gar keine Er fahrung in Erziehungsdingen und machte Feb'er über Fehler. Allzu nachsichtige Liebe, allzu große «trengs brachen wie Feinde über den wehrlosen Kleinen ein und schufen auch der Mutier bittere Stunden. Zum Glück stand Vater Börner mit seiner milden, bewährten Ruhe Wacht, beugte so ernsteren Gefahren vor und renkte die Sallie wieder ein, wenn sie wirklich schief gegangen war. „Bor allem nicht mehr von dem Kind erwarten als es naturgemäß leisten kann," warnte er. „Wenn er nur seine bisherige Umwelt vergißt, ist das vorläufig genug." Das ging schnell genug. Die neuen, großstädtischen Eindrücke stürmten wie Hagelschauer auf die weele des kleinen In sulaners ein und vernichteten gründlich die erste Saat seiner jungen Erlebnisse. Dazu hatte Mutter Börner ihr Platt selbst redend sogleich wieder vergessen nach jenem ersten denkwürdigen Abend. Es fehlte gerade, daß sie vor den Bekannten mit dem Jungen Bauernsprache redete. Gott be wahre, er hatte sich nun möglichst schnell feineren Sitten anzube.juemen. Das wurde ihm nicht schwer. Nach einem halben Jahr wußte er nichts mehr von der Amrumer Fischerhütte, nichts mehr von seiner leiblichen Familie, wußte es nicht anders, als daß er Sven Börner hieß und in einer schönen, großen Villa mit weitem Garten dahinter zu Haus war. Zuweilen im Traum mochte ihm die hagere, blasse Frau im dunklen Warprock, die er Modder gerufen, erscheinen. Er sprach nicht darüber. Mama lachte immer, wenn er mal vom großen, blanken Wasser er zählte und im Garten durchaus Muschclsteinc finden wollte. Da ließ er's sein und vergaß dann auch den einstigen Spielkram über die herrlichen Sachen, die er immerfort geschenkt bekam. Täglich offenbarten sich ihm neue Erden wunder, die sein kleines Hirn überstark beschäftigten, und nun war auch der letzte Schimmer des dürftigen Einst vor der sonnigen Gegenwart ver blaßt. Ebenso verschwand die braune Färbung seines Gesichts. Er wurde ein Großstadtgewächs. Ein bißchen bläßlich und stark aufgeschossen. Zu letzterem brachte er mit seinen langen, sehnigen Gliedern alle Anlage mit. War aber kräftig dabei. Immer der größte und stärlste unter gleichaltrigen Kameraden. Das dichte, krause Haar, gelb wie Weizenähren, die Hellen, glasklaren Augen gaben ihm ohnehin etwas Auffallendes, und so hatte Mama Börner die Genugtuung, daß ihr Junge dennoch bemerkenswert war. Als Sven fein sechstes Jahr vollendet hatte und schulpflichtig wurde, ward seine Adoption voll- zogen. Doch erst mit der bald danach eingehenden Todeskunde der Witwe Hendrickson in der Hand fühlte sich Fritz Börner im unantastbaren Rechts besitz seines Sohnes. Er sorgte für eine würdige Bestattung dei armen Frau, kargte nicht mit Erziehungsgeldern für ihre Waisen, soweit sie nicht bereits einem Berus zugesührt morden waren, verps achtete jedoch den Pastor, der die Spenden übermittelte, zu un verbrüchlichem Schweigen über Svens Domizil seinen Geschwistern gegenüber. Mit Amrum durfte der Junge nichts mehr zu schaffen haben. Wozu auch? Getrennte Wasseradern lausen nie mehr zusammen. Wenn auch der gleichen Quelle entsprungen, verfolgt jede nach der Schei dung die eigene Bahn und leine weiß mehr von der andern und Hut dennoch einen natürlichen Lauf genommen, der ihres Fortbestehens Be dingungen entspricht. wo sollte auch Sven, vom Mutterguell ge schieden, geleihen als sein eigenster, lieber Sohn. In der Schule machte er sich so la la. Nicht her vorragend begabt oder lernluslig, blieb er eben sowenig zurück und ging glatt durch die Vorschule. „Mätziger Durchschnitt," urteilten die re hier, von denen keiner dem hochaufgeschossenen, blonden Recken gram war, wiewohl er sich keineswegs aus zeichnete. „Also Realschule," entschied Vater Börner. „Mir sthon das liebste. Für die Fabrik genügt der Einjährige. Studieren soll der Junge ja nicht." Frau Auguste schmollte. Ihre Eitelkeit bekam wieder einen Stoß. Das Gymnasium war vor nehmer. Und sic hatte es ständig vor Augen. Nun sollte sie den Jungen doch nicht drüben unter der munteren Schar der Herrensöhne suchen dürfen? Das war empfindlich, zumal Map Starke, dec flotte, seine Junge und setzt schon forscher Tertianer, ihr noch immer vorbildlich galt. Sven, der bedeuteud jüngere, hatte natürlich gegenwärtig andere Freunde, aber den Vorsprung, den der Doktorjunge genommen konnte das spätere Leben recht wohl ausgleicheu. Sofern der Bil dungsgang der beiden nur ein gleichet, stand einstiger Annäherung zwischen ihnen gewiß nichts im Wege. (Normhang folgt.)
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