Und zwar besaßen den ästhetischen Sinn Männlein und Weiblein gleichermaßen. Es ist ein altes, hübsches Wort, daß der ästhetische Sinn mit der materiellen Sorge sür den nackten Kampf des Lebens in einem gewissen Druckverhältnis stehe. Die Sorge lastet auf der tieferen ästhetischen Seelenstimmnng bildlich gesprochen wie eine schwere Masse auf einer moussierenden Flüssigkeit. Du nimmst etwas Masse, etwas Druck, etwas Lebenssorge fort — und die Flüssigkeit wallt augenblicklich mit impulsivem Stoß empor, das ästhetische Empfinden, die Freude am Schönen bricht entlastet herauf und beherrscht sogleich das ganze Feld, den ganzen Menschen. Dieser Vorgang hat etwas Zauberhaftes, er ist im Menschenleben aber eine uralte Erfahrung. Und er ist zugleich eine unserer tröstlichen Erfahrungen. Sie lehrt uns, daß wir den Kampf um Beseitigung einer gewissen Schicht grober Lebenssorgen nicht bloß deshalb führen, um nachher die Hände in den Schoß zu legen. Ist der „Notmensch", wenn man es so ausdrücken soll, befreit, so wächst vom Druck ent lastet alsbald ein tieferer Mensch herauf: der Kunstmensch, vor dem eine nene Welt der Arbeit, doch höherer, genuß reicherer, freierer und mehr selbstgewollter Arbeit, liegt. Gesagt wurden diese Dinge allerdings zunächst immer nur vom Menschen. Und oft wurde geradezu der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier auf dieses Verhältnis von Notwesen und Kunstwesen festgenagelt. „Die Kunst, o Mensch, hast du allein", hat uns der Dichter gesungen. Dem Tier sollte jene tiefere Schicht fehlen, sie konnte also bei ihm auch nicht entlastet werden. Das Tier, hieß es, von der Not des täglichen Brotkampfes, von der großen Hatz und Flucht jäh befreit: es frißt und säuft, vegetiert roh Weiler, wird fett und kommt schließlich noch in Faulheit herunter von dem letzten Stückchen tierischen Verstandes, das der Notkampf wenigstens immer wieder angespannt hatte bis zum äußersten. Das ist nun wieder eine der guten alten Behauptungen,