Man muß notwendig einen Augenblick überlegen. Und es scheint so, als wenn du zunächst zweierlei gänzlich verschiedene Dinge von einander trennen müßtest. Hier steht die Madonna Rafaels oder sonst ein köstliches Gemälde der Dresdner Gallerte. Und ich schaue sie an und sage: das ist schön. Ich sage es, ich von meinem menschlichen Empfinden aus. Ich empfinde das als „schön". Dabei bin ich mir einer Sache unbedingt gewiß. Jener Maler, Rafael, der das Bild geschaffen, war ein Mensch wie ich. Uns trennen Jahrhunderte, aber im Bereich künstlerischen Empfindens ist das eine kurze Frist. Phidias er greift mich ebenso noch heute, und der ist über zweitausend Jahre älter. Also das fällt fort. Rafael war ein Genie als Maler, was ich nicht bin. Darauf beruht eben seine Kraft, Bilder so nach außen zu projizieren, daß ich heute noch in stiller Andacht davor stehe. Aber auch das berührt nicht die Grundthatsache. Er war ein Mensch. Ich bin einer. Er hatte Schön heitsempfindungen und zwar unbedingt in der Wurzel ähnliche wie ich. Seine persönliche Kraft beruhte nur darin, diese Empfindungen „schaffend" zu verwerten. Er „schuf" und ich staune. Aber in Wahrheit kehrt nur das menschliche Schön heitsempfinden, das im Kern auch in mir steckt, auf dem Um weg über seine Meisterschaft zu mir zurück. Und indem ich vor seiner gemalten Madonna alle Tiefen meines Schönheitsempfindens aufgerisseu und mit strahlenden Bildern belebt sehe, empfinde ich mich im tiefsten Wesen doch nur selbst. Rafael empfand „schön". Ich empfinde „schön". Er schuf auf Grund seines Empfindens „schön". Ich empfinde sein Geschaffenes abermals als „schön". Das ist eine einfache Linie, nicht wahr? Sie kommt vom Menschen und geht zum Menschen. Es schiebt sich ein bißchen Vergangenheit hinein, aber sie wird