Frau Rühlemann dachte an die lichtarme, rauchgeschwärzte häßliche Fabrikstadt Dortmund und verglich damit das luxuriöse, glänzende Großstadtbild, das sie umgab, Sic gelangte zu der Ueberzeugung, daß es herrlich sein müsse, immer in Berlin leben zu können. Beim Rellner bestellte sie sich Lisschokolade und löffelte diese ungewohnte Leckerei langsam, fast andächtig, und fühlte sich sehr glücklich. Eigentlich hatte die junge Frau ihrem Parteifreunde nicht ganz die Wahrheit gesagt. Gewiß, es war richtig, bisher hatte ihr Mann keine Ursache gehabt, eifersüchtig zu sein. Eie hatte ihrem Gatten die eheliche Treue während der drei Jahre, die sie nun verheiratet waren, bewahrt. Mb aber Herr Rühlemann auch in Zukunft keine Ursache haben würde, eifersüchtig zu werden: das war eine andere Frage, denn im Seelenleben seiner Frau hatte eine Revolution stattgefunden — ganz im verborgenen, ohne daß jemand etwas davon ge merkt hatte. Und diese Revolution hatte eine Umwertung vieler Werte bewirkt, was ja das Rennzeichen aller Revolutionen ist. Hatte Frau Rühlemann in den ersten Jahren die ehelicho Treue als das Grundgesetz und die „Verfassung" ihrer Ehe betrachtet, und hatte sie ihrem Gatten, als er einmal mit einer ihrer Freundinnen schön tat, dafür nachher zu Hause gottsjämmerlich das Gesicht zerkratzt, so kokettierte sie jetzt mit jdem Gedanken des Ehebruchs. Sie tat es nur theoretisch, denn sie war in niemand verliebt. Anna Rühlemann wünschte sich ein Rind. Sie wünschte es sich, weil ihre Ehe kinder los war. Im ersten Jahre ihrer Ehe hatte sie es für selbstver ständlich gehalten, Mutter zu werden. Damals fürchtete sie sich vor der Mutterschaft und wandte die kleinen Rünste vor- ^isichtiger Frauen an, die nicht in andere Umstände kommen wollen. Im zweiten Jahre hatte sie sich mit dem Gedanken an die Gefahren des Wochenbettes vertraut gemacht und sah dem Besuche des Storches gelassen entgegen. Aber dieser Postillon d'amour blieb aus und in Frau Rühlemanns Brust