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248, 23. October. Nichtamtlicher T steil. 3919 mag seinen Standpunkt nickt zu idcalisircn. Sätze aber wie die obigen, denen die Thatsachen so conträr lausen, mögen auch immerhin wie in jedem größeren Lande einzelne hohe Honorarinmmcn in Ame rika gezahlt worden sein, — und insbesondere die Behauptung, daß die Engländer dem besser unterrichteten Amerika zu Dank verpflich tet seien, indem sie durch den dortigen Nachdruck und das thalsäckliche Urtheil des kaufenden amerikanischen Publicums erst den Werth ihrer eigenen Autoren würdigen lernten, sind die Ausgeburt einer sonder lichen Anmaßung. Trotzdem hat die Carey'sche Schrift nicht bloß einen deutschen Uebersetzer gefunden, sondern besonnene deutsche Autoren, die dem ehemaligen Verleger zu Philadelphia und jetzigen Nationalökonomcn ein Urtheil über den literarischen Verkehr und seine ökonomischen Normen zutrauen zu müssen glaubten, haben sich von derselben auch übel beeinflussen lassen. So ist Schaffte von Carey ganz gewiß irregcführt worden, wenn er in seinem verdienst vollen Buche „Die nationalökonomische Theorie der ausschließenden Absatzverhältnisse" auf Grund der statistischen Mittheilungen des Amerikaners zu dem Schluß gelangt: allgemeine Volksbildung er zeuge niedrige Bücherpreise, während das Autormonopol von 42 Jahren in England in hohem Grade den Schaden des Monopols zeige: hohe Preise bei kleiner Auflage mit relativ hohen Ge neralkosten. Ich glaube, die Sache liegt anders und einfacher. Um es kurz auszudrücken: derMangel an genügender eigener Production beim Vorhandensein eines bestimmien L esebcdürfnisses wie überall anderwärts macht Amerika zum Lande des Massenabsatzcs und der wohlfeilen Ausgaben einer immerhin beschränkten Anzahl von Büchern. Der ungeheuerliche Umstand, daß ausländische Autoren — denn das sind doch die Engländer trotz der gleichen Sprache für Amerika — dort zehn und zwanzig Mal mehr verbrei tet werden können als im Mutterlande, zeigt auch ohne statistischen Beleg hinlänglich, daß der amerikanische Magen durch eigene gei stige Kost nicht verwöhnt ist und daß er deshalb mit jeder halbwegs an ständigen fremden Speise von Herzen gern vorlieb nimmt. Zwei Jahre früher, als wo bei jenem Gastmahl der New-Iorker Buchhändler das stolze Factum des amerikanischen Mehrabsatzes im Vergleich zu England verkündet wurde, im Jahre 1835, betrug die Gesammtzahl der literarischen Erzeugnisse in der Union 441 Bücher! Davon waren 173 bloße Nachdrucke. Seit jener Zeit ist die Leistung ge wachsen, aber die Bevölkerung hat sich auch beinahe verdreifacht, so daß in den letzten Jahren bei etwa 36 Millionen Einwohnern noch immer unter 2000 Büchern incl. der Nachdrucke jährlich pro- ducirt wurden. Das ist der Titelzahl nach nicht einmal ganz das, was das kleine Holland ohne Nachdrucke, aber allerdings mit einer reichen Uebersetzungsliteratur, jährlich zu Wege bringt, und in der Originalleistung wird es nicht viel mehr als ein Drittel der englischen und kaum ein Fünftel der deutschen Leistung sein. Und diese bescheidene Production ist noch künstlich eingehegt durch einen Ein gangszoll von 250/h »<1 vkUorem für die ausländische Literatur. Carey scheint an dieser eines großen Landes auf dem Gebiete geisti ger Eulturinteressen wenig würdigen Maßregel noch nicht genug zu haben; denn er meint, trotz dieses Zolls könnten von großen aus ländischen Werken 100, 200, auch 300 Exemplare in Amerika ab gesetzt und damit ein Nachdruck von einem oder mehreren Tausend Exemplaren unmöglich gemacht werden, zum Schaden der amerika nischen Papierfabrikanten, Buchdrucker und Buchbinder. Im „ Pa radiese der Frauen und Autoren" ein solcher Krämerstandpunkt! Eine genügende eigene Literatur hat Amerika nicht, dafür aber massenhaft Zeitungen. Vom Mangel jener macht Carey kein Auf hebens, wohl dagegen vom Vorhandensein dieser, und selbstverständ lich müssen dieselben wieder zur Verherrlichung nordamerikanischcr Intelligenz und des die gestammte übrige Welt überstrahlenden gei stigen Lebens der großen Republik dienen, während ein Blick auf die Specialstatistik derselben genügt, um sich zu sagen, daß sie zum guten Theil weiter nichts sind als ein Surrogat für den Ausfall an ernster literarischer Production. Was jedoch Amerika hat, das sind ganz tüchtig redigirte, keines wegs bloß dem nächsten Geschäftsinteresse dienende Buchhändler organe. Aus diesen Fachblättern läßt sich die Carey'sche Schrift mit ihrer, wie ihr deutscher Uebersetzer Dühring rühmt, im Vergleich mit englischen, französischen und deutschen Büchern „größten Fülle von Details" auf ihren wahren Kern zurückführen. Das Jahr 1873 ist dasjenige, von dem Carey prophetisch ver kündet, daß dann Amerika mehr Honorar an Autoren zahlen werde, als England, Frankreich und die ganze übrige Welt zusammen ge nommen. Vor mir liegt der in New-'Jork erscheinende ^.merierrn UookZtzUer's Ouiäe vom 1. Januar 1870, also datirt drei Jahre vor der großen Periode, wo Carey's geniale Ausführungen von 1853 in ganzer Leuchtkraft strahlen müssen. Diese Nummer des UookseUsr^ Ouiäe enthält einen lesenswerthen Aufsatz ,, .4utkor- 8dip in ^Mt-riea". Er constatirt, daß die Lage der amerikanischen Schriftsteller jetzt viel besser sei, als zwanzig Jahre früher — wo Carey ungefähr schrieb — und zwar hauptsächlich deshalb, weil sic viel als Journalisten begehrt würden. Das sei freilich eine Beschäf tigung, die dem Schriftsteller bald die Fähigkeit und auch den Ge- sckmack für ernstere literarische Arbeiten raube. Doch hätten die Bücher producirenden Schriftsteller in Amerika auch noch immer eine schlimme Stellung. Einzelne Ausnahmen abgerechnet, wo von Haufe aus Vermögen vorhanden sei, könne die Autorthätigkeit in Amerika nicht anders gedacht werden als in Verbindung mit einem anderen Berufe, mit einem Amte: das Schriftstellern erhalle 'Nie manden und sei Sache der Muße. Es sei nicht erst nothwendig, auf die lange Liste von Männern zu verweisen, die, bekannt in der ame rikanischen Literatur, durch Armuth und unangemessene Beschäftigung entmuthigt worden seien. Selbst ein so einzig und unvergleichlich dastehendes Werk wie die of lüteraturö, die Arbeit vieler Jahre und eines feinen Geschmacks, habe seinen Autoren, den Brüdern Duyckinck, nicht mehr als 2500 Dollars ein getragen. Dies falle nicht auf den Verleger zurück, denn die Her ausgeber würden außerdem vertragsmäßig am Gewinne participirt haben, wenn sich irgendeiner ergeben hätte. Der UookseUo.r's Ouiclo citirt in dieser Beziehung noch die Nen Dimi-8, welche sich folgendermaßen ausläßt: „Wenn ein Amerikaner einen Roman schreibt, so ist das schwerste Ding in der Welt, einen Verleger zu finden, und warum? Weil sich die Buchhändler mit englischen Romanen behelfen können, ohne etwas dafür zu zahlen. (Daher die Agitation amerikanischer Schrift steller für den Abschluß der Literarconvention mit England!) Wohl gibt es einige Firmen, die hierin anders handeln, allein wenn sie größere Zugeständnisse machen sollen, so lassen sie den amerikanischen Schriftsteller bei Seite. Autoren sind keine Chamäleons. Es ist ein herrschender Glaube, als wenn sie von der Luft oder von der Ein bildung leben könnten: allein das ist ein Mißvcrständniß." So steht es nach anderen, neueren und auch wohl kritischeren Lesarten im „Paradies der Autoren". Bleibt demnach noch das „Paradies der Frauen". Für diese Materie fehlt mir der rechte Sachverstand, aber ich erlaube mir Carey darauf aufmerksam zu machen, daß seine Landsmänninnen unschöne Zähne haben müssen. Denn Carey rühmt, daß Amerika allein fünf Zeitschriften für Zahnheilkunde habe, davon eine mit 5000 Abonnenten (!), ganz Europa nur zwei. Dem analog besäßen die Vereinigten Staaten vier Collegien für Zahnheilkunde, während in Europa kein einziges zu finden sei. Das ist in Wahrheit eine wundersame Thatsache, die kein vernünftiger Mensch anders wird erklären wollen, als daß man 529*