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Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die mit ihm verwandten Geschäftszweige. Eigenthum drS Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. 248. —. Leipzig, Mittwoch den 23, Oktober. 1872. Nichtamtlicher Theil. Der deutsche Buchhandel und Fauchcr's Viertcl- jahrschrift. (Forlsetzung aus Nr. 246.) Als einen weiteren Uebelstand desConditionsgeschäfts und des directen Verkehrs bezeichnet Kleinwächter.die „geradezu riesige Ar- beits - und Kostenlast", welche diese Betriebsart dem Sortimenter auferlege. Die Anwendung der Grundsätze des Waarenhandels auf die Bücherwaare (vermittelnder Großhandel) soll seiner Ansicht nach dahin führen, daß die unzähligen Bestellungen und Versendun gen einzelner Bücher wegfallen und durch Ersparung von Ge schäftsspesen die Bücher wohlfeiler werden. Es kann zugegeben werden, daß den deutschen Sortiments händler eine große Arbeitslast drückt. Der Grund davon ist aber nicht sowohl in der Natur der deutschen Einrichtungen zu suchen, als in der Natur der Bücherwaare. So lange kein Weiser ersteht, der dem Buchhandel sagt, wie man Bücher, statt nach dem einzel nen Titel, nach der Klafter oder nach dem Centner verhandelt, facturirt und verrechnet, so lange wird die buchhändlerische Vertriebs- thätigkeit ein großes Arbeitsmaterial zu bewältigen haben. Die Bewältigung diesesArbeitsmaterials nachMöglichkeit zu erleichtern, das ist Sache der Verkehrs Organisation, und nur ein auf fach mäßiger Grundlage gebildeter d.i. das besondere Wesen der Bücher waare commercicll richtig fassender und damit das Interesse von Verlags- und Sortimentshandel richtig abmessender Buchhandel wie der deutsche vermag sich zu organisiren. Auf die Einzelheiten der vorhandenen Organisation auch nur andeutungsweise einzugehen, würde hier zu weit führen. Ich will nur an Einzelnes erinnern. Die jüngsten Reformen des deutschen Postwesens, welche un sere Handelswelt so angenehm berühren, kennt der deutsche Buch handel in seinem inneren Verkehre länger als ein halbes Seculum, nur in kühnerer Durchführung. Danach reducirt sich jede Art schrift lichen Verkehrs auf die einfachste Form und den kürzesten Ausdruck. Im deutschen Buchhandel können Verleger und Sortimenter zehn Jahre lang in regem Verkehre mit einander stehen, ohne daß sie in die Lage kommen, sich einen Brief schreiben zu müssen. Vollkommen dem entsprechend sind die deutschen Bücher- fendungen. Einfacher und wohlfeiler sind sie nicht zu machen, so lange man, wie gesagt, die klafter-oder centnerweise Behandlung nicht cintreten lassen kann. Deshalb würde eine Bücherpost schwerlich jemals in Deutschland auch nur annäherungsweise die Bedeutung gewinnen, wie in England. Bei vergleichsweise schmaler Prodrwtion wurden im Jahre 1860 im englischen Jnlande 11,700,000 Bücher- packete durch die Post befördert. Es mag das gleichzeitig als Notiz für Klcinwächter gelten, in welchem Grade der kaufmännisch betriebene englische Buchhandel im Stande ist, die „unzähligen Bestellungen nnd Versendungen einzelner Bücher" zu vermeiden, denn das sind Neunundrreißtgiler Jahrgang. selbstredend durchgängig alles Einzelvcrsendungen. Der kauf männische Betrieb vermeidet sie nicht, sondern führt sie nach seinen von mir behaupteten allgemeinen Wirkungen erst recht herbei. An genommen, der deutsche Buchhandel hätte seine Organisation nebst seinem überall vermittelnden Sortimentshandel nicht, sondern wäre ebenfalls auf eine Bücherpost, wie die englische, angewiesen, wieviel höhere Spesen würde er sich schon bloß in Ansehung der Emballage auferlegen müssen? Und dann die Vermehrung der Arbeitslast, die damit verbunden wäre, ein so starkes Quantum von Büchern einzeln postbeförderungsfähig einzurichten. Die deutsche Reichspost hat unter Stephan dem Buchhandel dankenswerthe Zugeständnisse ge macht; aber sie wird nimmermehr den herkömmlichen deutschen Bücherbeischluß mit seinem leichten Gewände, bei dem die Factur gleichzeitig die Adresse bildet, als postbeförderungsfähig anerkennen. Das deutsche.Abrechnungs- und Zahlungswesen hat endlich eine Einfachheit und Correctheit erreicht, wie sie nur auf dem Grunde einer solchen Geschäftsorganisation denkbar ist. Ein deutscher Buch händler kann alt darüber werden, ehe er sich in die Theorie des Wechselverkehrs praktisch einlebt; in jedem Materialwaarengeschäft ist für den Eleven, der den Seifenstock schwingt, mehr Gelegenheit dazu geboten. Dies einfach aus dem Grunde, weil Wechselzahlungen im inneren Verkehr des Buchhandels schon seit länger als dreißig Jahren selbst in Süddeutschland ein überwundener Standpunkt sind. Solche Dinge lassen sich durch eine einfache Notiz auf offenem Zettel viel schneller, wohlfeiler und auch eracter am gemeinsamen Commissionsplatz erledigen. Ein Geschäftswesen, welches in den wichtigsten Beziehungen solche Vereinfachungen kennt, beweist damit die Befähigung, Ver kehrsanforderungen, die nach der kaufmännischen Schablone nicht zu bewältigen wären, entsprechend zu begegnen. Der Buchhandel hat, wie wiederholt werden mag, durch seine eigenartige Waare, ihre Productions- und Vertriebsweise, ein großes Arbeitsmaterial zu beherrschen, und diese natürlichen Schwierigkeiten durch eigenartige Geschäftseinlichtungen so zu überwinden, daß ein berufsmäßiger, nur mit dem Buchhandel sich beschäftigender Sortimentshandel dabei bestehen und gedeihen kann, ist das eigentliche buchhändlerische Problem. Nur in Deutschland ist dies Problem gelöst worden. Frankreich und England kennen keinen berufsmäßig ge schloffenen, über alle Theile des Landes gleichmäßig verbreiteten Sortimentshandel, eben weil ihm dort die Möglichkeit der Existenz fehlt. Wohl dagegen kennt England einen Groß-Buchhandel, nur, wie sich später zeigen wird, in etwas anderer Art, als er Klein- Wächter und Genossen als Ideal vorleuchtet. In der oben angezogenen Stelle bezeichnet Kleinwächter als eine Folge der Anwendung der Grundsätze des Waarenhandels auf 529