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«k Beilage zum „Hohenstein-Ernftthaler Tageblatt und Anzeiger" So»«ab«»d, ri. / Souutag, rr. F«br. 1S4L ^r. Karl May - zu seinem 1OO. Geburtstag Der Dichter und Volksschriftsteller lebt durch seine Werke sott atist tül deinen Worten, an deinen dichterischen wir haben deine Worte so zu nehmen, Nirgends zeigt sich der Mensch mehr als Mensch, als wenn und wo rr Wenn du dein »e Bildarchiv Taacblatt Der werdende Old Shatterhand Old Shatterhand niedergeschrieben hast. Für das schreiben, und dem Volk hast du boren wurdest. Siebzig Iah« umfaßt dein Erden- wallrn. Uber deinem Leben leuchtete der wunder» bare Stern „Eitara". Er schien dir in trüben und schwarzen Tagen, als du in deiner Brust mit finste ren Mächten rangst. Er gab dir die Kraft zum Siege über dich selbst und begleitete dich auf deinem Höhenflug ins Land der Edelmenschlichkeit. Sitara, Ardistan, Dschinnistan, Märdistan, Eeisterschmiede von Kulub — in deinem Märchen von Sitara hast du davon geschrieben und es gleichnisweis, zu deinem rg er worden — wie du sie wolltest du Gestalt, Heimat, und haben keine mit dem späteren Die glücklichste ihrem Manne sein Volk deine Ucn »m- Her, Du sollst nicht nach Reichtum streben, wohl aber nach den erforderlichen Mitteln, in verständiger Weis« wohltun und das Glück deines Nächsten fördern zu können. kluge, gebildete Männer; beide üben den Fausthieb, und beide doktorn gern; Sterna» ist förmlich Arzt. Hat May ihnen schon etwas von seinen Lieblings ideen gegeben, identifiziert hat er sich mit ihnen in Wer di« Güte andrer für selbstverständlich hält, wird nie recht dankbar sein können. keiner Weise; sie weichen in Lebensgang völlig von ihm ab andere als geistige Verwandtschaft Old Shatterhand. Erst in späteren Büchern tritt vielleicht gar nicht, daß du dich zu ihm erhebst und elbst auch Zögling bist. Men- Men- Bücher gegeben. Doch du erkanntest zugleich: „Nicht jedes meiner Bücher ist für jeden schen. Und doch auch wieder ist es für jeden scheu, aber nach und nach, je nachdem er sich vorwärts entwickelt, je nachdem er älter und erfahrener wird, je nachdem er fähig geworden ist, seinen Inhalt zu erfassen und zu begreifen. Meine Bücher sollen ihn durchs ganze Leben begleiten. Er soll sie als Knabe, als Jüngling, als Mann, als Greis lesen, auf jeder dieser Altersstufen das, was ihrer Höhe ent sprechend ist. Das alles langsam, mit Überlegung und Bedacht. Wer meine Bücher wahllos ver schlingt, um den ist es vielleicht schade; auf alle Fälle aber ist es noch mehr schade um sie! Wer sie mißbraucht, der soll nicht mich oder sie, sondern sich selber zur Verantwortung ziehen. — Einen guten packenden Lesestoff soll man genießen, aber nicht wie ein Haifisch verschlingen! Da meine Bücher nur Gleichnisse und Märchen enthalten, soll man reiflich über sie nachdenken; sie gehören nur in die Hände von Leuten, die nicht nur nachdenken können, sondern auch nachdenken wollen." Dein Stil ist deine Seele, und sie redet zu den Lesern. Sie werden durch dich erfreut und beglückt und hincingcführt in die Wunderwclt deiner reichen Phantasie. Ein herrliches, schönes Reich, das du ihnen durch deine Bücher erschließest. Romantisch und zauberhaft, irdisch und unirdisch zugleich, heldisch und voll kühner Abenteuer, die das Herz höher I schlagen lassen. Der Knabe und Jüngling, der Mann j und Greis, Mädchen und Frauen — sie alle lesen deine Erzählungen. So bist du — di« Jahre nach deinem Tod bis zum heutigen Tag und die Millionen« zahl deiner Bücher beweisen es — zu einem Volks schriftsteller im wahrsten Sinne des Wortes ge worden, denn das ganze Volk liest deine Werke. Und es erinnert sich auch dankbar deines hundert- sten Geburtstages am 25. Februar dieses Jahres. Ja, außer Hohenstein-Ernstthal, deiner Vater stadt, außer Radebeul, deinem einstigen Wohnsitz, gedenkt ganz Deutschland des Tages, an dem du ge- Old Shatterhand einsührt; der letzte ist, daß er offen sagt, dieser Old Shatterhand zu sein und das Erzählte persönlich erlebt zu haben. So menschlich der Gedanke zu verstehen ist: eine andere Frage ist, ob er glücklich war. Zweifellos hat Mays Weltruhm mit dem Erscheinen der Reise erzählungen eingesetzt; aber es fragt sich, ob diese ihn begründet oder nur gefördert haben. Mir will das letztere wahrscheinlicher vorkommen. Entschie den hat das Ich die Wirkung des Erzählten geför dert; May wollte erziehen, seinen Grundsätzen zum Siege verhelfen; hat der Verfasser alles selbst er lebt, so wirkt er ganz anders auf den Leser, als wenn nur Romanhelden vor ihm stehen. Aber abgesehen davon, daß man sein Ich eine Fiktion nennen muß: es erwies sich doch gerade für den Abenteuerroman nicht selten als störende Fessel. Der Held muß immer auf der Szene sein, dann können nur Vor gänge geschildert werden, bei denen er zugegen ist) alles andere muß durch Botenberichte oder durch Velauschungsszenen abgemacht werden. Und alle wichtigen Dinge muß der Held selbst tun. Es ist kein Zufall, daß nun alle Gestalten neben Old Shatter- Hand-Kara Ben Nemsi verblassen. Selbst Winnetou und Old Firehand stehen immer weiter unter ihm, trotz aller Lobcsworte, womit er sie bedenkt. Längst sieht niemand in Mays Ich mehr etwa» anderes als eine Fiktion. Sein Old Shatterhand ist uns einfach eine moderne Sagengestalt, ein Recke der Neuzeit, der seinen Glauben und sein Deutschtum iegreich durch die Welt trägt. Wie machtvoll dieser Sedanks ist, beweist nichts so deutlich, als daß man May trotz der gewaltigen Ereignisse nach seinem Tode nicht vergessen hat, sondern daß seine Schriften nach wie vor in ursprünglicher Frische auf weitest« Kreise und nicht nur in unserm Vaterlande wirken. Nstx/ «i'0 Kara Ben Nemsis Kampf wird uns deshalb zu einem großen Gleichnis des deutschen Kampfes in der Welt. Wie sie siegen nach vielen Widerständen und Hemm nissen, so wißen wir, daß das Deutsche immer siege, wird, weil sich in ihm die Kraft des Guten verkör pert. Das Gute aber nur ist wirklich, ewig wahr. Hundertjähriger Karl May, lebendig und wirk sam! Es war — als Mensch — deine Aufgabe, alles Schwere zu tragen und alles Bittere durchzukosten, was es hier zu tragen und durchzukosten gibt. Da« Buch deines Lebens ist ausgeschrieben und zugeschla gen. Geblieben sind deine Werke, die Bücher dei ner ureigenen Welt. Und was sie gestern und vor gestern waren, das sind sie uns heute und morgen noch: der frische, erquickende Quell für jung und alt. Sie sind — im ganzen gesehen — das großartig« Gemälde einer ringenden, kämpfenden Menschcnseele in ihrem faustischen Drang, in ihrer Sehnsucht nach dem reinen Licht. Dichtung und Wahrheit haben sich hier eng verbunden, wer will sie lösen und trennen? Traum und Wirklichkeit verwoben sich in deinen Büchern, Karl May, zur Einheit, und du hast den Inhalt all deiner Erzählungen im Innern erlebt oder miterlebt, weil er ja aus deinem eigenen Leben oder doch aus deiner nächsten Nähe stammte. Walter Steeger Roheit; später kennen ihn alle seine kraftvollen Helden. Sobald aber Old Shatterhand auftritt, bleibt der Hieb sein unbestrittenes Privileg; nur im „Stillen Ozean" tritt ein Chinese auf, der ihn noch kennt. Dann sind es die zwei Gewehre. Dazu gibt es in den früheren Romanen keine volle Parallele. Zwar verfügt Schwarz auch über zwei Gewehr«; aber ein» davon ist eine Vogelflinte. Man hat gemeint, der Gedanke an die zwei Gewehre sei May erst gekommen, nachdem er seinen Henry- stutzcn in Besitz hatte. Dem kann nicht so sein; denn der im May-Museum gezeigte Henrystutzen hat nur 17 Schüsse und besitzt außerdem nicht die bekannte „exzentrische Kugel", über deren Wesen sich die Ee- wehrsachverständigen vergeblich den Kopf zerbrochen haben. Dazu kommt die ausgesprochene Überlegen heit, die Old Shatterhand überall an den Tag legt. Solange May von seinem Helden in der dritten Per son redet, tritt diese Überlegenheit wohl merklich, aber doch noch in bescheidenem Maße auf; Männer wie Winnetou und Old Firehand sind ihm nahezu ebenbürtig, aber auch der lange Davy und der dicke Jemmy, Sam Hawkens, Tante Droll und Hobblee Frank u. a. leisten Beachtliches. Später aber, sobald das Ich auftritt, wird das anders. Das führt weiter zu der Frage: Wie ist May darauf gekommen, sich mit seinem Helden zu identi fizieren? Nun, der Schluß liegt nahe: May, der durch seine trüben Jugenderlebnisse in weitem Maße um seine Stellung in der wirklichen Welt ge kommen war, schuf sich eine ideale, in der er die führende Rolle übernahm. Zuerst taucht, etwa als Wunschtraum, das Bild eines Helden in ihm auf, wie ihn seine Welt braucht; er legt in die noch blut fremden Gestalten seinen Geist hinein. Der zweite Schritt ist, daß er sozusagen Inkognito sich selbst als Das Leben bringt genug Wolken. Schaffe dir nicht auch selbst noch welche! Sie enthalten den Blitzstoff, den du nicht beherrschen kannst. Entnommen Band 4v „Lichte Höben" der gesam melte» Werke Karl Mans al tz. meinen Sonnenschein in alles, war ich schreibe." Da» sind Wort« eines gütigen und warmherzigen Men schen, Worte, die — vom Empfinden getragen — i» Empfinden des anderen widerklingen. „Ich hab« das Beste aller derer, für die ich schreibe, gewollt, ihr inneres und äußeres Heil, ihr gegenwärtige» und ihr zukünftiges Glück." Und auch das danken dir viele Tausende deiner Leser. Du hast sie durch deine Bücher zum Mut, zur Treue, zur Wahrhaftigkeit erzogen. Du hast den kämpserischen Sinn in ihnen geweckt und gefördert. Old Shatterhand-Kara Ben Nemsi, dein Held, ist ihr Held. Und sie sind Deutsche. Für ihr Deutsch, tum treten sie mannhaft ein, aus diesem ihrem Deutschtum heraus wirken sie für Recht und Gerech tigkeit. Als Deutsche sind Old Shatterhand-Kara Ben Nemsi von allen, die das Gute lieben und wol len, geachtet und geliebt, von allen Bösewichtern ge, haßt und — gefürchtet. Old Shatterhands und er Mensch sein soll. Dichterin ist die Frau, welch« Heim zum Gedicht gestaltet. * Kind recht erziehst, so ahnst du Worte Karl Mays » Mancher Mensch ist im Großen gütig, kann sich aber nicht überwinden, es auch im Kleinen und Ein zelnen zu sein. Gottes Güte aber ist im All und im Atom gleich groß. ' an diesen deinen Worten, an deinen dichterischen Zielen und Absichten herumgedeutelt und gekrittelt «n, ,, R. §7 8lalte» Lehrerzeit — 2m Abgrund — Bei der Kolportage — Meine Werke — Letztes Streben. Es ist nicht nötig, daß wir hier von deinem äußeren Leben berichten; denn es ist allen, di« den Weg zu dir gefunden haben und deine Freunde ge- worden sind, bekannt. Sie wissen, daß du, der Sohn blutarmer Webersleute, dich selbst emporringen mußtest. Aber am Ende steht dein eigene» Bekennt- nis: „Ich bin trotz allem Erdenleid ein unendlich glücklicher Mann. Dieses groß« Glück möchte ich so gern auch anderen Menschen bereiten, allen, nicht nur meinen Freunden, sondern auch meinen F«in- ^^»an spricht von der Ichform der Mayschen Reiseerzählungcn. Der Ausdruck ist irre- führend; Karl Mays Ich ist bedeutend mehr als eine Form. Bücher wie „Robinson Crusoe", Wilhelm Raabes „Chronik der Sperlingsgasse" u. a. tragen Ichform; der Verfasser erhebt nirgends den Anspruch, mit dem Helden seines Buches identisch zu sein. Das Ich ist hier wirklich nichts als die Form, in der die Erzählung dargeboten wird. Aber wie ist es bet Karl May? — Seinen Namen May spricht er zwar nur selten aus, so in „Weih nacht" und in „Allah il Allah"; um so mehr aber seinen Vornamen Karl, der als Charley, Scharlih oder Kara erscheint. Schon das macht es unzweifel haft, daß er selbst für den Helden seiner Bücher ge halten werden will. Noch klarer sind seine Andeu tungen über seine Heimat, seine Jugend, seine Ge stalt; weiter: er läßt sich als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi photographieren; er zeigt den Be suchern seiner Villa seine Waffen und Trophäen: das alles macht es unwidersprechlich, daß er das Er zählte selbst erlebt haben will. Wie ist nun May auf diesen einzigartigen Ge danken gekommen? Ursprünglich ist er nicht; denn in seinen frühesten Schriften taucht Old Shatterhand überhaupt nicht auf. Man kann aber von Vorläu fern dieser Gestalt sprechen. Schon die Detektive in den erzgcbirgischen Schmugglergeschichten weisen einige Züge des späteren Old Shatterhands auf. Näher stehen ihm schon die Gestalten von Ster- »au in der Waldröschcnserie („Schloß Rodri- tzanda" ff.) und Joseph Schwarz in der „Skla- vcnkarawane". Beide sind unüberwindliche Helden, auf; zunächst aber wird von ihm in der dritten Person erzählt, als stehe er einfach tn der Reihe der anderen Westmänner. Interessant ist, daß die Figur beim ersten Auftreten schon vollständig fertig ist; er ist bereits Freund Winnetous, kennt den Fausthicb, hat zwei Gewehre, ist der alle über ragende Held nach Sittlichkeit, Stärke und Klugheit. May sagt anfangs mit keinem Worte, kaß er selbst dieser Old Shatterhand sein will. Aber er muß sich bereits mit ihm identisch gefühlt haben; denn alles, was man von Old Shatterhand hört, paßt auf May selbst. Es ist mehr al» wahrscheinlich, es er scheint mir ausgemacht, daß May sich bereits als dieser Old Shatterhand gefühlt hat, daß er es aber nur durchblicken lassen wollte. Von da war der Schritt nicht mehr groß, bis er die Gleichsetzung ganz offenkundig vollzog. Er hat das übrigens über die orientalischen Romane getan; hier sagt er gleich im ersten, daß ihm sein Fausthieb in Amerika den Namen Old Shatterhand eingetragen habe. Eigentümlich ist Old Shatterhand der Fausthieb. Aber, wie wir sahen, ist das nicht von Anfang an so gewesen. In seiner ersten Erzählung tm „Wald schwarzen" gilt der Hieb noch als Zeichen der Leben und Streben in Beziehung gebracht. Wir lesen darüber in den Abschnitten deiner Lebensbeichte:! . - . . Meine Kindheit — Keine Jugend — Seminar und! den. Darum lege ich dieses mein Glück und diesen Lt«b«r Karl May! du vor dreißig Jahren — am 30. März 1912 — mit dem Rufe „Sieg, großer Sieg, ich sehe alles rosenrot!", deinen letzten Worten, oon dieser Erde schiedst, da lag ein Leben härtesten mcnlchlichen Ringens und Kämpfens hinter dir, wie es nur wenigen zu führen auferlcgt ist. Ein Leben aus Ardistans dunkelsten Tiefen und Gründen in Dschinnistans lichte Höhen und Weiten. Dieser Weg ist dir, einem „Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers", nicht leicht gemacht worden. Es hat nicht an Neidern und Feinden gefehlt, die dir groß« und kleine Steine in den Weg legten. Aber du bist »eine Straße, allen Anfeindungen und Gehässigkeiten zum Trotz, dennoch geschritten: Empor ins Reich der Edelmenschen! Dies war dein großes und letztes Be kenntnis, acht Tage vor deinem Tod. Und dies war das Ziel deines ganzen dichterischen Wirkens und Schaffens im Dienste des Guten für das Gute. Dreißig Jahre bist du nun tot, Karl May. Dreißig lange Erdenjahre. Aber du bist uns nicht gestorben, du lebst in uns und durch deine Werke, mit denen du uns Gleichnisse und Märchen geben wolltest, mit denen, du Menschheitsfragcn be antworten und Mcnschhcitsrätsel lösen wolltest. „Man lache mich aus; aber ich habe es ge wollt; ich habe es versucht und werde es wei ter versuchen." So schriebst du in deinem Bekcnntnisbuch „Mein Leben und Streben" (Band 8-t: „Ich" / Aus Karl Mays Nachlaß). Es ist viel M) r.a» m