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^ 88, 17. April 1912 Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. DIschn. Buchhandel. 4745 unter das Volk zu bringen». Der Staat soll den »Genieteten», also allen denjenigen, die leer ausgegangen sind, einen »sanften Trost bereiten», indem er die übertrieben hohen Hauptgewinne und die Prämien um ca. 50—100 000 ^ kürzt und für diesen Betrag Gutscheine an die vom Glück nicht Begünstigten abgibt. »Der Staat», führt vr. Westenberger aus, »könnte die Bücher, die als Trostgewinne in die Hände und Häuser der Spieler gelangen, selbst Herstellen. Richtig an gefangen, hätte er damit ein wichtiges Mittel, der tief beklagenswerten Un wissenheit in staatlichen Dingen entgegenzuwirken. Zum Beispiel: Es wird ein jährlich neubearbeitetes Staatshand buch herausgegeben, nennen wir es Staatskalender. Die Staatseinrichtungen, die Gesetzgebung, die statistischen Zahlen der Bevölkerungslehre, gemeinnützige Bestrebungen, Gesund heitspflege nsw. werden in volkstümlicher Darstellung be handelt, für alle Stände ließe sich da regelmäßig ein sehr nützlicher Stoff zusammentragen. Man könnte ein jährlich wiederkehlendes Buch, ein Volksbuch schaffen, daS jedem will kommen wäre. Mit einem Aufwand von 50—100 000 ließe sich etwas leisten.« Aber schon in den nächsten Zeilen wird dem Verfasser vor seiner eigenen Idee bange, obwohl ihm anscheinend nicht bekannt ist, daß an -Bürger kunden« längst kein Mangel mehr ist und das Publi kum unter einem Dutzend derartiger Staatskalender die Wahl hat. Es bleibt, sagt er selbst, bei diesem Vorschlag ein Aber, auch wenn bureankratische Engherzigkeit und parteipolitische Zwecke bei dem Zustandekommen einer derartigen Publi kation ausgeschlossen sind. Plausibler erscheint ihm der Weg, »Lotteriebücher« zur freien Auswahl zusammenzu stellen. Wenn die Kultusministerien sich scheuen sollten, die Zusammenstellung selbst zu übernehmen, so sollen sie literarische Beiräte damit betrauen, denen sie die Verantwortung zuschieben können. Wie aus dem Zu sammenhänge hervorgeht, scheint bei der Zusammensetzung dieser Sachverständigen an die Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung und den Dürerbund gedacht zu sein. Sonderbarer Weise macht sich der Verfasser darüber, daß diese Zensurierung demselben Mißtrauen be gegnen könnte wie die Zusammenstellung des »Staats kalenders«, keinerlei Sorge. Nicht jeder kann in der Lotterie gewinnen, und so wird auch manches gute Buch leer ausgehen, wenn man nicht etwa ihren Verfassern und Verlegern durch weitere Kürzung der Gewinne zu einem »Trostpreis« verhilst. Sonst aber ist die Sache furchtbar einfach. -Man nehme an, eine Lotterie rechne in fünf Klassen mit insgesamt fünfhundertfünszigtausend Gewinn losen, denen vierhundertfünfzigtausend Nieten gegenllber- stehen, so müßten, wenn jedes Nietenlos als Buchgutschein mit 20 ^ ungerechnet werden soll, zur Deckung 90 000 ^ vorhanden sein. Um sie zu beschaffen, würden also die Prämie, der erste und zweite Hauptgewinn um je 30 000 zu kürzen sein. Das ist keine Schwächung des Lotterie planes, von der man eine Erschwerung des Absatzes der Lose befürchten könnte. Es ist im Gegenteil anzunehmen, daß die Neuerung keinen Spieler verdrießen, sondern ihn über die Häufigkeit seines Mißgeschicks trösten wird. Dem Spieler muß gestartet sein, seine Nietenlose anzusammeln, um dann nachsernem Belieben Bücher zu höherem Preise erstehen zu können. Wenn also beispielsweise ein Spieler in einer fünfklasstgen Lotterie ein Zehntellos durch alle Klaffen spielt und in jeder Klasse leer ausgeht, hätte er nach Erledigung der letzten Klaffe fünf Nietenlose zu je 20 ^ zum Eintausch bereit, könnte also ein Buch zum Preise von 1 verlangen; hat er zehn Zehntellose als Gutscheine beisammen, so kann er ein Buch zum Preise von 2 ^ wählen. Eine Frage der Zweckmäßigkeit ist es, ob man diese Verwendung der Nieten Börsenblatt für dm Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. unbegrenzt zulassen oder eine zeitliche Beschränkung ein führen will.« Vom Buchhandel erwartet der Verfasser »keine Schwierig keiten«. Der rechnet regelmäßig mit der Lotteriekaffe ab, indem er ihr die Gutscheine übermittelt und das bare Geld dafür einstreicht. Im übrigen heiligt der Zweck die Mittel. Denn es handelt sich ja bei der ganzen Sache lediglich darum, »Millionen guter Bücher in die Wohnungen hineinzubringen, wo sie, wenn auch zunächst mir sauersüßem Lächeln, als .Gewinne" aus genommen würden». Der Gedanke, daß' diese Art des Er werbs nie zur Achtung sondern nur zu einer Geringschätzung des Buches führen kann, scheint dem Verfasser vollkommen fern zu liegen. Gewiß hätte nach vr. Westenbergers Rech nung der Buchhandel den »Gewinn- von dieser Veranstaltung, aber um einen Preis, um den er besser tut, darauf zu verzichten. Auf diese Weise pflanzt man die Liebe zu Büchern nicht in die Herzen der Menschen, am wenigsten jener, die den Weg zunr Buche noch nicht gefunden haben. Jh"m werden diese »Gewinne» nichts anderes bedeuten, als die Erinnerung an nutzlos geopfertes Geld und an einen schönen Traum, dem ein trübes Erwachen folgte. Es find eben Gewinne in Anführungs strichen, bei denen sie sich als die Angeführten betrachten, wenn es, was nicht anzunehmen ist, je zu dieser Zwangserziehung kommen sollte. Daran würde auch nicht viel geändert, wenn die »Lotteriebücher nach freier Wahl», denen der Volks witz bald zu einer anderen Bezeichnungverhelfenwürde, dem Buche im allgemeinen — also ohne jede Auswahlbeschränkung — Platz machen würden, denn nicht die Lotterie, sondern das Leben muß die Menschen lehren, ein Buch als -Ge winn« anzusehen. Damit aber ist der zu beschreitende Weg schon angedeutet, und wenn alle, denen das Wohl ihrer Mit menschen am Herzen liegt, Sorge tragen, daß der Wert des Buches als Mittel zum Zweck, das Leben schöner und ge winnbringender zu gestalten, immer mehr anerkannt wird, dann braucht man weder Spul noch Spielerei, um sich einen Gewinn zu sichern. Wem dieser Gewinn nicht des regulären Erwerbs wert ist, der mag zusehen, ob er im Leben weiter kommt, wenn er immer nur das Bierglas und nicht auch einmal ein gutes Buch zur Hand nimmt. Die musikalische Schundliteratur und ihre Bekämpfung. Antwort auf den Offenen Brief des Herrn vr. Paul Marsop in Nr. 82. Hochgeehrter Herr Doktor! Auf einen Brief, selbst auf einen offenen, zumal wenn er in Form und Inhalt verbindlich und beachtenswert gehalten ist, darf man mit einer Antwort nicht lange zögern. Sehr danke ich Ihnen für die freundliche, anerkennende Beurteilung meiner Arbeiten, etwas weniger für die Schilderung meines Habitus, wenn ich wohl auch nicht zu fürchten habe, dabei auch zwischen den Zeilen lesen zu müssen. Ich habe niemals mehr sein wollen als ein ehrsamer Mufiksortimenter, der jetzt bereits mehr als 50 Jahre im Dienste der Frau Musika steht, und glaube, dies durch meine umfangreichen Musiklexika be wiesen zu haben. Mit Ihnen, verehrter Herr vr. Marsop, bin ich der Ansicht, daß das musikalisch Beste für das deutsche Volk eben noch gut genug ist, nur fürchte ich, daß die Wege, die der »Musikpädagogische Verband», dem ich bereits in Nr. 18 meine Anerkennung zollte, verschreibt, niemals zum Ziele führen werden, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, unsere modernen Komponisten zu überzeugen, daß sie ihrer St«