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sein, den alle Welt außerhalb Englands als eine der schimpflichsten Kundgebungen kapitalistischer Brutalität empfindet. Ein recht charakteristisches Stimmungsbild aus der englischen Hauptstadt entwirft folgender Bericht: Vom Kriegsschauplatz liegt so gut wie keinerlei Meldung vor. Ueber fast ganz England ist ein außergewöhnlich starker Schneefall niedergegangen und der telegraphische Verkehr ist gestört. Ob dies an dem Nachrichten-Mangel Schuld ist, oder ob die Regierung Bullers Operation verheimlicht, ist vorläufig noch nicht zu ermitteln. — Die „War New" verbreiten ein sensationelles Gerücht: Lord Roberts habe um Sendung von 90 000 Mann gebeten, und das Cabinet habe geantwortet, sie würden sofort kommen. Es habe beschlossen, die Miliz- Ballotier-Akte in Kraft zu setzen, wonach jeder ledige Mann zwischen 18 und 30 Jahren kriegspflichtig ist. 40000 Mann sollen von der Milizreserve und 50000 von den Volunteers eingezogen werden. — Die Buren erwarten einen Angriff der Engländer auf der äußersten östlichen Flanke, nämlich von Natal aus durch das unter englischer Verwaltung stehende Zu luland gegen die Südostspitze der Transvaal-Republik. Den Anlaß zu dieser Vermuthung gab das Erscheinen einer starken englischen Kundschaftertruppe im Zululand. — Einen tiefen Einblick in die Unzulänglichkeit der englischen Kriegsverwaltung läßt die Thatsache thun, daß man die Truppen mit einem Gewehre ausgerüstet ins Feld schicken konnte, welches eine der elementarsten Anforderungen der Kriegsbrauchbarkeit, nämlich ein korrektes Zielen infolge mangelhafter Visirvorrichtungen absolut vermissen läßt. Die Sache klingt so unglaub lich, daß wir es vorziehen, den Gewährsmann, der sie in der „St. James Gazette" zur Sprache bringt, selbst reden zu lassen. Derselbe, ein Herr M. I Jeffery, schreibt dem genannten Blatte: „Der Umstand, der das Gewehrfeuer unserer Truppen in Südafrika dem Feinde so geringen Schaden zugefügt hat, muß viele Leute hierzulande in Erstaunen gesetzt haben. In den letzten zwei Jahren habe ich mehrfach öffentlich darauf aufmerk sam gemacht, daß die Visirung der Lee-Matford- und Lee-Enfield-Gewehre unkorrekt war, aber die zuständigen Behörden nahmen davon keine Notiz. Jetzt hat man auf einmal entdeckt, daß ein sehr schwerer Fehler be gangen worden, und die Regierungsfabriken zu Enfield arbeiten Tag und Nacht, auch Sonntags, um neue, richtig funktionirende Visicungen herzustellen. Mit den bis jetzt an unsere Truppen ausgegebenen GewMren war eS unmöglich, mittelst Centrumszieles eine Scheibe von Mannesbreite auf irgend eine Entfernung zwischen 200 und 800 Jards zu treffen. Irgend ein mit dem Kriegs amte in Beziehung stehendes wissenschaftliches Individuum erklärte es für wünschenswerth, daß wegen einer leichten Linksabweichung des Geschosses von dem Zielpunkt auf 1000 Jards Entfernung das Visirkorn beträchtlich links von der Mitte des Gewehrlaufs angebracht würde. Das geschah mit dem Ergebniß, daß unter Hunderttausenden von Magazingewehren nur ein Paar im stände sind, auf Entfernungen von 200 bis 800 Jards die ManneSbreste zu treffen. Und bei den paar Gewehren, welche zufällig recht schießen, hat es sich ausnahmslos herausgestellt, daß sie eine fehlerhafte Schäftung hatten, deren Effekt den Fehler der Visirung bis zu einem gewissen Grade aufhob. Um auf 300 Uards den Kopf zu treffen, muß man mit dem Regierunqsgewehre 15 Zoll links halten und auf 500 Nords 25 Zoll. Man hätte meinen sollen, daß der Visirungsfehler längst auf der Schießschule von Hythe hätte entdeckt werden müssen, indeß blieb es der Jeomanry Vorbehalten, diesen Fehler zur Kenntniß des Kriegsamtes zu bringen. Bei der Schießprüfung der Deomanry fand es sich, daß diese Truppe mit dem neuesten Enfield-Gewehrmodell die denkbar schlechtesten Ergebnisse erzielte. Es stellte sich heraus, daß die Hauptmasse der Kugeln rechts von der Scheibe saßen und daß die Fehlschüsse fast alle rechts gingen. Offen bar wurde diese Entdeckung von jemandem gemacht, der den Willen, sowie die Macht besaß, das Kriegsamt in dieser Sache zu beeinflussen, und so ist denn bereits ein Auftrag zur Herstellung von 25000 neuen Visirungcn nach Enfield ergangen. Viele dieser neuen Visirunqen sind inzwischen fertig geworden und vergangene Woche wurden fast alle in der Hand der inländischen Garnisons- truppen befindlichen Gewehre mit denselben versehen, während große Mengen nach Südafrika zum Ersatz der dort jetzt im Gebrauche der Feldtruppen befindlichen Visireinrichtungen geschickt werden sollen. Als Büchsen macher und Schießsachverständiger behaupte ich ohne Zögern, daß, wären unsere Truppen mit richtig schießen den Gewehren bewaffnet, ihr Feuer eine dreimal größere Wirkung entfaltet haben würde. Zweifellos verdient irgend jemand, sei es im KriegSamte oder auf der Schießschule, strengen Tadel für diese schwere Pflicht vernachlässigung, welche kaum als etwas anders denn als ein Landesverbrechen bezeichnet werden kann." Die Schicksalstragö-ie einer Erzherzogin. Die Verheirathung der Kronprinzessin Stefanie von Oesterreich mit dem Grafen Lonyay wird nun doch in allernächster Zeit stattfinden. Damit wird ein Herzens- roman zu glücklichem Ende geführt, der an 'Zwischen- fällen wahrlich nicht arm war und die Oeffentlichkert in den letzten Moatennmehr als einmal beschäftigt hat Zu glücklichem Ende? Allerdings, Erzherzogin Stefanie gewinnt damit den Erwählten ihres Herzens, den Mann, zu dem sie eine innige tiefe Zuneigung hingeführt, aber — sie verliert dadurch, vielleicht für immer, das Herz ihres einzigen Kindes, ihrer Tochter, Erzher zogin Elisabeth. Am österreichischen Hofe, namentlich aber an jenen Höfen, wo die spanische Etikette noch vorherrschend ist, wachsen gewöhnlich die Prinzen und Prinzessinnen unter der Obhut von fremden Erziehern auf, so auch Erzherzogin Elisabeth. Man hat die Prinzessin bald nach ihrer Geburt, so wollte es das Hausgesetz, die Etikette, in einem von den Gemächern der Mutter ent fernten Theil der kaiserlichen Hofburg unterqcbracht; aber das verwöhnte Enkelkind Kaiser Josefs, „das gute herzige Püppchen", wie man die kleine Erzherzogin bei Lebzeiten ihres Vaters, des Kronprinzen Rudolf, nannte, verlor mit dessen Tode bei Hofe Plötzlich den Reiz. Diejenigen, welche die Schönheit und außer ordentliche Fassungsgabe des Kindes früher so sehr be wunderten, schlugen die Augen zu Boden, blickten seit wärts, wenn sie die kleine Erzherzogin sahen oder hatten nur ein mitleidiges Wort für die Kleine. Damals hielt man eben Kronprinzessin Stefanie, trotz der Theilnahme, welche sich nach dem Tode des Kronprinzen, ihres Gatten, kund gab, für eine Prin zessin, deren Rolle am österreichischen Hof ausgespielt war. Man hielt es nur für eine Frage der Zeit, wann die Erzherzogin nach ihrer Heimath Belgien zurückkehren werde. Anfangs hatte die Kronprinzessin Stefanie auch die Absicht, denn sie fühlte sich durch die eigenartigen Verhältnisse bei Hofe ganz vereinsamt und verlassen, nur der Kaiser zeigte ihr nach wie vor liebevolles Wohlwollen und ritterliches Entgegenkommen. So vergingen die ersten Jahre der Wittwenschast. Es war für die Kronprinzessin sehr schwer, sich in der rauhen Gegenwart zurecht zu finden, nachdem sie Jahre hindurch den Traum gehegt, Kaiserin von Oesterreich und Königin von Ungarn zu werden. Die Kronprinzessin fühlte sich gerade um die Zeit, als sie sich am Hofe zu Wien ganz vereinsamt sah, mit elementarer Gewalt zu ihrer Tochter hingezogen, und auch bei der kleinen Erzherzogin Elisabeth, die ihre Mutter früher sehr selten sah, strömte das Kinderherz in Zärtlichkeit für die Mutter über. Aber auch diese Annäherung zwischen Mutter und Tochter wollten gewisse Hofkreise verhindern. Es wurde auf eine testamentarische Bestimmung hingewiesen, wonach Kronprinz Rudolf mehrere Jahre vor seinem Tode, als das Verhältnis; zwischen ihm und seiner Gattin schon getrübt war, in Anwandlung einer Todesahnung verordnet hatte, „daß, wenn es Gottes Wille sei, ihn früher abzurusen, ehe seine Tochter, Erzherzogin Elisabeth, großjährig geworden, die Erziehung ganz in die Hände seiner kaiserlichen Eltern gelegt werden solle und er bitte seinen kaiserlichen Vater inständigst, daß er wider spreche, wenn Erzherzogin Elisabeth ihre Erziehung in einem Kloster genieße oder einem Kloster übergeben oder vor erlangter Großjährigkeit die Grenzen Oesterreichs zum dauerndern Aufenthalt überschreite." Der Kron prinz glaubte, daß die Kronprinzessin nach seinem Tode nach Belgien zurückkehren und entweder ihre Tochter, die Erzherzogin Elisabeth, mitnehmen oder die weitere Erziehung einem aristokratischen Stiste oder Kloster an vertrauen werde. Der Kaiser bestimmte den Lehrplan seiner Enkelin, ließ aber unbeeinflußt auch gern die Wünsche der Mutter befolgen, wie denn der Kaiser stets in geradezu rührender Weise bemüht ist, seinem Enkelkinde die Liebe des Vaters zu ersetzen. Die Erzherzogin Elisa beth ist ein eigener selbstständiger Charakter, wenn man in jenem Alter, das noch eine Biegungsfähigkeit des Willens zeigt, hiervon überhaupt sprechen darf. Aber die junge Erzherzogin zeigte bei vielen Gelegenheiten — ihrem Vater, den Kronprinzen Rudolf, und ihrer Großmutter, der Kaiserin Elisabeth, nacheifernd, — daß sie denkt! Die Mutter der Erzherzogin, Kron prinzessin Stefanie, ist sehr strenggläubig. Erzherzogin Elisabeth ist ebenfalls streng religiös erzogen, «her trotz der Jugend, in welcher die Gläubigkeit ja mehr Ein gang in das Herz findet, hat sich die Tochter nie zu der Frömmigkeit der Mutter emporzuschwingen ver mocht, trotzdem die Erzherzogin an ihrer schönen Mutter mit abgöttischer Liebe hing. Wohlgemerkt hing! Zwischen der Kronprinzessin Stefanie und ihrer Tochter war nie ein Wort weder über die bevorstehende Heirath mit dem Grafen Lonyay noch über die even tuelle Vermählung der Erzherzogin mit einem Prinzen — es wurde bekanntlich ein württembergischer Prinz genannt — gesprochen worden. Immer wurden diese nothwendigen Unterredungen hinausgeschoben. Die Tochter der Kronprinzessin trug nämlich, ohne die künftige Stellung des Grafen Lonyay zu kennen, gegen diesen einen unverkennbaren Widerwillen zur Schau, den sie auch ungescheut gegen den Oberhofmeister ihrer Mutter, Grafen Goloniewski, äußerte. Als die Kronprinzessin von der Auslassung ihrer Tochter über den Grafen Lonyay erfuhr, war sie bestürzt, denn sie hatte damals gerade die Absicht, die Erzherzogin Elisa beth von ihrem Vorhaben, dem Grafen die Hand zu reichen, in Kenntniß zu setzen. Die Kronprinzessin, welche von jeher sehr zu Mißtrauen geneigt ist, hegte den Verdacht, daß man der Tochter von der Absicht ihrer, der Mutter, Vermählung mit dem Grafen be reits Mittheilung gemacht, sie gegen den Grafen Lonyay eingenommen habe. Sie nahm nun Gelegenheit, in Gegenwart der Oberhofmeisterin der Erzherzogin diese um den Grund ihrer Abneigung gegen den Grafen Lonyay zu befragen. „Weshalb hast Du eine Abneigung gegen den Grafen Elemer Lonyay?" „Weil ich ihn hasse", entgegnete die Erzherzogin mit Heftigkeit. „Du hassest ihn ? Ja, kennst Du denn den Grafen? Hast Du mit ihm gesprochen?" „Nein, aber er ist mir unausstehlich — ich mag ihn nicht sehen!" „Aber warum? Hat man Dich gegen den Grafen eingenommen?" „Nein, Mama, ich weiß es selbst nicht, wie es kommt, aber seit ich ihn vor einem Jahre zum ersten Mal sah, haßte ich ihn sofort. Bitte, liebe, gute Mama, sprich nicht mehr von dem Grafen mit mir!" Die letzten Worte wurden mit solcher Heftigkeit ge sprochen, daß allerdings die Vermuthung Unterstützung fand, die Tochter habe durch irgend eine Person Kennt niß von dem Vorhaben der Mutter erhalten, denn so heftig batte sie ihr Kind noch nie sprechen hören. Die Kronprinzessin brach daher das Gespräch ab und zog sich zurück. Die Erzherzogin Elisabeth war, wie man bemerken konnte, von jenem Tage an noch zurückhaltender als sonst, und die Herzlichkeit zwischen Mutter und Tochter erfuhr eine kleine Erkaltung. Indeß rückte die Zeit heran, in welcher die Erz herzogin Elisabeth für großjährig erklärt werden und zum ersten Male auf dem Hofball erscheinen sollte. Der Kronprinzessin-Wittwe kam es nach des Kaisers Be stimmung zu, ihrer Tochter selbst den Willen des Kaisers kund zu geben, ihr zugleich ihre Wicdervermählung mit dem Grafen Lonyay anzuzeigen und ihr ebenso den Plan der Verheirathung der Erzherzogin mit einem Herzog von Württemberg darzuthun. Selbstverständlich konnte und durfte die Kronprinzessin gegen diese so natürliche Mission keine Einwendung erheben, und so be gab sie sich zu ihrem Kinde, um des Kaisers Willen und Wunsch zu erfüllen. Was in dem Zimmer der Erzherzogin Elisabeth zwischen Mutter uuv Tochter gesprochen wurde, weiß man nicht, nur hörte man heftiges Weinen. Nach einer halben Stunde entfernte sich die Kronprinzessin-Wittwe in höchster Erregung Als die Oberhofmeisterin eintrat, lag die Erzherzogin auf der Ottomane nnd weinte so bitterlich, daß ihr schlanker Körper im heftigen Schluchzen bebte. Die Oberhofmeisterin stichle die Erzherzogin zu trösten, aber diese schüttelte den Kopf und rief: „Ach, ich bin so tief unglücklich, daß ich sterben und zu meinem Papa möchte!" Das Schluchzen und die Aufregung wurden so heftig, daß die Oberhofmeistcrin, welche die Rührung übermannte, schließlich selbst heftig mitweinte und nach dem Arzt und zur Kronprinzessin sandte. Einen Moment schien die Erzherzogin, durch die Thränen sich erleichtert fühlend, ruhiger zu werden, aber bald begann sie wieder in schrecklicher Aufregung mit raschen Schritten auf und ab zu gehen, fortwährend rufend: „O, warum bin ich nicht bei meinem armen Papa!" Plötzlich blieb die Erzherzogin stehen, und als ob ein Gedanke sie erfaßte, eilte sie, bevor noch die Ober hofmeisterin zur Besinnung kam, pfeilschnell die Thüre hinter sich zuschließend, fort. In diesem Augenblick kam vom Corridor Hec der Kaiser. Im Begriff, auszufahren, hatte er gehört, daß sein Enkelkind von einem heftigen Unwohlsein befallen und daß nach dem Arzt gesandt worden sei. Sofort war er umgekehrt, um sich nach den Apparlcments der Erzherzogin zu begeben. Die aufgeregte Erzherzogin lief nun gerade ihrem kaiserlichen Großvater bitterlich weinend in dieI,Arme. Rasch führt sie der Kaiser, dem selbst Thränen in die Augen traten, in sein Kabinet, denn er ahnte wohl, was der Grund der Erregung seines Enkelkindes sei. Lange blieb er dort mit der Erzherzogin allein. Der Arzt wurde nicht vorgelassen. „Hier," meinte der Kaiser mit mildem Lächeln, „werde ich und die Zukunft der beste Arzt sein." Nachdem der Kaiser sein Enkelkind durch das Ver sprechen beruhigt hatte, daß sie nicht jetzt zu einem Herzensbündniß veranlaßt werden solle und daß der beabsichtigte Besuch des Prinzen aus dem Hause Württem berg in Wien unterbleiben falle, hatte er mit der Kron prinzessin eint lange Unterredung, die darin gipfelte, daß ihre Heirath nicht — wenigstens vorläufig nicht — eher stattfinden dürfe, als bis Prinzessin Elisabeth sich über den Schritt ihrer Mutter beruhigt habe, da sonst das Aeußerste bei dem Kinde zu befürchten sein werde. Bezüglich der geplanten Vermählung lasse er seinem Enkelkinde vollständig freie Wahl, sie möge nach ihrem eigenen Herzen wählen. Die geplante Heirath zwischen der Erzherzogin Elisabeth und einem Prinzen aus dem Hause Württem berg ist vorläufig ganz aufgehoben. Die Wiederver mählung der Kronprinzessin Stefanie wird während einer längeren Reise ihrer Tochter in aller Stille statt» finden, und die Gräfin Stefanie Lonyay wird ihr Kind, die Erzherzogin Elisabeth, nur dann Wiedersehen, wenn eS der Wunsch der Erzherzogin ist. Auch die Bedingung acceptirte die Mutter, und nun steht der Wiederver mählung der Wittwe des Kronprinzen Rudolf kein Hinderniß mehr im Wege. Op.