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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 04.11.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-190311042
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19031104
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19031104
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-11
- Tag 1903-11-04
-
Monat
1903-11
-
Jahr
1903
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 04.11.1903
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der von dem Strumpfwirker Pohler«, Oberlungwitz, mißhandelte 12jährige Schulknabe Schön. Im Lause de« Spiele« soll der Schulknabe Schön den Sohn de« Angeklagten Pohler« durch eine» Stetn- wurf am Kopse verletzt haben. Daraufhin traktierte der Angeklagte den Schulknaben Schön mit Faust schlägen und mittelst eine« Stocke«. Der Ange klagte machte demgegenüber geltend, daß er zu der Tat durch den Trotz des Schön gereizt und der Stecken, womit er den Schön züchtigte, nur ein morsche« Baumästchen gewesen sei. Der Angeklagte wird zu 15 Mk. Geldstrafe und zur Tragung der Kosten verurteilt. — 2) Gegen die Strickerin Marte Gotthard wird, da sie zur heutigen Verhandlung nicht erschienen, ein Haftbefehl erlassen. — 3) Ebenso wird die zwangsweise Vorführung de« Angeklagten Spinner« Richard Malz au« Pleißa, der zur heutigen Verhandlung ebenfalls nicht erschienen, be schlossen. — 4) In der Privat- und Wiedeiklage- sache der Frau Fr. gegen die verehel. Frau Schw. zieht die Klägerin schließlich ihre Klage zurück und übernimmt sämtliche Kosten. Demgegenüber zieht auch die Verklagte die Wiederklage zurück. — 5) Der Gasanstaltsarbeiter Fr. Bohne ist angeklagt, im Hohenstein-Lungwitzer Jagdrevier im Herbst 1901 und Frühjahr 1902 auf Hasen geschossen und ebenso widerrechtlich im April v. I». im Karpfenteich an der Gasanstalt gefischt zu haben. Au« den Aussagen der Zeugen gehl eine Schuld de« Angeklagten nicht hervor und wird derselbe nach kurzer Verhandlung freigesprochen; die Kosten werden der Staatskasse zur Last gelegt. Gerichtssaal. 8 Dresden, 2. November. Die Fabrikarbeiter Ernsr Alwin Bonitz und Bernhard Emil Müller in Lugau überschritten daS Bahngleis der Bahnstrecke Wüstenbrand—Oelsnitz am Morgen deS 19. Februar dieses Jahres bei Lugau. Wäh rend noch die Schranken geschlossen waren und so eben der Zug vorübersauste, öffneten die genannten Personen die Barriere und traten auf den Bahn körper, ungeachtet deS Verbot« der Bahnwärterin, die von Bonitz zudem noch beleidigt wurde. Beide Arbeiter wurden vom Schöffengericht Stollberg wegen Uebertretung der Bahnordnung für die Ne benbahnen vom 5. Juli 1892 zu je 12 Mark Geld- strafe, Bonitz außerdem noch wegen Beleidigung zu 30 Mark Geldstrafe verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde derzeit vom Land gericht Chemnitz verworfen Nunmehr hatte sich der Strafsenat des Königlichen OberlandeSgerichtS zu Dresden mit der Angelegenheit zu beschäftigen. Diese höchste Instanz konnte aber in dem ange- sochtenen Urteil einen Rechtsirrtum nicht erblichen und verwarf daher die Revision. Sämtliche Kosten des Verfahrens wurden den Angeklagten auferlegt. 8 Gera. Das hiesige Schwurgericht vcruri-ilte den Porzellandreher Baumgärtel aus Ecksrsreuth wegen de« an dem Porzellanarbeiter Martin ans Kahla begangenen Morde« zum Tode. § Hart bestrafte Verletzungen deS Ncichs- wahigcsctzcs. Die Köiliner Strafkammer ver urteilte nach der „Berl.-Ztg." die Gutsbesitzer Otto und G istav Kaeding wegen gemeinschaftlicher Wahlfälschung zu sechs Wochen Gefängnis. Bei der letzten Neichrtagsstichwuhl wurden für den frei sinnigen Kandidaten Dr. Barth nur 15 Stimmen gezählt, während etwa 40 Wähler beschwören konnten, für Barth gesummt zu haben. Die Verurteilten halten als Wahlvorstand die Zählung vollzogen. — In Konitz wurde der Gemeindevorsteher Semrau- Damerau im Kreise Flatow wegen Wahlfälschung, die er als Wahlvorsteher bei der Reichste-grstich- wahl begangen, zu sechs Wochen Gefängnis verur teilt. Die Beisitzer Otto und Schliep erhielten je einen Monat Gefängnis. Wie sich aus der Ver handlung ergab, hatten die Angeklagten, um die bereits ferliggestellte Liste nicht ändern zu müssen, einen geschlossenen Umschlag geöffnet und den darin enthaltenen antisemitischen Stimmzettel durch einen aus den polnischen Kandidaten lautenden ersetzt. 8 Oldenburg, 2. November. Im Prozeß gegen Dr. Nies beschloß das Oberlaudesgencht, die Ent scheidung darüber, ob ein auswärtiges Gericht dies Urteil sällen soll, dem Reichsgericht zu überlassen. Dr. Nies soll bekanntlich den oldenburgischen Justiz minister dnrch die Presse beleidigt haben. Er war zunächst in Haft genommen, wurde dann aber gegen hohe Kaution freigelaffen. Kleine Chronik. * Berlin, 3. Nov. In die Kaiser Friedrich- Gedüchlmskttche ist in der vergangenen Nacht ein erneuter Einbluch verübt worden, wobei den Dieben aber nur geringe Wertgegenstände in die Hände fielen. * Berlin, 3. Nov. Im Zirkus Busch ereig- neten sich bei her Abendvorstellung zwei aufregende Vorfälle. Die Löwen Claire Heliots sielen zu Be ginn der Vorstellung einander wütend an und konnten nur mit Mühe gebändigt werden. Später verun- glückte der Schleifenfahrer Mündner, glücklicher weise aber nur leicht. * Kiel, 2. Nov. Auf dem Segelschiff „Njord", das im Hafen vor Anker liegt, wurde in vergangener Nacht der Kapitän und der Struennann von Strol chen überfallen, durch Messerstiche schwer verletzt und beraubt. * Cassel, 2. Nov. Die „Casseler Allg. Ztg." meldet: Der heute früh nach Volkmarsen ab^c- gangcne Personenzug ist, wahrscheinlich insolge Herr- schenden Nebels, in Obermelsungen auf einen dort stehenden Personenzug aasgesahren. Acht Personen, teils Personal, teils Passagiere, wurden mehr oder weniger erheblich verletzt. Beide Zugmaschinen sind stark beschädigt. Der Verkehr wird ausrecht erhalten. * Köln, 2. November. Infolge Differenzen über den Besitz einiger Kaninchen entstand ein Streik zwischen zwei in Nippes wohnenden Ehe paaren, in dessen Verlauf einer der Streitenden zum Revolver griff und die Frau seines Gegners tödlich verletzte. Alsdann erschoß er sich, indem er sich eine Kugel durch den Kopf jagte. * Helmstedt, 3. Nov. In Brechdorf Hot der 19 Jahre alte Zimmergeselle MärtenS in der Spinn stube ein I7jähriges Mädchen erschossen, indem ein Gewehr, welches er scherzweise angelegt hatte, loS- ging. * Wien, 3. Nov. Während des starken Fried hofsverkehrs stießen in der Nähe deS Zentralfried hofes 2 Wagen der städtischen Straßenbahn zu sammen, wobei 12 Personen, meist Frauen, leichte Verletzungen erlitten. * Graz, 2. Nov. Im hiesigen LaudeSkranken- hause sind sechs barmherzige Schwestern am Ty phus erkrankt. * Bozen, 2. Nov. Heute erfolgte ein großer Felssturz im Eggentale; die Straße wurde verschüttet und der Boch gestaut. Voraussichtlich tritt eine vierzehntägige Verkehrsstörung ein. * London, 2. Nov. Der aus der Fahrt von Newport-News nach Hamburg befindliche Dampfer „Mallanza" lief brennend in Portland, Dorsetshire, ein. Auf der Uebersahrt bestand der Dampfer einen furchtbaren Sturm und verlor dabei zwei Schraubenflügel und Boote und erlitt eine Anzahl kleinerer Beschädigungen. * Hochwasserschäden i« Kärnthen. Aus Klagenfurt schreibt man: In der Sitzung des Landtages vom 29. Oktober wurde festgestcllt, daß sich die durch das letzte Hochwasser in Kärnthen an öffentlichem und privatem Gute angerichteten Schäden im politischen Bezirke Spittal, Hermagor, Villach und Klagenfurt auf 8 Millionen Kronen beziffern. Am ärgsten wurde Spittal betroffen, es erlitt an 5 Millionen Kronen Schaden. * Eine Hausbesitzerin als Bettlerin. In Wien wurde die 75 Jahre alte, verwitwete Anna Neudert, Besitzerin eines großen dreistöckigen Hauses in der Stadt Schryvogelgasse, wegen zudringlichen Bettelns vom Einzelrichter zu acht Tagen Arrestes verurteilt. * Ein Hund als Brillantendicb. Aus Budapest wird dem Wiener Fremdenblatt berichtet: Das Juwelengeschäft der Gebrüder Z. bestellte in Amsterdam zwei Brillanten im Werte von 20 000 Kronen. Der Geschäftsinhaber legte die Steine nach ihrer Ankunft in sein abgeschlossene« Arbeitszimmer, bald daraus waren sie verschwunden. Alles Suchen blieb c-folglos, ebenso das Verhör der Angestellten. Ein Beamter kam und meinte, der kleine Hund de« Besitzer« habe gewiß die Edelsteine verschluckt Das Tier wurde gelötet. Alr man den Leichnam öffnete, sanden sich nebst den zwei Brillanten noch andere Edelsteine scwie Goldknöpse vor. * Eine furchtbare Fcucrkatastrophe hat sich in Moskau ereignet. Dort traf gestern beim Brande eines zweistöckigen Holzhauses Hilfe zu spät ein. Das Feuer hatte beide Treppen ersaßt, den er wachenden Bewohnern des oberen Stockwerks blieb nur der Ausweg durch das Fenster übrig, den die hochschwangere Mutter und zwei minderjährige Töch ter wühlten. Der Vater erstickte bei der Suche nach drei weiteren Kindern in Gemeinschaft mit diesen. Die Schwester des Vaters, die zum Ort der Kata strophe geeilt war, wurde wahnsinnig, als sie die verstümmelten und verbrannten Leichen der ganzen Familie erblickte. Die Blüte des Bagno. Roman von Goron und Emile Gautier. 97. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Lemoine hütete sich natürlich, diese Herzlichkeit, über welche er sich keiner Täuschung hingab, als bare Münze zu nehmen. Hin und wider überraschte er einen flüchtigen Ausdruck des Mißtrauens auf dem Gesichte d s Barons. Er fühlte sehr wohl, daß der Baron mit seinem durch die Gewohnheit noch verschärften Instinkt in ihm einen Feind witterte. Aber der Doktor blieb undurchdringlich Er gab sich in diesen zweideutigen Salons, in duffem Milieu von Hochstaplern erster Güte ebenso natür lich, wie in seinem Laboratorium oder in dem Ar- beitskabinett des Chefs der Sicherheitspolizei. Er spielte seine Rolle so gut, daß Saini-Mag- loires Aigwohn von der Einfachheit und Biederkeit seines Gastes eingelullt wurde. „Es war doch wohl töricht," sagte er sich, „mich vor diesem Lemoine zu fürchten. Er ist ein Tropf, den die Wissenschaft hypnotisiert. Er weiß nichts, er ahnt nichts. Wie sollte er 'onst, er, der Prinzipien reiter, der Moralist, in einem verdächtigen Hause veikehren? Wenn er nicht im Geheimen nur wegen meiner Frau hierher kommt! . . . He! He! Hnivn 8U.de;! Wie Elena sagt . . . Diese Gelehrten sind manchmal entzündbar!" Rozen hatte es nicht besser treffen können. ES mußte» doch schon in der Tat ganz ge waltige, zwingende Gründe vorliegen, um Lemoine dazu zu bringen, saft ein Intimus des Menschen zu werden, dessen Untergang er beschlossen hatte. Trotz feines angeborenen Abscheus vor der Zwei deutigkeit hatte er sich davon überzeugen müssen, daß kein Beobachtungsposten wertvoller war als dieser ; denn er lebte, als Hausfreund und Haus arzt, sozusagen im Herzen des Schauplatzes. Wer den Zweck will, will die Mittel. Aber ohne daß er sich rech' darüber klar wurde, gehorchte er noch einem anderen Triebe: dem Ver langen, Elena w'ederzusehen, und Suint-Magioire selbst mar es, dec ihn in die Nähe der Geliebten brachte. Eines Tages, als die Baronin, von einem heftigen Fieber geschüttelt, noch geschwächter und leide,«der schien, als gewöhnlich, ließ er den Doktor rufen und führte ihn zu seiner Frau. Rozen, der gewiegte Beobachter, bemerkte nicht sie plötzliche Blässe Elenas, als Lemoine eintrat, der seinerseits nur mit großer Mühe seiner inneren Erregung Herr werden konnte. Der Bankier dachte an diesem Tage kaum an etwas anderes, als an eine Riesenunternehmung zweifelhafter Tüte, die er lanziren wollte und die, wenn sie gelang, ihm einen sofortigen, enormen Ge winn versprach. Er beeilte sich auch, nach einigen banalen Phrasen nach der Börse zu eilen und den Doktor mit der Leidenden im Me-L-töto zu lassen. Elena hielt dem Doktor ihre abgemagerte Hand hin, der sie ehrfurchtsvoll an die Lippen führte. „Mein Freund," sagte sie traurig, „ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis ich meinen Engel wiedersehe. Widersprechen Sie nicht," fuhr sie fort, als Lemoine, den dieser schmerzliche Anfang tief bewegte, erschrocken eine abwehrende Gebärde machte. „Nein, widersprechen Sie nicht. Ich fühle eS, und daS sind Vorahnungen, die nicht täuschen. Weder Ihre Wissenschaft noch Ihre Freundschaft können eS ändern: ich bin zu Tode getroffen. Gott sei Dank dafür! Warum sollte ich noch länger auf dieser Erde weilen, an die mich kein Band mehr knüpft, wo mir der Aufenthalt zur Last wird? Aber ich bin glücklich, Sie, bevor ich sterbe wiedergesehen zu haben, glück lich, Ihre liebe Stimme wiedergehört zu haben, glücklich, Ihre treue, biedere Hand drücken zu können." Erschüttert bis inS Mark und unfähig, einen Ton herauSzubringen, preßte Lemoine die dünnen Fingerchen, die ihm Elena gelassen hatte. Nach und nach faßte er sich wieder. „Arme Frau! Arme Freundin!" murmelte er mit erstickter Stimme. „Ich tue Ihnen wey, mein Freund?" fragte sie sanft, fast zärtlich, als sie sah, wie sich daS Ge sicht deS Doktors schmerzlich verzerrte. „Ja, Sie tun mir w(h, grausam weh!" ant wortete er. „Denn trotz der langen Trennung, trotz des Ausbleibens aller Nachrichten, deS schein baren Vergessene in dem Sturme de» Lebens hat niemals ein anderes Weib den Platz in meinem Herzen eingenommen, den die Erinnerung an Sie darin leer gelassen." „Auch ich hätte Sie geliebt, wenn Gott es ge wollt hätte . . .," sagte Elena leise wie im Selbst gespräch. „Aber Gott hat nicht gewollt. An uns ist es, uns in das Unabänderliche zu sügen. Glauben Sie mir, der Tod allein gleicht alles aus. Er allein bringt Erlösung und Vergessen." Lemoine richtete einen langen Blick auf Elena. Seine ganze glühende Leidenschaft spiegelte sich in diesem Blick, der ihr das Blui in die farblosen Wangen trieb. „Hören Sie mich," rief er mit dem heiligen Feuer der Liebe aus, „hören Sie mich an! Ich will nicht, daß Sie sterben, ich will es nicht. Sie dürfen nicht sterben! Sie müssen leben! Sie müssen!" Lemoine sprach noch lange auf die junge Frau ein. Mit einer Beredtsamkeit, welche die Größe seiner edlen Leidenschaft überzeugend und berauschend machte, während seine Stimme vor Schmerz und Wonne zugleich bebte, bemächtigte er sich der Seele Elenas und weckte in ihrem tiessten Innern in einem Sturm wiederstreitender Erregungen wieder d-m Mut, den Willen zum Leben den sie sür im mer in sich getödtet glaubte. Wie magnetisirt von dem Zauber der beherr schenden Willensstärke des Mannes, welchem sie stets eine geheime Verehrung bewahrt halte, über raschte sie sich dabei, noch zu hoffen und verwirrt die Wahrscheinlichkeit besserer Tage zu überlegen. Als der Doktor, stolz und glücklich über sein Auferstehungswerk, endlich von ihr Abschied nahm, hotte er sein Spiel gewonnen. Die Kranke war noch traurig und melancholisch, noch von Schmer zen gepeinigt, — aber sie sprach nicht mehr vom Sterben. Eine geheime Stimme flüsterte ihr ins Ohr, daß noch etwas Unbekanntes, etwas von Frieden und Seeligkeit und selbst von Glück ihr werden könne und daß ihr dann das Leben vielleicht wieder weit sei, gelebt zu werden. Von diesem Tage an war Lemoine der tägliche Gast deS PolaiS Saint-Maglorre. Die Liebe aber ließ ihn sein Richteramt nicht vergessen. Im Gegenteil. 38. Kapitel. Obgleich Saint-Magloire, von seiner Liebe zu Ger maine Reyval und von seinen Geschäften gleicher weise ersüllt, die eheliche Wohnung fast gar nicht mehr betrat — er nahm dort nur noch den kleinen Morgenimbiß ein, ost ohne Elena überhaupt zu sehen, da sie gewöhnlich in ihrem Zimmer frühstück te — begann ihm die Beharrlichkeit Lemoines un angenehm aufzufallen. Eine oberflächliche Liebelei der Baronin hätte ihn keineswegs beunruhigt, denn er lebte ja fast völlig von der armen Frau getrennt. Ei hätte mit ihren gesellschaftlichen Vorzügen, die seinem Hause ein vornehmes Relief verliehen, vor d.r Oeffentlichkeit gern auch fernerhin gepiunkt. Aber seit dem Tode ihres Kindes und dem heftigen Auftritt, der darauf folgte, zeigte sich dis Baronin nicht mehr. Er hatte deshalb bereitwillig ein Auge zuge- drückl oder eine Liebesintrigue gar heimlich be günstigt in der Hoffnung, daß Elena unter dem Einfluß einer solchen endlich ihr Klater' ckolorosu- Gesicht ablegen und strahlend und verführerisch wie zuvor wieder die Rolle der Herrin des Hauses übernehmen werde. Aber daß gerade dieser Lemoine dabei im Spiel sein sollte, behagte ihm nicht. Er wußte zwar nichts von dem früheren Ver hältnis des Doktors zu Elena. Aber sein Instinkt warnte ihn vor diesem ernsten Gelehrten, der gleich zeitig begeistert und überlegt, großmütig und prak tisch, willensstark und undurchdringlich war. Bei einem solchen Manne und einer Natur, wie derjenigen Elenas, konnte sich der Flirt gar leicht in eine Leidenschaft verwandeln. Wenn er auch gern die Mußestunden Elenas ausgefüllt und ihre Eifersucht abgelenkt wissen mochte, so wollte er doch nicht die Herrschaft über sie verlieren. Sie wußte gar zu viel! „Eine verliebte Frau hat kein Geheimnis vor dem Mann, den sie liebt," sagte er sich. Sin einziges unüberlegte» Wort SlenaS in einem Moment der Hingebung würde nicht in daS Ohr eines Tauben fallen. Trotzdem wagte er eS nicht, offen mit Lemoine zu brechen; da» wäre nicht „pariserisch" gewesen. Er ließ ihn jedoch peinlichst genau überwachen. Aber er erfuhr nichts, was nicht schon sozusagen alle Welt wußte. Lemoine verkehrte viel bei dem Ches deS Sicher heitsdienstes, aber eS war ja bekannt, daß sie Jugend freunde waren, zudem pflegte der Baron ja selbst mit den höchsten Staatswürdenträgern einen reg-n Verkehr. Er hatte seine offiziellen und privaten Empfänge auf der Polizeipräfektur wie auf dem Ministerium deS Innern, wo er sogar niemals zu antichambrieren brauchte. (Fortsetzung folgt.) Standesamtliche Nachrichten von Hohenstein-Ernstthal auf die Zett vom 25. bis mit »1. Oktober 1S«3. Geburten: Ein Sohn: dem Kutscher Emil Oswald Enger; dem Fabrikweber Oswald Funke; dem Nadelmacher Otto Emil Krauße; dem Fabrikant Karl August W"gner; dein Maurer Johann Fath; dem Fabrikweber Karl August Friedrich. Eine Tochter: dem Färber Robert Schellenberger; dem Geschäftsführer Gustav Robert Weitmüller: dem Handelsmann Ewald Paul Stark; dem Fuhrwerksbesitzer Johann Christian Goller; dem Gastwirt Hermann Richard Hartenstein; außerdem zwei uneheliche Söhne. Aufgebote: Der Kutscher Emil Rudolf Taudt hier mit der Gorl- näherin Emilie Wilhelmine Groß in Waschlcithe. Eheschließungen: Der technische Bureauassistent l. Klasse Hugo Krake in Chemnitz mit der Haustochter Alma Martba Anger- manu, hier; der Fadrikweber Louis Häußler mit der Garutreiberin Sidonie Lindaverw.Häusler, geb. Züllchner, beide hier; der Weber Karl Otto Drescher mit der Strumpffabrikarbeiterin Johanne Mathilde Louise verw. Schubert, geb. Wicklein, beide hier. Sterbefälle: Max Johannes Günther, Sohn des Hauswebers Karl Louis Günther, 13 Tage ait; Selma Martha Lorenz, Tochter des Strumpfwirkers Karl Gottlob Lorenz, 7 Monate alt; Frieda Lina Röhner, Tochter des Zimmer manns Karl Hermann Röhner. 2 Monate alt; die Fuhr werksbesitzerswitwe Bertha Christliebe Ernst, geb. Tenn- städt, 69 Jahre alt; Erna Emilie Lohse, Tochter des Werkführers Hermann Lohse, 11 Tage alt; die Schneider meisterswitwe Karoline Wilhelmine Glöckner, geb. Schüßler, 67 Jahre alt; Paul Walter Korb, Sohn des Bahnarbeiters Karl Paul Korb, 4 Monate alt; der Kaufmann Johann Friedrich Emil Zeuner, 65 Jahre alt; außerdem eine Totgeburt, ein unehelicher Sohn und eine uneheliche Tochter. Depeschen. Berlin An der Bahre Theodor Mommsens sammeln sich dle kostbarsten Blumenspenden und Kränze, die von nah und fern gesandt werden. Am Donnerstag mittag wird in Charlottenburg in der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche eine große Feierlichkeit zu Ehren Mommsens veranstaltet werden. Der Eintritt wird nur mit Karte gestattet werden. Falls es die Umstände gestatten, wird das Kaiserpaar an den Bestattungsfeierlichkeiten teilnehmen. Eine Reihe ausländischer Deputa tionen, Vertreter aller deutschen Universitäten und deutscher Studenten haben sich zur Teilnahme an gemeldet. Berlin. Anläßlich des 50 jährigen Amts- jubilänms des Reichsbankpräsidenten Dr. Koch fand gestern abend im Kaiserhof ein Festmahl statt. In einer längeren Rede feierte der Reichskanzler die Verdienste des Jubilars um die Entwickelung des Reichsbankwesens. Berlin. Gras Bülow und Graf Lamsdorff, die während der Wiesbadener Kaiserbegegnung keine Zeit zu eingehende» diplomatischen Verhandlungen finden werden, kommen am 5. November, während der dentsche Kaiser dem Zarenpaar und dem Groß herzog auf Schloß Wolfsgarten den Gegenbesuch abstattet, voraussichtlich in Darmstadt zusammen. Graf Lamsdorff wird sich bestimmt nächsten Sonn abend nach Petersburg begeben. Wien. "Rach einer Meldung der „Zeit" hat sich die Prinzessin Louise von Koburg in letzter Zeil in Italien aufgehalten. Der Korrespondent der „Zeit" behauptet, dieselbe in Mailand gesehen zu haben, wo sie unter dem Namen einer Fürstin Zohary gewohnt haben soll. Die Prinzessin ist gestern vormittag wieder in das Sanatorium Bier mann bei Dresden zurückgekehrt. Paris. Aus Armentiere wird gemeldet: Die Spinnereibesitzer haben mitgeteilt, daß sie den Schiedsspruch des Präfekten ablehnen. Dieser Schiedsspruch war von den Arbeitern angenommen worden. Man befürchtet, daß die Unruhen von neuem losbrechen werden. Mailand. Unter dem letzten Unwetter hat besonders der Marktflecken Sandona schwer ge litten. 18 000 Im Land waren überschwemmt. Zahlreiche Häuser wurden zum Einsturz gebracht, wobei auch Menschenleben zu beklagen sind. Madrid. Einem Telegramm aus Bilbao zu folge hat sich dort die Lage gebessert. In mehreren Fabriken sind zahlreiche Arbeiter entlassen worden, in anderen sind zahlreiche Arbeiter nicht zur Arbeit erschienen. Der Belagerungszustand soll indessen noch vor den Gemeinderatswahlen aufgehoben werden. Lissabon. Der Bremer Dampfer „Duisburg" ist am Sonntag bei Paniche aufgelaufen. Das Schiff ist durchbrochen, das Hinterschiff ist unter Wasser. Die Bergung der Ladung wird versucht. Die Mannschaft trifft heute hier ein Der Kapitän und die Offiziere verbleiben auf dem Wrack. Ncwyork. Der chinesische Gesandte fragte beim Staatssekretär Hay an, ob Amerika keine Mittel habe, Rußland zur Aufgabe der Vertrags häfen zn bewegen. Hay konnte nichts versprechen. Der Krenzer „Helena" fuhr vou Schanghai nach Niutschwang, wo er stationiert werden wird. Yokohama. Nach amtlichen Meldungen, welche in Korea eingetroffen sind, haben die Russen Puganfn geräumt. Die Festungswerke werden ge schleift. Die Besatzung soll nur 20 Köpfe be tragen.
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