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Zuruf.) Redner verwahrt sich schließlich unter l großer Heiterkeit gegen die Unterstellung, daß er I der Kandidat der Regierung in Elsaß-Lothring-.a gewesen sei. Elsaß-lothringischer Staatssekretär v. Köller konstatiert, daß eS in Elsaß-Lothringen überhaupt keine gouvernementalen Kandidaten gegeben habe. Von dem, was Vorredner über die Zustände in Elsaß-Lothringen, über starke sozialdemokratische Strömungen usw. daselbst angeführt habe, treffe nicht der zehnte Teil zu. In Metz seien die Wasser- verhältniffe zweifellos verbesserungsbedürftig gewesen, und das Reichsseuchengesetz habe den Landes regierungen die nötigeHandhabe gegeben. Sozialdemo kratische Vereine würden in Elsaß-Lothringen nicht genehmigt, wohl aber Vereine mit christlichem Sinn und christlichen Sitten. Er, als Gegner der Sozial demokratie, müßte doch der größte Esel sein, wenn er anders verführe. (Heiterkeit.) Abg. Graf Limburg (kons.) bemängelt nochmals daS Verhalten der Regierung gegenüber der Sozial demokratie; habe doch ein Regierungsvertreter diese eine Arbeiterpartei genannt. In Wahrheit sei die Sozialdemokratie nur insofern eine Arbeiterpartei, als sie die Arbeiter ausnütze. Auch gelegent lich der Wahlen habe die Regierung nicht genug die tiefe, uns von der Sozialdemokratie trennende Kluft betont. Staatssekretär Graf Posadowsky: Wir haben keinen Zweifel darüber gelassen, daß zwischen uns und der republikanischen Sozialdemokratie ein Ab grund besteht. Wenn ich von einer Arbeiter- Partei gesprochen habe, so sprach ich von der Partei im Lande, die in der Tat aus Arbeitern besteht. Es gibt leider Kreise, die sozialistische und sozial politische Bestrebungen in einen Topf werfen, die alles soziale Tun verwerfen, weil es ihnen unbe quem ist oder vielleicht auch ihre Interessen schädigt. Die Revolution von 1848 sei übrigens nicht von Arbeitern gemacht, sondern von ganz anderen Leuten. Preußischer Eisenbahnminister Budde erklärt auf eine Bemerkung des Grafen Limburg, er habe niemals daran gedacht, seinen Eisenbahnarbeitern zu empfehlen, sozialdemokratisch zu wählen. Es sei eine Gemeinheit, ihm so etwas nachzusagen, Lug und Trug. Er habe seinerzeit im Abgeordneten hause vielleicht mit etwas falschem Zungenschlage, er sei ja ein junger Parlamentarier, nur gesagt, er beeinflusse seine Arbeiter nicht bei der Wahl. Wenn die Sozialdemokraten sich gleich bei Beginn eines Rennens auf einen Gaul setzten, der von vornherein auf allen Vieren lahm sei — so, meine Herren, gratuliere ich Ihnen zu dem Erfolge. (Beifall rechts.) Abg. Molkenbuhr (Soz.) behauptet, die Eisen bahnbetriebe seien Musterbetriebe nur in bezug auf die Ausbeutung der Arbeiter. Die Sozialdemokaten hätten in ungemein vielen Fällen, so bei Unter stützungen von Reservisten, bei der neuen Seemanns- ordnung usw., wie überhaupt bei Reformgesetzen, bewiesen, daß sie auch positiv tätig seien. Nach einer Erwiderung des Ministers Budde wird die erste Lesung des Etats und der Finanz reformvorlage geschloffen und die beiden Vorlagen der Budgetkommission überwiesen. Das Haus wählt dann noch 6 Mitglieder in die Reichsschulden kommission und 7 Mitglieder in den Beirat für Arbeiterstatistik. In den letzteren werden gewählt die Abgg. Bauermeister, Freiherr v. Heyl, Hitze, Pauly-Potsdam, Trimborn, Schmidt-Elberfeld und Molkenbuhr. Nächste Sitzung den 12. Januar nachmittags 2 Uhr: Interpellationen betr. Rechtsverhältnisse der Berufsvereine, Wurmkankheit usw. Schluß 7'/, Uhr. Sächsischer Landtag. Zweite Kammer. Dresden, 15. Dez. Auf der Tagesordnung steht eine durch den Crimmitschauer Textilarbeiterstreik veranlaßte fünfte NachtragSsorderung zum ordent lichen Etat in Höhe von 10 OM Mark, die durch ein erhöhte» Gendarmerieausgebot in dem vom Streik betroffenen Gebiete veranlaßt worden ist. StaatSminister v. Metzsch: Die Regierung be finde sich in einer nicht sehr erfreulichen Lage, an die Stände-Versammlung mit einem Gesuche um Gewährung eine- außerordentlichen Kredits heran zutreten, um dadurch die Füglichkeit zu erlangen, den Ausschreitungen und Ordnungswidrigkeiten zu begegnen, die während deS schon über vier Monate andauernden AuSstandeS in Erscheinung getreien sind, und die aller Wahrscheinlichkeit nach an Aus- dehnung nur noch gewonnen haben würden, wenn nicht mit aller Energie darauf hingearbeilet werde, die durch eine wüste Agitation verhetzte Arbeiter schaft in den gebotenen Schranken zu halten. Der Herr Minister, der eS ausdrücklich ablehnt, Stellung zu der Frage zu nehmen, auf welcher Seite die Schuld an dem Streike liege, geht dann ausführ lich auf die bekannte Entstehungsgeschichte deS Streiks ein. Man habe geglaubt, daß, wenn eS einmal gelinge, auf dem VerfuchSselde in Trimmst- Ichau die Streikforderungen durchzusetzen, dann vielleicht eine Mobilmachung der Textilarbesterschaft im ganzen Reichsgebiete zu erreichen wäre. (Sehr richtig!). So sei eS am 21. August nach resultat- losen Verhandlungen zum Streik gekommen, durch den der dortigen Arbeiterschaft ein wöchentlicher Lohnverlust von etwa 78 OM Mk. entstanden sei. Zuerst sei eS der Polizei von Crimmitschau mög lich gewesen, die gebotene Ruhe und Ordnung auf recht zu erhalten. ES sei anzuerkennen, daß im ersten Verlaufe deS Streiks sowohl seitens der Ar beitgeber, alS auch im allgemeinen von festen der Textilarbeiter man sich eine- ruhigen und gcmefsenen Verhalten» befleißigt habe. Durch die mit den sozialdemokratischen Organen in enger Fühlung stehende Zentralleilung de» StreikwesenS sei aber dann eine eingehende Beeinflussung und Verhetzung der Arbeiterschaft durch Wort, Presse und Flug blätter erfolgt und durch unberufene Agitatoren eine große Erregung in die Bewegung hineingetragen Worten. Im ersten Stadium de» Streike» sei eine Behinderung der Abhaltung von Versammlungen n keiner Weise eingetreten; 66 öffentliche Ber- ammlungen seien abgehalten worden. Wenn die Versammlungen dann zum Teil sehr tumultuarisch verlaufen seien, so sei dies wesentlich der Einwirkung unberufener Organe zu danken, denen e» am aller wenigsten daraus ankam, die Interessen der Ar- »eiter zu vertreten, sondern die darauf auSgingen, Unwillen und Unzufriedenheit in die Kreise der! Arbeiter zu säen. (Sehr richtig!) Der Haupt- mnkt, um den eS sich bei dem Busstand drehe, sei aus feiten der Arbeitgeber die Frage der Möglich- eit auf Erhaltung von Arbeitswilligen, der aus )er anderen Seite daS Bestreben gegenüberstehe, die Gelegenheit zur Gewinnung solcher Aibeits- willigen den Arbeitgebern nach jeder Richtung hin abzuschneiden. Bei dem dadurch in Erscheinung getretenen terroristischen Gebaren der Arbeitermafien >abe sich der Erlaß deS Verbots gegen daS Streik- wstenstehen nötig gemacht. Gegenüber den er- wbenen Zweifeln über die Berechtigung eines olchen Verbots möchte er auch konstatieren, daß nach der bestehenden Judikatur der Erlaß eines olchen Verbots al» durchaus zulässig zu erachten ei. Bei dem Streikpostenstehen in Crimmitschau ei mit dem seltensten Raffinement verfahren worden, und eS habe eine bedrohliche Belästigung der Ar beitswilligen stattgefunden. Redner führt einzelne Fälle an, die zur Kolorierung deS Vorgehen! der Streiksührer dienen sollen, und bezieht sich weiter aus die in der jüngst erschienenen Denkschrift der Zabrikanteu enthaltenen Angaben. Man habe sich ogar soweit vergessen, daß man dem Rechtsanwalt, der die Angelegenheit der Arbeitgeber führt, und dem Bürgermeister di- Fenster eingeworfen habe. Die Vorsichtsmaßregel der Arbeitgeber, die Arbeits willigen zu schriftlicher Anmeldung anzuhalten, habe für die Streikführer Anlaß geboten, sogar sämtliche Briefkästen mit Beobachtungsposten zu besetzen. (Unglaublich!) Die ganze Bahnlinie Leipzig-Hof sei mit Emissären der Streikenden be setzt, um den Zuzug Arbeitswilliger zu verhindern, und bis Kulmbach in Boyern habe man die dort Arbeitswillige suchenden Fabrikanten verfolgt. Alles dies habe die Behörden und die Regierung ver anlaßt, die im Streikgebiete vorhandenen Exekutiv organe in entsprechender Weise zu verstärken. Die Entsendung dieser Gendarmeriekommandos habe den ausschließlichen Zweck gehabt, Hilfe zu leisten bei den Bestrebungen der Behörden zur Aufrechter- Haltung der öffentlichen Ordnung und die Arbeits willigen zu schützen. (Bravo!) Auf dem Bahn- Hose sei Gendarmerie aufgestellt, die die eintreffen den Arbeitswilligen in Empfang nehme und sie nach ihren Arbeitsplätzen geleite, weil sie bei Ent- behrung dieser polizeilichen Eskorte den brutalsten Ausschreitungen der den Bahahof oft zu Hunderten umstehenden Streikenden ausgesetzt seien. ES sei Pflicht der Staatsgewalt, allenthalben da kinzu treten, wo die öffentliche Ordnung bedroht sei, und den in einem Streike auflrelenden Arbeitswilligen die nötige Hilse unbedingt angedeihen zu lassen. (Bravo!) Ueber da» Wesen und die Tragweite der Koalitionsfreiheit könne in den betreffenden Kreisen keine genügende Klarheit bestehen. Jedenfalls feiste in Crimmitschau von den Behörden in richtiger Weise gehandhabt worden, und keinetsalls feien Arbeitgeber und Arbeitnehmer in diesem Streike verschiedenartig behandelt worden. E« werde der Behörde eine unberechtigte Parteinahme für Arbeit geber vorgeworfen, die sich dadurch dokumentiert habe, daß sie die Arbeitswilligen unterstütze und deren Zuzug in da« Streikgebiel sördere. Demgegen über konstatiere er, daß die Maßnahmen der Behörden nur darauf gerichtet seien, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und den Arbeit«willigen freie« Geleit zu geben. Da« sei eine Pflicht der Behörden, in deren Handhabung sie sich nicht irre machen lasten dürsten. (Sehr richtig!) Aus eine Parteinahme der Regierung zu gunsten der Arbeitgeber sei weiter daran« geschlossen worden, daß einer an MiniUerialstelle etnge:roffenen Arbeiterdeputation der Bescheid wurde, sich mit ihren Beschwerden an die zuständigen Instanzen zu wenden. Man habe e» allerding« an Ministrrialstelle geflissent lich vermieden, diese Arbeiterdeputation noch weiter zu belehren und ihr noch weitere» Material zu liefern, gestützt auf die Erfahrung, daß diese Belehrungen, auch wenn sie in wohlwollendster Weise geschähen, den Weg in die Presse fänden, und dort in unver antwortlichster Weise entstellt würden. (Sehr richtig !) Auch er, der Minister selbst, sei der Parteinahme für die Arbeitgeber bezichtigt worden, und zwar wegen de» Umstande«, daß er für die Arbeiter deputation nicht zu sprechen gewesen sei. Diese Deputation sei aber unangemeldet im Ministerium erschienen, und sie sei im Ministerium verständigt worden, daß der Minister nichtzusprechensei, weiter sich gar nicht in Dresden befinve. Diese Tatsache bilde einen Bkwei» dafür, wie derartige Zeitung«- nolizen gemacht würden. Redner gehl dann aus die Behandlung de« Crimmitschauer Streik» im Reicht- loge durch den Abg. Bebel ein. Er überlasse e« dem Urteil der Kammer, ob nach seinen j Ligen Au»sührungen mit Recht davon die Rede sein könne, daß, wie Bebel behauptete, die Rechte der Arbeiter mit Füßen getreten würden. Bebel habe weiter be hauptet, er kenne überhaupt nicht einen Fall, daß jemal» ein höherer sächsischer Beamter sür die Arbeiter eingetreten sei. Er wisse nicht, wa» Bebel sich für Begriffe über da« Wesen der Arbeiterfür sorge mache, ihm aber sei e« vollständig klar, daß in Rücksicht auf die Förderung der Arbeilerin- teressen und die wirkliche Arbeiterfürsorge die sächsische Regierung und deren Beamte bi«her schon wesentlich positivere Arbeit getan hätten, al« diejenige Partei, die sich al« die berufene Vertreterin der Arbeiter klasse hinstelle. (Sehr richtig!) Die Verdächtigung Bebel«, daß e« begreiflich sei, wenn der Bürger meister von Crimmitschau, al« Schwiegersohn eine» hervorragenden Fabrikanten, aus Seite der Arbeit- geber stehe, weise er mit Entschiedenheit zurück. (Bravo!) Er freue sich, dem Bürgermeister von Crimmitschau hier da» Zeugni» au«stellen zu können, daß er in dieser Streikbewegung, in der seine Stellung eine ungeheuer schwierige war, äußerst korrekt und gewissenhaft gehandelt habe. (Bravo I) Die Koalttlon«freihett der Arbeiter sei voll gewahrt worden. Wenn man diese Koalition«frkihett be schneiden wolle, so verwandle man die Koalition«- freihett de« Einzelnen in eine Koalition«knechtschaft. Der größte Feind der Koalition«freiheit sei die in demokratische Formen gekleidete De«polie. E« sei tief zu beklagen, daß unsere gute und fleißige Arbeiterschaft sich noch nicht habe ermannen können, sich von dem brutalen Terrori«mu«, der an ihr geübt werde, zu befreien, und er wünsche, daß die Zeit nicht allzu fern sei, daß unsere Arbeiterschaft zur Erkenntni« gelange, daß sie die ihr zustehende wahre Freiheit nur nach Abschüttlung de« sozial demokratischen Joch« erlangen könne. (Lebhafte« Bravo!) Abg. Hähnel-Kuppritz beantragt, unter Abstand nahme der Ernennung von Referenten und Kor referenten, in sofortige Schlußberatung über da« Dekret einzutreten. Die Kammer beschließt einstimmig dem Anträge gemäß. V'zepräs. Opitz erklärt namen« seiner politischen Freunde, daß die Grundsätze dec Regierung bi« in die Einzelheiten mit denen der konservativen Fraktion zusammenfirlen. Auch er sei gegen jede unmittel bare Einmischung in den Streik, der eine Begleit erscheinung de« Großindustriali«mu« darstelle und durch dessen Entwicklung ihre Lösung finden müsse. Freilich seien Fälle möglich, wo sich eine Einmischung der Staal«gewalt im Interesse der Allgemeinheit nötig mache, und da« sei in Crimmitschau der Fall, denn da« Geschick Crimmitschau« müsse maßgebend werden für da« Geschick der Textilindustrie im ganzen Reiche. Da« Vorgehen der Negierung sei ein Bewei« dafür, daß sie einen Grundsatz, den sie theoretisch für richtig halte, auch praktisch zu betätigen wisse. Solange in Crimmitschau mit legalen Mitteln gearbeitet worden sei, konnte man der Bewegung ruhig zusehen, da« sei aber jetzt ander« geworden, nachdem sich die Arbeiter zu Schritten verleiten ließen, die man unter allen Umständen mißbilligen müsse. Wenn de«halb die Genbarmerieposten ver stärkt worden seien, so habe die Regierung nur in Ersüllung ihrer Pflicht gehandelt. Wenn die Arbeit geber die Arbeiter zwingen würden, sür sie unter den alten Bedingungen zu arbeiten, so würde eine Entrüstung im ganzen Reiche entstehen, und doch wäre da» nicht« andere«, al« wenn die Streikenden versuchen, die Arbeit«willigen von der Arbeit abzu halten. Die Erbitterung soll nach Wollen der Führer so weit getrieben werden, daß die Gewalt darau« folge. Hiergegen gebe e« nur zwei Mittel: entweder der Bewegung freien Lauf zu lassen, solange e« nicht zu Gewalttaten und Blutvergießen gekommen sei, oder dafür zu sorgen, daß e« überhaupt nicht dazu komme. Die sozialdemokratischen Führer würden den ersteren Weg begrüßen, ihnen sei e« recht, wenn der Säbel haut und die Flinte schießt. Die anderen aber, die an den blutenden Gliedern der Arbeiter noch Mitgefühl hätten, stellten sich auf den anderen Standpunkt, daß e« nicht bloß klug und richtig, sondern auch menschlicher sei, solche Vorkommnisse zu verhindern. (Sehr richtig!) Auf diesen Stand punkt habe sich die Regierung mit Recht gestellt. Wenn der Ausstand, was niemand wünsche, noch länger dauern sollte, dann könne man an die Regierung nur die Bitte richten, auch fernerhin mit Wohlwollen und Gerechtigkeit, aber auch mit der Entschiedenheit, bieder Ausstand heischt,in Crimmitschau auszutreten. Er beantrage, der Regierung die hierzu nötige Summe zu bewilligen. (Bravo!) Vizepräsident Dr. Schill gibt namen« seiner politischen Freunde die Erklärung ab, daß auch sie mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden seien. Wenn die Behörden mit voller Festigkeit vorgingen, so werde e« freilich auch nicht an Maß nahmen fehlen, die den Widerstand reizten. So fei neuerding« in der vom Minister behaupteten Ver- sammlung«sretheit eine Aenderung eingetreten und ein allgemeine« Versammlung-Verbot erlassen worden. Wenn e« richtig sei, daß diese« Verbot die dortige Bewegung wieder in starke Flammen versetzt und den Widerspruchsgeist hervorgerufen habe, so beweise da«, weich' ungeheuren Schwierigkeiten die Behörden dort gegenübergestcllt sind. Abg. Teichmann-Werdau gibt al» Vertreter dr» von dem Streike betroffenen Kreises ein Büo üler die Lohnverhältnisse in Crimmitschau, aus dem her vorgehe, daß es sich dort keine«wegs um eine hungernde Arbeiterschaft handle. Jetzt sei Ruhs eingetreten, nachdem man da» Gendarmer'eaufgebot verstärkt habe. Er wünsche und hoffe, daß da« bevorstehende Weihnachttfest den verhetzten Webern endlich Ruhe und Frieden in« Hau« bringen möge. Abg. Leithold-Tettau gibt ein interessante« de tailliertes Bild über die gegenwärtige Lage im Streikgebtct. Die Koaltlion«sreiheit sei zur Koa'i- tionsfrechheit aulgeartet. Es bedürfe eine« ganz energischen Schutze» der Arbctt«willigen, denn die Besitzer der Fabriken seien nicht mehr Herren im eigenen Hause; darum bitte er, die von der Regierung geforderte Summe mit großer Mehrheit zu be willigen. Abg. Zimmermann-Dresden ist im wesentlichen mit den Ausführungen de« Vorredner« einverstanden. Einzelne Au«sprüche de« Minister« könnten aber im Lande Mißdeutungen unterliegen. So könnte e« nach seinen Worten scheinen, al« wenn die Polizei nicht auch den Arbeitgebern gegenüber ihre« Amte« walten sollte. Die Denkschrift, auf die sich der Minister zur Kolorierung der Verhältnisse bezogen habe, stelle, wenn sie auch in bester Weise zusammen, getragene» Material enthalte, doch keinen amtlichen Bericht dar. E» erscheine ihm fraglich, ob die Ver mehrung der Gendarmerie zunächst nicht etwa» zu weitgehend war, und er habe nu« den Autsühr- ungen de« Minister« nicht entnehmen können, ob das Verbot gegen das Slreikpostenstehen erst au Grund genügender Beschwerden oder schon vorher erfolgt sei. Da« Slreikpostenstehen einzelner sei nicht unzulässig, solange nicht eine Bedrohung der Arbeit«willigen eintrele. Uebrigen« seien auch au seiten der Arbeitgeber Hebelgriffe vorgekommen, da« erkläre sich aber au» der Gereiztheit, die sich ent wickeln mußte. Nicht Uebermut habe die Arbeiter in den Kampf getrieben, sie hätten sich unter Be nutzung de« Koaltlion«recht» Crimmitschau «»«gesucht, um dort die wichtige Frage der Lrb«it«dauer zu klären. Nicht die rein wirtschaftliche Frage habe den Kamps vergiftet, sondern die aufreizende Tendenz, dir durch außenstehende Faktoren hineingetragen wurde. Da durch sei der Kampf zu einem solchen geworden, der ich gegen die staatliche und Grsellschaft«ordnung iber^aupt richte, und da erwachse der Regierung die Pflicht, einzugretsen. Abg. Günther-Plauen (srets) gibt seinem Be- dauern darüber Au«druck, daß die Verhältnisse in Crimmitschau außerordentliche Maßnahmen der Re gierung gezeitigt hätten. Solange sich die Streiken- ren auf dem Boden de« Recht« befänden, habe niemand da« Rech«, eine Versammlung aufzulösen, darum finde auch da« gegenwärtig bestehende Ver- ammlungtverbot nicht seine Billigung. Da« sei >em Uebereiser der Unterbehörden entsprungen. Auch er meine, daß die vom Minister erwähnte Denk christ keine aktenmäßtge Unterlage für die Richtig keit seiner Behauptungen sei. Wenn Arbeitswillige vorhanden seien, so müsse diesen natürlich da« Recht gewahrt werden, zur Arbeit zu gehen, und de«halb Pmme er der Forderung der Regierung zu. Minister v. Metzsch erwidert auf die Einwände der beiden Vorredner, daß ein einseitige« Einschreiten der Behörden nie beabsichtigt gewesen sei. Wenn die Arbeitgeber Ordnung«wtdrigkeiten begingen, so müßte auch gegen sie eingeschrttten werden. Alle«, wa« in der Denkschrift niedergelegt sei, decke sich mit den aktenmäßigen Angaben, die dem Ministerium de« Innern vorlägen. Da« Verbot de« Streik postenstehen« sei unmittelbar nach Eröffnung de» Streik« erfolgt, und der Stadtrat sei zu dieser Ver hütungsmaßregel vollberechtigt gewesen. Aus den Vorwurf Günther« über die unberechtigte Auflösung von Versammlungen erwidere er, daß die Kreis- hauptmannschast Zwickau vorerst auch auf dem Güntherschen Standpunkte gestanden habe. Jetzt sei die Situation aber eine andere geworden und ein generelle« Versammlung«verbot ergangen. Au« formellen Gründen könne er sich zur Zeit über die Angelegenheit nicht weiter äußern. Damit ist die Debatte geschlossen, und die Kammer beschließt einstimmig, dem Anträge Opitz entsprechend, die von der Regierung geforderte Nach- trag«summe zu bewilligen. — Nächste Sitzung: Mittwoch vormittag 10 Uhr. Die Crimmitschauer Textilarbeiter bewegung. Crimmitschau, 16. Dezbr. Gestern war der Vorsitzende der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Herr Reichstagsabg. Legien, hier. Derselbe wurde vom Bürgermeister Beckmann zu einer Rücksprache empfangen. Die „Deutsche Arbeitgeber-Zeitung", deren Redakteur kürzlich hier war, berechnet den Umsatz- Verlust der hiesigen Industrie seit dem viermonat lichen Stillstand mit ca. 18 Mill. Mark. Der Lohnausfall beträgt schon jetzt etwa 2 Millionen Mark. Forst i. Lausitz, 15. Dezbr. Eine zahlreich be suchte Versammlung des Forster Arbeitgeberverbandes beschloß einstimmig, den Crimmitschauer Fabri- kanten von jetzt ab bis auf weiteres 2 Prozent der ganzen wöchentlichen Lohnsumme als Unterstützung im gegenwärtigen Textilarbeiterausstande zur Ver fügung zu stellen. In der Versammlung kam die Ansicht zur Geltung, daß, falls der Ausstand nicht bald zu Ende gehen würde, den Gespinstfabrikanten nichts anderes als eine Arbeitseinstellung an sämt lichen deutschen Textilindustrieplätzen übrig bliebe. Kottbus, 16. Dezember. Eine Versammlung hervorragender Textil-Industrieller und Vertreter von Fabrikanten-Vereinen aus 25 Städten Deutsch lands fand gestern hier statt, um zum Crimmit schauer Streik Stellung zu nehmen. Nach ein- gehender Prüfung der Sachlage wurde einstimmig eine Resolution gefaßt, daß die Arbeitgeber vollständig auf dem Boden moderner sozialer Anschauungen ihren Arbeitern mit Wohlwollen gegenüber stehen. Die Versammlung erklärte ferner, daß es sich beim Crimmitschauer Streik nicht um den 10-Stunden- tag handelt, sondern daß der Streik frivol unter diesem Vorwande entstanden ist, um einen heißen Klassenkampf zu entfachen und unter Verhinderung jeder Verständigung mit den Arbeitern die Macht der Sozialdemokratie zu stärken. Die Versammlung beschloß einmütig, die Crimmitschauer Arbeitgeber moralisch und finanziell weitgehend zu unterstützen. Berlin, 16. Dezb. Dem „Vorwärts" zufolge werden am Donnerstag abend in Berlin für die Streikenden in Crimmitschau 23 Volksversamm lungen abgehallen. Demselben Blatt zufolge haben die Leipziger Arbeiter sür Crimmitschau 100 000 Mark gesammelt. 14. öffentliche Stadtverordneten - Sitzung am 15. Dezember 1903, abends 8 Ahr. Der Vorsitzende, Herr Redslob, eröffnete die Sitzung und teilte dem Kollegium beim 1. Punkte der Tagesordnung unter Kenntnisnahmen mit: a) daß die staatliche Unterstützung für die Volksschule in Höhe von 7050 Mk. eingeqangen ist; d) daß der Gas- und Wasserwerksausschuß das Gesuch des hiesigen Gastwirts-Vereins um Er mäßigung des Gaspreises abgelehnt habe. 2. Betreffs des Abkommens wegen Verlegung des Weges, welcher südlich neben der Bahn her läuft, also der Möckelweg bis zum Ebhardtschen Grundstück, weiterführend nach der Goldbachstraße, brachte der Herr Vorsitzende ein Schreiben des Holzhändlers Beck zur Verlesung, in welchem der selbe mitteilt, daß er sich mit den dortigen Anliegern geeinigt habe. Er ersuchte deshalb zum Schluß die Stadtverwaltung, diesen Weg recht bald Her stellen zu lassen. Die Instandsetzung eines Teiles desselben, welcher zu seiner Sägemühle führt, und