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Betrag von 2000 Mk. nicht übersteigt, vom ersten Januar 1904 ab der Krankenversicherungspflicht; auch sind alle Lehrlinge, die in irgend einer Form eine Vergütung erhalten, versicherungspflichtig. Es haben sich nunmehr die Angehörigen des Kauf mannsstandes mit der Frage zu beschäftigen, welcher Krankenkasfe sie sich anschließen wollen. Diese Frage ist für jeden Kaufmann insofern von der größten Bedeutung, als nur wenige Kassen be stehen, die seinen berechtigten Ansprüchen Rechnung tragen. Der Laie ist nur zu leicht geneigt, der jenigen Kasse den Vorzug zu geben, die mit den billigsten Beiträgen wirtschaftet, während bei Be urteilung einer Krankenkasse ganz andere Faktoren in Frage kommen. Es sollte jeder auf die finan zielle Fundierung sowie auf die allgemeinen Ver sicherungsbedingungen sein Augenmerk richten. Unter allen eingeschriebenen Hilfskassen nimmt die des Hamburger 58er Vereins den ersten Rang ein, denn ihre Finanzlage ist außerordentlich günstig; sie hat einen Reservefonds von '/. Million Mark angesammelt, der um 20 000 Mk. höher ist, als der gesetzlich vorgeschriebene. In diesen Ziffern gelangt die Leistungsfähigkeit der Kaffe zum Aus druck. Mit der Krankenversicheruuq ist gleichzeitig eine Begräbnisgeldversicherung in Höhe von 200 Mk. verbunden, die nach dem Ableben des Mit gliedes sofort zur Auszahlung gelangen. * — Das Spielen in ausländischen Lotte rien. Wie das „Chemn. Tgbl." mitteilt, wird den kommenden Landtag auch eine Gesetzesvorlage beschäftigen, die in Sachsen, wie dies Preußen und andere Lotteriestaalen für ihre Landesgebiete be kanntlich schon seit längerem getan haben, das Spielen in außersächsischen Lotterien unter Strafe stellt. Gleichzeitig soll dem Vertreiben von Losen auswärtiger Lotterien in Sachsen umfassender und nachdrücklicher als bisher durch Strafen entgegen getreten werden. Man will damit endlich einem Uebelstande abhelfen, der sich je länger, je mehr fühlbar gemacht und zu immer lebhafteren Be schwerden geführt hat. Sachsen wird von aus wärtigen Kollekteuren mit unbestellten Losen außer sächsischer Lotterien, so mit braunschweigischen, hessisch-thüringeschen, mecklenburgischen, förmlich überschwemmt. * — Erst aufragen! An das Ministerium des Königlichen Hauses und an Sr. Majestät des Königs Kämmereramt werden häufig Gegenstände der verschiedensten Art, wie Bücher und Drucksachen, künstlerische Arbeiten, Erzeugnisse des Gemerbe fleißes rc. als Darbietungen für Se. Majestät den König eingesendet. Dergleichen Sendungen sind den bestehenden Vorschriften gemäß an die Absender zurückzugeben und werden nur in dem Falle ange nommen und zurückbehalten, wenn dem Einsender auf vorherige Anfrage, ob Se. Majestät wohl ge neigt sein würde, die betreffende Darbietung als Geschenk anzunehmen, von Sr. Majestät des Königs Kämmereramte die Genehmigung zur Ein sendung erteilt worden ist. * — Vor der Auswanderung nach der Kapkolonie warnt derWeltreisendeSchanz-Chemnitz in dem Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft. Wir lassen nur den Schlußsatz des Artikels folgen, er besagt aber genug: „Daß die Kapländer billige Arbeitskräfte wünschen, ist begreiflich und berechtigt, daß sie aber Europäer schlechter als rohe Kaffer» stellen wollen, ist einfach unwürdig und nichts als eine neue Form des Sklaventums." * — EtwaS von der GanS. Die Zeit, in welcher Gänsebraten eine Rolle spielt, ist ge kommen. Da viele Frauen die Gänse nicht selbst mästen, sondern aus dem Markte kaufen, so mögen Unerfahrene sich folgende Kennzeichen junger Gänse zur Unterscheidung von alten und daher zähen merken : Weißer Ring um die Pupille des Auges, während er bei den allen blau oder gelb aussieht, blaßgelber Schnabel, spitze Nägel, leicht zeryuetsch- barer Flügel und Gurgel, welche bei alten Gänsen sehr hart sind. Die dicken Federn sind bei den jungen Gänsen viel weicher als bei den alten. Besonders mögen sich junge unerfahrene Hausfrauen vorsehe», daß ihnen nicht ein alter Gänserich zu gemogelt wird. * Rußdorf, 14. Oktober. Aufsehen erregte hier eine gestern in der Wohnung des Strumpf wirkers Hermann Taubert durch Gerichtsbeamte aus Lichtenstein sowie zwei Polizeibeamte vorge nommene Durchsuchung. Bekanntlich befinden sich Taubert und dessen Sohn seit längerer Zeit in Zwickau in Untersuchungshaft, weil sie im Ver dachte stehen, dem bei ihnen zur Miete wohnenden Privatmann Münch, der in einem Teiche tot auf gefunden wurde, mehrere Sparkasfenbücher mit großen Einlagen gestohlen zu haben. Mit dieser Angelegenheit dürfte die Haussuchung zusammen hängen. * Dresden, 17. Okt. Unter Vorsitz Seiner- Majestät des Königs fand gestern Nachmittag im Beisein Sr. König!. Hoheit des Kronprinzen eine Sitzung im Gesamtministerium statt. * Dresden, 1ü. Okt. Eine Geflügelversicherung ist im benachbarten Blasewitz ins Leben gerufen worden. Herr Direktor Walter Winkler hat einen „Ersten Deutschen Verein zum Schutze gegen Ge flügel-Verluste" gegründet. Gegen wenige Pfennige schon kann man die Tiere versichern. * Leipzig. Einem hiesigen Kassenboten sind gestern Abend am Schalter des Postamtes 9 acht Stück Einhunderlmarkscheine gestohlen worden, als er eine größere Summe aufgezählt hatte. * Leipzig, 16. Oktober. Um gegen die Kon sumvereine konkurrenzfähig zu bleiben, plant der Deutsche Kolonialwarenhändler-Verband eine Groß einkaufsgenossenschaft für ganz Deutschland zum Zwecke des direkten Bezugs von den Produzenten unter Ausschaltung der Grossisten. Auf dem Ver bandstage, der Ende November in Chemnitz statt findet, wird wahrscheinlich schon eine Entscheidung in dieser Angelegenheit getroffen werden. " Leipzig. Findigkeit der Reichspost. „Andie Neurasthenie-Firma in Leipzig", so lautete die Auf schrift einer Postkarte, welche richtig in die Hände des Adressaten gelangte. Der Schreiber der Karte, ein Pole, bestellte nämlich Dr. Pöche's Buch: „Die Neurasthenie und ihre Heilung", welches im Ver lage von Louis Manger, Leipzig, erschienen, und das wußte zufällig ein Postbeamter, der beim Auf ruf zugegen war. * Zwickau. Wieder wird infolge Kohlenab baues ein Schacht des hiesigen Reviers, der Kom munschacht in Oberhohndorf, auß'r Betrieb gesetzt. Die Schachtgebäude werden abgetragen und der Schacht zugefüllt. * Plauen, 16. Oktober. Einen schrecklich ver stümmelten Leichnam fand mau heute früh auf den Schienen der Linie Leipzig-Hos in der Nähe Plauens. Der Leiche war der Kopf vollständig vom Rumpfe getrennt. In dem Toten wurde ein 18jähriger Gärtnergehilfe aus Plauen rekognosziert, der sich von einem Zuge hatte überfahren lassen. * Reichenbach, 16. Oktober. Ein ganzer Trag korb voll Kuchen wurde am Mittwoch nachmittag im Bürgerholz hier aufgefunden! Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß hier irgend einer kirmesfeiernden Familie ein böser Possen ge spielt worden ist. * Hundshübel, 16. Oktober. In der mysteri ösen Angelegenheit, die Mitte Jul', d. I. durch Erschießen erfolgte Ermordung des Handarbeiters Gerber im hiesigen Staatsforstrevier betreffend, haben sich trotz der vielfach angestellten Ermitte lungen und trotz der von dem K. Justizministerium ausgesetzten Belohnung von 200 Mk. noch keine Anhaltspunkte für die Täterschaft ergeben. Ein großer Teil der hiesigen Einwohnerschaft bezichtigt einen unteren Forstbeamten der Tat, der aber nach Lage der Sache gar nicht in Frage kommen kann, da er zur Zeit der Tat gar nicht in der Nähe des Tatortes gewesen ist. * Freiberg. Am Mittwoch Abend sind die in der Nähe des Bahnhofes Brand gelegene mit Erntevorräten gefüllte große Scheune und der daran angebaute Wagenschuppen des Spediteurs Karl Wächtler in Brand durch eine Feuersbrunst völlig eingeäschert worden. Eine Ladung Möbel (Spe ditionsgut) ist mitverbraunt. * Mittweida. Der sozialdemokratische Pastor a. D. Göhre, der sein Reichstagsmandat nieder gelegt hat, will nach den Andeutungen der national sozialen „Hilfe" wiedergemählt werden. Das Blatt schreibt: „Göhre sieht die Niederlegung des Mandats nicht als das Ende seiner polnischen Laufbahn an, sondern will nur seinen Wahlkreis in der denkbar- schärfsten Form vor die Frage stellen, ob er mit ihm geht oder nicht. Wenn es ihm gelingt, dann hat er allerdings eine Stellung, die auch durch ein Parteigericht nicht mehr zu erschüttern ist, denn eine Neuwahl unter jetziger Sachlage würde be deuten, daß der Wahlkreis ihm selbst im Fall einer Parteiverurteilung Treue halten will." Die „Hilfe" hält es nicht für ausgeschlossen, daß Sozialdemokrat gegen Sozialdemokrat kandidiert. * Riesa, 15. Oktober. In Seerhausen ist, wie dem „R. T." mitgeteilt wird, neuerdings ge- legentlich der Einsetzung von Telegraphenstangen goldhaariger Sand gefunden worden. Die vor gefundene Analyse soll sogar rin erfreuliches Er gebnis gehabl haben. — Sollte uns doch ein Klondyke in Sachsen erstehen?? Gerichtssaal. 8 Prozeß gegen den früheren Rechtsan walt Leonhardt in Meerane. Zwickau, 16. Oktober. Vor der dritten Strafkammer deS Königl. Landgerichts hat sich heute der am 14. September 1868 in Leipzig geborene, zuletzt in Meerane woh nende und praktizierende Rechtsanwalt H. O. Leon hardt, dem als Verteidiger Herr Rechtsanwalt Ilr. Dierks in Hohenstein-Ernstthal zur Seile steht, wegen verschiedener Vergehen gegen das Strafge setz zu verantworten. Dem Angeklagten, der sich gegenwärtig in Holland aushält und lediglich zum Zwecke der Verhandlung hierhergekommen ist, fiel zunächst daS Vergehen des Wuchers zum Nachteile des früher in Seiferitz bei Meerane und jetzt in Altenburg wohnenden Selterwasserfabrikanten Feine zur Last, dem er aus einen Wechsel von 1000 Mk. für Spesen an sich und andere insgesamt 225 Mk. in Abzug brachte, sodaß diese Abzüge einer jährlichen Verzinsung von 116°/o entsprechen. Die Anklage behauptet nun, daß sich Feine, der damals mehr fach verklagt worden war und mit Zahlungsschwierig keiten zu kämpfen hatte, in einer Notlage sich be funden habe, daß dies dem Angeklagten bekannt gewZen sei und daß er sich und de» anderen Per sonen unter Ausbeutung dieser Notlage die gedach ten Vermögensvorteile verschafft habe, trotzdem die selbe in einem ausfälligen Mißverhältnis zu der Leistung Leonhardts gestanden habe. UebrigcnS soll Leonhardt von den sür Fleischermeister Ackermann in Meerane zurückbehaltenen 75 Mk. noch 40 Mk. sür sich als Entschädigung für Abfassung eines zwischen Fune und Ackermann abgeschlossenen Sc- Paratverlrages abgezogen und auch die für seinen Bureauvorsteher Dollase bestimmten 25 Mk. diesem vorenthalten habe». Weiler ist er angeklagt, in fünf Fällen sich der Unterschlagung von für seine Klienten vereinnahmten Geldern in Höhe von 10 bis 100 Mk. und außerdem der Gebührenüberhebung in ebenfalls fünf Fällen, wobei e« sich um Be träge von 8 bis 90 Mk. handel», schuldig gemacht haben. Der Angeklagte bestreitet seine Schuld und sucht einige Verfehlungen aus seinen Bureau vorstand Dallase abzuwälzen. Zur Verhand lung waren gegen zwanzig Zeugen vorge- laden. Auf Grund der Ergebnisse der Beweisauf nahme konnte daS Gericht in dem Vrrhalten des Angeklagten eine strafbare Handlung nicht erblicken und sprach denselben frei. 8 Dresden. Ein umfangreicher Spielerprozeß soll am 29. und 30. Oktober hier verhandelt werden. Sechzehn Personen, darunter mehrere Gastwirte und einige wohlhabende hiesige Geschäftsleute werden sich aus der Anklagebank befinden, meistens Leute (12, darunter 2 Gastwirte), deren Existenz offenbar auf dem gewerbsmäßigen Glücksspiele beruhte. Am schwersten belastet sind der Weinstubeninhober Petras von der Marienstraße und dec Gastwirt Berthold von der Epitta-Straße 6. Bier Gastwirte sind nur der Duldung beschuldig». Es sind über 40 Zeugen vorgeladen, meist „Gerupfte". Die Mit glieder der Spielergesellschaft suchten ihre Opfer in den vornehmsten Kreisen. Sie verkehrten auch auf den Rennplätzen und. in den Bädern. 8 NachklängezurReichstagswahl. Freiberg, 16. Okt. DaS hiesige Schöffengericht verhandelte heute gegen den Gutsbesitzer Maul und den Bäcker meister Gräbner, welche während der ReichstagS- wahl als Anhänger deS Reichstagskandidaten Dr. Oertel den Buchhalter Seibt ouS Freiberg im Gasthof zu Niederschlema, der im Interesse deS liberalen WahlkomiteeS gewiikt und Dr. Oertel als daS größere Uebel bezeichnet hatte, mit Schlägen traktierten. Der Gutsbesitzer Maul wurde zu 40 Mk., der Bäckermeister Gräbner zu 20 Mk. Geldstrafe verurteilt. 8 44 000 Mark unterschlage«. Hainichen, 16. Okt. Der frühere Kassierer Friedrich der hiesigen Webwarenfabrik von G. F. Leonhard, welcher, wie wir vor einigen Wochen berichteten, daselbst Unter schlagungen von ca. 44000 Mk. verübt hat, wurde vom Königl. Landgericht Freiberg zu 2 Jahren 6 Monaten Gefängnis und 8 Jahren Ehrenverlust verurteilt. 8 Die Entführung aus dem Magdalenen- stift. Die Aussehen erregende Entführung der Prostituierten Frida Sittel aus dem Magdolenen- stift zu Teltow gelangte gestern in den späteren Nachmittagsstunden vor der zweiten Strafkammer des Berliner Landgerichts zur Verhandlung. Aus der Anklagebank halten Platz zu nehmen der Kellner Wilhelm Dietrich, der Kellner Otto Körner, der Kutscher Wilhelm Boy, der Arbeiter Max Sittel und dessen Schw.ster, die 17 Jahre alte Frieda Sittel. Die Ankla e gegen die fünf Angeklagten lautete auf Vergehen gegen 8 21 des FürsorgegesetzeS vom 2. Juli 1900, auf Sachbeschädigung und auf Bedrohung mit dem Verbrechen deS Totschlages. Der Gerichtshof erkannte gegen Dietrich und Körner auf je sechs Monate, gegen Boy und Max Sittel auf je ein Jahr, gegen Frieda Sittel wegen Sach beschädigung auf eine Woche Gefängnis. 8 Erbunwürdig. Wegen „Erbunwürdigkeit" von der Erbschaft ausgeschlossen ist nach 8 2339 des Bürgerlichen Gesetzbuchs u. a., wer den Erb lasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet hat. Die Erbunwürdigkeit wurde durch U. teil der dritten Zivilkammer des Landgerichts in Frankfurt a. M. bei dem Fuhrunternehmer Klotzbach, der seine Ehe frau vorsätzlich gelötet hat, festgest. llt. Der Frau Klotzbach fiel eine Erbschaft von 10000 Mk. zu. Als Ehegatte würde der zu 5 Jahren Gefängnis verurteilte Klotzbach an der Erbschaft beteiligt ge wesen sein, wen» die übrigen gesetzlichen Erben seine Unwürdigkeit durch gerichtliches Urteil nicht hätten aussprechen lassen. 8 Kottbus, 16. Okt. Der Landwirtsohn Karl Ritzker aus Lehde (Spreewald), dec in der Nacht zum 27. Dezember 1899 seine Frau erwürgt und unter daS Eis versenkt hatte, wurde wegen Totschlags zu 12 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt. 8 Tilsit, 16. ^)kt. Indem seitdem 13. d. M. vor dem hiesigen Schwurgericht verhandelten Raub- mordprozeß gegen den Fleischermeister Hubert aus Lompöncn, Ker den Meiereibesitz-r Zürcher in Lom- pönen, d-ssen 25jährige Ehefrau und das 5 Jahre alle Töchterchen Zürchers ermordet hat, wurde heule Abend das Urteil gesprochen. Hubert wurde wegen dreifachen Mordes und schweren Raubes zum Tode verurteilt. 8 Ein für Fahnenflüchtige wichtiger Fall wurde soeben vor der Strafkammer in Düsseldorf verhandelt. Ein nach Amercka auSgewaudertec Kaufmann stand unter der Anklage der Entziehung der Wshrpflichr und der StaatSanwalt stellte den in Abwesenheit des Angeklagten in solchen Fällen üb lichen Antrag auf 160 Mark Geldstrafe. Das Gericht ordnete indes die Einstellung des Verfahrens an. Nach einem Vertrage mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika aus dem Jahre 1868 sei, jo lautete die Urteilsverkündigung, eine straf rechtliche Verfolgung solcher Auswanderer, die seit fünf Jahren in Amerika und dort im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte seien, wegen des genannten Vergehens nicht mehr angängig. Kleine Chronik. * Kiel, 15. Okt. In der Nacht zum Dienstag war ei» gefährlicher Einbrecher, der zu drei Jahren Z ichthaus verurteilte Kellner Göcke, auf unausklär- liche Weise aus dem Gefängnis deS Landgerichts verschwunden; weder Tür »och Fenster zeigten die mindeste Beschädigung. Kein Wunder, daß die efängniSbeamle» in einen schlimmen Verdacht kamen. Mil Unrecht, denn der heute festgenommene Verbrecher gab folgende Erklärung seiner Flucht: Im Luflschacht der Arrestzelle hätte er einen Dietrich gesunden, dec für sämtliche Türen deS Gefängnisses paßte. Ec hätte somit allen Mitgefangenen die Freiheit verschaffen können, doch begnügte er sich damit, nur für jein eigenes Entkomme» die Türen zu öffnen. * Köln, 16. Oktober. Im benachbarten Thurm hat der Unleruehmer der demnächst zu eröffnenden Fabrik für Telephondrähte, Gurlitt, mit seiner Fa milie da« weile gesucht. Zahlreiche kleinere Leute, die alle Sicherheit stellen mußten, sind um ihr Ver mögen gebracht. Auch mehrere an der Gründung der Fabrik beteiligte Firmen erlitten schwere Vec lulle. — In Bergijck-Gladbach erschoß sich ein junges Mädchen, angeblich infolge unglücklicher Liebe. Da« Mädchen war da« einzige Kind hochbetagter Eltern. * Essen, 16. Okt. In Recklinghausen wurde ein Gastwirt wegen Falschmünzerei verhaftet. Bei der Houisuchung wurden Schmelztiegel und Metalle vorgesunden. Weitere Verhaftungen stehen bevor. * Paris, 17. Okt. Blältermeldungen zufolge wurd.-n die Mörder der Halbweltdame Bruglöre in Aix le« Ban« verhaftet. Die Blätter erklären, daß da« Bekanntwerden der Namen der Verhafteten unter der Bevölkerung große Aufregung Hervorrufen wilde. Bi«her ist e« den Blättern selbst noch nicht gelungen, die Namen der Mörder zu erfahren. * London, i7. Okt. Im Auktion-lokal von Knight, Frank and Rußle, im vornehmsten Westend, wurden gestern zahlreiche Juwelen geraubt. Die Diebe batten den Geldschrank erbrochen. * Telsche«, 16. Okt. Hier erschoß sich der sehr vermögende Schneidermeister Jesef Peterka au« Bodenbach. In einem hinterlass nen Briefe gibt Peterka bekannt, daß er sein ganze« Vermögen ver graben habe, um zu verhindern, daß e« in den Be sitz seiner Verwandten gelange. * Einen ungewöhnlichen Ort zur Verübung eine« Selbstmorde« erwählte sich ein Uhrmacher in Soldin im Bezirk Frankfurt a. O. Ec erhängte sich hoch oben im Kirchturm. * Wenn ein Vater mit dem Lohne . .. Ein originelle« Heirat«gesuch findet man in einem Blatte unter der Ueberschrift „streng reell". Man liest dort folgende«: „2 Herren, Vater und Sohn, ersterer Mitte der fünfziger Jahre, von angenehmem Aeußercn, Vermögen, welcher den ersten Gesell- schasl«klaffen angehört und mehrere Ehrenämter be kleidet, letzterer, dreißig Jahre alt, Kaufmann und Fa- brikbesitzer, angenehme Erscheinung, wünschen mit vermögende» Damen entsprechenden Alter« zwecks Heirat in Briefwechsel zu treten. Diskretion zu- gestchert und erbeten . . ." Neueste Nachrichten und Depeschen vom 17. Oktober. Berlin. Der „Vorwärts" schreibt zu dem Majestätsbeleidigungsprozeß gegen den „Vorwärts": Man wollte uns prozessieren und man konnte unsere Kollegen zu härtesten Strafen verurteilen, doch der Prozeß gegen uns kehrte sich um in ein Gerichts verfahren der öffentlichen Meinung gegen die ver derbliche Krankheit der Majesiätsbeleidigungs- prozeffe, die Deutschland heimsucht. München. Minister von Podewils äußerte im Finanzausschuß auf eine Anfrage, daß das Befinden König Ottos einem langsamen Auflösen aller menschlichen Funktionen gleichkäme. Eine Besserung sei vollständig ausgeschlossen. Paris. Ueber das gestrige Diner bei Delcassv zu Ehron des italienischen Königspaares wird ge meldet: Geladen waren außer dem Präsidenten Loubet und Gemahlin die Mitglieder der Regie rung, die Botschafter und verschiedene sonstige politische Persönlichkeiten. Nach dein Essen fand eine musikalische Aufführung statt. Um 11 Uhr trennten sich die Gäste. In den Straßen fanden zu Ehren des italienischen Königspaares mehrere Fackelzüge statt. Bis tief in die Nacht hinein dauerte der Jubel. Paris. Auf eine Frage, ob bezüglich Marokkos und Tripolis ein gleichzeitiges Vorgehen Frank reichs und Italiens zu gewärtigen sei, antwortete Delcassö: „Ich denke, die beiden Schwestern werden gleichzeitig ruhig daheim bleiben." Paris. In Armentieres sind gestern wieder neue Gendarmerie-Verstärkungen eingetroffen. Das Streikkomitee ersuchte mittels Zirkular die Auf ständischen, bei dem heutigen Reverendum mit „Nein" zu stimmen. Gestern kamen wiederum 42 Verhaftungen vor. Roubaix. Die Zahl der Streikenden hat um 1000 Mann abgenommen, doch beträgt die Zahl der Ausständischen immer noch 5500. Dünkirchen. Die weiblichen Angestellten der Spinnereien sind gestern in den Ausstand getreten. Sie begaben sich gruppenweise vor die übrigen Fabriken und forderten die Arbeiter auf, gemem- same Sache mit ihnen zu machen. Brüssel. Präsident Loubet nahm die Ein ladung des Königs Leopold, dem Brüsseler Hof einen Besuch abzustatteu, an. Der Zeitpunkt des Besuches wird Gegenstand besonderer Unterhand lungen sein. London. Wie aus Portsmouth verlautet, wird der erstklassige Kreuzer „Europa", der im Jahre 1897 erbaut ist und 1l 000 Tonnen faßt, sofort zur Entsendung nach China ausgerüstet. Ein Schlachtschiff der Mittelmeerstation geht ebenfalls nach China. Als Ersatz wird der 1892 erbaute „Centurion" dem Mittelmeergeschwader zugeteilt werde». London. Der Lordmajor von London erhielt die amtliche Verständigung, daß im nächsten Jahre Kaiser Franz Josef nach England komme. Der Aufenthalt sei auf drei Tage in Aussicht genom men. Zu seinem Besuch werden in London die umfangreichsten Vorbereitungen getroffen. Konstantinopel. Wie verlautet, soll nunmehr der Sultan geneigt sein, sich mit Bulgarien auf freundlichen Fuß zu stelle«. Er habe das Ansuchen Bulgariens, mit der Abrüstung sofort zu beginnen, bereits akzeptiert. Aus diesen» Grunde unterbleibe auch die vorzeitige Einberufung der Rekruten. Sofia. Amerikanische Auswanderungs-Agenten nützen die Lage der notleidende»» Mazedonier aus und eifer»» von Saloniki aus zur Auswanderung und Ansiedelung ii» Amerika an. Viele mazedonische Gemeinden »vollen zur unionistischen Kirche über treten. Briefkasten. Herrn tz. F., Kaldenkirchen. Für den eingesandten Artikel besten Dank. Derselbe ist insofern aktuell, als sich auch in unserer Stadt — wie Sic aus dem .An zeiger" bereits ersehen Habei» werden — in diesem Früh jahre ein Martin Luther Verein gebildet hat, der den Zweck verfolgt, mitzuhelfen, daß deS großen Reformators Werk gedeihlichen Fortgang finde und daß insonderheit unseren Glaubensgenossen in Oesterreich-Ungarn in ihrem Kämpfen und Ringen nach Giaubensfreiheit und Er haltung ihres Deutschtums Unterstühung zuteil werde. Der Verein umfaßt bereits ea. 60 Mitglieder, die sich aus allen Kreisen unserer Einwohnerschaft rekrutieren. Wir werden den Artikel in einer der nächsten Sonntags- Nummern zum Abdruck bringen. — Was die andere Angelegenheit betrifft, so glauben wir in der vorlicgen den Nr. Ihrem Wunsche Rechnung getragen zu haben. Sollte sich die Sache in erhoffter Weise nicht regeln, kommen nur Ihnen mit weiteren Unterlagen ^brieflich näher. Wiederholten Dank und landsmünnischen Gruft! Die Red.