Volltext Seite (XML)
HchcnstciErnstthalcr AnzM Tageblatt für Lnhenstcin-Krnktkat, Gberlungwitz, Hersdorf, Kermsdorf, Bernsdorf, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Langenberg, Falken, Meinsdorf, Grumbach, Tirschheim rc. i E» HME "»--n— Weitverbreitetes Insertions-Organ für amtliche und Privat-Anzeigen. n Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Aus träger, sowie alle Postanstalten. Für Abonnenten wird der Sonntags-Nummer eine illustrierte Sonn- tagsbeilage gratis beigegeben. Abonnement: Bei Abholung monatlich 35 Pfg. die einzelne Nummer 5 „ Durch die Post bezogen Frei ins Haus monatlich 42 Pfg. vierteljährlich 1. M. 25 Pfg. 25 Mk. excl. Bestellgeld. Jnsertionsgebühren: die sechsgespaltene Corpuszeile oder deren Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg., für auswärts 12 Pfg. Reklame« 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt. Aunahme der Inserate für die folgende Nummer bis Vorm. LV Uhr. Größere Anzeigen abends vorher erbeten. Nr. 186. Donnerstag, den 13. August 1903. 30. Jahrgang. Die Gemeindeanlagen per III. Termin d. I. sind bis spätestens. zum IS. August lfd. Js. bei Vermeidung der zwangsweisen Beitreibung an unsere Stadtsteuereinnahme abzusühreu. Hohenstein-Ernstthal, den 1. August 1903. Der Stadtrat. W. Zeißig, stellv. Bürgermeister. St. Der am 1. August d. I. fällige II. Termin der staatlichen Grundsteuer ist mit 2 Psg. pro Einheit längstens bis zum IS. August er. bei Vermeidung zwangsweiser Beitreibung an die ylesige Stadrsteuereinnahme zu bezahlen. Hohenstein-Ernstthal, den 31. Juli 1903. Der Stadt rat. W. Zeißig, stellv. Bgrmstc. St. Das Pariser Eisenbahn unglück erweist sich nach den neuesten Nachrichten als so grauenhaft, daß einem fühlenden Menschen der Atem stillsteht. 84 Personen, zum großen Teil Arbeiter, haben den denkbar gräßlichsten Tov gefunden. An dem großen Unglück sind vor allem die Magen schuld, die aus harzigem Tannenholz be standen, das wie Zunder brannte, so daß im Augen blick alle Wagen in Flammen standen und den Tunnel mit undurchdringlichem Rauch erfüllten. Besondere Ausgänge aus der unterirdischen Eisen bahn waren nicht vorhanden, sodaß also diese hohe Zahl von Menschen hilflos umkam, verbrannte und erstickte, während hundert Meter davon die Retter standen, aber nicht zur Unglücksstätte gelangen konnten. Die Wölbung der Bahn mußte am Ende gesprengt werden, um Zutritt zu gewinnen. Die Verunglückten sahen fürchterlich aus, zum Teil waren sie rot gesotten vom heißen Dampf. Die Kleidung fiel in Fetzen vom Leibe. Es ist charak teristisch, daß man lange Zeit gar keine Ahnung hatte, daß noch Menschen in der Unglücksbahn sein könnten, bis ein Zufall darauf hinwies. Zu Dutzenden lagen die Leichen umher, die Insassen eines ganzen Wagens waren tot in demselben, in wirrem Knäuel zusammengeballt. Der Kurzschluß betraf zunächst einen leeren Zug, aber die Flam men schlugen sofort meterhoch empor, der ganze enge Raum war ein Feuermeer, lind in dasselbe fuhr ein vollbesetzter, meist mit Arbeitern ange füllter Personenzug hinein. Man kann sich die Wirkung vorstellen, es war ein Sprung in einen Feucrofcn, aus dem nur eine besonders vom Glück begünstigte Minderzahl entrinnen konnte. Die Weisungen der Schaffner konnten nicht befolgt, wohl kaum verstunden werden, die Verzweifelten stießen sich gegenseitig ins Feuer zurück. Die Leichen sehen so fürchterlich entstellt aus, daß die Persönlichkeit der meisten nicht festgestellt werden kann. Einer der auf dem Bahnhof Menilmontant diensttuenden Pompiers, der unter den ersten ge wesen mar, welche die nächst dem Ausgange der Rue des Couronnes angehäufter. Leichen fanden, erzählt: „Wenn ich hundert Jahre alt würde, dieser grausige Anblick muß mir unvergeßlich bleiben. Unsere Acetylenlampen beleuchteten ein entsetzliches Bild. Rings alles finster, denn die elektrische« Lampen waren sofort erloschen." Während der Pompier noch sprach, wurden abermals Leichen vorbeigetragen, zwei Mädchen im Alter von etwa 10 und 16 Jahren. Die Wangen der Toten waren gerötet, die Haut zeigte breite Sprünge. Eines der Mädchen hielt ein Rosenbukett krampf haft fest. Der Pompier fuhr fort: „Ich bin der Meinung, daß alle die Unglücklicher, einer Person folgten, welche den, Ausgang zustrebte. Kämpfe wie damals bei dein großen Bazarenbrande scheint es nicht gegeben zu haben. Die Aermsten müssen alle binnen wenigen Sekunden niedergesunken sein." Man denke sich den engen Raum unter der Erde von Flammen, erstickendem Qualm und einer verzweifelt um ihr Leben kämpfenden Menschen menge gefüllt, der von außen her keine Hilfe ge bracht werden kann, weil Feuer und Rauch den Zugang hindern! Welche Szenen «lögen sich in diesem Höllenpfuhl abgespielt, wie viel der Unglück lichen im qualvollen Kampfe um das kostbare Gut des Lebens auf die elektrische Leitung gestürzt sein, unfähig den Ausgang zu finden, zertreten, gestoßen und förmlich gebraten von dem elektrischen Strom! Wie ist so etwas nur menschenmöglich! Die Ant wort lautet: „Der Dämon Kurzschluß!" Die elek trische Technik hat uns so hohen Gewinn gebracht, sie hat meisterhafte Neuerungen in so vielen Ge bieten des menschlichen Lebens geschaffen, Industrie und Gewerbe gefördert, aber den Kurzschluß, diesen Zufalls-Dämon, hat sie nicht bannen können, manchen schweren Brand mit Menschenverlust hat er veranlaßt. * * * Eine uns weiter zugegangene Meldung lautet: Obwohl bereits 84 Tote geborgen sind, fürchtet man, daß noch mehr hinzukommen. Die Panik unter den Unglücklichen war fürchterlich. Alles kletterte unter Gebrüll und wütendem Gedränge aus dem Wagen, kroch und tastete bis zu einer Station und kam, wenn es gelang, halb erstickt an den Ausgang. Aus den Treppenmündungen der Stationen stieg stundenlang dichter Qualm, Hitze und Rauch verwehrten aber den Eintritt. Erst nach 8 Stunden, um 4 Uhr morgens, konnten Rettungsversuche gemacht werden, und man glaubte da noch, es seien im schlimmster. Falle ganz wenig Leute gefährdet. Die meisten Leichen sind erdrückt und erstickt. Die Aufregung in Paris ist furchtbar. * Die Fah re auf denr Stadthause weht auf halb mast. Die Leichen der bei dem Stadtbahnunglück umgekommemm Personen wurden, soweit sie re kognosziert waren, im Laufe des Tages in die Äolmung der Angehörigen geschafft. Die Direktion der Sladlbahngesellschaft behauptet, die zu der Fahrt benutzten Wagen seien feuersicher imvrägniert ge wesen. Sie könne nicht begreifen, wie die Wagen sv schnell Feuer hätten fangen können. Die Unter suchung hat ergeben, daß die beiden brennenden Züge, welche nach der Place de la Nation fuhren, in geringer Entfernung von der Station Couronnes stehen geblieben sind. Der vordere Zug war leer und bewegte den zweiten, mit Personen dicht be setzten Zug vorwärts. Da die Passagiere wußten, daß sie nicht weit vom Bahnhofe des Couronnes entfernt waren, wandten sie sich in der Hoffnung, schneller einen Ausgang zu erreichen, nach diesem Bahnhof, obwohl der Rauch sie am Sehen ver hinderte und erstickte. Daher wurde der größte Teil der Leichen auf oder in der Nähe des Perrons dieser Station gefunden. Die Reisenden, welche im Gegensatz dazu den Gedanken hatten, auf der Bahn strecke nach der Station Belleville zurückzugehen, sind bis auf 5 gerettet worden. Daß nur ein geringer Teil der Reisenden diesen Weg wählte, ist darauf zurückzuführen, daß die Reisenden aus den Anschlägen auf allen Stadtbahnhöfen wußten, daß es den Tod bringe, die Schienen zu betreten. Nur die, welche daran dachten, daß der Kontakt unterbrochen und die von dem elektrischen Strom drohende Gefahr beseitigt sei, konnten auf den, oben angegebenen Wege dem sicheren Tode entrinnen. Von der ungeheuren Volksmenge, welche sich schon den ganzen Morgen vor den Zugängen der Morgue drängt, wo die Toten hingeschafft wurden, werden Gruppen von je 10 Personen in die Säle gelassen. Hier spielten sich herzzerreißende Szene« ab. Unter den 40 dort ausgestellten Toten befand sich auch ein junger Handschuhmacher, welcher von seiner, dem Unglücklichen erst am vorigen Dienstag angetrauten Frau erkannt wurde. Der Kunstmaler Sandellon wurde von einem seiner Modelle erkannt. Der anfangs für tot gehaltene Modelleur Bonan entkam mit 30 anderen Personen längs des Bahn gleises und fand einen Ausgang an der Station „Friedhof Pore Lachaise". Eine Frau fand die Leiche ihres Mannes und Sohnes, ein Mann die Leiche von Frau, Schwester und Tochter. Ein Kommis Alfred Wermelinger ist die einzige Per sönlichkeit deutscher Abstammung, der Sozialist Guarde verlor einen Vetter, eine Familie Laurent drei Angehörige. Ganze Familiengruppen haben sich aufgemacht, um ihre vermißte« Angehörigen zu suchen. — Die Leichen kommen in weiße roh- gezimmerte Särge. Seit langem ist kein so schreckliches Unglück in Paris zu verzeichnen gewesen. Von allen Seiten fordert nm«, daß die Wagen aus weniger ent zündbaren, Material hergestellt, die Drähte isoliert und ein Abzug geschaffen werde. In dem Zuge befanden sich 350 Personen. Alle hätten sich retten können, aber sie wollten den Zug nicht verlassen, ehe der Schaffner ihnen das Fahrgeld nicht zurück erstattet hatte. 84 Menschen wurden so das Opfer von drei Sous. Der Munizipalrat hat beschlossen, die Opfer des Unglücks auf der Stadtbahn auf Kosten der Stadt Paris beerdigen zu lasten. Die meisten unter den bereits festgestcllten Verunglückten wohnten in Paris oder innerhalb der Bannmeile von Paris; nur einige wenige waren aus der Provinz. Prä sident Loubet hat an die Stadtvertretung ein Telegramm gerichtet, in dem er seiner Erschütterung und der Teilnahme Ausdruck gibt, die er an der Trauer der Bevölkerung von Paris nimmt. Der Staatsanwalt leitete gestern Vormittag nnt den Ingenieuren der Stadtbahn eine Unter suchung über das Unglück ein. Nach amtlicher Feststellung beträgt die Zahl der ans Tageslicht geschafften Opfer 84. Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Maruäjouls, traf auf der Station Menil- moutant ein, um die Unglücksstätte zu besichtigen. Auf der Station Couronnes, wo die Reisenden in dem von der Bahnhofsmauer gebildeten Engpaß eingeschlosten waren, befindet sich eine große Blut lache, in welcher Schirme und Hüte liegen. Der Zug, welcher dort liegen geblieben ist, ist nur an- geschmelt. Die Scheiben sind zerbrochen. Die Wände und Bänke am Dienstraum des Stations vorstehers haben sich durch die noch immer herr schende große Hitze verbogen und haben ebenfalls zu schwelen angefangen. Paris, 12. August. Die Behörden haben nach eingehenden Untersuchungen den Zutritt zu den 4 Stationen in der Umgebung der Unglücksstelle bis auf weiteres verboten. Die republikanische Garde wurde gestern um Mitternacht vom Dienst an der Unfallsstelle abgelöst, die Polizei übernahm den Dienst wieder. Paris, 12. August. Die „Sozietö Cyriqu" erläßt einen Ausruf behufs Organisation eines großen Wohllätigkeitsfestes, dessen Reinertrag den von dem Unglück betroffenen Personen zufließe« soll. * * Ueber die Ursache der Katastrophe wird mitge teilt : Gegen 8 Uhr erhält der Zugführer Chauvin den Auftrag, seinen beschädigten leeren Zug an einen anderen leeren Zug anzuhängen und so zum Bahnhofe unter der Place de la Nation zu diri gieren. Er handelt demgemäß, bemerkt aber unter wegs, daß unter den, Wagen bisweilen kleine Flammen aufschlagen; er hofft, noch die Station zu erreichen, aber zwischen den Bahnhöfen Menil- montant und Couronnes schlägt plötzlich, offenbar infolge Kurzschlusses, eine meterhohe Flamme em por. Im selben Augenblick erlischt im Tunnel das elektrische Licht, und dichter Rauch hüllt alles ein. Das Personal der beiden leeren Züge stürzt zum Ausgang des Bahnhofes Menilmontant, entkommt halb erstickt und schlägt Alarm. Inzwischen ist auf der entgegengesetzten Seite auf dem anderen Geleise ein Zug gekommen, der dicht mit Fahr gästen vollgepfropft war. Der Führer dieses Zuges bemerkt vor sich das Feuer und den Rauch und stoppt. Die Fahrgäste springen hinaus und suchen den Ausgang des Bahnhofes Couronnes zu erreichen. Der Qualm, der zuerst wie eine Wolke über den Boden kriecht, erfüllt jetzt bereits den ganzen Tunnel. Schon brennt das ganze Gewölbe. Tastend, kriechend und drängend kommen die Fahr gäste zur Ausgangstreppe. Mehrere sind betäubt und müssen in eine Apotheke getragen werden. Andere halten sich vor dem Billetschalter auf, fordern drohend ihr Geld zurück und versperren so den Nachdrängenden den Weg. Nach wenigen Minuten ist die Treppe so mit Rauch gefüllt, daß es unmöglich wird, hinabzusteigen. Niemand weiß, ob noch Personen unten zurückgeblieben sind. Die Feuerwehr eilt herbei, Polizei und berittene Gar disten sperren die Straße in weitem Umkreise ab. Man befürchtet das Einstürzen der brennenden Ge wölbe. Der Polizeipräfekt Lepme versucht zweimal, mit mehreren Beamten die Treppe hinabzusteigen und muß jedes«,al umkehren. Man rechnet, daß der Zug 240 Insassen gehabt hat, aber nur 50 haben sich gemeldet. Ein Arbeiter kommt weinend und erzählt, er vermisse seine Frau. Ein Feuer wehrmann mit Rauchhelm wird hinabgelassen, gibt aber sofort das Notzeichen und wird wieder hmauf- gezogen. Die Hinabgesandten Wasserstrahlen sind wirkungslos. Gegen 3 Uhr morgens erfolgte unten im Tunnel eine Detonation, und der Rauch zog in starken Schwaden ab. Nun gelang, es einzu dringen. Die mit Acetylenlampen ausgerüsteten Pompiers kamen bald mit versenkten Haaren wieder zurück. Jeder trug zwei, mancher auch 3 Leichen in den Armen. Die Gesichter der Toten waren tiefrot, wie geröstet. * * * In Berliner Zeitungen wird die Frage aufge worfen, ob bei der dortigen Hoch- und Untergrund bahn, die denselben Betrieb wie die Pariser Bahn hat, so etwas auch vorkommen könne. Der „Lok. Anz." teilt mit, die Betriebsleitung verneine das. Das „Tgbl." verlangt dagegen die Imprägnierung aller Holzteile. Keinem Zweifel kann es unter liegen, daß bei dem tückischen Kurzschluß auch die allerweitestgehenden Vorsichtsmaßnahmen nur ge rade weit genug gegangen sind. Der Aufstand in Maze donien breitet sich gewaltig aus; teils freiwillig, teils durch Todesdrohungen der Rebellen gezwungen, treten namentlich die jüngeren Leute massenhaft in die Banden ein, die blutigen Zusammenstöße mehren sich. Der furchtbare Haß, der zwischen den Maze doniern und den Türken herrscht, kommt immer mehr zur Geltung. Es wird nicht mehr gefochten, es wird massakriert. Wer die Oberhand hat, schlägt den Unterlegenen tot. Von einer besonderen Grausamkeit der Muhamedaner kann, wie man zu ihrer Ehre sagen muß, nicht die Rede sein, sie üben nach landesüblichen Anschauungen Wieder vergeltung. Es ist aber unmöglich, daß sich diese Zustände längere Zeit hinziehen können, irgend ein Eingreifen muß stattfinden, oder es entsteht ein lichter Brand. Die Dynamit-Attentate beginnen von neuem, besonders auf einsamen Posten kommen fortwährend Gewalttätigkeiten vor. Die bulgarische Regierung verwahrt sich entschieden gegen die Be hauptung, daß sie die Rebellen unterstütze; stimmt das, so tun es umsomehr die bulgarischen Grenz bewohner. Die Zerstörung der Eisenbahnen und Telegraphen dauert fort, die Gesamtzahl der Auf ständischen soll bereits an 25000 betragen, und den türkischen Befehlshabern ist es unmöglich, so fort die Truppen in die bedrohten entlegenen Gegenden zu werfen. Der Polizist Hali«, welcher den russischen Konsul erschoß, ist standrechtlich zum Tode verurteilt; aber damit ist keinerlei Gewähr für die künftige Sicherheit gegeben, die von rus sischer Seite energisch verlangt wird. So arg, wie heute, war der Sultan kaum in den bösesten Tagen des letzten Russenkrieges in der Klemme.