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1884 Nichtamtlicher Teil. 5L, 7. März ISOI. der Seite neben einem kurzen Geländer abwärts zu einer noch der Straße gehenden Glasthitr. Wenn sich die Thür öffnete und ein graubärtiger Gelehrter in langem Pelzrock und schwarzem Sammetbarett einträte, um ein Plantinschcs Buch zu erstehen — ich würde mich garnicht wundern. Niemand ist im ganzen Laden. Eine feierliche Sonn tagsstille ringsum, als ruhte die Arbeit. Doch, dort ist jemand. Eine Glaswand hinter mir trennt den Verkaufs raum von einem Kontor; darin sitzt an einem großen Eichen tische ein Mann mit Vollbart, genau so gekleidet wie der Pförtner, und — ißt! Schinken und Brot. Diese Thätigkeit, will mir gar nicht so recht in die klassische Umgebung passen. Sein Aeußercs kennzeichnet ihn als einen der Museumsdiener, die alle einem geschmackvollen Konservator ihre der Um gebung angepaßte Kleidung zu danken haben. Auch das Kontor macht den Eindruck, als sei soeben die Tagesarbeit beendigt und aufgeräumt worden. In einer Ecke steht ein altehrwürdiges Echreibpult. Darüber hängen an Nägeln — das ist Museumsauslage! — fünf Papp tafeln in Quartformat; bedruckt mit zierlichen Rändern und jedes mit Rokoko-Handschrift für seine besondere Bestimmung beschrieben: Oontss coursnts, 6ognos""°°, Oomptss ä'LcbLt, Aönwirss äivsrs, tznittsucss. Also Deckel, wie wir sie noch heute benutzen, um sie auf den Inhalt von Konten-, Brief- vder Rechnungskästen zu legen. Ein schweres eisernes Tintenfaß zeugt von fleißigen Buchsührungsarbeiten, und drei kurze Tabakspfeifen auf einem reizenden derben Aschen becher aus Schmiedeeisen deuten darauf hin, daß irgend ein rauchender Autor eine lange, wichtige Besprechung mit dem würdigen Drucker und Verleger Plantin gehabt haben muß. Mancher Autor und Freund des Hauses mag wohl in dem anstoßenden langen, schmalen Wohn- oder Mnsik- zimmer an geselligen Abenden teilgenommen haben, wenn die große Familie sich um den Kamin scharte oder auf den schwerfälligen Lederstühlen am Eichentische saß und den Klängen des alten Klaviers lauschte. Der Deckel dieses merkwürdigen Instrumentes mit Klaviaturen an zwei ver schiedenen Seiten ist ausgeschlagen, die Möbel stehen zwang los umher, die prächtigen geschnitzten Wandschränke find ver schlossen, die Wände mit wundervollen Gobelins bedeckt. Ein vornehmer, geschmackvoller Reichtum, der eine besondere Be rechtigung durch die zahlreichen, in den Zimmern verteilten Gemälde berühmter Maler, wie Rubens, van Dyck und anderer, gewinnt. Selbst Künstler in ihrer Art, hatten Plantin und seine Nachkommen Sinn für Malerei und pflegten Umgang mit den berühmten bildenden Künstlern ihrer Zeit, die gewiß für manches Familienportrait und für manches Bild eines populären Stadtherrn reiche Bezahlung erhielten. Eine Thür führt aus dem Musikzimmer unmittelbar in den Hof, neben der Thür unter der geschnitzten Veranda steht eine gemütliche steinerne Bank und etwas weiter ein prächtiger kleiner Brunnen, das Entzücken jedes Altertunis freundes. Einige Schritte um die Ecke führt eine Thür in das »Obainbro äss oorrsstsurs«. Die Korrektoren müssen wohl als Gelehrte eine bevorzugte Stellung in der alten Druckerei eingenommen haben, denn eine große Holztafel an der Wand zählt sämtliche Oorrsotsuis äo l'impriinsris Llrmtinisvns den Jahreszahlen nach aus. In der Milte eines Tisches liegen korrigierte Bogen, an einer Wand steht ein Schränkchen mit einer Anzahl kleiner Kästen, deren Aufschriften »Lar^s«, »I-onckon«, Hnittaution« u. s. w. die besondere Bestimmung dieser Aufbewahrungsorte kennzeichnen. Aus diesem Korrek torenzimmer treten wir wieder in ein kleines Kontor ein, das mit wertvoller, golddurchwirkter Tapete, kleinen Pulten, Tischchen und einem eiscnbeschlagenen Geldkasten ausgestattet ist. Es folgen mehrere Zimmer mit Zeichenbrettern, Schrift kästen und Klischceschränken. An den Wänden hängen Glas kästen mit eingesügten Proben schöner, klarer Zierschriften. Den Deutschen fesselt eine Tafel, die in alter Schrift gedruckt im letzten dieser Zimmer hängt und folgendermaßen lautet: I-g 28 cknlllst 1877 st es sonvsmr äs lsnr angnsts psssags. Kaiser Friedrich hat bekanntlich in seiner Jugend das Buchdrucker-Handwerk erlernt. Sehr interessant ist der große Setzer- und Pressensaal. Vier Reihen Setzerkästen, die sich in ihrem Aussehen nur durch das ehrwürdige Alter von heutigen unterscheiden, stehen gleichmäßig hintereinander an der Hofseite An der Straßenseite dagegen, von den Setzerkästen durch einen be quemen Gang getrennt, sind fünf große umständliche Hand pressen aus Holz und Eisen aufgestellt. Zur Orientierung des Besuchers hängt über der Thür eine Tafel mit dieser Aufschrift: »Ln 1576 Llantin trsvsksra 80N olüos äsns estts nraison. .4 ostts öpoqns il smploxa 22 prsssss. Ls 4 kko- 1867.. ^ ^ 1 Auch hier hängen an den Wänden mehrfache Erinner ungen an fürstliche Besuche, z. B. an den des Königs und der Königin von Belgien. Das obere Stockwerk, in das man über eine breite, ein fache Eichenholztreppe gelangt, macht einen ganz andere» Eindruck. Während man unten die Räume einer ruhenden Druckerei mit Kleinhandel zu sehen meint, findet man sich oben, wenigstens in einem Teile der Zimmer, in einem Museum, in dem Sammlungen wertvoller Handschriften, seltener Drucke, nicht nur Plantinscher, sondern auch deutscher, italienischer ans der berühmte» Druckerei Aldus Manntius) und französischer, nicht zu vergessen der seltenen Elzevier ausgaben, schön ausgebreitet in Glaskästen ansgestellt sind. Besondere Schätze sind zwei Exemplare der sechsunddreißig zeiligen, von Gutenberg gedruckten Bibel und die seltene Polyglotlcnbibel, die Plantin selbst im Aufträge des Königs Philipp II. von Spanien druckte und — nie bezahlt erhielt. An den Wänden hängen alte, sorgfältig gestochene Land- und Himmelskarten. Taselwerke, wie Atlanten, Biographien mit Portraits, Naturgeschichten mit vorzüglichen Pflanzen- abbildnngen unterbrechen die Reihen griechischer und römischer Klassikerausgaben. Auch Kunstgewerbe und bildende Kunst aus Plantinscher Zeit sind reichlich vertreten. Oelgemälde, meist Familienportraits, und viele Originalfederzeichnungen von Rubens, die zur Illustrierung Plantinscher Werke bestimmt waren, köstliche Gobelins hängen an den Wänden, Samm lungen alter Kupferstiche und wertvoller vlämischer Einbände aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sind sorg fältig zur Schau gestellt. Prächtige Glasschränke, die an sich schon das Entzücken jedes Altertumsfreundes bilden würden, sind mit dem zierlichsten Porzellan und aufs schönste ge schliffenen Gläsern angesüllt. Es muß eine reiche Haus-