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haben. G. bestreitet, zu schnell gefahren zu sein, indem er die Fahrgeschwindigkeit von 15 km in der Stunde nicht überschritten haben will. Auf Grund dessen, daß der betr. Fahrer nicht mit Sicherheit hat festgestellt werden können, erfolgte die Freisprechung des Angeklagten. Aus der Untersuchungshaft vorgeführt erschien hierauf der Fleischergeselle Martin Kraski aus Elbersdorf auf der Anklagebank. Ihm wird zur Last gelegt, in mehreren Fällen Geldbeträge, welche er an seinen Brotherrn, den Fleischermeister Grabner, abz-,liefern hatte, unterschlagen und das Geld für sich behalten zu haben. Der Angeklagte ist ge ständig und erfolgte heute seine Verurteilung wegen Unterschlagung in mindestens zwölf Fällen und Betrugs in einem Falle zu 3 Wochen Gefängnis, wovon 2 Wochen als durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet wurden. In der Strafsache gegen den Arbeiter Theodor Böttcher und den Klempnergesellen Karl Gabbe war nur der erstere der beiden Angeklagten er schienen. Beide sollen am Abend des 11. Mai in der 11. Stunde auf der Chemnitzer Straße sich des ruhestörenden Lärms schuldig gemacht haben. An dem betr. Abend waren die Beiden mit dem Arbeiter Schellenberger zusammengeraten und sollen dabei übermäßig laut geschrien und gelärmt haben. Aus der Beweisaufnahme geht jedoch hervor, daß Schellenberger in der Hauptsache den Lärm voll führt hat und erfolgte deshalb heute die Frei sprechung der beiden Angeklagten. Des ruhestörenden Larins und der Beleidigung sollte sich der Bergarbeiter Hermann Tippmar schuldig gemacht haben. Der Angeklagte kam am Abend des 17. Mai d. Js. die Dorfstraße in Gersdorf entlang und hat dabei in lauter Weise beleidigende Ausdrücke gegen den Schutzmann Mehlhorn, gegen welchen er von früher her einen Groll hegte, gebraucht. Ferner hat er noch den Schutzmann Ott, welcher ihm folgte, dadurch beleidigt, indem er rief: „Was für ein Dunsel kommt denn hinter uns her?" Das Schöffengericht verurteilte ihn zu einer Gesamtstrafe von 25 Mk. und Tragung der Kosten. Gerichtssaal. 8 Umfangreiche Wechselfälschungen verübte der 1850 in LampertSwalde geborene ehemalige Seminaroberlehrer, jetzige Agent Karl Albin Wald leben. Der Angeklagte ist wegen Sittlichkeitsver brechens und Betrugs schon früher mit schwerer Gefängnis- und Zuchthausstrafe belegt worden. In den letzten Jahren lebte er in Dresden und befaßte sich hauptsächlich mit der Vermittlung von DarlehnS- geschäften und Grundstücksverwaltungen. Nach seiner allerdings wenig glaubhaften Versicherung hat er hervorragend kür Offiziere Darlehen vermittelt und brachte im Anfänge den Kapitalisten, mit welchen er in Verbindung trat, ganz sichere Wechsel, welche honoriert und später auch anstandslos eingelöst wurden. AIS die Geldgeber auf diese Weise sicher gemacht waren, fälschte W. im Zeitraum von noch nicht zwei Jahren 72 Wechsel über annähernd 50 000 Mark und gab sie den Kapitalisten als Sicherheit gegen erhaltene Darlehen. Die gefälschten Akzepte sind Prolongationen, doch beziffert sich der von W. durch die Wechselfälschungen angerichtete Schaden immerhin auf 10000 bis 12 000 Maik. Nebenbei unterschlug der Angeklagte einen Geldbetrag von 729 Mk., welchen er in seiner Eigenschaft als Hausverwalter vereinnahmt hatte. In Restaurants mit Damenbedienung war der „Herr Inspektor", wie Waldleben allsenig genannt wurde, ein allge mein bekannter Gast und wegen seiner reichen Trink gelder bei der Bedienung sehr beliebt. Diese Beliebt heit benutzte er jedoch schließlich dazu, 200 Mark, welche ihm eine Kellnerin zur Ablieferung an die Sparkasse übergeben hatte zu unterschlagen. W. hatte sich gestern vor der 6. Strafkammer desAgl. Land - gerichtS Dresden zu verantworten. Bei seinem Geständnis machte sich die Abhörung der zahlreichen Zeugen überflüssig. Das Urteil lautete auf 4 Jahre 6 Monate Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust. 8 Ein Stückchen von der Handhabung der Fleischbeschau erzählt da« Organ der deutschen Landfleischbeschauer. Ein Bauer hatte in seiner Eigen schaft al« Fletschbeschauer einem Nachbarn einen Fleischbeschauschetn au-gestellt und da« Fleisch einer Kuh zum Genüsse für geeignet erklärt, obwohl er wußte, daß da« Tier tuberkulö« war. Vor der Schlachtung, so stellte sich bei der Gerichtsverhand lung herau«, halte er das Tier überhaupt nicht be sichtigt. Da« Gericht erkannte auf l Monat Gefängnis. Kleine Chronik. * Berlin, 20. Juli. Mit 140 000 Mark durch, gegangen ist nach der Nordd. Allg. Zig. der 37 Jahre alte Bankkassierer Hugo Jakobus, der aus Pommern stammte und seit 9 Jahren in dem Berliner Bank geschäft Schindler, Königgrätzerstraße, eine Vertrauens stellung inne hatte. Diese benutzleer, um nach und nach Depositen zu veräußern und mit dem Gelbe zu spekulieren. Bei einer Revision zum Schluß deS vorigen Vierteljahres hatte Schindler die Ver untreuungen entdeckt und Jakobus beurlaubt, um Mittel zur Deckung der Fehlbeträge in Pommern aufzufinden! Schindler selbst hat zur Deckung der Depots die fälligen Hypothekenzinsen in Höhe von 25 000 Mk. benutzt, weil er hoffte, daß es ihm gelingen würde, den Zusammenbruch zu verhüten. Jakobus tauchte später in Hamburg auf und ist vermutlich nach Argentinien unterwegs. Schindler fuhr ihm nach Hamburg nach und schrieb von dort an die Berliner Polizei, daß er sich daS Leben nehmen werde. Seine Leiche ist bisher nicht gefunden worden. * Fürstenberg a. O., 20. Juli. Ein Unglück, dar zwei junge Menschenleben vernichtete, hat sich hier ereignet. Beim Baden in der freien Oder geriet von zwei 12jährigen Knaben der eine an eine tiefe Stelle und versank. Sein Kamerad wollte ihm zu Hilse kommen, wurde aber von dem Ver sinkenden mit aus den Grund gezogen und mußte seine tapfere Hilfsbereitschaft mit dem Tode bezahlen. * Stettin, 21. Juli. Ein Dampferzusammen- stoß ereignete sich Sonntag abend bei Stettin, also fast am Jahrestage der Schiffskatastrophe auf der Elbe, wobei 103 Passagiere deS „PrimuS" er- tranken. Die Stettiner Meldung besagt, daß der aus Dievenow zurückkehrende, gut besetzte Dampfer „Terra" von dem Tourendampfer „Hugo" angerannt wurde und ein großes Leck erhielt. DaS Wasser drang in die Kajütte und die Passagiere vermochten nur mit Mühe daS Deck zu erreichen. Der Kapitän bewies große Geistesgegenwart; er ließ daß Schiff sofort rückwärts gehen und auf Wiesen auflaufen, sodaß der Untergang verhütet wurde. Es ist da durch unabsehbares Unglück abgewendet worden. * Falkenberg, 19. Juli. In Großmehlen h lf eine Frau dem Obstpächter beim Kirschenpflücke::. An dem Baume lehnte ein geladenes Gewehr, welches zum Schießen auf Sperlinge benutzt wurde. Unbemerkt griff ein hinzugekommenes Schulmädchen an das Gewehr, ein Schuß krachte und blutend brach die Frau zusammen. Die Schrotladung war ihr in daS Gesicht gedrungen. * Natibor, 20. Juli. Ein schwerer Unglücks fall, dem drei Personen zum Opfer fielen, ereignete sich in Kostow bei MySlowitz (Oberschlesien). Dec Stellenbesitzer Palka von dort war in seinen durch Hochwasser verschlammten Brunnen eingestiegen, um diesen zu reinigen. Als Pa^.'a nach Verlauf von etwa einer Stunde nicht wieder zum Vorschein kam, stieg ihm sein Sohn nach; doch auch dieser blieb in der Tiefe. Schließlich ließ sich ein Schwiegersohn Palkas in den Brunnen hinab. Kaum war er un'en angelangt, als er auch schon das Signal zum Hinaufziehen gab. Als er an das Tageslicht kam, bemerkten die Anwesenden, daß er bereits eine Leiche war. Palka Vater und Sohn wurden bald darauf ebenfalls als Leichen aus dem Brunnen heraufbesördert. Die Unglücklichen haben durch die im Brunnen angesammelten Gase den Erstickungs tod gefunden. * Fulda, 20. Juli. Auf eigentümliche Weise hat der im Rufe eines Wilderer« stehende 36jährige Schuhmacher Johann Kirchner in Wildflecken (in der Rhön) sein Leben verloren. Am Mittwoch war er, nach der „F. Z." mit einem Gewehr in den Wald gegangen; als er einen Mann kommen sah, wollte er dasselbe rasch verbergen, der Kolben schlug aber auf den Boden auf, wobei da« Gewehr sich entlud und die zwei Schüsse dem Kirchner die Brust durchbohrten. Er war sofort tot. * Wiesbaden, 20. Juli. Der hiesige Vertreter von Haasenstein u. Vogler, Wilhelm Lewalter, ist nach Veruntreuung von 30 000 Mk. geflüchtet. * Ulm, 19. Juli. Gestern nachmittag wurde im Gemeindebause in Steinheim, Oberamt Heiden- ):im, der Landjäger Schmid von einem Radfahrer mich 3 Revolverschüsse in den Kopf gelötet. Als Täter wird der Schreiner und Glaser Emil Fink von Pforzheim verfolgt. * Krefeld, 20. Juli. Ein schwerer Unfall er eignete sich auf dem Schulhof deS Gymnasiums. Während der Pause rannten beim Spiel zwei Quintaner mit den Köpfen gegen einander. Der Zusammenstoß war so heftig, daß einer der Knaben infolge einer schweren Gehirnerschütterung starb. * Reichenberg. Halb entkleidet und durch eine starke blutende Schußwunde in der rechten Schläfe schwer verletzt ist am Freitag nachmittag der 20 Jahre alte Kellner Oswald Schäfer, Sohn des hiesigen Gastwirts „Zur goldenen Kugel", im Walde oberhalb des hiesigen Volksgartens am Boden liegend durch den Wachmann Stracke auf gefunden worden. Auf Befragen erfuhr Stracke von dem Schwerverletzten, daß er schon abends zuvor sich den Schuß mit ein^m Revolver selbst beigebracht hatte, m Gesellschaft seiner beiden Freunde, des hier beschäftigten ^jäh rigen Handlungsgehilfen Tandler aus Habendorf und des 17jährigen Tagarbeiters Tschörner aus Reichenberg. Sie hätten vereinbart, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Nachdem er den Schuß auf sich abgegeben, seien die beiden Freunde fort gegangen und hätten den Revolver mitgenommen. Tschörner, der später angelroffen wurde, gab an, er und Tandler seien sortgelaufen, weil ihnen der Mut sank, als Schäfer zu stöhnen anfing. Tandler konnte bisher noch nicht ausfindig gemacht werden. In der Tasche des Schäfer fand man einen Brief folgenden Jnhaks: „Geehrte Eltern nnd Verwandte i Wir teilen Euch mit, daß wir alle drei gemein schaftlich in den Tod gegangen sind, da es uns nicht besch eden ist, auf dieser Welt glücklich zu sein und zu werden. (!) Wir erschießen uns alle drei einzeln und keiner trägt Schuld an dem andern. Auch gab es kein Ausreden nicht, und ersuchen wir alle Bekannten nnd Verwandten, die hierdurch Ve - lust erlitten haben, um Verzehung, insbesondere die Herren Väter (auch Mütter). Wir bitten die selben für die angetane Schmach nochmals nm Verzeihung, da uns nichts anderes übrig blieb. (!). Besser zu sterben, als unglücklich zu leben. (!) In dieser Begründung zeichnen wir (!), in, Tode noch zusammenhaltend, die Todeskandidaten gez. W. Tandler, Oswald Schäfer, Joseph Tschörner." * Bozen, 21. Juli. Die Ortschaft Villa Vana'.e im Südwestm Tirols ist säst gänzlich abgebrannt. Ein Kind wird vermißt. * Arrd, 18. Juli. An einem der letzten Nach mittage schlug eine au) 47 Leuten bestehende Pgeuner- bande vor dem Dorfs Szenl-Benedekt ihr Lager auf. In unauffälliger Wüse mußten die Zigeuner die Wohnungen der zwei reichsten Bauern aurzu- kundschasten, und als sich in beiden Häusern alles zur Ruhe begeben hatte, drangen mch.cre Zigeuner haufen in die beiden Wohnungen ein. Im Hause de« Georg Populär wurden der Besitzer und seine Frau im Schlafe mit Beilhieben erschlagen. Eben so wurde der Besitzer des zweiten Hauses, Paul Dobring, ermordet; al« seine Frau erwachte und durch da« Fenster fliehen wollte, wurde sie von den Räubern an« Fensterkreuz geknüpft. Dem Kutscher der Dobring, der aus einem Nebenraume hinzu kam, wurde der Kopf gespalten, worauf sie ihn eben falls aufhängten. Hierauf wurden die beiden Häuser vollständig aurgeraubt. Sogar die Möbel luden die Zigeuner auf ihre Wagen und fuhren noch in derselben Nacht davon. Frühmorgen« wurden die Mordtaten entdeckt. Der Verdacht der Gendarmerie lenkte sich sofort auf die Zigeuner. Die Recherchen ergaben, daß sie gegen Ujvar gezogen waren. Noch im Laufe de« Nachmittag« holte die Gendarmerie die Ztgeunerkarawane ein, die sich aber, al« sie sich verfolgt sah, sofort zur Wehr zu setzen begann. Die G-ndarmen wurden mit Nevolverschüffen empfangen und machten hierauf von der Schußwaffe Gebrauch, wobei 5 Zigeuner getötet und 15 schwer verwundet wurden. Den Gendarmen gelang es nach ha tem Kampfe, die ganze Bande zu über wältige!,. Die Toten und Verwundeten wurden aus die Wagen der Zigeuner geladen, alle anderen gefesselt und der ganze Zug dem Gerichte in Ujvar eingelieferi. * Petersburg, 20. Juli. Zu dem gestern gemeldelen Dampferunglück auf der Wolga liegen heute folgende Einzelheiten vor: Der Dampfer „Peter I." befand sich mit etwa 300 Passagieren an Bord auf der Fahrt von Rybinsk nach Kasan, als in der Nähe von Linola sich plötzlich Rauch und gleich darauf Flammen am Vorderteil des Schiffes zeigten. Der Kapitän ließ das Schiff infolgedessen am Ufer auflaufen, und zwar so un glücklich, daß der Stern deS Dampfers, auf dem sich alle Passagiere befanden, im tiefen Fahrwasfer stand, währen - daS brennende Vorderteil am Ufer festgelousen war. Es trat dadurch genau dieselbe Lage ein wie mit dem Dampfer „Wera" vor einigen Jahren, auf dem ebenfalls auf der Wolga 200 Menschen verbrannten. Durch diese Lage und den Umstand, daß die Flammen durch den Wind gerade auf die am Hinterdeck befindlichen Passagiere getrieben wurden, blieb den Reisenden nichts übrig, als in die Wolga zu springen. Allerdings wurde ein Rettungsboot vom Dampfer herabgelassen, doch sprangen so viele Menschen in dasselbe hinein, daß e« sofort umschiug. Nun bi ach eine vollständige Panik aus. Alles stürzte über Bord, und in den Fluten der Wolga b°gann ein furchtbares Ringen um Leben und Tod. Zwei Drittel der Passagiere retteten sich oder wurden durch Fischerboote gerettet, ein D ittel verschwand in den gelben Fluten und fand bei diesem Ringen ein kühles Grab. Unter d n Ertrunkenen nehmen Greise und Kinder die erste Stelle ein. * Newyork, 20. Juli. In Basin (Wyoming) wurde ein Gefängnis gestürmt. Ein Beamter wurde getötet und dann zwei weiße Wärter gelyncht. * Sidney, 21. Juli. Unter den Eingeborenen in der Nähe von Pam in Neu-Kaledonien ist eine Epidemie ausgcbrochen, welche für Pest gehalten wird. Bisher sind 25 Todesfälle erfolgt. Weiße sind von der Krankheit noch nicht betroffen worden. Die Blüte des Bagno. Roman von Goron und Emile Gautier. 17. Fortsetzung. (Nachdruck verboten). 6. Kapitel. Nach und nach hatten sich die Salons geleert, eS war spät geworden, und nur einige Vertraute, mit denen er intimer stand, blieben um den Baron zurück. Sie erwarteten die Erfüllung einer anderen Glücksverheißung, eine kluge Kombination für den folgenden Börsentag. Als man sie so um ihn sah, hätte man sie für hingebungsvolle Jünger eines Gottes halten können. Der Herr von Saint-Magloire — war er denn nicht für sie ein Golt, für diese Anbeter des goldenen Kalbes? War nicht jeder seiner Aus sprüche eine Prophezeiung? Niemals Halle er sich in seinen Voraussagungen geirrt. Er leitete den Markt nach Belieben, mit einer Handbewegung be schwor er Hausse und Baisse und säete um sich her Vermögen oder Ruin! Niemals war Saint-Mag- loire so lebhaft im Zuge, gewesen wie an diesem Abend, und seine intimsten Bekannten verließen ihn enthusiastisch und berauscht von den fabelhaften Träumen, in die er sie gewiegt. In seinem Schlafzimmer erwartete ihn sein Kammerdiener, um ihm beim Auslleiden behilflich zu sein, aber er hieß ihn schlafen gehen, da er sich ganz allein seinen Gedanken hingeben wollte. Sobald sich der Bediente zurückgezogen hatte, lehnte sich Saint-Magloire behaglich in einen Fauteuil zurück, nahm aus seiner Westentasche ein Papier hervor, das sorgfältig gefallet war, las es durch und machte ein sehr zufriedenes Gesicht. Dann er hob er sich, brachte das Papier der Kerzenflamme nahe und warf die Asche in den Kamin. „Sieh, sieh," murmelte er. „Das war, glaube ich, ein guter Tag! Nie könnte jemand auf den Gedanken kommen, daß der Baron von Saint-Mag loire dem Unfall von Beuzeville-Bröaulö nicht fern steht. Gut gespielt, Baron. Kein Wölkchen trübt den Horizont, die Zukunft ist Dein." Seine Augen blieben in diesem Augenblick auf seinem eigenen Bild haften, daS ihm im Spiegel, einem Meisterwerk der Ciselierkunst, entgegenleuchtele — und er lächelte sich selbst zu. Dann ließ er seinen Blick rund durch das mit auserlesenem Ge- schmack ausgestattete Zimmer schweifen. Niemals hatte er eine solche Befriedigung am Wohlleben empfunden, einen solchen Eigcnstolz und solches Glück über all den Luxus, der ihn umgab. Eine fast tierische Trunkenheit bemächtigte sich seiner. „Ah, ah," scherzte er. „Nr. 883 hat wirklich seinen Weg gemacht!" Er steckte sich eine Havanna an, lehnte sich im Fauteuil zurück und folgte mit zerstreutem Blick den Ringelwölkchen, die in launigen Spiralen der Decke zustiegen. Der Baron dachte nach. Ein ganzer Roman zog an ihm vorüber, eine Reihe wunderbarer Aben teuer, die zugleich der Feder eines Balzac, eines Jul s Verne und eines Gaborian würdig gewesen wären. Gleichsam ein Zuschauer, wohnte er dem ganzen Drama dieser stürmereichen und interessanten Existenz bei, deren Kühnheit und List nur in der außer ordentlichen Glücksbegünstigung ihres Gleichen fand. DaS erste Szcnenbild stellte die Badeanstalt Biarritz dar. Der seinen Träumen nachhängende Mann sah sich in Biarritz in Gesellschaft eine- herrlichen Geschöpfs, daS seine zauberhaften Augen und großherrlichen Manieren bestochen, ein präch tiges Leben führen, bis er eines TageS, fröhlich und nichtsahnend auS seinem Landauer steigend, von zwei Geheimpolizisten verhaftet wurde — er, Gaston Roze >, der heutige Baron von Saint-Magloire! In schärfster Bewachung brachte man ihn nach Paris, und nie wurde ein Gefangener schärfer be wacht. Seine kühne Flucht während seiner letzten Hast rechtfertigte die Vorsicht. Rozen begriff, daß er k"ine Aussicht hatte, der Strafe zu entgehen. Er zeigte sich ergeben und reuig und warf die ganze Schuld für sein Verg°hen auf die schlechte Erziehung, die er genossen. Er weinte und klagte so meisterlich, daß die Richter nicht das Maximum des Straf maßes auf ihn anwandten. Und dann der Urteils- sprucp, die Einkerkerung auf der Insel de Rö, die Ab eise der zur Zwangsarbeit Verurteilten auf einem militärischen Transportschiff, die Ueberfahrt im Zwischendeck, mitten unter hundert, wie Tiere hinter eisernen Gittern eingepferchten Elenden, von Schildwochen mit dem Gewehr im Arm bewacht. Die Ueberfahrt nach Cayenne! Dies alles zog am Auge des Barons vorüber. Ein Anflug von Zorn glänzte in seinen Augen, eine Falte teilte seine Stirne. Er sah jetzt Rozen, den lebhaften Gentle man, den gefeierten Don Juan, in der schänd lichen Sträflingskappe, mit glattrassiertem Kopf, einen traurigen Angehörigen der rohen Truppe der Galeerensklaven, von den Wächtern gepeinigt, von den schändlichen Gefährten schief angesehen — weil sie ihn anfangs für einen posierenden Schauspieler hielten. Und jeden Tag mußte er unter Aufsicht brutaler Wärter in der Hitze der Tropensonne sich zu den härtesten Verrichtungen demütigen; seine zarten und früher so wohlgeformten Hände trugen von der Arbeit Verletzungen davon, seine schöne Gesichts farbe wich einem dunklen Erdbraun ... AIS Rozen in Cayenne ankam, war seine bange Frage, wo man ihn unterbringen würde; er hatte gehofft, daß man ihn auf dem Festlande ließe, wo daS Leben der Sträflinge weniger hart und ein — Entkommen möglich war. Die Strafkolonie Guyana teilt sich in mehrere Deportationsdistrikte: Cayenne, Couron und die Iles du Salut. Die letzteren heißen Teufelsinsel, St. Josef und KönigSinsel. Auf St. Josef und der Ile Royale sind die gefährlichsten, unverbesser lichen und „namhaften" Verbrecher untergebracht, die bei ihrer Ausreise aus der Hauptstadt einer ganz besonderen Aufsicht empfohlen werden. Dort ist die Behandlung hart, die Aufsicht unerbittlich und die Flucht eine Chimäre. (Fo-sc)ung so'gt.) Neueste Nachrichten un- Depeschen vom 21. Juli. Berlin. Die Morgenblättcr widmen dem Papst säm'llch tiefempfundene Nachrufe, in denen sie ihm in der Geschichte de« Papsttums einen der vordersten Platze einräumm; wennglc ch sie auch über oie Fehler seiner Polilik nicht hinweggchen und daraus ver- wc'.sen, daß diese lediglich der katholischen Kirche zu Gute kam. Die mit einem Traue.rand ver sehene „Ge mania" führt au«: Wie wenige seiner Vorgänger, verstand er Leo XIII., die Verehrung, Anhänglichkeit und Liebe seiner Kinder sich zu er werben. Nachdem das Blait seine hohen Eigen schaften und Verdienste um den päpstlichen Stuhl geschildert, schreibt cs noch: Der Papst war ein Fuy^cr de« Volker, groß in Kunst und Wissenschaft und g oß als Mensch und Christ. — Die „Post" schildert die herzlichen Beziehungen, die sich an den Ve kehr des Kaisers mit dem Papste geknüpft haben, weiler meint dar Blatt, daß Nampolla ziemlich un umschränkt he.rschle. Auch der „Vorwärts" hebt die Verdienste des Papstes hervor. Rom. Kardinal O eglia ha! in seiner Eigen schaft al« Camerlcngo die Vertretung der heiligen Stuhles übernommen. Gegen Abend werden Mazzoni und Lapponi mit 4 weiteren Aerzten die Einbalsamierung des Köiprrs vornehmen. Der Körper der Papste» ist derart zusammengeschrumpft, daß die früheren Gesichtszüge nicht mehr zu er kennen sind. Nom. Kard nal Oregfia hat beschlossen eine Untersuchung einzuttilen über die in den letzten Jahren aus dem Vatikan verschwundenen 30 Mill. Lire, welche angeblich zur Zahlung von Dividenden verausgabt woiden sind. Außerdem sollder Kardinal beschlossen haben, die Urheber eines im Vatikan begangenen großen Diebstahls der Polizei zu überliefern. Parrs. Nach hiesig:., Blätter Meldungen ist Ka dinal Oreglia entschlossen, die früheren Uebe» lies rungen zu befolgen und sich bei Abhaltung deS Konklaves auf die Formalitäten be'm früheren Konklave zu beziehen. Der Tod deS Papstes wird vom St. P-üeiZdom herab offiziell verkündet werden. Dii-L' iche wi- d >ii der Sixtinischen Kapelle aufgebahrt. Rom. Dem „Gio.nale d'Jtalia" zufolge soll der Papst ein politisches Testament yinterlasseu haben bet ', die Vorkehrungen zum Konklave. * * Budapest. 2000 Arbeiter aus den Eisenwerken der österreichisch-ungarischen Staatsbahngesellschast in Anina sind gestern in den Streik eingetreten. D e übrigen 3000 Arbeiter aus dem Werke dürften ihren Kameraden in den Ausstand folgen. Die Arbeiter sordem die Abschaffung der drückenden Kontrolle und eine Erhöhung des Grundlohnes. Aus Teme.war sind zwei Kompagnien Soldaten nach Anina abgegangen. Vorläufig herrscht noch Ruhe. Be'grad. Hier ruft die fortwährende Ent lassung von Beamten und Offizieren große Miß stimmung gegen die Regierung und den König hervor. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß sich diese Mißstimmung in einem ernsten Ereignis Luft macht. Saloniki. Nach Meldungen aus Nesküh wurden 9 Bulgaren, darunter mehrere Notabeln, aus der Haft entlassen.