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HchtnsttiMrOhalcM Tageblatt für Lohenstein-Krnsttßal, Gberlungwih, Heisdorf, Lermsdorf, Acrnsdorf, Wilstenbraud, Ursprung, Mittelbach, Langenberg, Falken, Meinsdorf, Grumbach, Tirschheim rc. Weitverbreitetes Insertions-Organ für amtliche nnd Privat-Anzeige«. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Aus träger, sowie alle Postanstalten. Für Abonnenten wird der Sonntags-Nummer eine illustrierte Sonn tagsbeilage gratis beigegeben. Abonnement: Bei Abholung monatlich 35 Pfg. die einzelne Nummer 5 „ Durch die Post bezogen Frei ins Hans monatlich 42 Pfg. vierteljährlich 1. M. 25 Pfg. 25 Mk. excl. Bestellgeld. Jnsertionsgebühren: die sechsgespaltene Corpuszeile oder deren Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg., für auswärts 12 Pfg. Reklamen 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt. Annahme der Inserate für die folgende Nummer bis Vorm. 10 Uhr. Größere Anzeigen abends vorher erbeten. 30. Jahrgang. Mittwoch, den 10. Juni 1903. Nr. 131. Nach Ablauf der zur Zahlung des 1. Termins Staats-Einkommensteuer gesetzten dreiwöchigen Frist werden Säumige nochmals darauf aufmerksam gemacht, daß nunmehr das geord nete Mahn- und Beitreibungsversahren einzuleiten ist Ho h e nst ei n - E rn st t h al, den 6. Juni 1903. Der Stadtrat. Ur. Polster, Bürgermeister. St. Die Gcmeindeanlagen per H. Termin 1003 sind bis spätestens zum 10. Juni 1003 bei Vermeidung der zwangsweisen Beitreibung an unsere Stadtsteuereinnahme zu bezahlen. Hohenstein-Ernstthal, den 6. Juni 1903. Der Stadtrat. I)r. Polster, Bürgermeister. St. UMM LckkmktiikO Hchtchin-WAl. Donnerstag, den 11. Juni a. c., bleiben die Geschäftsräume wegen Reinigung ge schlossen. Dringliche Sachen werden vormittags von 10 bis 11 Uhr expediert. H oh en st ei n - Ern st tha l, den 8. Juni 1903. Der Borstand. Emil Riedel. Der Tag der Reichstags wahl steht unmittelbar vor der Tür. Die Zentral organisationen haben ihre Schuldigkeit getan, und es kommt jetzt nur noch darauf an, daß auch die Lokalorganisationen genau funktionieren. Aus die Kleinarbeit der Bearbeitung des lehren Wählers kommt es wesentlich an. Die politischen Führer jedes einzelnen Ortes müssen ihre Vertrauensmänner erkoren haben, die letzleren müssen jeden einzelnen Wähler ihres Bezirks kennen und in der Lage sein, den etwa Säumigen zur Ausübung des Wahlakls herbeizuholen. In dieser Beziehung kann garnicht genug geschehen, wenn am 16. Juni alles nach Wunsch klappen soll. Denn das hat langjährige Erfahrung bewiesen, daß häufig ganz nichtige Gründe Wahlberechtigte an der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte und Pflichten am Tage der Wahl gehindert haben. Da ist es denn sehr gut, wenn die Lässigen und Zögernden mit einem ge linden Zwang zur Wahlurne herangeholt werden. Es darf bei den bevorstehenden Wahlen nicht wieder so sein, wie es bei denen des Jahres 1898 war, daß die Partei der Nichtwähler größer ist als die beiden größten Parteien zusammen. Das Wahl recht ist das höchste politische Recht des Staats bürgers; wer des Wahlrechts für verlustig erklärt wird, das ist ein Mensch, den wir uns nicht zu nahe kommen lassen möchten. Sollen wir uns nun selbst dieses höchsten Bürgerrechts für verlustig erklären, indem wir auf dessen Ausübung frei willig verzichten? Es wird so viel über den schlechten Besuch der Reichstagsverhandlungen ge sprochen und geschrieben, es wird über die Pflicht vergessenheit der Abgeordneten raisonniert und daraus hingewiesen, daß derjenige, der sein Mandat nicht pflichtgemäß wahrnimmt, der Ehre, Vertreter und Abgeordneter des deutschen Volkes zu sein, nicht wert ist. Um wieviel mehr ist aber ein Wähler, der nicht imstande ist, innerhalb 5 Jahren nur ein einziges Mal im Interesse der Gesamtheit die wenigen Schritte bis zum Wahllokal zurück zulegen, unwürdig des Rechtes, die Wahl über haupt ausüben zu dürfen. Es fit alles andere eher als erhebend, daß solche Gedanken auch nur aufsteigen und ausgesprochen werden können; aber die politische Gleichgiltigkeit ist im deutschen Reiche leider noch immer so stark vertreten, daß der Appell an das politische Gewissen gar nicht scharf genug zum Ausdruck gebracht werden kann. Wir wissen alle, daß gerade den Wahlen vom nächsten Dienstag eine ganz besondere Bedeutung beiwohnt. Niemand kann die Tragweite der Ent schlüsse, die der künftige Reichstag unter der Han delsvertragsfrage zu fassen haben' wird, auch nur einen Augenblick unterschätzen. Die Nachwirkung dieser Entschlüsse wird um so größer sein, als bei nahe kein Zweifel mehr daran besteht, daß, wie der ganze europäische Kontinent und die Vereinig ten Staaten von Nordamerika, so ganz besonders Deutschland in ernste handelspolitische Auseinander setzungen mit England wird eintreten müssen. Gewinnt es nicht täglich mehr den Anschein, als würden sich die südafrikanischen Kolonien Eng lands zu einem Zollverein zusammenschließen, mit dem Mutterlande besondere Abkommen auf Gegen seitigkeit treffen und damit der übrigen Welt den Zollkrieg erklären? Kanada tut das Gleiche, auch Neuseeland bekundet Neigung zu Vorzugstarifen mit England. Bleibt nur noch Australien übrig, das sich bisher noch sträubt, am Ende aber doch auch nicht den Spielverderber machen wird. Die wirtschaftlichen und handelspolitischen Verhältnisse der Welt würden mit demselben Augenblick, in dem diese außerbritischen Pläne Chamberlains zur Ver wirklichung gelangten, ein vollkommen verändertes Aussehen gewinnen. Der neue Reichstag wird die Waffen zu schmieden haben, mit deren Hilfe die deutsche Industrie und der deutsche Handel den schweren Stoß abzuwehren haben, der von England aus geführt werden soll. Es kann für den deut schen Bürger schlechterdings keine ernstere Mabnung geben, am Tage der Wahl seine Schuldigkeit zu tun, als den Hinweis auf die vorstehenden Eventu alitäten. Gegenüber den wichtigen Fragen, die hier auf dem Spiele stehen und die Existenz jedes einzelnen Staatsbürgers und seiner Familie be rühren, wäre Gleichgültigkeit unverzeihlich, Wahl enthaltung ein politisches Verbrechen. Das Wahl recht schließt die Wahlpflicht in sich. Wir können es nichc eindringlich genug zum Bewußtsein führen. Am 16. Juni darf kein Wahlberechtigter, der nicht durch Krankheit oder sonstige Gründe, die aber wirklich auch ein koios nmMue sein müssen, ver hindert wird, an der Urne fehlen. Und darum richten wir auch an dieser Stelle noch einmal die dringende Mahnung an alle unsere Leser, die sich im Besitze des höchsten politischen Rechts, das es gibt, des Wahlrechts, befinden: Auf zur Wahl! Wer sich selbst achtet, der fehle nicht am 16. Juni! Dev Pestfall in Bevlin. Der Arzt darf keine Furcht vor Ansteckungen haben; er kann täglich mit Patienten zu tun be kommen, die an ansteckenden Krankheiten leiden, und ist daher ständig der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt. Es ist, pflegte der Geh. Nat Gerhard in seiner Klinik den Praktikanten zu sagen, diese oder jene Krankheit, wie Sie sehen; die Krankheit ist äußerst ansteckend, Sie können sie auch be kommen, Herr Kandidat! Und wehe dem Jünger Aeskulaps, der bei dieser stets kräftig auszestoßenen Behauptung auch nur mit den Wimpern gezuckt hätte. Der nun auch schon Heimgegangene große Kliniker hätte seinem Schüler sicherlich in sehr energischer Weise den Rat erteilt, sich einen anderen Lebenslauf zu wählen, denn zum Arzte tauge er nichts. Aehnlich, ja eigentlich noch schlimmer, sind diejenigen Mediziner daran, die sich nicht der Praxis, sondern der wissenschaftlichen Forschung widmen. Der traurige Fall des in Berlin an der Lungenpest verstorbenen Dr. Sachs ist ein er schütternder Beweis für diese Behauptung. Der junge hoffnungsvolle Arzt und Gelehrte mußte mit dem furchtbaren Pestgiste Experimente anstellen und es u. a. anderen lebenden Ratten einimpfen, einesteils um die Diagnose von Pesterkrankungen zu fördern und andernteils, um womöglich ein Spezifikum zu entdecken, das sich als ein wirksames Gegengift gegen die furchtbaren Pesterreger erweisen könnte. Selbstverständlich sind die Einrichtungen in denjenigen Laboratorien, die so gefährlichen Forschungen dienen, nach allen Regeln der Wissen schaft getroffen. Diese beruhigende Tatsache wird schon durch den Umstand erwiesen, daß trotz der schweren Ansteckungsgefahr Infektionen verschwin dend selten sind. Bestätigt sich die Angabe, daß der unglückliche österreichische Arzt eines leichten Hautriffes nicht achtete, den er sich mit einem bei seinen gefährlichen Experimenten benützten Instrumente zuzog, dann hat der kühne Forscher, der ja freilich jede Schuld durch seinen frühen Tod gesühnt hat, den bestehenden Vorschriften nicht vollkommen genügt. Und jede, auch die geringste Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit kann sich auf dein Gebiete der Pestersorschung wie anderer ähnlicher Krankheiten nur gar zu leicht auf das Bitterste rächen. Alle Personen und Gegen stände, mit denen der Erkrankte bis zu seiner Be förderung in die Isolierbaracke noch in Berührung gekommen ist, können infiziert worden sein. Das gesamte Meublement der Wirtin des unglücklichen Forschers mußte sofort bis auf den kleinsten Rest verbrannt werden, die Personen, die direkt oder indirekt mit dem Erkrankten in Berührung gekommen waren, sind in Baracken isoliert worden. Da bis her alle Personen, die der Gefahr einer Ansteckung hätten ausgesetzt gewesen sein tonnen, wohlauf sind, so darf man die Hoffnung hegen, daß sich der furchtbare Fall auf ein Opfer beschränken wird. Aber man bedenke, wie viel Angst und Sorge, wie viel Mißhelligkeiten und Verluste seine Folgen ge wesen sind. Da der Berliner Pestfall auf amt lichem Wege auch sofort allen ausländischen Re gierungen bekannt gegeben werden mußte, so kann man sich hier und da auch noch auf arge Ent stellungen und Uebertreibungen gefaßt machen. Es unterliegt keinem Zweifel und kann auch von der Oeffentlichkeit verlangt werden, daß die bestehenden Vorsichtsmaßregeln im Interesse der Gesamtheit, wenn möglich, noch weiter verschärft werden. Ein kleiner Trost ist es, daß das Unglück keinem deutschen, sondern einem ausländischen Forscher begegnet ist, obgleich die Wirkung des Falles dadurch nicht be einträchtigt und das Urteil über ihn in nennens werter Weise nicht geändert wird. Das Wohl des Ganzen ist das oberste Gesetz der Medizin, dies Gesetz muß auch bei den wissenschaftlichen Unter suchungen die Leitschnur jedes Forschers sein. Die Schiffskatastrophe bei Marseiile. Ueber den verhängnisvollen Zusammenstoß der Dampfer „Liban" und „Jnsulaire" auf der Höhe der Insel Maire sind weiter folgende Nachrichten eingegangen: Marseille, 8. Juni. Vor den Bureaus der Gesellschaft Fraissinet, welche geschloffen sind, steht eine dichtgedrängte Menschenmenge, welche genaue Nachrichten erwartet. Da die Passagierliste des „Liban" nicht vor der Ausfahrt der Hafenpolizei übergeben wurde, ist die genaue Zahl der Reisenden noch nicht bekannt. Bisher sind 28 Leichen ge borgen ; von diesen wurden nur vier amtlich identifiziert. Bei dem Untergang des Schiffes, das nach vorn sank, drängten sich die Reisenden nach dem Hintern Teil zusammen; dieser war mit einem Zeltdach überspannt, das gleichsam wie ein Käsig die Unglücklichen sesthielt und in den Strudel hinabzog, was nach Aussage eines Augenzeugen, der neun Personen rettete, ein furchtbarer Anblick war. Der „Liban", ein 1883 in England gebautes Schiff mit 3000 Tonnen Gehalt, sank nach Aus sage des Kapitäns der „Jnsulaire" innerhalb zehn Minuten. Der Vorderteil des Dampfers „Jnsulaire" ist erheblich beschädigt. Ein Seemann, welcher sich zum Besuche seiner Angehörigen nach Bastia begeben wollte, erzählt über das furchtbare Unglück: „Wir saßen seelen vergnügt bei Tische, da ertönte die Sirene. Ich war einer der ersten, welche an Deck stiegen, weil mir ein Sirenensignal bei dem herrschenden Pracht wetter seltsam erschien. Kapitän Lacotte, der bei der Tafel präsidierte und die Führung des Schiffes seinem Stellvertreter anvertraut hatte, erschien nach mir oben. Ich erkannte sofort die Gefahr und wußte, da ich wiederholt die Ueberfahrt gemacht habe, daß her „Liban", welchem der „Jnsulaire" in gerader Linie entgegenfuhr, einen ganz unregel mäßigen Kurs hatte. Er durfte erstens der Felsen spitze von Maire nicht so nahe kommen und zweitens nach erfolgter Signalisierung des „Jnsulaire" nicht aus Steuerbord halten. Infolge der mir konfus und zwecklos erschienenen Anordnungen Lacottes entschloß ich mich, ihm zuzurufen: „Kapitän! Ich alarmiere die Passagiere!" und schrie, ohne seine Antwort abzuwarten, hinunter in die Kajütten: „Alles an die Rettungsboote!" Ein furchtbares Gedränge entstand unten auf der Treppe. Die Rücksichtnahme auf die Kinder, welche man nicht niedertreten wollte, verzögerte um einige Minuten den Beginn des Rettungswerkes. Dann zeigte es sich, daß die Taue der Rettungsboote den Versuchen, sie zu durchschneiden, widerständen. Und von sechs Booten konnte — so verzweifelt kombiniert war der Verschluß — nur eins losgemacht werden. Ich vermochte eine Frau und zwei Kinder rasch in das Boot aufzunehmen und einen Felsen zu erreichen. Unterwegs hörten wir den schrecklichen Anprall, welcher den am Vorderteil getroffenen „Liban" zweihundert Meter von der Kollisionsstelle weg schleuderte. Zu meinem Entsetzen sah ich den „Jnsulaire" seinen Kurs fortsetzen, ohne auch nur ein Rettungsboot herabgelassen zu haben. Ich ruderte zur Unfallstelle, rettete noch vier schwimmende Personen und barg sechs Leichen." Einem Pariser Telegramm der „Voss. Ztg." entnehmen wir: Zwei gerettete Reisende deS „Liban", beide Seeleute von Berus, erheben schwere Anklagen gegen die Kapitäne. Der des „Liban" wird beschuldigt, daß er, als er den „Jnsulaire" auf ihn zuhalten sah, wie verrückt hin und herlief, eine Menge krauser Befehle in die Luft hinaus schrie, jedoch nicht daran dachte, eine leichte Steuer wendung zu befehlen, die den Zusammenstoß ver hütet hätte. Von sechs Rettungsboten, die der „Liban" führte, konnten fünf trotz zehn Minuten langer Bemühungen nicht losgemacht werden, nur ein Boot gelangte ins Wasser. Noch schlimmer liegt der Fall des Kapitäns des „Jnsulaire." Sein Schiff war nur ganz un erheblich beschädigt, alle seine Schotten blieben dicht und er konnte ohne Ungemach nach Marseille ge langen, gleichwohl machte er nicht den leisesten Versuch, dem „Liban" beizustehen, sondern fuhr uninittelbar nach dem Zusammenstoß mit vollem Dampf weiter! Diesem Verhalten ist wahrschein lich die Hauptschuld an dem furchtbaren Verlust von Menschenleben zuzuschreiben. Wäre der „Jnsulaire" am Orte des Unglücks geblieben und hätte er seine Boote ins llöasser gelassen, so wären bei der ölglatten See, dem Hellen Mittag und der Nähe des Landes voraus sichtlich alle Schiffbrüchigen gerettet worden. Die Zahl der Toten wird auf 117 angegeben, doch hofft man, daß es noch einigen der Vermiß ten gelungen ist, auf Fischerbooten das Kap Croi- zette zu erreichen. Rettungslos verloren waren wenigstens 30 Menschen, die sich vor dem furcht baren Gedränge auf der Treppe des Schiffes nach unten geflüchtet hatten und dort warteten ; zu diesen gehören besonders Mütter mit ihren Kindern. Zeuge entsetzlicher Szenen war der Uhrmacher Guillaume, der 14 Personen, darunter 3 Kinder, retten konnte, indem er beim ersten Sirenen signal mit seinem Boot zur Stelle gefahren war, wo er die Katastrophe als unvermeivlich voraussah. Er brachte auch den Kapitän Lacotte und zwei Maschinisten in Sicherheit. Ein Kaufmann, der seine Frau und seine vier Kinder vor seinen Augen ertrinken sah, wurde wahnsinnig. Eine Frau machte einen Selbstmord versuch, als sie erfuhr, daß ihre 3 Kinder tot seien.