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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 28.06.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-190306280
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19030628
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19030628
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-06
- Tag 1903-06-28
-
Monat
1903-06
-
Jahr
1903
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 28.06.1903
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Beilage zum Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger Tageblatt. Sonntag, den 28. Juni 1903. Nr. 147. 30. Jahrgang. Wochenschau. Auch die Stichwahlen ,um deutschen Reichstage sind vorbei, und die in den letzten acht Tagen recht gewaltig aufgewühlt- politische Erregung kann nun mehr der sommerlichen Stille weichen. Geradeso, wie beim Kartenspiel, ist auch bei den poM.chen Wablen die nach der Entscheidung folgende Debatte wenia nützlich, aber sie wird nie vermieden, und so wird auch in den Zeitungsspalten der Kampf fortdaucrn, während sich die Wähler von den Wahl, strapaien erholen können. An Anstrengungen hat er keine Partei fehlen lassen, jede war im höchsten Grade interessiert, alle waren bemüht, etwa noch bestandene Zweifel über die Bedeutung der Haupt wahl vom 16. Juni zu beseitigen. Freilich ist die Versäumnis, welche damals Tausende von Wählern durch ihr Fernbleiben von der Urne begingen, nicht voll und ganz wieder gut zu machen gewesen, e» bleibt nur zu wünschen, daß die diesjährige Ver nachlässigung der ersten Bürgerpflicht auch die letzte gewesen sein möge. Der Deutsche verdiente sonst nicht die reichen Segnungen, welche ihm da« neue Deutsche Reich gebracht hat; unser Kaiser hatte Recht, al« er in Hamburg sagte, daß da« seit 1870/71 herangewachsene moderne Geschlecht e« sich gar nicht mehr so recht vorstellen kann, wie e« einst war, und demgemäß auch nicht versteht, welche Mühe e« kostete, den Zustand herbeizuführen, der heute al« selbstverständlich angesehen wird. Kleine Dinge werden heute im Parteistreit mit Vorliebe al« groß au«geschrieen, die wirklich großen Ereig nisse und Taten in unserer deutschen Geschichte werden al« nebensächlich behandelt. Unser Kaiser ist in Kiel, nach seinem Besuche von Hamburg und Kuxhaven, eingetroffen, und an der Begrüßung hat sich auch da« nun endlich in den deutschen Gewässern erschienene nordamcrikanische Geschwader beteiligt, da« lange genug auf sich hat warten lassen, und dessen Absendung bei dec Marlne- verwaltung in Washington erst der Präsident Roose velt mit energischen Worten bewirken mußte. Die Stimmung in der deutschen Bevölkerung ist deshalb auch nur die einer höflichen Ruhe, die Amerikaner haben un« nach allen ihnen vorr deutscher Seite er wiesenen Liebenswürdigkeiten doch etwa» gar zu lange auf ihre Schiffe warten lassen, und nicht ge nug damit, die einflußreiche deutschfeindliche Presse drüben hat sich bei jeder Gelegenheit am deutschen Reiche zu reiben gesucht. Was war das für ein gänzlich unberechtigter Spektakel in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, al« deutsche Kriegs- schiffe der Sippschaft de» Präsidenten Castro von Venezuela den Standpunkt gehörig Kar machten? Und wie jubelte man dem famosen Mr. Bowen zu, als dieser im Interesse des venezolanischen Gewalt. Haber» den dort beteiligten Mächten immer neue Steine in den Weg warf? Da» war zuweilen ein mehr wie seltsame» Schauspiel, und wenn wir dasselbe auch al« abgetane Sacke betrachten, für solche Kränkungen kann man nicht mit Jubelstürmen danken. Dem nordamerikanischen Geschwader und seinen Seeleuten in Kiel wird jede Höflichkeit und Liebenswürdigkeit zu Teil werden, auf welche sie al« Gäste de« deutschen Reiche« Anspruch haben, daß e» nicht mehr wird, daran tragen die Ameri kaner selbst Schuld. Im Au«lande wimmelte e« bi« in die aller letzten Tage noch von Ministerkrisen; für jetzt sind sie nun beseitigt, aber niemand kann sagen, ob nicht schon die nächsten Wochen wieder ein wackelndes Ministerium irgendwo auf die politische Bühne stellen. Bei den heißblütigen Magyaren übernimmt der bisherige Banu« (Statthalter) von Kroatien die Bildung de« neuen ungarischen Ministeriums, in dem er der Opposition in Sachen der neuen Hecres- vorlagen, welche namentlich die jährliche Relcutcn- zahl erhöhen wollten, Konzessionen macht. Darin liegt aber gerade die Zukunstrgefahr, die kurzsich tigen ungarischen Radikalen werden nun in ihrem Siegec-Uebermut so viel fordern, daß dem au« militärischen Gründen, im Interesse der Wehrkraft, gar nicht entsprochen werden kann, und dann ist ein neuer Krach da. In Rom regiert Herr Zanardelli mit seinem notdürftig zusammengeflickten Kabinett weiter, aber die parlamentarische Lage bleibt so unklar, daß eine Dauer de« heutigen Ministerium« bi« zum Herbst kaum zu erwarten ist. Die den ganzen Winter hindurch betriebene voreilige Reklame, daß in Italien nun alle» vortrefflich stände, hat Heren Zanardelli außerordentlich geschadet. Auch da« französische Ministerium stand hart auf der Kippe, ein Teil seiner bisherigen Freunde verweigert ihm mit einem Male die Gefolgschaft, und erst nach mancherlei Verhandlungen, Versprech ungen und vielem Zureden ist die Beseitigung der obwaltenden Schwierigkeiten gelungen. Der Präsi dent Carnot kann also nun getrost seine Londoner Reise zu König Eduard« Besuch antreten. Der seiner Regierungszeit nach „jüngste" euro päische König, Peter I. von Serbien, sitzt nun auf seinem Thron, und in der Hauptstadt Belgrad hat man e«, nach allen Berichten, bei den Empsang«- und Thronbesteigungs.Feierlichkeiten nicht fehlen lassen an Begeisterung. Zwar ist da» unter Milan und Alexander ganz genau ebenso gewesen, aber eine Wiederholung schadet ja nicht«. Seltsam muß e» nur berühren, daß in allen Reden, und bei der kirchlichen Feier selbst, so viel von Gotte« Gnade die Rede gewesen, eine Wendung, die angesicht« der gräulichen Begleiterscheinungen bei dem Köntg«morde so unangebracht wie möglich war. Peter Karage- orgewitsch ist kein König von Gotte« Gnaden, sondern durch Mörder-Hände, alle schwungvollen Ansprachen werden an dieser historischen Tatsache nicht« ändern. Von der Bestrafung der blutigen Offiziere kann unter diesen Umständen selbstver ständlich keine Rede sein, und wenn der König ein Strafgericht verfügte, so würde da« immer Schein und Blendwerk bleiben. Heute hängt den Serben der Himmel voller Geigen; die Sache wird sehr bald ander« werden, schon dann, wenn die Rechnungen für die gegenwärtigen Krönung«feierlichkeiten präsen tiert werden, kenn in Belgrad pfeifen e« die Spatzen von den Dächern, daß in der Staatskasse gewaltige Ebbe ist. Und auch König Peter wird nicht umsonst regieren wollen! Von Vertretern fremder Staaten haben sich nur der russische und österreich-ungartsche Gesandte an den Festlichkeiten offiziell beteiligt, die übrigen Staaten warten ab. Unheimlich scheint e« zur Zeit in Konstantinopel zu stehen. Es hieß, der Sultan sei ebenfall« durch eine Palastrevolution entthront, lebe aber noch und werde gefangen gehalten. Da« war nicht zutreffend, aber irgend etwa», wa» nicht schön ist, ist in Stam- bul vorgegangen und Menschenleben scheint e« reich lich gekostet zu haben. Der Orient liegt außerhalb der europäischen Kultur, noch immer, und man kann auf mancherlei gefaßt sein, was man unter normalen Verhältnissen für unmöglich halten müßte. Im Londoner Parlament dauern die Debatten fort, Herr Chamberlain bekommt dort und in den Zeitungen gar mancherlei zu hören, wa« aber seine unverwüstliche Gemütsruhe nicht im geringsten be einträchtigt. Und die kommenden Ereignisse werden zweifellos beweisen, daß ihn sein bi«herige« Glück nicht verlassen hat; Ice Chamberlain ist heute populärer, al« es der alle Gladstone in seiner besten Zeit war, und da« will viel sagen. Mit König Eduard« Gesundheit soll e« nicht zum Besten stehen, aber da bezüglich der Reise de« Präsidenten Loubet nach London nicht« geändert ist, müssen sich die Dinge doch halten lassen. Draga. Viele Männer haben sie geliebt; noch mehr, scheint es, haben sie gehaßt. Sie war also jeden falls eine ungewöhnliche Frau. Die Wut, mit der man sie vom Leben zum Tode brachte, gibt uns aber zu denken. So lange sie in der ganzen Welt nur als eine Unwürdige beschimpft wurde, weil sie sich einen jungen König durch Liebeskünste ge wann, konnte sie kein größeres Interesse erregen. Es war eine jener Skandalgeschichten, die man in der Gesellschaft zum täglichen Leben braucht. Eine ganz amüsante Geschichte war es, und mit welchem fürstlichen Prunk der junge Herr sie auch umgeben mochte, welche Kronen er ihr auch auss Haupt setzte, sie blieb doch in aller Augen eine — hm, wie sagt man es nur höflicher, als serbische Staats männer pflegen? — eine Person. Als Draga Lunjevica, verwitwete Maschin, ihren Flug zur Höhe begann, wurde sie in den Augen der Leute immer schlechter. Auch die Gelassenen und Gerechten pflegen sich einer derart Angegriffenen nicht anzunehmen, so lange sie Glück hat. Denn was kann ihr die üble Nachrede anhaben? Und als der König sie zu seiner Frau machte, da zweifelte niemand meyr daran, daß sie eine Person war. Da krachen d-e Schüsse der Verschworenen. Dreißig Schüsse scheinen nicht zu genügen, mit Säbelhieben muß dieser Leib gänzlich zerstört werden. Sie war doch nicht so unwiderstehlich schön, ihre alternden Reize konnten nicht gemeingefährlich werden. War es nicht ge nug. sie zum Lande tsinauszuwerfen ? Woher kam dieser ungeheure Ingrimm der Verschworenen? Sollte sie am Ende mehr als eine Person gewesen sein? War sie vielleicht eine Persönlichkeit ? Diese empörenden Schüsse sind das erste, was zu ihren Gunsten laut wird, und wenn es ihr auch nicht mehr helfen, ihren maßlosen oder grandiosen Ehr geiz nicht mehr befriedigen kann: eine Tatsache ist es, daß der Mord sie größer gemacht hat. Erst durch die Mörder wurde sie zu einer Königin. Als Königin Draga ist sie nun in die Geschichte eingegangen, und cs wird sich ihrer merkwürdigen Gestatt auch die Dichtung bemächtigen. Denn die Poesie lebt von nichts anderem, als von Liebe und Haß, und beides enthält das Leben der Frau Draga aus dem Hause Lunjevica in Fülle. Von Abenteuern blitzt und knistert es nur so in dieser Lausbahn, die sich doch ziemlich spät entwickelte. Sic war nicht ganz jung, als es ihr gelang, einen ersten Gatten zu finden. Ein Ingenieur mit be zeichnendem Namen, wie man ehemals in den Possen die Personen benannte: Maschin hieß der Ingenieur. Aus dem Nichts, was er ihr hinterließ, als er starb, läßt sich schließen, was er hatte und war, als er sie zum Weibe nahm. Für das besitzlose Mädchen aus der serbischen Provinzstadt mag diese Heirat dennoch schon ein Glück bedeutet haben. Die Mädchen haben ja nur ein paar Jahre Zeit und an kleineren Orten wenig Gelegenheit. Man muß durch solche serbische Ortschaften gefahren sein, um zu wissen, was es für kümmerliche Nester sind. Und da einen Mann, der kein Schmeinetreiber ist, zu erjagen, das ist wohl eine der bedeutenderen Leistungen im Männerfänge. In Cannes, in Biarritz oder in den großen Städten gehört weniger dazu, einen Gatten weitgerecht zu erlegen. Es gibt mehr Wild, mehr Gelegenheiten. Aber in solch' einer serbischen Provinzstadt! Da wechselt der jagdbare Hirsch selten, und wenn sich einer zeigt, so darf nicht gefehlt werden. Frl. Draga Lunjevica hatte offenbar diese Sicherheit. Den Maschin nahm sie aufs Korn und schoß nicht vorei. Denn wie wir diese Frau heute kennen, unterliegt es keinem Zweifel, daß nicht er sie heiratete, sondern sie ihn. So geht es wohl in den weitaus meisten Fällen zu. Die starken Männer bilden sich in ihrer un beschreiblichen Dummheit ein, daß sie wählen. Sie werden gewählt. — Es hieß ganz allgemein, Herr Maschin sei nicht der einzige gewesen, an dem sie ihre Kunst ausbildete. Wirtschaftliche Erklärungen werden herangezogen. Mit 65 Francs monatlichen Witwengehaltes hätte sie das Leben zu hart finden müssen, und sie wäre darum auf die Liebe angewiesen gewesen. Das sind Kombinationen. Ein ernster Geschichtsschreiber wird sich auf solche Erzählungen entlassener Staatsd-ener nicht gut stützen können. Das betrifft auch nur gewisser maßen die prähistorische Zeit. In das volle Licht der Weltgeschichte tritt Frau Draga erst, wenn sie der armen Königin Natalie die Schuhe zuzuknöpfen beginnt. Welche Stellung hatte nun die verwitwete Maschin bei der Cx-Königin Natalie? Die offi ziösen Verfasser einer Draga-Legende, die aus dem Getreidehändler Lunejevica im Handumdrehen einen Wojoden zu machen imstande waren, als plötzlich ein Stammbaum dringend benötigt wurde, diese tceffl'chen Dichter lassen die Witwe Maschin als Hofdame in Biarritz auftreten. Es steht dagegen das Zeugnis der Königin Natalie, welches diese auf eine offene oder mehrere offene Postkarten ge schrieben hatte: daß ihre Schwiegertochter ihre Kammerfrau gewesen sei. Dies ist zwar eine pri- mitive Art der Veröffentlichung, aber sie genügt zur Erhärtung der Tatsache, daß Königin Natalie die Königin Draga vor der Vermählung mit Kö nig Alexander nicht für unwürdig hielt, ihr die Schuhriemen aufzulösen. Ueber dieses sonst zur Heiterkeit auffordernde Verhältnis der beiden Frauen wollen wir übrigens nicht scherzen, denn die eine ist heute eine lief unglückliche Mutter, und die andere hat alles reichlich gebüßt. Es ist auch zur psychologischen Beurteilung des Falles nicht sehr wichtig, ob Draga Hofdame oder Kammerfrau war; welche Funktionen sie auch hatte, sie konnte unter gewöhnlichen Umständen höchst ns daran denken, den Thron abzustauben, nicht aber ihn zu besteigen. Welche seelischen Eigenschaften mußte ein Weib haben, das in so n'ederer Stell ung ihre Pläne so hoch fliegen ließ. Scharf hatte sie beobachtet, bevor sie das Kühnste unternahm. War nicht im Grunde genommen auch Dragas Beginnen eine Palast-Revolution? Sie wußte, wo die königliche Macht ruhte, und so ging sie vor das richtige Schlasgemach. Bl eb es der Mutter Natalie verborgen oder drückte diese die Augen zu, wcil ja die Erziehung eines Fürsten vielerlei erfordert? Die Dienerin ward eine Herrin, wie man auf Französisch sagt. Erst war sie Herrin zur Linken, dann ging sie mit Macht aus die rechte Seite hinüber. Nuc ein paar Stu fen, und sie war auf dem Thron. Hier wird diese Gestalt großartig. Herrinnen zur Linken gab es zu allen Zeiten genug. Sie kannten ihren Schwächling ooer Lüstling und beherrschten ihn in aller Stille. Sie begnügten sich mit allen An nehmlichkeiten der Macht, mit den Genüssen und Lustbarkeiten. An Höflingen fehlt es keiner hoch gesunkenen Frau, und sie kann alle Schlüssel, die es ibr beliebt, den adeligsten Leuten hinten an hängen. Das aber war nicht der Geschmack dir stolzen Draga. Sie wollte das verstohlene Be hagen nicht; ausbreiten wollte sie cs, ausbreiten im Sonnenlicht. Man sollte es erfahren, an ihrem Geburtsorte Gornj'-Milanovatz, aber auch in Schabatz und in Belgrad und in Biarritz. Und nicyt nur die Jugendfreundinnen in Schabatz, auch alle Hofdamen und Kammerfrauen, mit denen man auf den Reisen zusammengekommen war, soll en es hören und — bersten. Sie wollte sich nicht umsonst mit dem König geplagt haben, sie woll e auch den Triumph haben ; beneidet wollte sie wer- den. Und darum sollte dieser junge König nicht im mauersarbenen Mantel nächtens zu ihrem Hause schleichen; nein, im vollen Krönungsornate, den güldenen Reisen auf dem Haupte, so sollte er mittags um sie werben kommen und sie vor den Altar führen, wie im Märchen. Denn auch in den Märchen geht es manchmal anfangs armselig zu, man leidet Hunger, muß niedere Dienste ver richten, man ist eine Magd, bis der Königssohn erscheint — und dann ist gleich die Krönung. Aber die ehrgeizige und märchenlüsterne Draga hatte nicht verstanden, daß die Menschen solche Märchen in der Wirklichkeit nicht lieben. Sie hatte nur mit dem schmeichelhaften Neide von Gornji-Milanovatz, Schabatz, Belgrad und an deren Ortschaften gerechnet; nicht auch mit dem Hasse, den ihr Glück erregen mußte. Draga wurde enttäuscht. In ihrer Anschauung der Dinge war ein eigentümlicher Fehler gewesen, ein Kammer- srauen-Fehler. Sie hatte nämlich wahrgenommen, und zwar unwiderleglich, daß all die Herrschaften auch nicht mit der Krone zu Bett gingen, daß sie zankten, eifersüchtig und betrogen, schwach und reizbar, unschlüssig, unbeständig, töricht, kurz, daß sie Menschen seien, ebensolche Menschen, wie man sie in Milanovatz oder in Schabatz findet. Und e'.n Thron ist schließlich auch nur ein Armlehn stuhl, allerdings höher gestellt und reicher ver goldet. Sie verstand nicht, daß ein Thron mehr ist, als man mit den Augen sehen und mit einem Flederwisch abflauben kann. Es gab für sie nur einen Weg zu diesem ungreifbaren Throne: sie hätte wie eine Büßerin leben, die demütigste, hilf reichste Magd im Lande werden, ihre Tage in den Hütten der Armen, an den übelriechenden Betten der Kranken verbringen müssen. Aber so verstand sie die Rolle einer Königin nicht; sie meinte, das Königtum bestehe in Spitzen aus Valenciennes, großen Perlen, Seidenstrümpfen, Brokatkleidern und einem Depot in der Bank von England. Wenn man aus Milanovatz ist, darf man diese Auffassung nicht haben. Es war ihr Kammer- frauen-Jrrtum, an dem sie zu Grunde ging. Denn als sie den Haß um sich herum steigen fühlte, da griff sie zu noch verkehrteren Mitteln, um sich zu rettcn. Sie wollte, wie sie es in ihrer früheren Beschüst gnng manchmal vor sich gesehen hatte, nicht nur Königin gein, sondern auch aus einem königlichen Hause stammen. In dieser Lage waren wohl alle Königinnen, von denen sie wußte — eigentlich nur die Natalie nicht. Und da hatte sie den napoleonischen Einfall, ihre ganze Sipp schaft in den Purpur hinauszuheben. Nicht übel — pourvu yue <;ir ävre, wie Madame Lätitia sagte. Aber wenn ihr ein Volk in seiner Geduld auch nachsah, daß sie weder königliche Eltern noch Kinder hatte, diese Familie als Ersatz ließ es sich nicht bieten. Daß sie ihren Bruder zum Thron folger habe machen wollen, um den Gemahl be seitigen zu können, das wäre eine kaum haltbare Vermutung; Belgrad ist nicht Byzanz. Nein, sie war nur eine stolze, eitle und im verblüffendsten Erfolge noch ungenügsame Frau. Sie hatte bei aller zähen Schlauheit auch einige Naivetat, denn sie glaubte an das Märchen von der Magd, welche Königin sein darf. Und vielleicht enthielt diese Mischung in ihrem Wesen den Zauber, den sie auf Alexander und noch andere ausübte. Zum Verhängnis aber ward ihr der Zug, der sie uns menschlich am nächsten bringt: daß sie an ihrer Sippe hing. Auch hielt sie die künstliche Her stellung von Prinzen für eme allzu leichte Sache. Sie hatte, weil sie manche Dessous kannte, zu wenig Respekt vor dem Königtum. Darum hatte sie beim Ausstieg keinen Schwindel. Und so hatte sie ihrer Respektlosigkeit beides zu verdanken: daß sie hinaufkam und yerunterfiel. („Neue Freie Presse".) Kleine Chronik. Berlin, 26. Juni. Zu einem Aufluhr käme« vorgestern in der Irrenanstalt Herzberg in dem Flügel, wo die geisteskranken Verbrecher untergebracht find. Einige der Verbrecher griffen einen Arzt an, als er ihnen Vorhalte machte, und ebenso zwei zu Hilfe eilende Wärter, denen sie mehrere Verletzungen beibrachten. Im Anschluß hieran entstand in der Abteilung ein Aufruhr. Sechzig Kranke griffen die achtzehn Wärter an, welche verschiedentliche Verletz ungen erlitten. Erft nach mehreren Stunden konnte die Ruhe wieder hergestellt werden. * Berlin, 26. Juni. Einen Mordversuch unter nahm heute vormittag der Arbeiter GolinSky in der Arrdlstraße aus seine von ihm getrennt lebende Frau. GolinSky war der Frau nachgegangen, um sie zur Rückkehr zu ihm zu bewegen. Die Frau lehnte daS Anerbieten ab und lief davon. GolinSky folgte ihr und brachte ihr zwei Stiche mit dem Messer 'n den Rücken bei. Der Attentäter wurde verhaftet. * Erfurt. DaS Lesen von „Hintertreppen- Literatur" brachte es wieder einmal zu Wege, daß ein Jüngling in Erfurt den Weg des Verbrechen- betrat. DaS kaum 16 Jahre alte Bürschchen stahl seiner Mutter, einer EisenbahnbeamtenS-Witwe, 15 600 Mark in Wertpapieren, versilberte diese baldigst und reiste mit 3 älteren Gesinnungsgenossen hinaus in die weite Welt. Die Mitglieder diese- Quartett- amüsierten sich in verschiedenen Städten ganz vorzüglich. Dies fiel natürlich auf und sie wurden hinter Schloß und Riegel gebracht. Nur wenige Tausend Mark konnten der Mutter gerettet werden. * Schmölln. Hier ereignete sich bei einer Beerdigung ein peinlicher Zwischenfall. Ein 12jähriger Knabe wurde am Grabe seiner Mutter von Unwohl sein befallen und stürzte während der Grabrede in die Grube, aus der er von seinem Vater wieder emporgezogen wurde. Der Knabe erholte sich bald wieder. * Karlsbad. Ueber daS bereit- gemeldete LiebeSdrama wird noch des näheren berichtet. Bor einigen Tagen kam zur Kur ein Kommerzienrat Kühne mit seiner 21jährigen bildhübschen Tochter aus Stuttgart hier an, mietete sich in einem der ersten Hotels ein und bezog mehrere Zimmer der Beletage. Heute früh nun war der Vater, wie alle Tage, zum Brunnen gegangen, während seine Tochter zu Hause verblieb. Da plötzlich, gegen '/.7 Uhr
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