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Nr. 144. Pulsnitzer Tageblatt. — Donnerstag, den 23. Juni 1927. Seite 3. wegen angeblicher Steuersabotage eingeleitete Berfahren bl» auf weiteres «inzustellen ist. Die Genehmigung zur Straf. Verfolgung de» nationalsozialistischen Abg, Strasser wegen Vergehen» gegen da» Republikschutzgesetz wird nicht erteilt. Die erste Lesung de» Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches wurde darauf fortgesetzt. Abg. vr. Bell (Ztr.) wies darauf hin, daß sich seit Jahrzehn ten alle in Frage kommenden Kreise für die Notwendigkeit einer Reform de» Strafrecht» ausgesprochen haben. Ganz besonderer Dank gebühre dem Abg. Kahl für seine Mitarbeit. Erfreulich sei besonder» die Tatsache, daß der Entwurf ei» neue» Bindeglied mit unserem österreichische» Brudervolk bildet. Der Redner äußert Bedenken gegen eine zu weitgehende Freiheit des richterlichen Ermessens und hält eine bester« kriminalistische, psychologische und soziale Vorbildung des Richter» für erforderlich. Abg. vr. Haa, (Dem.) erklärte, die Tatsache, daß an dem Werk der Strafrechtsreform Männer aus allen Parteilagern mit- qearbeitet haben, sollte sür die jetzige Generation eine Lehre sein im Sinne der politischen Toleranz. Zweifelhaft sei nur, ob der Zeitpunkt für die Beratung der Strafrechtsreform richtig ge mahlt sei. Der Redner hielt es für richtiger, die ganze Strafrechtsreform in politisch ruhiger» Zeiten zu verlegen, da dann die Prüfung mancher strittigen Fragen leichter sein würde. Man müsse sorgfältig überlegen, ob man unserem Richterstande, wie er heute sei, eine so große Machtvollkommenheit an vertrauen könne. Auch die mißlichen Einkommensverhältnisse der Richter bedürften vorher einer grundsätzlichen Neuregelung. Abg. Koenen (Komm.) erklärte, man wolle mit dem Ent wurf eine technisch verbesserte Klassenjustiz schaffen. Der Ent wurf sei etwa dasselbe, wie wenn die Reichswehr ein moderne res Maschinengewehr einführe. Abg. vr. Emminger (Bayer. Vp.) bezeichnet den Entwurf al» einen ungeheuren Sprung in der Entwicklung nach vorwärts. Abg. Scholem (linker Kommunist) bezeichnete den Entwurf al» ein Attentat auf das arbeitende Volk. , Sport. Loichtathletkkr Mitteldeutschland hat für den Ver- bands-Leichtathletikkamps am Sonntag in Ludwigshafen folgende Vertreter namhaft gemacht: 100 Meter: Simon, 200 Meter: Büch- ner, 400 Meter: Büchner, 800 Meter: Friedel, 1500 Meter: Träger, bOOO Meter: Prinzler, 110 Nieter Hürden: Aarflot, Hochsprung: Huhn, Weitsprung: Fritsch, Stabhoch: Möbius, Diskus: Möbius, Speerwerfen: Koitsch. Kugelstoßen: Or Luther, 4 mal 100 Meter: Storz, Srmon, Fritzsch, Büchner: Olympische Staffel: Zimmer- mann, Storz, Buchner, Simon. Handball: In der Vorschlußrunde um die deutsche Hand- ballmeisterschaft der Akademiker standen sich in Berlin Technische Hochschule und Universität Breslau gegenüber. Die Berliner siegten mit ö: S und qualifizierten sich hierdurch für das anläß- lich des Akademischen Olympias stattfindcnde Endspiel am L4. Juli in Königsberg. Schwimmen; Die Magdeburger Hellenen feierten auch in Bradford Siege. I. Rademacher gewann das 300-Meter- Freistilschwimmen und das 200-Meter-Brustschwimmen, Schum- vurg das 150-Meter-Rückenschwimmen. Die Wasserball mannschaft siegte mit 8:1. — ' Gchmeling, HaldschwergewichtSmeister vo« Europa. Zum ersten Male hat ein deutscher Berufsboxer eine euro- päische Meisterschaft gewonnen. Am 19. Juni ging in dem Kampf um di« Europameisterschaft im Halbschwergewicht der junge deut sche Meister Max Schmeling nach hartem Kampf als Sieger über den bisherigen Titelhalter, den Belgier Delargc, hervor. MM Ml! Smm! Amtliche sächsische Aollerunaen vom 22. Zunt Dresden. Die Lenden, war schwach, da die Privatkund- schaft keine Orders erteilt hatte und sich die Spekulation zurück haltend verhielt. Es verloren Zwickauer Kammgarn 10 Pro zent; Sächsische Malz gewannen 10 Prozent, Erste Kulmbacher gaben 6,5 Prozent nach, Waldschlößchen 5 Prozent. Schubert u. Salzer bröckelten um 4.5 Prozent ab; Vereinigte Strobstoff aingen um 3 Prozent zurück, Bankwerte ebenfalls um mehrere Prozent. Staatsanleihen verkehrten in etwas festerer Haltung. Leipzig. Bei geringem Geschäft war die Tendenz unein heitlich. Im allgemeinen waren die Veränderungen ganz ge ring. Eine Ausnahme bildeten Geraer Jute, die 12,5 Prozent verloren, dagegen gewannen Kasseler Jute 2 Prozent. Der Anlagemarkt blieb ohne Veränderung. Chemnik. Die Abschwächungen überwogen und gingen bis zu 3 Prozent, vereinzelt kamen auch Kursaufbesserungen bis zu 3,25 Prozent vor. Jester waren Hartmann, Sächsische Waggon und Schönherr. Der Freiverkehr blieb in engen Grenzen. Berliner Börse vom Mittwoch. Die Mittwochbörse eröffnete schon in nicht einheitlicher Hal tung. Es lagen zwar einzelne Kurserhöhungen wieder vor. Im - ganzen betrachtet, bot die Börse ein ziemlich ungünstiges Bild, da sich auf seinem Markt eine klare Tendenz auch im Verlaufe her- ausbilden konnte. Die Umsätze sind sehr gering gewesen. Amtliche Devisen-Notierung. Devisen iln Reichsmark, 22. Juni Geld f Briet 21. I Geld uni Briet New Dork . . 1 - London .... I Amsterdam . 100 Glü. Kopenhagen . 100 Kron. Stockholm . . 100 Kron. Oslo 100 Kron. Italien . ., . 100 Lire Schweiz ... 100 Fres. Paris 100 Fres. Brüssel .... 100 Belga Prag ..... 100 Kron. Wien 100 Schill. Spanien . . . 100 Pesel. 1 stanz. Franc OM Rm 1 Zloty 0,47 Rm. M 4,216 20,47 168,93 112,71 112,98 109,29 23,83 81,105 16,505 58,55 12,49 59,31 72.18 , 1 Belga M 4,224 20,51 169,27 112,93 113,20 109,51 23,87 81,265 16,545 58,67 12,51 59,43 72 82 OM Rm M 4,216 20,468 168,89 112,72 112,99 109,14 23/95 81,085 I6,50 58,555 12,49 59,31 72,28 , 1 Lira 4M4 2 >,508 169,23 112,94 113,21 109,88 23,635 81,245 16,54 58,675 12,51 59,43 72,42 Rm., Bankdiskont: Berlin 6 (Lombard 7), Amsterdam 314, Brüssel 5)4, Italien 7, Kopenhagen 5, London 4)4, Madrid 5, Oslo 4)4,' Paris 5, Prag 5, Schweiz 3)4, Stockholm 4, Wien 6. Ostdevisen. Bukarest 2.519 G 2.531 B, Warschau 47.01 G 47L1 B, Riga 81,03 G 81,37 B, Reval 1,117 G 1,123 B, Kowno 41,61 G 41,79 B, Kattowitz 47,05 G 47,25 B, Posen 47,01 G 47,21. — Noten: Gr. Polen 46,925 G 47,325 B, Kl. Polen 46,85 G 47,25 B. Effekten,na rkt. Heimische Renten durchweg etwas fester, Bahn- ; aktien schwächer, Schiffahrtswerte nicht einheitlich. - Bankaktien tendierten nicht einheitlich. Am Montan- - und Kalimarkt waren nur geringe Kursveränderungen. Am - Markt der chemischen Werte eröffneten Farbenindustrie mit ' 279,50, überschritten dann den Kurs von 280, um zum Schluß f wieder auf 279 zurückzugehcn. Auch am Elektro markt waren größere Schwankungen zu beobachten. Am Markt der Ma schinen- und Metallwerte hielten sich die Kursverände- ! rungen im Rahmen von 1—1^50 Prozent. Bau werte Lber- ; wiegend gefestigt. Am Textilmarkt waren wieder Sonder- : bewegungen in Bemberg und Vereinigte Glanzstoff, die je 15 Pro- I zent gewannen. ' Amtlich festgesetzte Preise an -er Produktenbörse zu j Berlin. (Getreide und Oelsaaten per 1000 Kilogramm, sonst per 100 Kilogramm, alles in Reichsmark. Weizem märkischer, Juli 297,50—296, Sept. 275,75—275,25 D., Oktober 275,75 u. Br.; matter. Roggen: märkischer 277—279, Juli 263L0—262, Sept. 237,25 bis 236,75 G., Oktober 237,25—237 B.; matter. Gerste: 241—275; feine Sorten über Notiz; still. Hafer: märkischer 254—260; feine Qualitäten über Notiz; Juli 230—228M, Sept. —, Oktober 206; still. Mais: loko Berlin 189—191; still. Weizenmehl per 100 Kilo gramm frei Berlin brutto inkl. Sack (feinste Marken über Notiz) f 37,25—39,25; still. Roggenmehl per 100 Kilogramm frei Berlin ! brutto inkl. Sack 35,50—37L0; still. Weizenklcie frei Berlin 15; matt. Rogenkleie frei Berlin 17,25; matt. Diktoria-Erbscn 43—55 ! (feine Sorten über Notiz). Kl. Speiseerbsen 27—30. Futtererbsen i 22—23. Peluschken 20Z0—22. Ackerbohnen 21—23. Wicken ! 22—24^0. Lupinen, blaue 15—16, do. gelbe 16—18. Raps- : tuchen 15,40—15,80, Leinkuchen 19,60—19,90. Trockenschnitzel ! 12,60—13,20. Soya-Schrot 19,30—19,80. Kartoffelflocken 33,50 j bis 34. Amtlicher Berliner Schlachtviehmarkt. Auftrieb: 320 Bullen, 628 Kühe und Färsen, 2376 Kälber, 7177 Schafe, 11466 Schweine, 2588 zum Schlachthof direkt seit letztem Vieh- markt, 151 Auslandsschwcine. Verlauf: Bei Rindern und Kälbern ruhig, bei Schafen langsam, erhebliche Uebcrstände, bei Schweinen ruhig, fette Schweine wenig begehrt. Preise: Ochsen: a) 62—65, b) 57-60, c) 53—55, d) 38—45; Bullen: a) 59—60, b) 55—57, c) 51—54, d) 47—50; Kühe: a) 49—53, b) 40—46, c) 30—36, c) 23—25; Färsen: a) 60—62, b) 54—57, c) 48—51; Fresser: 44—48; Kälber: a) —, b) 72—80, c) 55—68, d) 45—52; Schafe: a) 54—58, b) 45—52, c) 38—44, d) 30—35; Schweine: a) —, b) 58—59, c) 57—59, d) 56—57, e) 54—55, f) 50—53; Sauen: 50—52. Berliner Magerviehmarkt. (Amtlicher Marktbericht vom Magerviehhof in Friedrichsfelde.) Schweine- und Ferkelmarkt. Auftrieb: Schweine 338 Stück, Ferkel 630 Stück. Verlauf: schlep pendes Geschäft bei weichenden Preisen. Es wurden gezahlt im Großhandel für: Läuferschweine, 6—8 Monate alt, Stück 50—65 Mark, 4—6 Monate alt, Stück 30—50 M., Pölke, 3—4 Monate alt, Stück 23—40 M., 8—12 Monate alt, Stück 15—23 M., Ferkel, 0—8 Wochen alt, Stück 10—15 M. WUd- und Gefliigelpreife. Wild und Wildgeflü - gel per 14 Kilogramm: Rehböcke I. 0,90—1,00; do. II. 0,70 bi» 6,85; Rotwild mit Abschuß-Attest 0,80—0,85; Wildschweine, schwer, 0P5—0,40; mittel 0,45—0,50; Kaninchen, wilde, große, Stück 1,00. — Zahmes Geflügel (geschlachtet); Hühner, hie sige, Suppen ^Kilogramm 1,10—1,20, do. Ila 0,80—0,90; Hähne, alte 0,70—OM; Tauben, junge, Stück 0,90—1,00; do. alte, Stück 0,60—0,70; Gänse la, junge 14 Kilogramm 1,25—1,35; do. lla 1,10—1,20; Enten, junge Ila 1,20—1,40; Puten, Hähne 14 Kilo gramm 1,00—1,10, do. Hennen 1,10—1,20, do. II. 0,75—OM. Die Preise sind die amtlichen Berliner Markthallenpreise ein- schließlich Fracht, Spesen und Provision. Metallpreise in Berlin (für 100 Kilogramm in Mark): Elektrolytkupfer wire bars 122. Remalted Plattenzink 53—54. Orig.-Hüttenaluminium 98—99 Proz. 210, do. in Walzen und Drahtbarren 214. Reiimickel 340—350. Antimon-Regulus 100—105. Silber in Barren, ea. 900 sein, für 1 Kilogramm 77,75—78,75. Sonne und Mond. 25.6. Sonne: A. 8.40 v. u. 8.24 n. Mond: A. 1.23 n. U. L5S ». Literatur Eine Bücherei sür jedermann- Mit einem überraschenden Unternehmen, das sich volksbiidend auswirken dürfte, tritt j ht die Waldorf Astoria Zigarettenfabrik In Stuttoart an die Oeffcnt ichkeit. Sie legt jeder Packung ihrer gangbarsten Marke ein kleines nett auS- gestattetes Hosi mit 16 Setten Lesestoff bei; je 8 Büchlein bilden eine Serie und bringen in bunter Abwechslung Unterhaltendes, Belehrendes, Erheiterndes, sowie wertvolle literarische Ausschnitte aus Werken der Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliche Hinweise und Notizen über Leben und Wirke des Verfassers, die sich in stdem Heftchen be finden, regen zum weiteren Lefen an und vermitteln Wissenswertes — Geistige Größen unserer Nation, wie Thomas Mann, Hermann Hesse, Reichskunstwart Redslob, Staatspräsident a. D. Hellpach u. a. spendeten der „Oberst" Bücherei bereits ihre» Beifall und beweisen damit die kulturelle Bedeutung dieser neuen Methode zur Verbreitung volkstllm« lieber Literatur. Mrchen-Nachrichten Pulsnitz Freitag, den 24 Juni: 8 Uhr Johannisseier aus dem Fried- Hose — bei schlechtem Wetter in der Kirche. Pfarrer Schulze. — Son«, tag, den 26. Juni, 2. nach Trinit. Kollekte für ev. luih Juaendun- terweisung: V,9 Uhr Abeiidmakl. 9 Uhr Predigtgottesdlenst (Apostel- gesch. 3,1-10) Pfarrer Schulze; Sprüche Nr. 133,136; Lieder: Nr. 449 1 3; 366,1- 3; 304,1—3; 4; 321, 9 2UhrTaulen Iugendbund für E.C. beteiligt sich am Kinderfesttrcffrn */,2Uhr Schillcrstratze 15. */,7UhrAbend- audacht im Pfarrhausgorten. 8 Uhr Bibelstunde in landeskirchl. Gemein schaft. — Montag den 27. Juni: 8 Uhr Vorbereitung sür den Kinder gottesdienst.— Dienlag, den 28 Juni: 8 Uhr Frane »verein Pu'Snitz M.S. im Konfirmandenzimmer. - Mittwoch, den 29. Juni: 8 Ubr Jung- frauenvercin. 8 Uhr Bibelstunde des Juugmännervereins (Hans Schmidt) in der 3. Pfarre. '/,9 Uhr Bibclstunde in Friedersdorf (Kretschmer). Ohorn Sonntag, den 26. Juni: 2 Uhr Kindergottesdienst. Ober lehrer Sticht. — Donnerstag, den 30. Juni: >/»3 Uhr Alt-nver- einigung „Gickelsberg" bei Frau Birnstein. — Freitag, den l. Juli: 8 Uhr Jungsrauenverein. Ihr Kamerad... Der Roman der Ilse Reglin. Bon H. Abt. Copyright by Greiner L Comp., Berlin W 30. Nachdruck verlwl«",. 39. Fortsetzung. Er ritz das Fenster auf, rief hinaus: „Was ist denn los?" !. Und lauter rief es von draußen zurück: „Erschossen! Ter Inspektor!" Sie hörten es alle im Zimmer drinnen, die Gutsherrin, die einen Schreckeuslaut ausstieß, Isabella, die zurückwich, als wollte sich eine Häßlichkeit an sie drängen, der Prä sident, der aufsprang, zur Braut hiueilte, oie totenblaß vom Nebenzimmer hereinkam, sich wie Schutz suchend an seine Brust drängte und erschaudernd stammelte: „Wie gräßlich — o wie gräßlich!" — Ger' war schon zum Hause hinaus, stürzte an dem Diener vorbei, oer ihm entgegenkam, rtef im Vorbei- stürmen: «Ist schon zum Arzt geschickt?" «Ja, Fräulein Neglin hat schon befohlen." Ilse — sie wußte also bereits. — Es nahm ihn weiter nicht Wunder, und er hetzte zum Jnspektorhaus hinüber. Pie Haustür stand offen, auch die Stubentür. Das Licht war nicht eingeschaltet, aber eine Stallaterne, die ein Knecht hochhielt, gab Helle. Und in der Helle sah er zu nächst am Boden knieend eine lichtgekleioete Gestalt. — »Isst — du?! Hier gehörst du nicht Herl" „Warum denn nicht? Hier tut doch Hilfe not. Er verblutet sich ja," gab sie zurück. Da sah er erst vor ihr am Boden den starrgestreckten Körper, dem über der Brust, von der der Rock zurückgerisjen war, unter den nassen Tüchern hervor, die Ilses Hände auf oie Wunde drückten, der Strom deS roten Lebens quoll. Einen Moment stand Gerd, von dem Augenblick wie gelähmt, dann raffte er sich aus, gab tm Kommandoton kurz die Befehle: „Mehr Wasser bringt — und Tücher — und Eis muß geschasst werden — und ein Lager macht zurecht. — Ruft aus dem Dorf den Bader — auch die alte Mathiesen soll kommen. - Uno du, Ilse, geh' jetzt. - Geh' Mnd, das ist doch nichts für dich." Wie seine Stimme auf einmal klang, und wie sein Blick sie umfaßte, sie einhüllte in lauter Liebe! Er faßte ihre Hand, zog sie vom Boden empor. „Ich bitte dich, geh' — ich kann dich hier nicht sehen. Geh' mir zuliebe." Da wandte sie sich zur Tür und blickte von da noch einmal nach ihm zurück. — Ihm zuliebe war sie doch nur hier gewesen. Dann ging sie mit schweren Füßen wieder über den Hof, ins § Haus zurück. Im Flur stand voll Erregung die Gutsherrin und schrie bei ihrem Anblick auf: »Ilse — um Gotteswillen, wo kommst du her? Du bist ja ganz voll Blut!" Sie sah an ihrem Kleid herab. Der Anblick schien ihr plötzlich einen Schwindel zu geben. Sie schloß die Augen und dabei nickte sie: „Ja, ich will gleich hinauf in meine Stube gehen." Die Gutsherrin hielt sie zurück. „Lebt er denn noch? Warum er's wohl getan haben mag. Und gerade heute! Wie gräßlich, gerade heute!" «Ja, gerade heute," nickte Ilse und streifte der Tante Hand von ihrem Arm. „Ich will nur erst in mein Zimmer hinauf." Frau Buggenrode blickte ihr nach. Sie sah ganz ver stört aus. Ja, es war gräßlich. So der Freudentag zer stört. Nos: hatte fast geweint. Ilse war in ihrem Zimmer geblieben, war nicht wieder zu den anderen hinuntergegangen. Nur auf den Korridor war sie einmal hinausgeeilt und hatte den hin und her hetzenden Diener ausgefragt. Ja, der Inspektor lebte noch. Im nächsten Dorf war zufällig ein Arzt gewesen, der war jetzt bei ihm, und der junge Herr und der Bader und die alte Mathiesen leisteten Hilfe. Es stand sehr schlimm. Ueber die Nacht würde er wohl nicht hiuwegkommen, und das Bewußtsein kam wohl nicht wieder. Der Doktor aus Hasselstedt wurde auch noch erwartet, das Auto, das den Herrn Regierungspräsidenten hinsuhr, sollte ihn gleich mitbringen. Der Präsident war also fort. Natürlich, er würde die Nacht nicht in Buggenrode bleiben. Aber morgen kam er wohl noch einmal, um sich zu erkundiegn, ob der Schrecken der Braut auch nicht geschadet habe. Rosi — heiß und wild brauste es in Ilse empor. Was war denr nur geschehen? Mit was für Schuld hatte sie sich belastet? Schuld oder — Schande? Der Schwester Schande, die der Bruder vielleicht von des Sterbenden Lippen ver nahm, die auch andere hörten, die sie hinaustrugen, von Mund zu Mund schleppten und den Namen durch den Schmutz schleiften, der des geliebten Mannes Namen war. Wenn sie doch hinkönnte, ihm die Hand auf oie bleichm Lipper legen könnte, daß sie schwiegen, nichts verrieten — oder — war vielleicht schon alles vorüber? Hatte sich der heiße Wunsch der feigen Angst erfüllt, der aus Rosts Stimme gezittert — war er tot? Unten im Haus redeten sie. Sie erkannte Gerd- Stimme. Er kam mit der Mutter die Treppe heraus. Es war, als spräche er absichtlich laut, daß sie, die er hinter der geschlossenen Tür wußte, es hören konnte. „Für's erste ist nichts weiter zu tun. Der Bader bleibt die Nacht bet ihm. Der Doktor gibt wenig .Hoffnung. Die Kugel ist noch nicht heraus. Ein unglücklicher Zufall war's nicht, er hat die Pistole auf die nackte Brust gesetzt. Armer Kerl, warum er's wohl getan haben mag? Mir tut er furchtbar leid. Gute Nacht jetzt, Mutter. Ich bleibe natürlich bis morgen hier." „Gute Nacht, Gerd. Ja, es ist schrecklich für uns alle. Die arme Rost, gerade heute." Es war still auf dem Korridor. Zwei Türen hatten geklappr. Tie beiden begaben sich wohl nun zur Ruhe. Isabella hatte sie schon vorhin in ihr Zimmer gehen hören. Und Rosi — bereitete sich auch zur Ruhe vor. — Oder hockte sie tm Dunkeln, und hielt sich schaudernd die Ohren zu, daß sie nichts hörte, nichts sah — nicht das strömende Blut, nicht das Todesröcheln, das sich jetzt vielleicht aus zerschmetterter Brust beraufrang?! Hin zu ihr stürzen, ihr die Wahrheit von den Lippen zwingen! Immer wieder zog es Ilse hin zUr Tür, und immer wieder wich sie ins Zimmer zurück. (Fortsetzung folgt.)