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Haden die Tiere Vernunft? Eine Frage, die heute täglich gestellt wird und die verschiedene Beantwortung erfährt. Fragt man einen Tierliebhaber, so wird man hören: selbstverständlich seien die Tiere Wesen, begabt mit dem Größten, was angeblich der Mensch allein be sitzen soll. So wird jeder Hundebefitzer einen Schwur leisten, gerade sein Hund habe vielfach bewiesen, daß er denken könne. Die bekannten Zoologen sind zu ver schiedenen Schlüssen gekommen, aber selbst diejenigen, die dem Tiere jedes Denkvermögen absprechen und Vorgänge, die eine solche Fähigkeit verraten, auf den Instinkt, die Anpassungs- und Beobachtungsgabe der Tiere zurückführen, müssen Fälle anführen, die doch Zweifel aufkommen lassen an der Behauptung, die so kraß und rücksichtslos dem Tiere jede Vernunft nimmt. Ein Thema, unerschöpf lich und unergründlich, ist hier angeschnitten, deshalb, weil gerade in den letzten Tagen wiederum der Streit um das Tier und seine geistigen Fähigkeiten in den Vordergrund trat und letzthin verschiedentlich Veröffent lichungen die Mitmenschen überraschten, die einen Schritt weiter in der Klärung der wichtigen Frage bedeuten können. Jedenfalls ist es Ausgabe nicht nur der Ge lehrten, sondern auch jedes Laien, der mit Tieren zu tun hat und die Tiere liebt, alles zu tun, um zur Lösung eines Rätsels zu helfen. Wenn man an die sprechenden Pferde, an die zählen den Hunde, an die tanzenden seelöwen, an den Völker bau der Ameisen, an die Zähmung wildester Bestien und ihre Einstellung als Haustiere denkt, dann scheint es fast, als ob eigentlich alles klar sein müßte. Und wenn man daneben noch die herrlichen Tierbücher zur Hand nimmt, die namentlich in den letzten Jahren erscheinen und vom Seelenleben der Tiere erzählen, wird man unbedingt Partei derer, die Tier und Mensch gleichstellen und nur den Unterschied machen, daß eben das Tier noch nicht die Entwicklungsstufe des Menschen erreicht hat. Beschäftigt man sich intensiv mit Tieren, lebt man mit ihnen zusammen, so glaubt man unwillkürlich, es seien Wesen gleicher Art, begabt mit Denk- und Urteilsver mögen. Einem Fernstehenden wird es vielleicht komisch anmuten, wenn der Hundebesitzer mit seinem Hunde lange Gespräche hält. Der Freund des Hundes weiß, er ist davon überzeugt, der Hund versteht ihn, er weiß, was er soll, achtet auf die Worte des Herrn. Tauben sollen sehr dumm sein. Aber der Taubenfreund plaudert lange mit ihnen. Hühner haben einen kleinen Verstand, sagt man. Die Hausfrau aber, die Hühner zu betreuen hat, spricht lange und immer mit ihnen. Es redet der Domp teur mit seinen Löwen, das Fräulein mit dem Papagei, der Reiter mit seinem Pferd. Bärenführer und Bär haben auf langer Wanderung eine eifrige Unterhaltung, die freilich nur einseitig verständlich ist. Der Hirte kennt sein Vieh und hat Lieblinge, die sich um ihn gruppieren und seiner Philosophie lauschen. Es gibt viele Beispiele, die eigentlich unverfälscht sagen: der Mensch, der mit dem Tiere lebt, hat die Ueberzeugung, es sei ein Ge schöpf mit Vernunft. Anders wären die Zwiegespräche nicht zu verstehen. Und was die ganze Menschheit tut, ist immer ein Ausdruck langer und weiser Erfahrung. Wäre das Tier wirklich ohne Herz und Seele, ohne jeden Funken Vernunft, dann hätte sich im Laufe der Jahr- Ds," LIincjsn'füsik'Sr' hunderte in der Menschheit dieses Wissen durchgesetzt und man würde nicht das vertrauliche Leben, das vertraute Reden der Menschen zu den Tieren immer und überall beobachten können. Doch erzählen wir einige kleine Beweise, über die die weisen Forscher und Ableugner der Tiervernunft, immer stolpern müssen. Zunächst aus einer Sammlung von Clara Hepner „100 Tiergeschichten", aus einer Samm lung, die sich köstlich für jeden liest, der das Tier liebt und sich mit Tieren beschäftigt. „Unzählig sind die Fälle," heißt es da, „die beweisen, daß es keineswegs nur der Instinkt oder die feinen Sinne sind, welche die Hand lungen der Hunde bestimmen, sondern daß da wirkliches Denken und Ueberlegen vorgegangen ist. Von dem ver ständigen Eingreifen eines deutschen Schäferhundes hörte ich folgendes berichten: Vor einer Brauerei in Wasser burg stand eines Tages aufsichtslos ein Gespann. Plötz lich hatte irgend etwas die Pferde erschreckt, und sie stürmten rasend davon. Auf dem Hofe lag der Schäfer hund „Marko" und zwei Dobermannpinscher. Letztere sahen erstaunt den Pferden nach, der Schäferhund aber be griff den Vorgang. Er setzte dem Wagen nach, packte mit den Zähnen die am Boden nachschleppenden Zügel und zerrte und riß mit aller Kraft, bis es ihm gelang, bet einer kleinen Steigung die Pferde zum Stehen zu brin gen. Bei einem richtigen Hüte- und Schäferhund wäre es wohl Instinkt gewesen, wenn er die Pserde durch Bellen oder Anspringen zum Stillstand gebracht hätte, daß er aber die Zügel packte und festhielt, läßt doch auf blitzschnelles und überlegtes Denken schließen." Bekannt ist wohl schon die Geschichte von der „ver rückten Trine", die Theodor Etzel erzählt hat, von einer Gans, die bewies, daß auch Gänse, trotz ihrer bekann ten Beschränktheit, denken und handeln können und ge nau wissen, was sie wollen. Daß sie also ebenfalls der Behauptung, Tiere hätten keine Vernunft, Lügen strafen. Die verrückte Trine nun war die Gans eines Bürger meisters eines kleinen Städtchens. Sie liebte den Herrn Bürgermeister und watschelte jeden Tag hinter ihm her durch die Straßen, erkämpfte oder erschlich sich den Ein gang zum, Rathaus, beschützte den Bürgermeister, indem sie Posten vor der Tür faßte oder ins Zimmer schlüpfte und aus einer Ecke des Zimmers jeden beobachtete, der mit dem Bürgermeister zu tun hatte. Ob Trine einge sperrt wurde, ob der Bürgermeister versuchte, sie irre zu führen, sie war klug genug, sich immer wieder an die Fersen des Ortsgewaltigen zu heften und sein Begleiter und Beschützer zu sein. Erst als Trine, die freudig oem Bürgermeister jeoes gelegte Ei zeigte und es nur ihm überließ, schließlich selbst Junge ausgebrütet hatte und Mutter war, ließ sie den Bürgermeister ungeschoren und widmete sich ihren Kleinen. Dje Gänse, die das Kapitol retteten, sind historisch, wenn sie dabei freilich auch nicht aus Ueberlegung, son dern aus Angst ihre Stimme erhoben. Aber cs gibt eine andere ebenso bekannte Begebenheit, wo die Gänse bewiesen, daß sie denken können, denn sie haben die Bewohner eines Ortes vor dem Giftwasser eines Brunnens gewarnt. Von den Gänsen kommt man leicht zu den Vögeln überhaupt, die oft erkennen ließen, daß Klugheit sie leitet. So forscht man heute ja noch über den Zweck und Sinn der Vogelwanderung, über die Triebkraft, die die Vögel pünktlich zur Wanderung rät, über den selt samen Orientierungssinn und die Art der Auswande rung. Fragt sich, wie es möglich ist, daß die Vögel ihre alten Plätze nach langem Fortsein und nach langer Reise wiederfinden und auch die Menschen kennen, die sie be treut haben und ihre Freunde waren. Ungelöste Rätsel! Aber wer den Kanarienvogel daheim hat, weiß, wie dieser Vogel in der Familie lebt und alles begreift, was sich abspielt und ihn angeht, ist außer Zweifel, daß die Vögel Vernunft haben müssen. Tie Elefanten, gehen wir zum größten Tier über, haben besonders in Len letzten Jahren ihren Verstand gezeigt, denn sie werden immer mehr zur praktischen Arbeit herangezogen, wobei sie aber auch — man lächle nicht — denken müssen. Und die Zahl der Geschichten ist groß, die von dem lebhaften Geist und dem überlegten Handeln der Elefanten berichten. Die Tierbändiger haben heute nicht mehr das Erziehungsprinzip von ehedem, alles mit der Peitsche, mit Gewalt zu erzwingen. Sie werden Freunde der Tiere und durch gute Behandlung, durch Anpassung an ihre Gewohnheiten, erreichen sie die seltsamsten Wunder. Darüber hat Hagenbeck viel er zählt, darüber hat Sarasani viele Bücher geschrieben. Ein schlimmes Los haben die Hunde, die als Führer- Hunde ausgebildet sind, denn sie müssen ihre Freiheit ein für allemal opfern. Und doch sind sie treu, und doch sind sie klug und Freund und Beschützer, zuver lässiger als Menschen.