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Il" Ostern feiern, heißt den Frühling feiern. Dem Osterfest Lieder singen, heißt dem Wem üem iLkputrte Nenrcken Frühling zujubeln: Gibt es einen Dichter, der den Frühling nicht besang? Frühling, Ostern, Auferstehung aber so knapp und klar, so packend und geistreich, so sonnig und er frischend schildern, konnte nur Goethe. Wenn es Ostern wird, wenn die Sonne lacht, die Quelle munter ins Tal rauscht, die Vögel singen, die Bäume das erste Grüne zeigen und sich die Menschheit schmückt, dann fühlt jeder die Auferstehung. Die Enge des Winters streift sich ab, die Brust weitet sich. Der Mensch wird, so haben die Dichter gesungen und die Gelehrten behauptet, anders zur Frühlingszeit. Ostern ist das Tor des Frühlings, der Be ginn eines neuen Abschnitts, freudig begrüßt und lange ersehnt. Tie Gedanken treten aus dem beengten Rahmen winterlichen Zwanges und selbstverständlich auch winterlicher Freuden. Sie suchen Neues. Der Blick weitet sich, die Freude liegt vor dem Tor, liegt dort, wo ein Stückchen Natur vom Frühling redet. Ein langer Schlaf ist getan, in der Natur beginnt das Leben. Aber auch dem Menschen ist's zumute, als ob er erwacht und ein anderer wird. Zauberer Frühling erschließt die Herzen, lockt und verspricht, hilft Schlösser bauen und Sorgen vertreiben. Zauberer Frühling . . . ! Wem ist nicht eigen zumute, wenn er den jungen Lenz beobachtet, still, versonnen für sich? Gibt es Menschen, die kein Herz haben, die gefühllos vor dem alljährlich wiederkehrenden Wunder stehen? Immer hat es eine Pforte in dem Frühling gegeben. Immer war's ein Fest, das den Eingang in den Früh ling feiern hieß, bis das Osterfest kam, bis dieses Fest die alten Frühlingsfeste ablöste und dem Menschen den Begriff schuf: Ostern ist da, der Frühling ist da! Weltliche Begriffe, weltliches Feiern, weltliche Gepflogenheit ist's, Frühling und Ostern zu verbinden. Ostern aber ist ein kirchliches Fest, ist das Fest der Auferstehung, das Fest, das die Menschheit nunmehr jahrhundertelang mahn: an die Auferstehung des Erlösers, an das große Wunder der göttlichen Allmacht die den Sohn sterben ließ, für die Menschen, auf erstehen ließ, für die Menschen und der Leidensgeschichte Jesus einen glücklichen Schluß gab. Weil aber die Leidensgeschichte des Erlösers so leicht und unkompliziert die Verwelt lichung ermöglicht, die Vergleiche mit dem Sterben und Auferstehen der Natur so deutlich werden läßt, ist es erklärlich, daß die neue Menschheit es liebt — im Hintergründe freilich die religiöse Bedeutung des Festes sehend —, Betrachtungen weltlicher Art anzustellen, die rundum Bestätigung finden und sich gewissermaßen aufdrängen. Der Winter ist eine Lei denszeit für die meisten, der Frühling der Erlöser! Die alten Deutschen, die noch nicht die Geschichte von Golgatha kannten, nach denen erst in Jerusalem aus dem Zimmermanns sohn Gottes Sohn wurde, der einer folgenden Welt mit seiner Leidens- und Auferstehungs geschichte den christlichen Unterbau gab — diese alten Deutschen hatten bereits ihr Früh lingsfest, und doch deshalb, weil sie dem Frühling als Befreier zujubelten. Frühling: Man denkt an Sr e und glückliche Tage! Ostern: Man denkt an den Frühling! Diese Dev- bindung bleibt und die Verweltlichung der Ostern ist verständlich angesichts dessen, waA «ns dieses Fest mit dem Frühling verheißt! Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden, belebenden Blick: Im Tale grünet Hoffnungsglück: Der alte Winter, in seiner Schwäche, Zog sich in rauhe Berge zurück. Von dorther sendet er, fliehend, nur Ohnmächtige Schauer körnigen Eises In Streifen über die grünende Flur; Aber die Sonne duldet kein Weißes, Ueberall regt sich Bildung und Streben, Alles will sie mit Falben beleben; Doch an Blumen fehlt's im Revier, Sie nimmt geputzte Menschen dafür. Kehre dich um, von diesen Höhen Nach der Stadt zurückzusehen. Aus dem hohlen, finstern Tor Dringt ein buntes Gewimmel hervor, Jeder sonnt sich heute so gern, , Sie seiern die Auferstehung des Herrn, Denn sie sind selber auferstanden. Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, Aus der Straßen quetschender Enge, Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht Sind sie alle ans Licht gebracht. Sieh nur, sieh! Wie behend sich die Menge Durch die Gärten und Felder zerschlägt, Wie der Fluß in Breit' und Länge So manchen lustigen Nachen bewegt, Und bis zum Sinken überladen Entfernt sich dieser letzte Kahn. Selbst von des Berges Sternenpfaden Blinken uns farbige Kleider an. Ich höre schon des Dorf's Getümmel, Hier ist des Volkes wahrer Himmel, Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein! (Goethe: Faust, 1. Teil.)