Volltext Seite (XML)
wie er selbst zu Anfang des 17. Jahrhunderts den bis dahin üblichen Kuß aufden Mund verdrängt hat. Der Mund kuß verschwand schließlich aus naheliegenden hygieni- scheu und moralischen Gründen, ebenso der als Ersaß teilweise übliche Kuß auf die Wange. Seit dem 17. Jahr hundert hat der Handkuß das Feld behauptet. Ob er wirk lich einmal ganz abkommen wird, darf man füglich bezwei- sein, und niemand, der etwas auf Galanterie den Damen gegenüber hält, wird es ernstlich wünschen. Viele Männer erblicken zwar heutzutage in den Frauen nur unbequeme Konkurrentinnen im Daseinskampf und meinen deshalb, zu besonderer Höflichkeit nicht verpflichtet zu sein. Wenn nun diese Herren den Handkuß zum alten Eisen verwerfen, so sollten sie doch so viel von der altüber lieferten Galanterie gegen das schöne Geschlecht aufbringen, daß sie warten, ob die Dame ihnen die Hand zum Druck zu reichen beliebt, anstatt ihr ohne weiteres plum^ die biedere Rechte entgegenzustrecken. Die Schleifsteine der Studenten. Als der später berühmt gewordene Geschichtsschreiber Niebuhr in Göttingen studierte, äußerte er eines Tages zu seinem Lehrer, dem Professor Köstner, in dessen Familie er gern eingeführt zu sein wünschte, da er sich in eine der Töchter verliebt hatte: „Es wäre doch sehr wün schenswert, die Studenten in Gesellschaft mit Damen zu bringen, damit die Sitten derselben abgeschliffen würden." „Meinetwegen," entgegnete Kästner, der von der Liebschaft nichts wissen wollte, „aber meine Töchter gebe ich nicht zu Schleifsteinen her." Woher stammt die Redensart? Durch (seine) Abwesenheit glänzen. Im alten Rom war es Sitte, bei Leichenbegängnissen (die Bilder der Vorfahren) der Leiche voranzutragen. Nun erzählt Tacitus (Annalen, 3. Buch, letztes Kapitel), unter der Regierung des Tiberius sei Junia, die Witwe des Cassius und Schwester des Brutus, gestorben und mit allen Ehren bestattet worden. „Aber Cassius und Brutus leuchteten gerade dadurch hervor, daß ihre Bildnisse nicht zu sehen waren. Etwas auf die lange Bank schieben, d. h. die Ausführung einer Sache verschieben, eine Entscheidung verzögern. Unsere Redensart stammt aus GerichtssaaI und Aktenkam - mer, als das römische Recht bereits in Deutschland einge führt war. Denn sie lautete ursprünglich: „indielangen truhen spielen", oder ähnlich: „in die langen truhen kommen, in die langen truhen bringen." Die Truhe aber ist die Vorläuferin des Aktenschrankcs, und nahm Sachen auf, die der Richter zum Aufschub bestimmt hatte, im Gegensatz zu denen, die spruchreif aus der Bank lagen. Und damit basta! Basta ist eine Imperativform von dem italienischen Zeitwort bsstare, d. i. hinreichen, hin reichend sein. Der Ausdruck basta ist vermutlich während des Dreißigjährigen Krieges in die deutsche Sprache ein gedrungen. Bescheidenheit ist eine Zier. Bescheidenheit an sich ist gewiß eine recht schöne Tugend, eine Zier, aber, wie der Berliner Witz es sehr treffend ausdriickte: Weiter kommt man ohne „ihr". Nichts steht dem jüngeren Men schen besser an, als vor dem älteren zuriickzutreten, nichts ge ziemt dem Unwissenden mehr, als vor dem Weisen zu schweigen. Bescheidenheit im Sinne von Höflichkeit oder Hochachtung gereicht jedem Menschen zur Zier. Es gibt aber auch eine falsche Beschei denheit. Nur die Lumpen sind bescheiden — sagt Schiller. Wir sollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern es leuchten lassen. Nicht hochmütig, aber dankbar sollen wir für die Gaben sein, die uns die Natur verliehen hat. Nur in der rich- tigen Anwendung unserer Fähigkeiten liegt gleichzeitig auch die Dankbarkeit dafür. Allzu große Bescheidenheit ist ein Mangel an Charakter, der ein Hindernis in der Laufbahn des Lebens bedeutet. Vergessen wir das eine nicht, daß wir meist so, wie wir uns selbst ein- schätzen, auch von anderen Menschen beurteilt werden. Das Auge der Spiegel des Herzens. Was kann alles im Blick eines Menschen liegenI Unendlich viel! Was können nicht Augen alles erzählenl Ganze Lebens- geschichten. Schaue einem Menschen einmal ganz tief in die Augen, und du weißt, was er für ein Mensch ist. Saae ihm etwas, dabei sich ihn an, und du weißt, wie er es aufnimmt. Woher komnit cs denn, daß es so viel schwerer ist, einem Menschen etwas zu schreiben, als es ihm zu sagen? Ganz einfach: die Augen fehlen; deine und seine. Deine Augen, weil der andere daraus sehen kann, wie er deine Worte aufzufassen hat, seine, um dir zu zeigen, in welches Wortkleid du deine Ge danken am besten hüllst. Was in dem einen ist, das ist auch in dem anderen. Drum, laß dich nicht von Worten betören, vielleicht sagen die Augen das Gegenteil. Wußten Sie das schon? Der große Maler und Bildhauer Leonardo da Binet war linkshändig; er hat alle seine Werke mit der linken Hand ausgeführt. Noch in seinem 15. Lebensjahre ist das Krokodil nur KV Zentimeter lang; es erreicht erst mit 65 Jahren seine nor male Größe von 3 Metern. * Der Mensch atmet an einem Tage 900 Gramm Kohlen säure, worin etwa Pfund Kohle enthalten ist. 1584 hatte die Mark mit der Altmark 63 Städte, von denen 32 nur zwischen 500 und 1500 Einwohner besaßen, Span dau, Prenzlau, Salzwedel und Neuruppin hatten etwa 4000, Stendal 8000 und Berlin mit Kölln ungefähr 14 000 Ein wohner. Praktische Winke o«»«»r, Abgeschabte Stelle« an Tapete« und gemalte« Wänden haben längst für mich ihre Schrecken verloren, seit ich mir in solchen Fällen passende Pastellstiftc besorge, wie man sie in Malutensilien-Geschäften in jeder nur deut lichen Farbe und Tönung für ein paar Groschen bekommt und damit die schlechten Stellen übermale. Ein Verfahren, das allerdings von Zeit zu Zeit wiederholt werden muß. S-bcb Stand i« Schränk«« sammelt sich in erstaunlich ge ringem Maße an, wenn man an der inneren Schrankfront, zum mindesten an einzelnen Fächern, in denen sich besonders staubempfindliche Dinge, wie Glas, Porzellan, Wüsche usw. befinden, dünnstosfigc aber staubnndurchlässige Vorhänge an bringt. Es wä-e zu begrüßen, wenn Behältnisse wie Bü fetts, Wäscheschränke und dergl. mit einer Einrichtung dazu gebaut würden 8—dcd. Weitze Tierfells kann man auch in Seifenschaum wa schen. Man zieht sie dann über Schwefeldampf. Reinigung auf trockenem Wege geschieht durch heißes Stärkemehl, mit dem man die Haare einreibt und später ausklopft und kämmt. Dunkle Felle reibt man mit einer Mischung von trockenem, heißen Sand und Sägespünen ab, bürstet und kämmt sie aus. Liuole«m darf niemals mit Sodawasser gereinigt werden. Man wäscht es mit warmem Seifenwasser ab und spült mit klarem Wasser nach. Filzhüte verlieren leicht die Form, wenn sie naß reg nen oder mit Wasser gereinigt werden. Die Reinigung kann aber ohne Nachteile für die Form mit Salmiakgeist geschehen, der zur Hälfte mit Wasser verdünnt wurde. Schmutzige Strohmatten reinigt man am besten, indem man eine Hand voll Kochsalz in warmem Wasser auf löst und die Strohmatten damit abbürstet. Hind schweigend fließt durch alle Weiten v» Die große Ruhe der Natur, Die Herde zieht mit fernem Läuten Auf feuchter Flur; Da schwindet alles Leid hienieden, Mir wird die Seele frei und heil. So hab' auch ich am Wcltenfriedeu Mein stilles Teil. es Lebe«v K««st ist leicht z« lernen und zu lehren; Dn mutzt vom Schicksal nie zu viel begehren; Der, welchem ei« bescheidnes Los genügt, Hat einen Schatz, der nie versiegt. Dem Unersättlichem 1« jeglichem Genuh Wird selbst das G ück zum Ueberflutz. L. Bechstein. ' Sonntagsgedanken. —° Wir alle kennen das Sprichwort: „Not lehrt beten." Schauen wir in die Gleichnisse Jesn, so tritt uns die Wahrheit dieses Wortes besonders deutlich entpepen im Gleichnis von einer armen Witwe, die viel verloren hat und sich von ihren Feinden hart bedrängt sieht. Bit tercs Unrecht ist ihr von seilen ihrer Widersacher geschehen; deshalb geht sie zum Richter ihrer Stadt und klagt ihm ihre Not. Wie ver hält sich der Richter zu den Bitten dieser armen Frau? Lange, lange zögert er und ist nicht gewillt, ihren berechtigten Bitten Folge zu leisten und der armen Bittstellerin Recht zu verschaffen, hat er doch in dieser Frau nur eine arme Witwe vor sich. Immer wieder erneuert di Frau ihre Bitte, lebt in ihr doch das heiße Verlangen, aus der großen Be- drängnts, in der sie sich bifindet, heranszukommen. Auch in der Geschichte des Reiches Gottes gibt es Zeiten, in denen die Leute, die mit Ernst zu der Gemeinde Jesu gehören wollen, sich bedrängt sehen von den Feinden des Reiches Gottes. Und doch sind gerade solche Zeiten Scgcnszeiten gewesen, in denen die Gemeinde Jesu das Gebet für das Reich Gottes lernte. In den ersten Jahrhunderten des Christentums werden die Chri sten vou der heißen Sehnsucht erfüllt, den Bedrär gnissen dieser Welt zu entrinnen. Sie sind von dem einen Wunsche beseelt, daß Gott sie bald ans diesen Wirrnissen, Leiden und Verfolgungen befreien möge. Sic sehnen sich danach, daß der Herr Jesus wiedcrkomme und sein Reich auf Erdcu ausrichlen möge. Diese Not, die sie von ihre» Wider sachern erl iden, treibt sie ins Gebet. Wieviel Leid widerfährt den ersten Christengemeinden, wenn sie inmitten der Verfolgungen ihrer Gemeinde und Wortführer beraubt werden! Trotz dieser Leiden blei ben sie froh und siegrsgewiß. Was verleiht ihnen soviel Freudigkeit und Siegesgewißheit mitten im Leid? Ist es nicht daS Gebet? Was aber ist der Inhalt ihrer Bitten? Das erflehen sie mit heißem Ver langen, daß die Sache des Herrn zum Siege gelangen möge. Sie, die unter dem erschütternden Eindruck stehen, daß cs die Sünde ihrer heidnischen Mitmenschen ist, die sie quält, sind nicht erbittert über ihre Verfolger. StesanuS bittet noch mit dem letzten Atemzuge, daß auch seine Mörder zu begnadigten Christen würden und so das Reich Gottes gemehrt werde: „Herr, behalte ihnen diese Sünden nicht!" Wie die Väter unseres Glaubens so stehen auch ernste Christen Ler Gegenwart unter dem erschütternden Eindruck von der Macht der Sünde. Wie vieles Gemeine macht sich in unserer Zeit doch breit, das sich in stetem Kampfe befindet mit dem Rechte und dem Reiche des Herrn Jesus. Sind mir wirklich Christen, so empfinden wir über die Tatsachen, daß die Sünde in der Gegenwart doch alle Gebiete zu umgarnen droht, einen tiefen Schmerz. Dann wird das heiße Ver langen in uns wach, daß doch Gottes Reich bald auf Erden herein- brcchen und das Recht Gottes doch endlich zum Siege gelangen möge. Sehnen wir von ganzem Herzen die Herrschaft Gottes auch über junge Menschenherzen herbei, dann kann es uns nicht gleichgiltig sein, zu beobachten, wie gerade unter jungen Leuten unserer Tage eine zügel lose Genuß und Vergnügungssucht zu finden ist. Eltern, die mit Ernst die Herrschaft Gottes über uns Menschen wollen, klagen aber und ereifern sich nicht nur über „die Verwahrlosung der heutigen Jugend," nein, sie finden auch Mittel und Wege, diese Not ihrer Kinder zu be seitigen, dadurch, daß sie beten sür die Seele ihrer Kinder und sich die Richtlinien für die rechte Erziehung ihrer Kinder in der Gebetsstille holen. Sollte die Not unserer Heranwachsenden Jugend, sollte seelische Not, in der wir Christen uns in unserem öffentlichen und Privatleben befinden, in uns den sehnsüchtigen Gebetsbitten des Vaterunsers Raum geben: „Herr Gott, dein Name werde auch bei uns geheiligt I Zu uns komme dein Reich!" Sollte die Tatsache, daß die Nacht der Sünde ans Erden so lang und die Macht der Finsternis so groß ist, nicht uns unser Gesangbuch wieder am Sonntag euch daheim zur Hand nehmen lassen, in dem so viele Gebetslieder stehen, in denen um das Kommen des Reiches Gottes gebetet wird. Bringen wir im Gebete auch ähnliche Bitten wie diese: „O laß dein Licht auf Erden siegen die Macht der Finster- is erliegen, und lösch der Zwietracht Glimmen aus."? Der Erhörung solches Betens können wir dann gewiß srin, vertrauen wir auf das Wort des Herrn: „Sollte Gott nicht retten seine Auser- wählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen . . . Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze." — e — Wie ein Bischofswerdaer Bauer —'ABC-Schühe wurde—— Von Otto Flössel, Bautzen Bauern und Amtspersonen haben von jeher keinen guten Faden zusammen gesponnen. Jene meinen, die Dinge in der Welt lügen überall so einfach wie auf ihrem Hofe. Diese gehen dem Buchstaben nach. Das ist zuweilen um ständlich — läßt sich aber nicht ändern — und läßt diese pedantisch erscheinen. Ueber die „Bürv-Kraten" ist gewiß manch böses Wort gefallen. Mancheiner hat das hinterher schwer büßen müssen. Auch jener Bauer aus Bischofswerda, dessen Name allerdings nicht bekannt ist. Ihm waren die Federfuchser auf dem Rathause samt und sonders ein Dorn im Auge. Allen voran der Bürgermeister, der Valentin Trotzendorf hieß, den hat er frei heraus einen Müßiggänger gescholten. Aber da kam er an den Rechten! Er ließ das Bäuerlein vor sich aufs Rathaus kommen und erteilte ihm ein Privatissimum über Arbeiten, die den Amtsleuten ob liegen, und Dinge, welche das Bauernvolk zu verrichte» habe, und daß zwischen beiden wohl ein himmelweiter Un terschied sei, daß aber keiner den andern einen Faulenzer zu nennen das Recht habe, vielmehr beide ihr Werk trieben mit Fleiß, jeder an seinem Teil. Damit aber der Bauer die Arbeit in den Amtsstuben auch in der Nähe sähe und sich ein gerechteres Urteil davon bilde, schickte ihn der Bür germeister in die Schule. Dort mußte er sich — so groß und alt er auch war — mitten unter die ABC-Schützen in die Bank setzen und aus der Fibel lernen. Das war gar eine harte Strafe für ihn. Denn er durfte aus dem Buche nicht aufsehen. Einen ganzen Tag währte die Tortur. Wo er auch nur ein Auge von den Buchstaben abwandte, haute ihm der Schulmeister eins mit dem Bakel über den Kopf, daß er schnell wieder niederfuhr und sich in die Buchstaben vertiefte. Das war der übelste Tag im Leben des Bäuer leins, und es ist ihm nie wieder eingefallen, etwas wider die Federfuchser zu reden. J.m Gegenteil, er war eines Bes seren belehrt worden und hat — wie uns Zeitgenossen schreiben — „die Schularbeit vor eine viel saure Arbeit als Dreschen und Holzschlagen gehalten". Geschehen anno lü86.