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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 12.02.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-190302122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19030212
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19030212
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-02
- Tag 1903-02-12
-
Monat
1903-02
-
Jahr
1903
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 12.02.1903
- Autor
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- Apolda, w. Februar. Erster Bürgermeister Stegmann erklärte im Gemeinderate, eS sei gerade zu unheimlich, in welcher Weise hiesige Milchhändler die Milch durch Wasserzusatz verfälschen; er werde aber diese Fälscher an den Pranger stellen, indem er die Ergebnisse der Untersuchungen mit den Namen der betr. Händler veröffentliche. * Lichtensee, 10. Febr. Einer Blutvergiftung ist der im 13. Lebensjahre stehende Sohn des hiesigen Gutsbesitzers Georgi erlegen. Den Knaben hatte beim Schlittschuhlaufen ein Stiefel gerieben und aus den rotgefärbten Strümpfen, welche er trug, war Giftstoff in die geringfügige Hautab schürfung eingedrungen. Trotz schleunigst herbei gezogener ärztlicher Hilfe war der Knabe nicht mehr zu retten. * Neber ein schreckliches Unglück wird aus Manen (Reg.-Bez. Coblenz) berichtet. Bei dem benachbarten Ort Hansen scheute vorgestern vor mittag das Pferd eines Fuhrwerks, in dem ein Brautpaar, die Mutter, die Schwester der Braut und eine befreundete Frau saßen, bei dem Heran nahen eines Hundefuhrwerks. Der Wagen stürzte eine hohe Böschung hinunter. Die 60 Jahre alte Mutter, sowie die Freundin waren sofort tot. Die Braut wurde schwer verletzt. * Oldenburg. Der frühere Pastor Partisch von hier, welcher seinerzeit wegen Betrügereien zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde, ist vor einigen Tagen in einem bedauernswerten Zustande in Mecklenburg aufgetaucht. In Teterow mußte in den kalten Tagen deS Januar ein kranker, hungernder und frierender Vagabund dem Hospital überwiesen werden. Die Pflegeschwester, welche früher längere Zeit in Oldenburg ansässig war, er- kannte nun in dem elenden und ganz verkommenen Menschen den früheren Pastor Partisch. (Dieser hatte sich einst das geistliche Amt durch Vorlegung gefälschter Papiere erschlichen, ohne die nötigen Examina gemacht zu haben). * Zöbigker, 10. Febr. Ein Beweis vorzüg. kicher Arbeit vergangener Zeit ist ein Paar Stiefel, welche» der 87jährigc, letzthin verstorbene, August Grube hinterlassen hat. Wie G. wiederholt dem Gemeinde-Vorstand Herrn Bemme erzählte, hat er sich diese Stiefel vor — 59 Jahren (1844) bei dem Schuhmachermeister Körwin in Königsberg i. Pr. anferligen lassen und bis in die letzte Zeit ge tragen. Der Wirt vom Gasthof zum Dammhüsch will diese Seltenheit in seinem Lokale zum An- denken an solide Arbeit aufbewahrcn. * Witten a. Ruhr. Nach den Hochzeitrzügen per Nad und per Automobil wird auch über einen solchen per Straßenbahn berichtet. Dieser Tage durchfuhr eine ganze Hochzeitsgesellschaft in einem schön mit Blumen und Fahnen geschmückten Straßen bahnwagen die Straßen der Stadl Witte». Diese moderne Fahrt brachte die srohe Gesellschaft vom Hause der Braut nach dem Festlokal. * Elberfeld. Wohin religiöse Ueberspannthiit führt, die im Wuppertals, wie bekannt, nicht so selten ist, beweisen die Tausen von Frauen und Männern, die von einer Sekte in der letzten Zeit trotz der winterlichen Temperatur in einer offenen Badeanstalt vorgcnommen wurden. Mil einem leichten weißen Gewände bekleidet, steigen die Täuflinge tu die kalte Flut, wo sie von einem Prediger unlergelaucht werden. Dar Schauspiel lockt jedesmal eine große Volksmenge an. * Solingen. Ein feierliche- Begräbnis ohne Leiche hat sich dieser Tage zugetragcn. ES sollte auS dem Krankenhause der Schleifer Schlechtcndahl aus Wald beerdigt werden. Die Angehörigen de? Verstorbenen hatten einen Sarg in daS Kranken- hau- bringen lassen. Der Leichenwagen von Wald fuhr beim Krankenhausc vor; eS war aber vergessen worden, die Leiche in den Sarg zu legen, und so wurde denn den Trägern der lecrc Sarg auSge- händigt. Reicher Kranzschmuck zierte den Sarg und zahlreiche Leidtragende erwiesen, wie sie dachten, dem Toten die letzte Ehre. Pastor Rosenkranz hielt am Grade eine Ansprache, und alles war tief gerührt. Plötzlich, nachdem der Sarg bereits mit Erde bedeckt war, erschien eilenden Laufes ein Bote vom Kranken hause mit der Nachricht, daß mau ja den Toten im Krankenhause habe liegen lassen. Die Gesichter der Leidtragenden waren nicht zu beschreiben. Der Verstorbene wird nun noch einmal zu Grabe ge tragen. So geschehen im Jahre 1903. * Eger. Vor dem hiesigen Schwurgericht be gann am Montag früh um 9 Uhr bei starken, Andrang die Hauptverhandlung gegen die Mörder des Karlsbader Hoteliers Honisch. Es sind dies Anton Fischer aus Flöhau und Joseph Vojtech aus Vlkau, zwei Vagabundeu, von denen der erstere an Vorstrafen 13 Jahre Kerker und Arrest auf- weist und der letztere sogar die Hälfte seines Lebens hinter Kerkermauern zugebracht hat. Fischer ist 41 Jahre alt und mar ehemals Kellner, und Vojtech zählt 29 Jahre. Sie lernten einander in der Strafanstalt in Pilsen kennen. Den Mord in Karlsbad, bei welchem Honisch durch zwei Schüsse iu die Brust getötet und Frau Honisch durch zwei Schüsse in die Brust schwer verletzt wurde, ver übten sie nach vorheriger Verabredung in der Nacht zum 2. Juni v. I. Der Haupttäter Fischer wurde am 2. Juli verhaftet. Mehrere Atonale später erst gelang es, den zweiten Mörder in Gerings walde i. S. festzunehmen. Das Urteil wird heute abeud gefällt werden. * Bern, 10. Febr. Von hier ist eine Pfarrer«- gatlin, Mutter von fünf Kindern, eine 30 Jahre alte Frau, mit einem 23jährigcn ledigen Manne, Sohn eine« wohlhabenden Brauer«, durchgebrannl. * Zürich, 10. Febr. Ein furchtbares Familien drama hat sich jn einem Ort in der Nähe von St. Gallen abgespielt. Ein Sticker namens Müller tötete durch Messerstiche und Beilhiebe zwei seiner Kinder, verletzte seine drei anderen Kleinen und seine Frau lebensgefährlich und brachte dann sich selbst einen schrecklichen Schnitt am Halse bei. * I« Klöster entführt. Italienische und französische Zeitungen besprechen seit einigen Tagen die Entführung zweier junger Mädchen au« reichen Pariser Familien in römische Nonnenklöster. Die Mädchen wurden durch Orden«leute dorthin gebracht. Die eine, die noch minderjährig ist, konnte von ihrem Vater befreit werden, während die andere, welche majorenn ist, zurückgehalten wird. Nun haben sich noch weitere sieben Pariser Familien ge meldet, deren Töchter auf ähnliche Weise nach Rom entführt worden sind. * Mailand, 10. Februar. Spano, ein reicher Grundbesitzer und Gemeinderat von Marsala, wurde vorgestern abend in unmittelbarer Nähe der Stadt von acht bi« an die Zähne bewaffneten Briganten überfallen und entführt. Die Polizei leitete bereit» Schritte zur Verfolgung der Räuber ein. * Brüssel, 10. Febr. In vergangener Nacht legte ein entlassener Arbeiter vor die Wohnung seine« früheren Grubendirektor« eine Dynamitpatrone, durch deren Explosion ein großer Materialschaden entstand. * Glasgow, 10. Febr. Der Clyde ist über seine Ufer getreten und hat erhebliche Ueberschwemm- ungen in der Nachbarschaft von Glasgow verur sacht. In der Vorstadt Dalmarnok sind die Bahn- ltntcn und andere öffentliche Anlagen noch über- schwemmt. Der Schaden beziffert sich aus viele Tausend Pfund Sterling. Verschiedene Häuser sind etngestürzt und die Straßen stehen tief unter Wasser. Jetzt ist die Flut wieder im Sinken begriffen. * Petersburg, 1l. Febr. Unweit de» Dorfe« Sudack im Gouvernement Sebastopol wurde eine panze, au« 7 Personen bestehende Familie ermordet und beraubt. Der Verdacht richtet sich auf Ta taren. Vermischtes. -f Kannibalismus in der Mädchenschule. Der Lehrer der zweiten Klaffe einer Mädchenschule in Hannover feierte vor einigen Tagen, wie die „Kr.-Ztg." erzählt, seinen Geburtrtag. Die Schü lerinnen der Klaffe schenkten dem Lehrer eine große Torte aus einer Porzellanplatte, mit Krapfen um geben. Da» Geschenk war begleitet von einem Briese, der folgenden Wunsch enthielt: „Diese« schenkt die zweite Klasse — Und wünscht guten Appetit — Verzehren Sie gesund die Masse — Und Ihre Frau und Kinder mit." f Ein eingefleischter Weibcrhasser Iu Wien ist vor einiger Zeit ein Hagestolz, w>e er im Buche steht, als er zu dem Leichenbegängnisse seines Bruders fuhr, gestorben. Der lange, hagere Manu mit dem schwarzen Salonanzug, stets mit Zylinder- Hut und einem Rohrstocke versehen, war eine typische Figur. Interessant ist seine Hinterlassenschaft. In einem Fache deS Schreibtisches fanden seine Ver wandten ein Päckchen mit der Aufschrift: „Versuche meiner Verwandten, mich inS Ehejoch zu zwingen". DaS Päckchen enthielt 62 Briefe, die vom Jahre 1845 bis 1893 laufen und, mit Bemerkungen des Hagestolzen versehen, registriert und all aeta gelegt sind. Von dem Sammler ist ein Zettel beigefügt mit den Worten: „62 Briese mit ebensovielen An trägen von heiralSbedürftigen Mädchen und Witwen, welche ein Gesamtvermögen von 1 760000 Gnlden inS Feld stellten, um mich zu ködern." In seinem Slammgasthause erschien er jede zweite Woche; er saß nur dort, wenn er genau wußte, daß kein Platz für eine Dame vorhanden war. Ging er ins Theater, so nahm er stets drei Sitze. Links und rechts ließ er den Sitz leer. Aus der Straßenbahn, im Omnibus, aus der Bahn war eine mit o.dinärcm Tabak gestopfte Pfeife seine Begleiterin. Dics hielt ihm das weibliche Geschlecht meist zur Genüge vom Halse. Charakteristisch ist eine Stelle im Testamente; er schreibt: „Ich bitte meine Verwandten, dafür Sorge zu tragen, daß aus dem Friedhöfe, Ivo ich beerdigt werde, neben mir keine Frauenleichen beerdigt werden ; ich bitte also, für mich einen Grust- platz sür drei Leichen zu kaufen und meine Leiche in der Mitte zu beerdigen, die Räume rechts und links aber unbelegt zu lassen." -j- Von Wölfen belagert. Der Landbesitzer S. Golubkow fuhr dieser Tage in Wirlschastsan gelegenheiten aus sein Landgnl (im Gouvernement Odessa». Unterwegs wurde er von einem Rndel von 9 Wölfen angesallen. Die erschrockenen Pferde begannen mitsamt dem Wagen in rasender Ge schwindigkeit dahinzulanfen, wurden aber von den sie verfolgenden Wölfen bald eingeholt und stürzten mit dnrchbissenen Hälsen zu Bodeu. G. und sein Kutscher befände« sich nun in der Gefahr, ebenfalls von den Wölfen zerrissen zu werden. Obgleich G. drei Schüsse abgab, gelang es ihm, nur einen Wolf zu töten. Ihre einzige Rettung erblickten die beiden nur dar n, daß sie beschlösse«, de« Wage« umzuwerfe« und sich dauu unter dein umgestürztcm zu verbergen. M t großer Mühe gelang cs den vereinte« Anstrengungen beider Männer, den Wagen halb umzustürze«; daraus kroch der Kutscher unter das so geschaffene Schutzdach. G. selbst feuerte aus die Wölfe noch einen Schuß ab und verwnndete eins der Tiere. Als diese daraus etwas zurück- wichen, kroch er auch uuter den Wagen, wo nun beide Männer auseinander lagen. Nachdem sie so 16 Stnnden gelegen batten, vernahmen sie Ruse von herankommende« Leuten und Flintenschüsse. Endlich hob jemand den Wage« aus, und unter den Rettern, die vor den beiden Angefallcnen standen, befand sich auch der Sohn Gs. Diesen hatte« nämlich die beiden Hunde des von den Wölfen Ueberfallenen fast an den Ort des Vor ganges hingezerrt. Schon am Tage vorher halte der Sohn GS. seinen Vater erwartet, doch dieser war nicht angekommen. Die Hunde aber halten die ganze Zeit kläglich geheult und ihn immersort znr Straße hingezerrt Da hatte er sich denn mit mehreren Begleitern ausgemacht und seinen Vater und den Kutscher nach Inständiger Belagerung durch die Wölse aus ihrer heiklen Lage befreit. ch Der Affe Esau. Ein Affe, der in der Kunst, dem Menschen ähnlich zu werden, alle seine Stammesgenossen übertroffen zu haben scheint, wird gegenwärtig in einem Londoner Variätä-Theater gezeigt. „Esau" ist in der Tat ein unterhaltender und kluger Bursche, und wenn man ihn beobachtet, wundert man sich nicht, zu hören, daß er in aller- srühester Jugend seinen Eltern entführt und als „Mensch" auferzogen worden ist. Esau ißt mit Messer und Gabel besser, als manches Mitglied der Gattung des lwmo »apions, wischt sich nach deni Essen sauber seinen Schnurrbart mit der Ser viette und winkt dann herablassend den Kellner, ihm seinen Likör zu bringen. Die Art und Weise, wie er das Glas anfaßt und dabei den kleinen Finger in die Höhe zieht, ist wirklich klassisch. Nach Beendigung der Mahlzeit erhebt er sich, schüttelt diesem oder jenem mit gönnerhafter Miene die Hand und scheint sich in der menschlichen Ge sellschaft außerordentlich zu wohl zu fühlen. Esau kommt von Nordamerika; sein Reiseziel ist Wien, wo ihm, wie es heißt, von einem berühmten Arzt die Zunge geläst werden soll, damit die Aehnlich- keit noch „sprechender" werden soll. f Was der Mensch ißt. Ein Statistiker hat sich das Vergnügen gemacht, zu berechnen, was ein Mann von mittlerer Größe und mittlerem Appetit, der mit eineni guten Magen ausgerüstet ist und ein Alter von siebzig Jahren erreicht, im Laufe seines Lebens im ganzen ißt. Er kann sich rühmen, 28 000 Kilogramm Brot, 18000 Kilo gramm Fleisch, 40000 Kilogramm Gemüse, 3- bis 4000 Dutzend Eier gegessen und etwa 500 Hektoliter Flüssigkeiten verschiedener Art getrunken zn haben. Die Gesamtrechnung für diese Speisen und Getränke, die dieser Mensch allein zu sich ge- nommeu hat, erreicht das stattliche Sümmchen von etwa 40 000 Mark. i Eine technische Kuriosität hat ein ameri kanischer Erfinder konstruiert, nämlich ein heizbare« Bett, da» gewiß für alle Eigentümer kalter Füße, namentlich während der Wintermonate, ein will kommener Besitz wäre. Die „Erfindung" besteht au« einer Reihe von Warmwasserrohren, die auf der Unterseite de« Bette» entlang und um da» Belt herumlaufen und mit einem kleinen Behälter unter dem Bett in Verbindung stehen, der durch eine kleine Lampe geheizt wird. Der Fremde. Roman von Robert Kohlrausch. «1. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Wieder die tiefe Stille von vorhin, wieder das scheinbar stärker werdende Geräusch von Feuer, Regen und Wind. Ein paarmal öffnete Boysen den Mund, um zu reden, doch immer wieder schwieg er, alS könne er eS nicht aussprechen, was er dachte. Endlich ermannte er sich und begann, aber die Worte kamen zögernd, leise, stoßweise heraus. „Sieh Mutter, daS alleS, — ich habe es hundert- mal durchdacht. Aber heute erst, — ich habe ja mit niemandem darüber so reden können, wie mit Dir — heute scheint mir daS alle- durchsichtiger, verständlicher. Und wenn ich nun — ich möchte eS nicht denken, aber eS kommt immer wieder, — sieh, wenn er Sassis Vater ist, und wenn ihre Mutter ermordet ward, wäre es da nicht möglich, daß er selber der Mörder war'?" „Richard, was willst Du mir tuv?" Mehr als die Frage, mehr al« der Klang der alcmlo« hervorgestoßencu Worte ließ der Anblick ihn emporfahre«, der sich ihm bot. Aufrecht vor ihm stand seine Mutter, die Hände auf die Tisch- platte gestützt, da« krampfhaft verzogene, blutleere Gesicht mit furchtbarem Ausdruck ihm zugekehrt. Und so, mit derselben Stimme, aus der dar Ent setzen sprach, fragte sie noch einmal: „Richard, was willst Du mir tun '?" „Um Gotte« willen, Mutter —!" Sie aber Hörle nicht auf ihn, sic schien die Hände nicht iu sehen, die sich ausstrecklen, um sie vor dem Umsinken zu b.wahren. Die Augen schauten über ihn hinweg und starrten ins Leere. „So ist er zurückgekommen nach so langen, laugen Jahren ? Und Du, — Du mußtest e» sein, der ihm begegnete? Du mußtest an« Licht ziehen, was für immer im Dunkel bleiben sollte. Nun wirst Du von ihm Rechenschaft fordern, Du, gerade Du wirst ihn verderben!" Boysen war zu ihr getreten, hatte seinen Arm um sie gelegt und hielt sie aufrecht in tätlicher Angst. „Nein, Mutter, nein, ich suche nur nach der Wahrheit, nicht« weiter. War ich will und soll und muß, ich weiß e« nicht! Und wen« Du mir sagst, er ist unschuldig, er Hal e« nicht getan, so will ich Dir'« tausendmal danken, denn er steht mir ja nahe, so unendlich nahe!" „Du wirst e« tun, denn Du bist redlich und wahrhaft, ich aber werde darüber sterben." E« war, al» hätte sie den Tod gerufen. Wenn c« möglich, daß ihr Gesicht noch bleicher ward, so geschah c« in diesem Augenblick. Die Hände lösten sich von der Tischplatte und griffen nach dem Herzen empor, ohne e« zu erreichen. Der leichte Körper aber — Boysen fühlte e« mit Schrecken auch in diesem Augenblick, wie leicht und zart er geworden mar, — brach zusammen in seinen Armen und sank 'n die Kiffen de« Sopha«. Er faßte ihre Hände, ihre Stirn, er warf sich neben ihr nieder und flehte sic an, nicht von ihm zu gehen. „Mutter, Mutter, sieh mich doch an! Hörst Du mich nicht'? Ich bin'r ja, ich lin bei Dir und will sorgen, daß aller Kummer Dir fern bleibt. Sprich nur mit mir und sieh mich an mit Deinen lieben Augen, sonst muß ich ja denken, — da« kannst Du mir nicht antun, Mutter, nicht wahr ?" Kein Wort kam von den verstummten Lippen, und die Augen öffneten sich nicht, ihn durch einen Blick der Liebe zu trösten. Nun sprang er empor, eilte zur Tür, riß sie aus und ries mit entstellter, heiserer Stimme nach der Dienerin, die mühsam, eilig die Treppe herauf kam. „Rieke, sieh her, Du mußt eS ja wissen. Nicht wahr, Mutter ist öfter so, und es wird nicht ge fährlich sein?" WaS mußtest Du ihr geben, wenn sie ohnmächtig war? Komm' her, besinne Dich, was können wir tun?" Die Alte war zu der ohnmächtig Daliegenden herangetreten und betrachtete sie mit sorgenvoller Miene. „Jawohl, sic hat's schon öfter so gehabt, noch neulich, vor vierzehn Tagen, wie ich zur Stadt war. Aber —" „Aber?" „Der Herr EanitätSrat hat gesagt, wenn e» wiedeikäme —" Eie sprach nicht zu Ende, und er fragte sie nicht weiter; ihr Schweigen sagte ihm, WaS er in Worten nicht hören wollte. Eilig begann sie nun, die Hilfsmittel anzuwenden, die sie kannte, öffnete der Ohnmächtigen daS Kleid und schasste Eis her bei, da» ihr auf Kopf und Herz gelegt wurde. Ueber die blassen, erstarrten Lippen goß sic ein paar Tropfen starken Wein« und rieb die erkalteten Hände. „Ist eS der Tod? Ist eS möglich, daß er e» ist?" fragte Boysen sich hundertmal, während er ihr hilfreiche Hand leistete und die angsterfüllten Augen nicht abwandte von den geliebten, entstellten Zügen. Und jetzt meinte er ein Zucken der Lippen, der Augenlider zu sehen, ein tiefer Atemzug bewegte die Brust — er hat sich nicht getäuscht, sie kehrte zu rück ins Leben! Ja, Gott sei gepriesen, sie lebte! Die Gnade deS Himmel- war über ihn, sie ließ e» zu, daß er versuchen konnte, wieder gut zu machen, zu sühnen. Er richtete sie empor, er stützte sie mit seinem Arm und hielt sie aufrecht. Die alte Magd aber, der die Freudentränen in den Augen standen, flüsterte ihm zu: „Jetzt muß sie sich legen, Ruhe muß sie haben. Aber ganz leise, ganz sachte müssen wir da- machen. Kommen Sie, junger Herr, wir wollen sie in einem Stuhl setzen und hinübertragen in ihre Kammer." Sie war eine leichte Last, und bald lag sie friedlich in ihrem Kissen, matt, aber ruhig atmend. „Wir haben sie noch einmal behalten," sagte die Dienerin, „der gute, alte Gott hat uns nicht ver lassen." (Fortsetzung folgt.) Neueste Nachrichten und Depeschen vom 11, Februar. Dresden. Der Ehetrennuugs-Prozeß begann heute Vormittag 10 Uhr im Sitzungssaal des Oberlandesgerichts vor dem bereits bekannten Gerichtshof. Die Oeffenllichkeit war ausgeschlossen. Als Zeugen hatten sich wiederum eingefundeu Hofmarschall v. Tümpling, Oberhofmeisterin Frei frau v. Fritzsch, Polizeiiuspektor Schwartz und Kammerdiener Harnisch. Gegen Mittag zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück und nahm etwa 1 '/j Uhr die Verhandlung wieder auf. Das Urteil ist etwa um 3 Uhr zu erwarten. Berlin. Der Kaiser wohnte gestern Abend einem Vortrag über „Sicherungen im Eisenbahn- Betrieb" bei, der beim Eisenbahnminister Budde stattsand. Nach Beendigung de« Vorträge« besichtigte der Kaiser die ausgestellte« Modelle und unterhielt sich längere Zeit mit den beiden Herren Siemen«, dem Minister Budde und dem Direktor de» Nord deutschen Lloyd, Dr. Wiegand. Später gab der Minister ein Soupö, an welchem auch der Kaiser teilnahm. Berlin. Gestern abend wurden in allen sech» Berliner Rcich«tag«wah!kreisen sozialdemokratische Partciversammlungen abgehallen, in denen die Kandidaten für die bevorstehenden Neich»tagSwahlen ausgestellt wurden. Paris. Beim Begräbnis eines Arbeiters kam es gestern zu Kundgebungen. Die Polizei wollte einschreiten und die Demonstranten verhaften, wo bei es zu einem Zusammenstoß kam. Mehrere Arbeiter schossen aus Revolvern; ein Polizei-In spektor wurde au der Hand verletzt. Der Tumult wurde schließlich so groß, daß die Ladenbesitzer in der Nähe es vorzogeii, ihre Geschäftslokale zu schließen. Die Polizei patrouillierte noch mehrere Stunden lang die benachbarten Straßen ab. Eine Anzahl Demonstranten wurde verhaftet. Paris. Nm Kundgebungen bet der Abreise de« gemaßregelten Corplches» Tournier von Cler mont-Ferrand zu verhindern, wurde kurz vor Ab- gang de» Zuge» die gesamte Garnison alarmiert und eine Stunde weit dirigiert. Der Einzug de« neuen Corp»kommandanten Girardel erfolgt nächste Woche. London. „Central Liews" bringen die auch schon anderweit aufgetauchte Meldung, die russischen Reserve-Offiziere hätten Befehl erhalten, sich inner halb 24 Stunden nach der Mobilisierung bei ihren Regimentern einzufinden. Man glaubt, daß die Maßregel iu den Complikationen auf dem Balkan ihren Grund findet. Barcelona. Die Polizei entdeckte ein geheimes Versammlungslokal der Schriftsetzer. Der Gouver neur beabsichtigt die sofortige Schließung des Buch drucker-Vereins und des Komitees des Zentral- Arbeiterverbandes, sowie die Verhaftung der Mit glieder des Komitees. Doch sind letztere geflüchtet. Cadiz. An Bord der im hiesigen Hafen liegenden Schiffe geht infolge des Schifferstreiks das Brot aus. Der Gouverneur droht, bei Fort dauer des Streiks den Belagerungszustand zu ver hängen. Belgrad. Die Reservisten erhielten den Auf trag, sich für den Fall einer Mobilisierung bereit zu halten. Sofia. Die macedouischen Komitees entwickeln fortgesetzt eine fieberhafte Tätigkeit. Verschiedene angesehene Mitglieder des Komitees sind bereits nach Macedonien gereist, um sich dem Aufstand anzuschließen. Semliu« Im Abendzug traf gestern der Banu» mit dem CorpS-Kommandanten und seinem Gefolge ein. Die Stadt ist beflaggt und illuminiert. Eine große Zahl politisch Verdächtiger wird bi» zur Be- endigung der Trauerfeicrlichkeiten für König Milan in Hast behalten. Washington. Die Haltung der Vertreter der Mächte in der Venezuela-Frage ist unverändert. Die Gesandten der Verbündeten warten die Jn- straklionen ihrer Regierungen ab. Zwischen den Vertretern der Alliierten und Bowen finden häufige Konferenzen statt.
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