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Hchenslcin-ErMalcr Tageblatt für L-tzeB-n>.KrnMal, Gö-rkungwih, Hersdorf, K-rmsdsrf, A-rnsdorf, Wüstpllbmiii. Ursprung, Mittelbach, Langeilberg, Falken, Meinsdorf, Grumbach, Tirschheim rc. — Weitverbreitetes Insertions-Organ für amtliche und Privat-Anzeigen. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sann- und Festtage täglich nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Aus träger, sowie alle Postanstallen. Für Abonnenten wird der Sonntags-Nummer eine illustrierte Somi- tagsbeilage gratis beigegeben. Abonnement: Bei Abholung Frei ins Haus monatlich 35 Pfg. monatlich 42 Pfg. die einzelne Nummer 5 „ vierteljährlich 1. M. 25 Psg. Durch die Post bezöge» 1.25 Mt. excl. Bestellgeld. Jnscrtionsgebiihren: die sechsgespaltene Corpuszeile oder deren Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg., für auswärts 12 Pfg. Reklamen 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt. Annahme der Inserate für die folgende Nummer bis vor«. 1V Uhr. Größere Anzeigen abends vorher erbeten. Mittwoch, den 28. Januar 1903. Nr. 22. 30. Jahrgang. Amtlicher Teil. Die Selekta mit Progymnasinm in Hohenstein-Ernstthal nimmt mit Ostern d. I. neue Schüler auf und erreicht durch Aufsehen der obersten Klasse ihren vor läufigen organisatorischen Abschluß (4 aufsteigende Klasse» sür das 5.-8. Schuljahr». Die Anstalt widmet besondere Aufmerksamkeit der Vorbereitung auf höhere Schulen, namentlich stellt sie sich die Aufgabe, die ihr zugeführlen Knabe» für den Eintritt in die O.uarta bez. Untertertia des Gymnasiums und Realgymnasiums oder in die entsprechenden Klassen der Realschule (in der Regel nach beendetem 6. bez. 7. Schuljahre) zu befähigen. Schülern, namentlich auch Schülerinnen, welche bis zur Beendigung ihrer Schulzeit in der Selekta bleiben, soll neben der Darbietung einer erweiterten allgemeinen Schulbildung die Kenntnis fremder Sprachen, teingesührt ist das Lateinische, Französische, Englische: indes einem Schüler gleich zeitig Teilnahme nur an 2 Sprachen gestattet,) soweit vermittelt werden, daß sie beim Eintritt in höhere Lehranstalten (Höhere Handelsschule, Lehrerseminar, Fachschule rc.) oder auch für eigene selb ständige Weiterbildung zum mindesten eine sichere Grundlage gewonnen haben, auf welcher sie weiter bauen. Das jährliche Schulgeld beträgt, »ach den Einkommensverhältnissen der Eltern progressiv ab gestuft, 28—110 Mk. Anmeldungen können bei dem Unterzeichneten, der zu jeder weiteren Auskunft gern bereit ist, an allen Schultagen in der Zeit von 11—12 Uhr bewirkt werden und werden bis zum 15. Februar erbeten. Hohenstein»Ernstthal, am 27. Januar 1903. Schuldir. Dietze. Es war einmal. Unter dieser Ueberschrist bringt die „Köln Zig." die nachfolgenden beachtenswerten Zeilen: „Wir Deutsche haben ein gewisses Talent dafür, uns die Freude an dem Edlen und Herrlichen, welches das Leben bietet, zu vergällen. Da war einmal ein Mann, der hieß Bismarck. Der wanderte durch die deutschen Lande, und er sah, daß es überall übel bestellt mar. Er sah, wie seit Jahr hunderten sich hier die Heere der Völker ein Stell dichein gegeben hatten. Aber neben der Zerrissen heit und Schmach entdeckte er viel Kraft und Geist, viel Tiefsinn und viel wagenden Lebensmut. Und er meinte, wenn man diese germanische Ur kraft zusammenschmiede, so müsse wohl ein ver nünftiges Gebilde daraus entstehen. So nahm er denn den Hammer und schmiedete mit frischer, fröhlicher Siegfricdskrast die deutsche Einheit. Und ivie er so schmiedete und wie er so hämmerte, da grollte das deutsche Volk darob, daß er so viel Kohlen verbrauche und daß das Eisen so teuer sei. Die deutschen Männer änderten aber ihren Sinn, als er mit der wuchtigen Waffe aus der Schmiede herauslrat, eine Welt von Feinden niederschlug und sich daran machte, dem geeinten deutschen Volke ein stattliches Haus zu bauen. Alles Volk jauchzte ihm zu, als er den Drachen der inneren Zwietracht erschlug und den äußeren Feind in hundert Schlachten niederschmetterte. Mst Ver ehrung aber blickte jeder Deutsche zu dem großen und guten Kaiser empor, zu der prachtvollen Greisen gestalt, die göttergleich in unnahbarer Hoheit neben dem gewaltig wollenden Manne stand und herrschte, ohne zu regieren. Als Bismarck aber sachte be gann, das deutsche Reichshaus auszubauen, da be gannen die biederen Deutschen die Köpfe zu schütteln. Sie fanden, daß hier ein Erker einen schlechten Eindruck mache und daß dort ein Ornament die heiligsten Gefühle des Volkes verletze. Und als der Schmied der deutschen Einheit zu Jahren kam, da sagten sie: „Es gelingt ihm nichts mehr." Und erst, als er den Hammer »iedergelegt hatte, da hnben sie an, mit der halb wehmütigen, halb entrüsteten Klage, daß der Mann abgetreten sei, dem sie das Leben so sauer gemacht hatten. Noch immer aber begriffen sie nicht, daß man eine Persönlichkeit mit ihrer Eigenart nehmen muß, wie sie nun einmal ist. Dann griff wieder eine Person mit ausgeprägter Eigenart in die deutsche Geschichte ein und rollte die Frage auf, ob die Dynastie Bismarck oder die Dnnastie Hohenzollern das Leben des deutschen Volkes beherrschen solle. Unter dem alten ruhmbedeckte» Kaiser war Mommsens böses Wort über den Majordomus ungefährlich. Die langhaarigen Merovinger fuhren bekanntlich taten los durch die Lande, während der Majordomus regierte. Kaiser Wilhelm II. ist nun sicherlich keine Figur, die in den Wagen der Merovinger hinein paßt. Aus die Kommandobrücke traten zwei kraft volle Männer, deren Einer weichen mußte, wenn man nicht Recht und Gesetz umstürzen wollte. Und nun trat ein Monarch hervor, an dessen An blick die Well sich erst langsam gewöhnen mußte, ein Monarch, der alle Theorien über die zweck mäßigste Einrichtung der Staate» über den Haufen wirst. Man glaubt im allgemeinen, daß das höchste Problem der Politik, Wallungen auszu schließe», in der konstitutionellen Monarchie am Besten gelüst sei. Die Erfahrungen, die wir Deutsche gemacht, beweisen, daß dieser Satz keine unbedingte Sicherheit bietet. Auch der Monarch kann, einer edlen Wallung folgend, daS Herz sprechen lassen, wo der Verstand entscheiden sollte. Da ist es nun beruhigend, daß neben dem Kaiser mit prächtigem Freimut der Reichskanzler Gras Bülow steht. Die Offenheit, mit welcher Graf Bülow im Reichstage sich darüber beglückwünschte, daß der Kaiser kein Philister sei, obwohl eine weniger kräftige Persönlichkeit für den Kanzler bequemer sei, hat erfrischend gewirkt und beweist, daß zwei hochbegabte Männer, der Kaiser und der Kanzler, gewillt sind, sich zu verstehen und zu vertragen." Zur Affäre der Kron prinzessin erhallen die „Dresd.Nachr." folgende, ausreinstein, treuem Sachsenherzen stammende Betrachtung: Immer näher rückt der aus den 28. Januar an gesetzte Termin in der Ehestreitsache des kronprinz- l:chen Paares heran, und mit Spannung sieht man dem gerichtlichen Urteile entgegen. Immer mehr wächst auch im sächsischen Volke, das mit seinem Königshause zugleich trauert, die Entrüstung über Giro», je deutlicher die Motive zutage treten, welche diesen Buben bei seiner Schandtat leitete». Wegen der Verachtung, die ihm die ganze Welt zollt, hat es die Presse bisher unterlassen, seine Untaten im Zusammenhang zu bet»achten, vielleicht auch, weil Giro» erklärt hat: „Die Presse ist für uns nicht vorhanden." Auch ein Schweizer Jurist hat in der „Züricher Post" erklärt: „MitHerrn Giron befassen wir uns nicht. Burschen, die sich rühmen, mit der Ehesrau des Arbeitgebers Verkehr zu pflegen, be sitzen nicht die Sympathie der schweizerischen Be völkerung." Aber weder der Mangel der Sym pathie sür einen Verbrecher, noch der Umstand, daß sür Giron die Presse nicht vorhanden ist, darfuns abhalten, sich mit Giro« zu befassen, wenn es gilt, ihn in das richtige Licht zu setzen. Nur wenn wir seine Motive klar erschauen, können wir wissen, was mir für Giron wünschen. Daß Giro» eine auch nur annähernd an Liebe erinnernde Neigung zur Kronprinzessin gehabt oder noch haben sollte, ist vollständig ausgeschlossen, nicht einmal eine erotische Neigung läßt sich be haupten. Für einen jungen Mann von 23 Jahren kann eine 32jührige Frau mit fünf lebenden Kim der» selbst auf ei»e kürzere Dauer keine» Reiz haben. Höchstens eine romantisch-abenteuerliche Schrulle könnte wegen der hohen Geburt und Stellung hier vermutet werden; aber auch dies kann nicht nachhaltig wirken Würde der unreife Mensch wirklich eine mit der Liebe verwandte Nei gung zur Prinzessin haben, so wäre sein ganzes Verhalten in der Affäre unerklärlich. Der Liebende ist bemüht, seine Geliebte zu verklären, sie gegen jeden Angriff, der ihrer Ehre droht, zu schützen und zu verteidigen, selbst einen eventuellen Fehltritt zu bemänteln und in Abrede zu stellen. Deshalb zeigt sich der Liebende immer zurückhaltend, zieht sich öffentlich von der Geliebten zurück, wenn ihr der Vorwurf unpassenden Verhaltens droht, und wartet in der Entsernung den Gang der Dinge ab falls sich etwas der Geliebten Nachteiliges kund gibt. Liebte Giron die Prinzessin, so würde er in aller Stille das Weile gesucht, sich einen der hohen Dame würdigen Lebensberus begründet, sein Verhält nis zu ihr geheim gehalten und wenigstens den Zeit punkt abgewartet haben, bis der Prinzessin Nieder kunft vollzogene Tatfache geworden ist. Nichts von alledem finken wir Im Gegenteil führt sich Giron, nachdem er vom königl. Hofe unter dem Versprechen, alle Beziehungen zur Prin zessin abzubrechen, entlassen worden, in einer Weise auf, die die Kronprinzessin vor der ganzen gebil- deten Welt blosstellt. Nachdem er sie am Hoke kompromittiert, trifft er mit ihr heimliche Verab redungen, von denen er wissen muß, daß sie das Ansehen der Prinzessin schädigen. Er beteiligt sich an ihrer Flucht, logiert sich mit ihr in Genf in dasselbe Hotel ein. Hier empfängt er Berichterstatter, denen er Dinge über die Kronprinzessin aussagt, die sie als mehr wie eine bloß ungetreue Gattin und pflichtvergessene Mutter erscheinen lassen, lleberall, wo es gilt, den Charakter der Prinzessin zu verunglimpfen, hat er seine Hand im Spiele. Ja, er scheut sich nicht, die Prinzessin aller Welt als seine Braut, teilweise sogar als seine Gattin vorzustellen, sich selbst als Vater ihres zukünf tigen Kindes! Aus diesem allen ergibt sich, daß auch nicht ein Funken Liebe zur Prinzessin in der Brust Girons wohnen kann, ja nicht einmal die leiseste Spur von Mitleiden über sein Opfer, das er mit seinen Fängen so fest umklammert hält, daß die Prinzessin gar nicht zum Bewußtsein ihrer elenden Lage kommt, und sie sogar zu einem Mitarbeiter der „Zeit" den Ausspruch tun konnte: „Am meisten ärgert mich das Wort Schuldbewußtsein. Ich habe es nicht." Wenn eine Frau, die ihrem Ehe gemahl entflohen ist, die ihre fünf Kinder verlassen und sich von ihren greisen Eltern, ihren Geschwistern und sonstigen Verwandten getrennt hat; wenn eine Frau, die das Volk, zu dessen Königin sie berufen war, und damit nicht genug, wenn sie die ganze gesittete Gesellschaft anderer Nationen durch ihre Handlungsweise so tief gekränkt und beleidigt hat, wie die Prinzessin, noch sagen kann, sie habe kein Schuldbewußtsein, so ist sie geistig nicht mehr zu rechnungsfähig und als irrsinnig zu betrachten. Denn eine bloß gesunkene Person mit klarem Ver stände muß in derartigen Handlungen stets einen Fehltritt erkennen. Herrn Giron, der sich doch in der allernächsten Umgebung der Prinzessin aufge halten, kann dieser krankhafte Zustand nicht ent gehen, auch wenn er noch ein unreifer Bursche ist. Wenn er dennoch sein Opfer nicht frei gibt, so deuten seine Motive bei seinem Verhalten auf alles andere, als auf Liebe zur Prinzessin hin, und er enthüllt sich als ein Schuft, den eine Strafe treffen müßte, wie sie nur der allerbösartigste Verbrecher verdient hat. Der Kriminalcodex weist noch viele Lücken auf, weil die menschliche Bosheit eben noch nicht in allen Formen, in denen sie zur Erscheinung kommen kann, erkannt ist. Vermissen wir bei Giro» jedes Gefühl von Liebe sür die Prinzessin, so ist e» nicht schwer, die Motive zu erkennen, von denen sich Giron vom Beginne seiner Attacke auf die Kronprinzessin leiten ließ. Die Prinzessin Luise war im Volke wegen ihrer Leutseligkeit bekannt und beliebt; sie war auch Personen unter ihrem Stande im Verkehr und in der Unterhaltung leicht zugänglich. So lange sie sich Personen von anständiger Gesinnung näherte, war für sie keine Gefahr vorhanden. Aber zu diesen Personen gehörte Giron nicht, der die Leut seligkeit der Prinzessin mißbrauchte. Ein junger Mensch von 23 Jahren, fand er am sächsischen Hose eine Anstellung al» einfacher Sprachlehrer sür Vie jungen Prinzen, deren Unter« richt die Mutter oft beiwohnte, wobei sie Giron näher trat. Er ist durchaus nicht der „bildschöne Mann", von dem die Presse anfangs fabelte, sondern im Gegenteil ein Mann, dessen wenig intelligenter GesichtSauSdruck g-radezu elwoS Widerliche- hat. Daß sich in diesen unreifen Burschen ohne absonder liche Schönheit die Prinzessin ohne weitere- verliebt haben sollte, ist für einen Menschenkenner um so weniger faßbar, al- Giron auch geistig der Prin zessin nicht ebenbürtig ist. Wäre er ein großer Ge lehrter oder hervorragender Künstler, so wäre e» schon ehrr denkbar, daß er der Prinzessin imponiert hätte. Nur auf einem ganz ungewöhnlichen Wege kann sich da- Verhältnis beider zu einander ent- sponnen haben. Daß eS Giron an Dreistigkeit nicht fehlt, hat er sattsam bewiesen. Die Dreistig keit gab den Ausschlag. Eine Vergangenheit in Bezug auf seine Leistungen hat Giron noch nicht, da er e- bisher noch nicht verstanden hat, sich durch Arbeit eine Lebensstellung zu erringen. Nur seiner Verbindung zu hochgestellten Verwandten hatte er e- zu danken, daß ihm wegen seiner Kenntnis der französischen Sprache die untergeordnete Stelle eine- Hauslehrers übertragen wurde. Eine solche Stel lung zu versehen, erfordert kein große- Rüstzeug; das zu leisten, vermag jeder Schüler der französischen Lehranstalt. DaS Gefühl, plötzlich trotz seiner ge ringen Vorbildung sorglos ein angenehmes Leben führen zu können, war für ihn, der ohne hohe Ideale bisher dahin gelebt holte, wonnig. Hätte ihm ein höheres Streben und Pflichtbewußlsein innegewohnt, um mit eigener Kraft etwas au- sich zu machen, so würde er, wie zahlreiche andere Hauslehrer, seine Stellung benutzt haben, sich wissenschaftlich weiter zu bilden, da einem Hau-lehrer viele Mußestunden zur Verfügung stehen. Aber daS lag nicht in seiner Absicht. Er wollte auf leichte Art sich eine ange nehme Zukunft sichern, und darin zeigte er Konse quenz. Gewisse Mißlichkeiten de« Hofleben« zu erlauschen, ist nicht schwer. Eine leicht hingeworfene Bemerkung, daß die Hosetikette eine Last sei, machte er sich zu nutze. So heuchelte er Liebe, verwirrte der Prin zessin den Kops und ließ ihren leichten Sinn in Leichtsinn au«arten. Daß eine Prinzessin über Mittel versügt, mit denen man bequem leben kann, war dem an ernste Arbeit noch nicht gewöhnten jungen Burschen ohne Vermögen wohl bekannt. So wurde er immer dreister. Wenn er die Prinzessin stark kompromittierte, so war ihm entweder eine sehr hohe Abfindungssumme seilen« de« Hose« sicher, oder die Prinzessin selbst mußle mit ihrem eigenen Vermögen herhalten. Da« erstere scheint ihm offen bar trotz seiner bei seiner Entlassung au«gestohenen Wehklage, daß man ihn doch nicht so einfach ent lassen könne, nicht gelungen zu sein. So blieb denn dem Haullehrer nichts andere« übrig, al« sich an die Prinzessin selbst, gleichsam al« an ein Pfand- objekt, zu halten. Er reizte sie zur Flucht und schloß sich ihr an. Um seine Habsucht und die Motive seiner Handlungsweise zu vertuschen, erklärte Giron seinen Au«fragern, „er habe der Geschichte