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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.01.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-190301236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19030123
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19030123
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-01
- Tag 1903-01-23
-
Monat
1903-01
-
Jahr
1903
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.01.1903
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achtet«! Das Reichsgericht konnte aber keinen Rechtsirrtum in dem urteil erkennen und hat die Revision verworfen. * Leipzig, 21. Ian. Der heute in Angriff ge nommene neue Zentralbahnhof, der sämtliche bis herigen hiesigen Bahnhöfe vereinigen soll, fordert im Etatjahre 1903 die erste Rate von 2'/, Millionen Mark. Als Bauzeit sind 9 Jahre in Aussicht ge nommen. * Lunzenau, 20. Jan. DaS hiesige Elektrizi- tätSwerk ist nunmehr für die von der Sparkasse ge- währte Hypothek von 60000 Mk., zuzüglich rück- ständiger Zinsen und entstandener Kosten, in den Besitz der Stadt übergegangen. * Lunzeuau, 21. Januar. Gestern vormittag erhängte sich der Schneider E. Winkler in Abwesen heit seiner Angehörigen in seiner Wohnung an seiner Nähmaschine. * Zwenkau, 20. Januar. Gestern nachmittag gegen 4 Uhr verbrannte sich da« sechsjährige Töchterchen de« in der hiesigen Enkeschen Schuh fabrik angestellten Maschinenmeister« Leutsch mit Petroleum dermaßen, daß er heute morgen 2 Uhr seinen Wunden erlegen ist. * Thum, 21. Januar. Heute Morgen gegen 4 Uhr brach in dem an der Chemnitzer Straße gelegenen, dem Werkführer E. O. Nestler gehörigen Wohngebäude Feuer aus, durch welches dasselbe bis auf die Umfassungsmauern zerstört wurde. Der Besitzer befindet sich auswärts in Stellung. * Plauen, 21. Jan. Vor dem hiesigen Land gericht fand heute die Hauptverhandlunz gegen die hiesigen Bauunternehmer Geßner und Helbig statt, die im Stadtteil Haselbrunn dasjenige HauS gebaut hatten, das seinerzeit teilweise eingestürzt ist. Geßner wurde zu 500 Mk., Helbig zu 300 Mk. Geldstrafe verurteilt. * Pausa, 20. Januar. Durch eine Feuers brunst ist am Montag Abend hier das Thoßsche HauS an der Windmühlenstraße völlig eingeäschert worden. Die betroffenen Familien Thoß, Roßnagel und Jung konnten nur wenig retten; erstere hatte nicht einmal versichert. Der Feuerwehr gelang es, daS Feuer auf seinen Herd zu beschränken. * Adorf, 20. Januar. Durch Verbrühen hat hier abermals ein Kind seinen Tod gefunden. Die Frau deS ZithermacherS Keßler hier wollte einen mit kochendem Kaffee gefüllten Topf in den Ofen stellen. Der Topf kippte um und die siedend heiße Flüssigkeit ergoß sich zum Unglück teilweise über den an der Diele spielenden 1'/§ Jahre alten Knaben der Keßlerschcn Eheleute. Das Kind ist infolge der Verletzungen gestern gestorben. * Bobeuneukircheu i. B, 21. Januar. Der Anfang der dreißiger Jahre stehende Zimmermann und Wirtschaftsbesitzer Floß ist beim Holztrans port schwer verunglückt. Er ivurde bei Leitung des Geschirres von den Zugochsen zu Boden ge rissen und überfahren, wobei er förmlich skalpiert und ihm das linke Schulterblatt und der Arm ge brochen wurden. Floß liegt jetzt noch besinnungs los darnieder und dürfte kaum noch mit dein Leben davon kommen. Er stammt aus der Glau chauer Gegend und ivar erst vor kurzem ins Vogtland gekommen. Meißen, 20. Januar. Im Fieberwahn ist heute früh in einer hiesigen Krankenanstalt ein I7jähriger Glaserlehrling zum Fenster hinausgesprungen. Er wurde tot ausgehoben. Seine schwere Krankheit, der Fall und die Kälte mögen zu dem schnellen Ende zusammengewirkl haben. * Meißen, 20. Jan. Eine aufregende Jagd aus einen schweren Verbrecher spielte sich gestern srüh im Morgengrauen in der romantischen Gegend deS Seelensteigs und der Freiheit im ältesten Meißen ab. Dem Verfolgten, einem 24jährigen Arbeiter aus Böhmwitz, wird hauptsächlich ein schwerer Raub, den er in Gemeinschaft mit seinen» Bruder am 24. Oktober v. I. in der katholischen Pfarrei zu Kaul- witz im Kreise Namslau in Schlesien verübte, zur Last gelegt. Während der inzwischen schon abge- urteilte Bruder Wache stand, stieg der verwegene Verbrecher aus einer Leiter in das obere Stockwerk des Hauses, dessen Bewohner, wie ihm bekannt war, in der Kirche weilten. Die Wirtschafterin war jedoch daheim geblieben. Als diese das Ge räusch hörte und dem Verbrecher unvermutet ent- gegentral, wurde sie zu Boden geworfen und durch schwere Drohungen gezwungen, den Aufbewahrungs ort des Geldes anzugeben. Gegen 200 Mk. fielen dem Räuber in die Hände. In letzter Zeit hatte der gefährliche Bursche das Feld seiner Tätigkeit nach Meißen verlegt. Mehrere Einbruchsdiebstähle in Meißen und Umgegend und einen anfangs dieses Monats beim Schützenhaus verübten Raubanfall legt man ihm hier zur Last. Endlich wurde er ermittelt. Heute srüh sollte seine Verhaftung er folgen. Außer mehreren Schutzleuten war auch Gendarmerie aufgebote». Trotz vorsichtigen Vor gehens hatte der Verbrecher aber doch Verdacht ge schöpft und die Beamten fanden das Nest leer. Ueber Dächer und Mauern hatte er seinen Weg genommen und dabet in einer Bodenkammer seine in der Eile ganz unvollständig gelassene Garderobe ergänzt. Endlich gelang es einem Schutzmann, ihn in einem Hause auf der Freiheit zu stellen und mit vorgehaltenem Revolver so lange festzuhalten, bis Hilfe Herbeikani. In der Wohnung des Verbrechers sand man Munition, Brechwerkzeuge, eine schwarze Maske u. dergl. * Radeberg, 20. Jan. Heule srüh halb 7 Uhr versuchte der Langestraße 13 wohnende Max Kästner sich in seiner Wohnung mit einem Rasiermesser die Kehle zu durchschneiden. Er brachte sich derartig schwere Verletzungen bei, daß er im Krankenhause Ausnahme finden mußte. Da aber die Schlagader nicht getroffen, hofft man da« Leben de« 23jährigen Manne» erhallen zu können. Grund zur Tat sollen Schulden sein. * Wilsdruff. Das hiesige Wochenblatt schreibt: „Ein in besseren Verhältnissen lebender Privatus des Plauenschen Grundes wollte im vorigen Jahre auch einmal sein Glück in Monaco versuchen. Ge sagt — getan! Mit 1000 Mk. Spielgeld in der Tasche und 300 Mk. für die Rückreise im event. Verlustfalle des Spielgeldes von 1000 Mk. zog der Herr los. Gewagt — gewonnen! — DaS Spiel begann — daS Glück fiel dem Spieler zu. Mütterchen war erstaunt, als in einigen Tagen eine Anweisung von 8000 Mk., in wieder einigen Tagen eine weitere von 10 000 Mk. durch die Post zur Auszahlung gelangte. Der glückliche Spieler ließ nach dieser Befriedigung seine Hände aus dem Spiele, hatte schön Monaco gesehen und die „arme Bank" um 18 000 Mk. erleichtert." — Das ist einmal ein Glückspilz! In der Regel ist die Sache aber umgekehrt, und nicht die Bank, sondern das Portemonnaie der Spieler wird er- eichtert. * Pirua, 20. Januar. Einen plötzlichen Tod fand heute früh gegen 8 Uhr auf hiesigem Bahn hofe die Frau Privata verw. Sperl von hier. Die in den 60er Jahren stehende Frau war in d-r Absicht, den um 8 Uhr von hier nach Dresden ab gehenden Zug zu benutzen, nach dem Bahnhöfe ge gangen und soll sich dabei übereilt haben. Kurz vor Betreten deS Bahnhofsgebäudes wurde ihr un wohl und sie wäre auf den Boden gesunken, wenn ihr nicht sofortige Unterstützung zu teil ward. Einige Bahnbedienstete trugen die Bewußtlose nach einem Dienstzimmer. Ehe weitere Hilfe geleistet werden konnte, verschied die Bedauernswerte. * Klei»dittma«»Sdorf bei PulSnitz. Am 22. Januar feiert das GutsauSzügler Großmannsche Ehepaar in seltener Rüstigkeit daS Fest der diamantenen Hochzeit. * Hässlich bei Maxen, 22. Januar. Der gegen 3 Uhr hier einlaufende Personenzug erhielt gestern kurz vor der Station insofern einen unfreiwilligen Aufenthalt, al« unmittelbar vor dem Passieren de» Mühlbach-Häselicher Straßenübergange« ein kleiner Junge sein Brüderchen auf einem Schlitten über« Geleis ziehen wollte, dabei aber fest sitzen blieb. Nur dem aufmerksamen Führer, der sofort Gegen dampf gab, war e« zu danken, daß der Zug vor dem Schlitten zum Stehen kam und so beide Kinder vor einem schrecklichen Tode bewahrt blieben. * Altenburg, 20. Jan. Hier ist vor einiger Zeit eine junge Künstlerin, Frl. Marie Widemann, kurz vorher, ehe sie ein Engagement am hiesigen Hoftheater an Stelle von Frau de Schreiber an treten sollte, plötzlich erblindet. Für die Aermste, deren Vater vor kurzem verstorben ist und die ohne alle Subsistenzmittel dasteht, findet Sonn abend den 24. dss. Mts. hier ein öffentlicher Vor tragsabend statt. Auch in anderen Städten, so in Straßburg, hat sich die Mildtätigkeit geregt, um die junge Dame in ein Altersstift oder Blinden heim einzukaufen. * Merseburg, 21. Januar. Nachts entgleiste bei Ammendorf ein Güterzug; derselbe wurde in 3 Teile gerissen, 5 Wagen wurden zertrümmert. Der Schaden ist bedeutend. Handels-Nachrichten. «vrlln, 21. Januar. (Wechsel-TourS.) vlsoont Marl Amsterdam per 100 st. K. Brüste! und Antwerpen pr. 100 Franc«. Italienische Plätze pr. 100 Lire Schweiz. Pl. Ivo Frc. London pr. I Lstrl. Madrid und Barcelona pr. 100 Peseta« Paris pr 100 Franc Petersburg pr. 100 Rubel Warschau 100 Rubel Wien per 100 Kr. ü W. 3 8 5 8 T 2M 10 T 3M 4'/,I0T 8 r 1 3M 5 3 14 T 3M 8 r 3M 4. s r * ^3M 5'/, 8 T 168,70 G 167,60 G 81,SS G 80,SO S 81,25 G 81,35 G 20,46 G 20,27 G 81,35 G 80,75 « 85,25 E 84,60 Oi Reichsbanl 4°/„, Lomb.-Z.-F. 5°/«. Uipsävbur», 2>, Januar. Kornzucker cxcl. 88"/, Rcn- dcmcm 9,00—0,20. Rachproducte cxcl. 75"/, Nendement 7,io 7,30. Stimmung: Schwach. Kristallzucker 129,82'/, Brodraffinade I 29,57'/,. Bem Raffinade mit Faß 29,57. Gem. Melis 29,07. Rohzucker I. Product Trans, s. a. B. Hamburg per Januar 16,on Gd., 16,15 Br., per Februar 16,05 Gd., 16,lo Br., ver Mai 16,25 Gd., 16,30 Br., 16,30 bez., per Aug. 16,65 Gd., 16,70 Br., per Okt.-Dez. 17,75 Gd., 17,80 Br., 00,00 bez. Stimmung: — Uawkarx, 21. Januar. Weizen fest, Holsteinischer und Mecklenburger 153, Hard Winter 131'/,. Roggen fest, südrust. 105, Holsteinischer und Mecklenburger 141. Mai- fest, >30—132, ruuder —. Hafer fester, Gerste fester Wetter: Kalt. Vrvmou, 21. Jan. «Baumwolle). Tendenz: Ruhig. Upl. middl. loco 45'/, Psg. Liverpool, 21. Januar. (Baumwolle.) Muthmaßlichcr Umsatz: 10 000 B. Stimmung: Ruhig. Import: 37000 Ballen. Preise I Pnnlt nicdr. — Umsatz: 12000 Ballen davon sür Spekulation und Export lOOo Ballen. Ameri kaner williger, 2 Punkte höher, Oftindische unverändert. Lieferungen: Stetig. Januar 4,73—4,71, Januar-Febr. 4.73 4,74, März-April 1,74 4,75, Mai-Juni 1,77, Juli- August 4,75 -4,76, Mk. 240 do. do. do. do. mittlere Laplata Raps Leinsaat, feinste besatzfreic, russische feine, russische Weizen, fremder do. sächsischer, Roggen, hiesiger, do. niederländisch sächs. n. preuß. do. fremder Gerste, Brauwaarc, fremde do. Brauwaarc, sächsische do. Mahl- und Fnttcrwanrc Hafer, inläud. do. ausländ. Mai«, grobkörnig do. neuer do. mittel do. Cinquantin Erbsen, Kochwaare do. Mahl- und Juttcrwaarc Roagcnklcie Weizenkleic, grob do. Bombay 275 „ Obige Preise verstehen sich sür Quantitäten von 10000 Kilo an. 178-181 ISO—155 134- 139 14L—146 ISO-152 160—188 145—ISb 128—135 143—148 I48—152 139—145 126-132 139-145 145-148 200-230 1,0-180 99-400 96-97 190- 200 260-270 260 Rotirmt-en der Produkte«-Börse zu vhemmtz, am 21. Javuar 1903, Mittags '/,1 Uhr. Witterung: Frost. Tendenz: Fest. Getreide. «-HU Kaifer-AuSzua Mk 29,50 Wettenmehl 00 . 25,— bi« do. 0 „ 28^0 . Roggenmehl 0 „ 22,75 , bo. I „ 20,75 „ pro 100 hx. netto. 26, - 24,50 23,- 21,— Chemnitzer Marktpreise vom 21. Januar 1903. pro 50 Kilo Weizen, sächs. 7 M. 50 Ps. bl« 7 M. 75 Ps. Rongen. - 7 . 10 - - 7 - 30 - Hafer . 7 . 15 . . 7 - 40 - Stroh 2 - 60 - . 3 - 10 - Heu 3 . 75 - - 4 - S5 - Kartoffeln 2 - 50 . . 2 - 50 - Futtergerfic 6 - 40 - - 6 - 75 - Butter, I Kilo S - 20 - - 2 - 60 . Der Fremde. Roman von Robert Kohlrausch. 48. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Am Eingang des Saales mußten die Freunde sich trennen, die Mitwirkenden beim Festspiel blieben ihm noch fern. Auf Boysens Anordnung, die zuerst bekämpft, dann aber als richtig aner kannt war, sollten Aufzug und Spiel erst nach beendeter Mahlzeit sich entfalten, wenn die Geister des Weins die Geister der Menschen erfrischt und empfänglich gemacht hatten. Bis dahin herrschte strenge Scheidung der Ausführenden und der Schauenden, auch das Mahl sollte in verschiedenen Räumen eingenommen werden, bis dann die fröh liche Vereinigung beiden Teilen frische Anregung schuf. So war der Hauptsaal noch nicht allzu voll, als Boysen ihn betrat. Ein heiterer Marsch tönte ihm entgegen, von der Musik aus den Fenstern herabgeschmettert, die San Marco gegenüberlag. Aber die Heiterkeit erklang ihm fremd, — was sollte er hier unter all den fröhlichen, lachenden Menschen ? Seine Seele war fern, sein Herz tat ihm weh, wenn er daran dachte, wie schön dieser Abend auch für ihn hätte werden können. Vergeblich schaute er sich nach bekannten Ge sichtern um, als er einen leichten Schlag auf seinem Arm fühlte und eine lachende Stimme hinter sich vernahm: „Guten Abend, Herr Boysen, soll ich Ihnen suchen helfen?" Rasch wandte er sich um und sah in die heiteren Augen von Martha Bach, die in zier lichem Fischerkostüm vor ihm stand, ihre Eltern daneben in prächtiger, mittelalterlicher Gewandung. Freudig begrüßte er die unvermutet Gefundenen, nach denen er vergeblich ausgeschaut, und horchte gern auf Marthas Helle Stimme, die ihn immer wieder an lustiges Vogelgezwitscher gemahnte. „Sind Sie allein gekommen?" fragte sie, ein wenig verlegen. Er mußte lächeln. „Gekommen bin ich nicht allein, aber wir haben uns getrennt." „Getrennt? Mit wem kamen Sie denn?" „Als wenn Sie das nicht wüßten!" „Keine Ahnung!" „Nun, mit ihm?" „Mit wem?" „Mit Carolus Buterweck, meinem alten Freunde und gütigen Gastgeber." „Ach mit dem!" Sie bemühte sich, Gleich giltigkeit und lleberraschung in ihre Worte zu legen, aber es gelang nicht recht. „Bei dem wohnen Sie ja wohl, Sie haben es mir einmal erzählt. Vertragen Sie sich gut mit ihm?" Boysen kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn plötzlich faßte sie mit einem leisen Schreckens- rus seinen Arm und flüsterte hastig: „Wollen Sie mir einen Gefallen tun?" „Tausend sür einen." „Sehen Sie hin, da kommt er, der schreckliche Mensch! Er will mit mir tanzen, oder mich zu Tische sichren, ich weiß es. Er hat es aus mich abgesehen, — es ist nicht Eitelkeit, wenn ich es sage, ich bin auch durchaus nicht stolz daraus. Ich glaube sogar, er will mich heiraten, aber eher nehme ich einen Frosch oder den Löwen von San Marco da oben." Sie mar in so ungeheuchelter Verzweiflung, und ihre Blicke redeten so deutlich, daß er nicht im Unklaren sein konnte, von wem sie sprach. Eine untersetzte, starke, aber noch jugendliche Figur in prungvoller Tracht schob sich zu ihnen heran, und nachdem Boysen das Gesicht einen Augen blick scharf betrachtet, wußte er auch, daß er den Mann schon einmal gesehen hatte. Es war der gigerlhafte Maler, der die allererste Kritik über jein Bild abgegeben hatte und der heute mit doppeltem Selbstbewußtsein, mit großen Erobererschritten da herkam. „Tanzen Sie mit mir, bitte, bitte, tanzen Sie mit mir!" flehte die Kleine, nnd ehe er selbst recht wußte, wie ihm geschah, mar Boysen hinein- gezozen in den Kranz der Paare, die sich schon lustig drehten auf dem Parketboden der künstlichen Piazza. „Und wenn er wieder kommt," flüsterte Martha, während sie dahinschwebten in dem bunten Gewirr, „dann müssen Sie sagen, daß Sie mich für den ganzen Abend engagiert haben, hören Sie wohP Sie brauchen nicht wieder mit mir zu tanzen, wenn Sie nicht mögen, Sie sollen es nur sagen. Lieber will ich als Mauerblümchen an Venedigs Wänden verblühen, als daß ich mich anrühren lasse von diesem —" Sie fand keinen Ausdruck, oder wollte das Wort nicht aussprechen, das sich ihr aufdrängte. Boy sen gab freundliche Antwort: „Ich werde Sie schon beschützen, aber mein Freund Buterweck dars nachher einmal meine Stelle vertreten, nicht wahr ?" Sie hatten zu tanzen ausgehört und waren an einen Platz nahe beim Eingang des Saales ge treten, wo der Verfolger nicht zu erblicken war. „Ach, der mag mich ja gar nicht," entgegnete Martha auf Boysens Frage, und als er nicht bleich ant wortete, sah sie halb bittend, halb traung zu ihm auf und sagte: „Nicht wahr, der mag mich ja gar nicht?" Sie erhielt keine Antwort, nur ein unverständ licher Laut, der wir ein Freudenruf klang, kam von Boysens Lippen. Dann sprach er hastig ein paar Worte der Entschuldigung, und Martha stand allein. Sie sah, wie er auf zwei Gestalten zueilte, die eben in den Saal getreten waren und nun die Stufen von San Marco langsam, würde voll niederstiegen, sie sah, wir er sie begrüßte mit geröteten Wangen, und auch den Glanz auf deS Mädchens Antlitz erblickte sie, zu dem Boysen nun sprach, eifrig und beredt. Und als sie ge sehen, wie hell das Glück aus seinen Augen strahlte, ging Martha langsam, die Eltern zu suchen, ohne Zorn auf ihren unhöflichen Ritter. „Wer es auch so gut hätte," dachte sie seufzend. (Fortsetzung folgt.) Neueste Nachrichten nnd Depeschen vom 22. Januar. Berlin. Die Freisinnige Volkrpartei und die Freisinnige Vereinigung de« Reich«tage», sowie dl« Freisinnige Partei de« preußischen Abgeordneten hause» beschloßen gestern in einer gemeinsamen Frakliontsitzung im Abgeordnetenhau«, Anträge ein zubringen auf Vorlegung eine« Gesetzentwürfe« zur Regelung de« Bauarbeiter-Schutze». Berlin. Auf dem „Hölzernen See" bet Schmölte sind gestern 2 Herren au» Berlin einge brochen und, wie anzunehmen, ertrunken. Die Leichen sind noch nicht gefunden. Braunschweig. Vergangene Stacht gegen 12 Uhr wurden die beiden Bergleute Jung und Eckert in ihren Betten verhaftet, da sie verdächtig er scheinen, die Urheber des Attentats in Beien rode zu sein. Jung hatte sich dadurch verdächtig gemacht, daß er vor einigen Tagen geäußert hatte, es werde in Beienrode etwas passieren, was bis jetzt noch nicht dagewesen sei. Die Vernehmungen dauerten in der Nacht bis 2 Uhr. Die Verhafteten wurden in daS Amts gefängnis nach Fallersleben abgeführt. Birnbaum. Gestern Vormittag erschoß sich hier der Landrat von Willick. Der Selbstmord soll mit der Affaire des Majors von Endell in Zusammenhang stehen. Paris. In den Wandelgängen der Kammer wurden gestern die Erklärungen des deutschen Reichskanzlers im Reichstag erörtert. Die warmen Worte, mit denen Graf Bülow der zivilisatorischen Aufgaben Frankreichs gedachte, riefen große Genug tuung hervor. Viel besprochen wurde, namentlich unter den sozialistischen und nationalistischen Depu tierten, der vom Reichskanzler zitierte Bericht Radolins über Millerand. Pari». Der Bericht, den der Abgeordnete Dulief über da« Budget de« Ministerium« de« Aeußern erstattet, geht heute der Kammer zu. Be- zügltch der Ereignisse in Venezuela spricht der Be- richt die Erwartung au«, daß die Haltung Frank reich« diesem die Sympathien der amerikanischen Republiken sichern und den sranzöfischen Einfluß daselbst verstärken werde. Betreff« Marokko'» em pfiehlt der Bericht die internationale Dekretterung Tanger'» zum Freihafen. Amsterdam. Die Dockarbeiter Organisation beschloß, an ihrem Vorsitzenden sestzuhalten. Dieser legte den Vorsitz sreiwillig nieder, wodurch neue Verhandlungen ermöglicht und die Gefahr eines Generalstreiks vermindert wird. London. Aus Cardiff werden schwere Stürme signalisiert, welche großen Schaden anrichten. Mehrere Schiffs-Unfälle sind zu verzeichnen. Eine Person büßte ihr Leben ein. Lemberg. Wie das Blatt „Prcedswit" mit- teilt, hat der Zar auf Verwendung des Bischofs von Mohiler, Klopotowski, gestattet, daß sich die nicht autorisierten Congregationen in gewissen Teilen Rußlands ansiedeln. Mehrere Congrationen werden sich zunächst in Sibirien niederlassen. Lemberg. In der Ortschaft ZaleSczyki wurde gestern im Umkreis von mehreren Kilometern ein Erdbeben verspürt. Die Bevölkerung verließ die Häuser und strömte auf die Straße. Lemberg. Seiten» aller Parteien und Stände wurde hier gestern der Gedenktag de« polnischen Ausstande« von 1863 seierlichst begangen. Im National-Theater hielt der Bürgermeister eine den Ausstand verherrlichende Rede und knüpfte daran Klagen über die jetzigen Zustände. Madrid. Silvela dementirt abermals das Ge rücht von einer angeblichen gemeinsamen Aktion Englands und Spaniens in Marokko. Madrid. Der Fluß Aragon ist aus seinen Ufern getreten und hat die Ortschaft Caparon in der Provinz Navarra überschwemmi. Aus Ca paron wird dringend Hilfe verlangt. Murria. Gestern ereignete sich in einem Mehl-Magazin eine Explosion, deren Ursache noch nicht aufgeklärt ist. Die Explosion richtete großen Schaden an und verletzte zwei Personen tätlich. Man glaubt an einen Rache-Akt. Algier. Gestern ivurde ein Muselmann ver haftet, in den man den Marabu vermutet, welcher den Aufstand in Margherita veranlaßt hat. Es sind kompromittierende Papiere bei dein Verhafteten gefunden worden. Newyork. In Chuvankum im Staate Washing ton stieß in der letzten Nacht aus der Great Northern- Bahn ein Arbeiterzug mit einem Dampsschneepflug zusammen. Dabei wurden zwölf Personen getötet und zwölf verletzt. New-Nork Der Zollkongreß der amerikanischen Republiken wurde hier gestern unter zahlreicher Be teiligung eröffnet. Der argentinische Vertreter be antragte, daß die Monroe-Doktrin außer der poli tischen auch eine kommerzielle Bedeutung erhalten solle durch Reziprozitäts-Verträge aller amerika nischen Republiken, und daß letzteren bei Zollve» trägen stets die Rechte der meistbegünstigten Nation zugestanden werden sollen. Der Kongreß beschloß eine Verweisung dieses Anträge- an eine Kommission von sieben Mitgliedern.
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