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198 Welt zu bringen. Gebe nur der Himmel, daß cS kei ne Mißgebllrt wird. Daß wir daran nickt viel Freu de erleben werden, dessen darf man im Voraus gewiß sein; denn wenn nickt das Volk durck seine Vertreter das Kmd aus der Taufe hebt, nnrd nichts aus ihm werden, trotz der kaiserlich-königlichen und fürstlichen Vaterschaft. Die Lebenszeit des Interim war ohnehin nur auf 6 Monden bestimmt, üun dauert es aber schon fast 3 Monate, daß man über dessen Zustande kommen unterbandelt, und so schrumpft sein kurzes Lebensziel im Voraus immer mehr zusammen, ehe eS das Lickt der Welt erblickt. Es heißt jetzt, man stoße sich an bloße Förmlichkeiten; der Reichsvcrwescr wolle nicht so mir nichts dir nichts von dannen gehen, son dern die Riedcrligung seines Amtes mit einer diesem angemessenen Feierlichkeit celebrirt wissen. Preußen aber soll diermit nicht einverstanden sein, sondern mit einem kurzen „Abgelöst!" die Wache über das liebe deutsche Reich beziehen wollen, sintemal und alldieweil eS von jeher mit der Centralgcwalt nicht viel Umstän de gemacht Hal. Das soll, wie gesagt, der Stein des Anstoßes sein. Es mag aber dicß keineswegs die Haupt- ursackc des genommenen Anstandes bilden. In Wien scheint man vielmehr durch die vom Verwallungsra- tbe des gesprengten Dreikönigsbündniffes nun wirklich vorgenommene Ausschreibung eines Reichstags, welcher sich in der preußilchan Festung Erfurt zu Anfang näch sten Jabres versammeln soll, stutzig geworden zu sein. Die prcußischan Zeitungen vc>sichern zwar, Oesterreich bade sich dagegen Nicht ausgesprochen und lasse Preu ßen gewähren; allein an der Donau klingt es ganz anders, und das Wiener Eabinet wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, hierbei kaum ruhig zusckauen. Das Schlimmste bleibt es ssreilick bei alledem, daß wir auch von dort'kein Heil zu eruarten haben; wo wir auch hinschanen, überall siehl's finster und trübe aus. Wir dreben und wenden uus, um nickt aus dem Regen in die Traufe zu kommen, und am Ende wird's dock nicht anders. Da thul es denn doppelt noth, daß wir treu und fest zusammenstcken, an dem Guten, was wir haben, inniglich fesihalten, und nicht daran verzweifeln, daß einst der Tag kommen wird, wo dem demscken Volke sein gutes Recht werken muß, wel. ches ihm, wie in dem ersten Viertel, unseres Jahr- tzunkens, auch jetzt wieder eine engherzige Eabinrts- politik zu verkümmern bemüht ist. >Tageöneuigkeiten. Berlin, 3. Dec. Was^vorauszusehen war, ist geschehen. Waldeck ist frei! AlS heute Vormittag die Sitzung begann, gab der Vorsitzende dem Staats anwalt das Wort. Derselbe richtete es zunächst an Ohm, hält ihm seine Belheucrung in der Vorunter- suckung und den Widerspruch vor, daß er die damali ge Aussage jetzt als lügenhaft bezeichne;— nach kur zer Vermahnung forderte er ihm bestimmt die Erklär- ung ab, wer die Briefe gemacht habe. Obm prole- -rrl heftig gegen da- Verfahren des Staalsanwalltz und erklärt seine Existenz für vernichtet, da er nur die Wahl habe, als Hochverrälherwdcr-Fälscher zu gelten. Der Staatsanwalt weist die Thatsachen und Aussagen nach, welche Anklage und Untersuchung begründeten; die Briefe nennt er die Frucht eines Bubenstucks, die mündlichen Angaben Ohms unglaublich, und fordert die Geschworncn selbst auf, das Nichtschuldig über bei de Angeklagte auszusprechen, sofern es sich um Mil wissenschaft eines Eomplots handle. Dagegen lügt Grund vor, gegen Obm und seine Verbündeten zu ver fahren. Waldecks Vertheidiger sprach etwa eine Stun de unter der allgemeinsten Aufmerksamkeit. Nack ibm erhob sich Waldeck nur, um mit kurzen Worten -u versichern, die Aussicht, seinen Mitbürgern seine Un schuld völlig darzuthun, entschädige ihn für die Leiden der Haft: vertrauensvoll sehe er ibrem Spruch entge gen. Der Vorsitzende gibt hieraus ein sebr au-fubr- licheS Resumv der Verhandlung und schließt mit der Fragestellung, gleichlautend für Waldeck und Obm: Ist der Angeklagte schuldig, nach zuverlässiger Kennt- niß von dem Unternehmen des vormaligen Abg. l)r. d'Estcr, wie es in der Anklageacte bezeichnet ist, ge richtet auf Umsturz der Verfassung und gegen die Per son deS Staatsoberhauptes, Anzeige an die Behörden unterlassen zu haben? Die Geschworenen zogen sich nun (1? Uhr) zurück. Nach einer Viertelstunde ibeilce der Vorsitzende den Spruch mit, der bei beiden Ange klagten lautete: Nicht schuldicz! Der Staatsan walt kündigte eine einzuleitende Unsuchung und Halt gegen Ohm an. Auf dem Molkenmarkl waren zahi- reiche Gruppen, meist Wohlgekleibcler versammelt. Ein zelne Rufe hatten fick schon bei dem Bekannlwerden der Auffordung des StaatSanwalts an Vie Geschwor- nen vernehmen lassen., Doch blieb die Menge uori- genS ruhig. Dieser Proceß hat übrigens eine so all- gl meine Theilnahme erregt, daß der Hempelsche steno graphische Bericht in mehr als W!) Exemplaren abgcsetzt wurde. In Berlin allein wurden über lO.OOl) verkauft. Andere von auswans durch den Telegraph.n eingcgangene Bestellungen, konnten gar nickt berück sichtigt werden. — Nickt Hunderte, sondern Tausende von Menschen halten wahrend dieser Zeit sich vor dein EriminalgericktSgebäude versammelt und lauschten mil Spannung auf den Ausgang des Processcs. Schon als die Slaalsanwallschafk auf NichNckuldig angetra gen halte, wurden Hurrahs und Lebehochs ausgebracht und nur den angestrengtesten Bemühungen der Schutz mannschaft gelang es, die Ruhe autrechl zu erhalten. Als aber der Ausspruch der Geichworcnen bekannr wur de und die Freilaflung Waldecks i» jedem Augenblick zu gewärtigen war, da brach der Jubel auss Neue los. Kurz darauf erschien Waldeck wirklich, begleiten von seinem Vertheidiger, Anwalt Dorn, und mehreren andern Freunden, um in einer Droschke nach seiner Wohnung zu fahren. Aber die Menge, vor Freude und Begeisterung aufgeregt, folgte ihm unter lautem Hurrah, spannte in der Königsstraßc die Pferde aus und zog ihn bis an die Ecke der Friedrichsstraßc, wo Waldeck ausstieq. Aus den Fenstern wehten Tücher und der VolkShaufe wuchs von Schrill zu Schrill. -