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Der Mihnachtsball. Erzählung von v. v. l.'yüzdurN. (tZ-ortseljun^ und Schluß.) ' sNachdruck verboten.) Leutnant Geßner saß auf dein Diwan des Ossizierszimmers im Fort Altringen und blätterte in einem Roman, den er sich zu seiner Zerstreuung mitgenommen hatte. Um neun Uhr abends revidierte er nochmals die Posten, es war alles in Ordnung. „Feldwebel," sagte er, „sehen Sie darauf, daß alles in Ordnung bleibt. Um ein Uhr nachts werde ich die Außenposten wieder revi dieren-, sollte inzwischen irgend etwas geschehen, so melden Sie es mir sosort. Können Sie nicht selbst abkommen, so schicken Sie mir einen verläßlichen Mann." „Sehr wohl, Herr Leutnant," antwortete der Feldwebel, und wenige Sekunden sväter war Geßner wieder allein im Osfizierszimmer. Der Leutnant langte nach dem beiseite gelegten Roman und versuchte zu leseu — umsonst. Die Zeilen des Buches bewegten sich hin und her, krochen wie Ameisen durcheinander, eine bleierne Müdigkeit über fiel ihn, er lehnte sich aus den Diwan zurück und kämpfte vergeblich gegen den Schlaf an. Man war gestern bis in den grauen Morgen beisammen geblieben, und das machte sich jetzt fühlbar. Der eiserne Ofen strömte eine be hagliche Wärme aus, und was konnte eigentlich heute geschehen? Revidiert würde nicht werden, das ganze Offiziercorps war ja heute aus dem Ball. Geßner entlevigte sich seines Anzuges, schürte nochmals die Glut im Ofen, wickelte sich in seinen Mantel, und einige Augenblicke später zeigten seine tiefen und regelmäßigen Atemzüge an, daß er fest ent schlafen mar. — Plötzlich wurde er in unsanfter Weise geweckt. Feldwebel Won- dratschek stand vor ihm und schüttelte ihn, alle militärische Disziplin vergessend, derb an der Schulter. „Herr Leutnant, der Herr Haupt mann Sonnenberg ist draußen, eben schließt der Hornist das Thor aus!" Geßner mar sofort munter. Zum Anzieheu des Wasfenrocks und der Hosen blieb keine Zeit mehr, er konnte nur noch schnell in die Stiefeln fahren nnd den Säbel um schnallen. Dann setzte er den Tschako auf, zog den Mantel an und schlug den Kragen auf, damit man das Fehlen des Rockes nicht merke. So aus gerüstet erschien er in dem Augenblicke in der Thor- halle, als sich die schwere Thür kreischend in den Angeln drehte, um den Hauptmann einzulasscn. Sonnenberg leitete sein Pferd in die Halle und nahm die Meldung Geßners entgegen, während Feldwebel Wondratschek dem Hauptmann die ein getauchte Feder und oas Wachtprotokoll aufs Pferd hinaufreichte. Sonnenberg unterschrieb. Geßner hatte den Mantelkragen vorne sorgfältig zuge knöpft, auf daß derselbe an ihm nicht zum Ver räter werde. In wenigen Minuten mußte ja alles vorüber sein. Sonnenberg überlas beim flackernden Schein der Laterne das Wachtprotokoll, dann gab er die Feder dem Feldwebel zurück und wendete sich zu dem Offizier, den er mit einem lauernden Blick aufmerksam betrachtete. „Ich werde noch die Außenposten revidieren," sagte er. „Wollen Sie die Güte habe», Herr Leutnant, mich zu begleiten." Damit wandte er sein Pferd und ritt zum Thoj'^hinaus. Geßner nnd zwei Manu der Hauptwache folgten ihm. Hatte Sonnenberg entdeckt, daß Geßner ohne Uniform war? Das schien kaum möglich. Die Halle war sehr schlecht beleuchtet, und der lange Mantel deckte die äußere Erscheinung des Leutnants fast voll ständig. Für alle Fälle war jedoch die äußerste Vorsicht geboten. Irgend welchen Verdacht mußte Hauptmann Sonnenberg haben, sonst hätte er heute am Ballabend den Inspektionsritt gewiß unterlassen. Geßner dankte cs nur der Geistesgegenwart des Feldwebels Wondratschek, daß er von Sonnenberg nicht im Schlafe überrascht worden war. Das Pferd des Hauptmanns bewegte sich langsam vorwärts, die Straße war spiegelglatt gefroren, die Kälte grimmig, ein eisiger Norv- wind machte das Blut in den Adern erstarren. Der arme Leutnant in seiner mangelhaften Bekleidung war dem Erfrieren nahe. Zur größte» Ueberraschung Geßners schlug Ronnenberg nicht die Straße nach den Pulvertürmen ein, sondern bog rechts ab und verfolgte den Weg, der nach der Stadt führte. In dieser Gegend war nur ein einziger Posten aufgestellt. Der betreffende Man» war scho» von weite», sichtbar, im Mo»dlicht hob sich seine Gestalt scharf von der beschneiten Flüche ab. Geßner atmete auf, diese fürchterliche Oual mußte nun bald vorüber sei». Der Hauptmann rief den Posten an, dieser antwortete vorschrifts mäßig, es war alles in Ordnung. Ohne sich nach dem Leutnant nmzusehen, der sich vorsichtshalbcr hinter de», Pferde hielt, ritt Sonnenberg langsam im Schritt der Stadt zu. Jetzt wußte Geßner, wieviel die Glocke geschlagen hatte, und er that einen furchtbaren Schwur, sich an den, hinterlistigen Feinde zu rächen; nur konnte er sich vorläufig uoch nicht darüber klar werden, ivas derselbe eigentlich beabsichtige. Die furchtbare Erregung, in der sich Geßner befand, ließ ihn die grimmige Külte weniger fühlen-, stumm schritt er hinter dem Pferde her. Jetzt hielt er es für überflüssig, jeden seiner Schritte zu bewachen. Mochte immerhin der Mantel beim Gehen sich öffnen oder verschieben, das blieb sich vollkommen gleich. Sonnenberg sah sich auch mit keinem Blicke nach ihm um. Stumm ging es weiter bis zur Stadt. Vor dem Ballsaal hielt der Hauptmann sein Pferd an. Tie hell erleuchteten Fenster warfen ihr Licht auf die beschneite Straße, die Klünge der Musik drangen herab, und mau sah die tanzenden Paare als Schatten an den Fenstern vorübcrhuschen. Der Leutnant legte die Hand an den Tschako und fragte nach den weiteren Befehlen des Hauptmanns. „Kommen Sie doch mit hinauf in den Ball saal, Herr Leutnant," sagte Sonnenberg mit höh nischer Freundlichkeit. „Nach dem anstrengenden Marsch wird Ihnen ein Glas Punsch wohl thun; auch treffen Sie oben Früulein v. Twartowska, die sich gewiß sehr nach Ihnen sehnt!" Der offenbare Hohn des Hauptmanns gab Geßner seine ganze Kaltblütigkeit wieder, am liebsten Hütte er freilich den Säbel gezogen, doch siegte die Vernunft, und so antwortete er: „Herr Hauptmann wissen, daß ich heute auf Wache bin und meinen Posten ohne schriftlichen Befehl nicht verlassen darf. Wenn Sie mir einen solchen zu- kommcn lassen, so werde ich denselben natürlich unbedingt befolgen." Geßner war im Recht; ohne schriftlichen Befehl durfte er die Wache nicht verlassen. Nach kurzer Uebcrlegung sagte Sonnenberg: „Kommen Sie mit hinauf, ich werde oben den Befehl schreiben und Ihnen denselben einhändigen." Die beiden Herren schritten wortlos die hellerleuchtete Treppe empor, Geßner stets sehr sorgfältig darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben. Im Garderobczimmcr blieb der Hauptmann stehen und verlangte von den dort postierten Soldaten Tinte, Feder und Papier. Der Soldat eilte davon, Geßner hatte sich in eine Ecke zurück gezogen und wartete stumm. In wenigen Augenblicken erschien der Soldat wieder und melderc, daß er im Kanzleizimmer bereits Licht Mist Ellen Stone. 2»7)