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HohenKm-ErnWler Anzeiger WM ftr HchtBck-KrsNa!, NecknM. Gersdorf, LugM, Wüftenbrand, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken n. s. w. Nr. 286. Sonntag, den 8. Dezember 1901. Beilage. Tagesgeschichte. Deutsches Reich. Berlin, 6. Dezember. Der Reichstag wird der Zolldebatte müde, deren fünfter Tag heute ist; die Reichsboten haben sich heute nur spärlich eingefunden und ein Zug der Abspannung geht durch da« Hau«. Diese Abspannung kann der erste Redner, Herr Speck vom Centrum, nicht heben, er vermehrt sie eher noch durch seine monotone Sprechweise und bringt dadurch, daß er nicht gerade sehr neue Gedanken 1^ Stunden lang »»«führt, gar manchen zur Verzweiflung. „Sehr interessant waren mir die Ausführungen deü Herr» Handel«ministers, aus denen hervorging, daß wir für die Zollermäßigung von Oesterreich so gut wie keine Gegenleistung erhalten können. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Zölle allein nicht helfen können, wir können dem Landwirth aber wenigsten« einen festen Ab satz sichern. Die Wirkung der Schutzzölle läßt sich noch nicht unbedingt abseben, da diese sehr abhängig ist von der Gestaltung des Weltmarktpreise«. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an den Bierzoll. Der Export der Pilsener Brauereien ist nicht zurückgegangcn. So wird es auch jetzt gehen. Den größten Theil der Zölle wird da« Ausland tragen, einen weiteren Theil der Zwischen, handel. Mißstände werden sich nur in Nothstandrjahrrn ergeben, dann kann man aber auf gesetzlichem Wege Ausnahmebestimmungen treffen. Wenn die Landwirth- schaft wirklich 4 Proz. Zinsen bringt, warum legt dann die Sozialdemokratie ihre Parteigelder in 3-proz. Reichs- anleihen an? Der Abg. Bebel hat auf Ausführen de« früheren Centrumiabgeordneten Reichensperger hinge wiesen, er hat doch aber von meinem Kollegen vr. Spahn hören können, daß wir nicht für die Handels- Verträge gewesen wären, wenn wir damals gewußt hätten, «a» wir jetzt wissen. E« ist vollkommen falsch, zu behaupten, wir wären Feinde der Industrie. Nach meiner Ansicht wäre er allerdings falsch, wenn die In dustrie noch weitere Fortschritte machte. Das wäre aller dings da« größte Unglück, da« kommen könnte. Wo wären wir heute, wenn wir ein remer Industriestaat wären, Millionen von Arbeitern würden brotlos aus der Straße liegen. Er ist aber dafür gesorgt, daß die Bäume der Sozialdemokraten nicht in den Himmel wachsen. Die Zölle können mit der Verarmung nicht in Verbindung gebracht werden, denn in England ist ohne solche Zölle eine viel größere Masse Proletariat vorhanden. Wa» mit einer Auflösung erreicht würde, haben ja die Wahlen von 1898 bewiesen. Wenn Sie (zu den Sozialdemokraten) dem Arbeiter da« Brot billiger geben wollen, warum nehmen denn Ihre Genossenschaft«- bäckereien 20 Proz. Verdienst? Auch wir streben da nach, Handeltverlräge abzuschließen, aber ich halte es für verkehrt, jetzt vor aller Welt da« zu erklären. Das ist eine unwürdige Kriecherei. Die Landwirthschaft ist von Jahr zu Jahr auf den Zolltarif vertröstet worden, aber ich hoffe, daß sie in ihrer Hoffnung auf diesen Tarif nicht getäuscht wird. Wir werden mit allen durch die Geschäftsordnung gebotenen Mitteln darnach trachten, den Zolltarif zustande zu bringen." Bayrischer Finanzminister vr. Frhr v. Riedel: Der Entwurf ist im Einverständniß mit den Einzelregierungen vorgelegt worden. Die Regierungen sind berechtigt und verpflichtet, sich ein Bild von der Zukunft zu machen, da« ist geschehen, auf Grund unserer Erfahrungen haben wir Ihnen daher diese Vorlage gemacht. E« läßt sich nicht bestreiten, daß nicht bloß der Osten, sondern auch der Westen, nicht bloß der Großgrundbesitz, sondern auch der Mittel- und Kletnbesitz unter den jetzigen Verhält nissen zu leiden hatte. Die verbündeten Regierungen befinden sich in voller Uebereinstimmung mit der Er klärung de« Reichskanzlers, daß der Entwurf keine Ab wendung von der Politik der Tarifverträge bedeutet, daß aber Verträge nicht abgeschloffen werden dürfen unter Preisgabe vitaler Interessen. Allzuhohe Getreide zölle sind für die Dauer nicht zu empfehlen und auch für die Landwirthschaft nicht nützlich. Hat sich das wirthschaftliche Leben seit Einführung der Getreidezölle gehoben oder nicht? Ganz entschieden! Davon, daß hier ein Hungertarif vorgelegt sei, kann keine Rede sein. Viele erfahrene Sachverständige halten den für die land- wirthschaftlichen Produkte angesetzten Zoll für richtig, zumal rin Durchschnilttsatz bei der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse »och immer gewählt werden muß. Redner bespricht sodann die Wirkung der Zollerhöhungen auf da« Braugewerbe. Die weiteren Au«führungen bleiben auf der Tribüne unverständlich. Die Krise sei die Reaktion auf eine vorangegangene ungesunde Aktion. Wenn die Ordnung der Zölle verschleppt wird, so wird dies auf die Fortdauer der Krisi« von Einfluß sein. Die Arbeit«losigkeit wird für die Arbeiter unendlich viel größere Nachlheile haben, als die vorgeschlagenen Zoll erhöhungen. Mögen diejenigen, die die Erledigung der Zollvorlage verzögern, es den Arbeitern gegenüber verant worten. Ich hoffe und bitte, daß da« hohe Hau« im Verein mit den verbündeten Regierungen um so energischer dahin wirken wird, daß Deutschland auch wirthschaftlich stark und mächtig sei zum Besten aller seiner Angehörigen ohne Rücksicht auf Stand und Beruf. Abg. Payer (deutsche Volkrp.): Wir Süddeutsche haben weder eine große Freude an den Zollerhöhungen, noch an den Minimalzöllen. Meine Freunde werden einstimmig dagegen stimmen. Freilich ist nicht zu be zweifeln, daß die Vorlage in diesem Hause eine Mehr heit finden wird, aber e« ist zu bezweifeln, ob es den Regierungen gelingen wird, den weitergehenden Wünschen der Mekrheitsparteien Widerstand zu leisten. In der Kommission wird wohl den Konsumenten noch gehörig das Bad geheizt werden. Zuerst wurde hier die Parole ausgegeben, man müsse dem Ausland gegenüber sich stellen, als wenn uns nichts gleichgültiger ist al« Handelsverträge. Jetzt wird doch schon mehr auf die Nothwendigkeit derselben hisgewiesen. Da» Ausland hat von der hier befolgten Taktik schon längst Kenntniß, das Vorschlägen wird beim Handel nur selten mit Er folg angewandt. Hier kann er bewirken, daß wir im Tarif Positionen haben, die Niemand will und braucht. Unnöthig werden dadurch Geschäftsleute in ein Heer von Sorgen versetzt, andere in rin übertriebenes Sieger- gesühl. Je mehr die Zö-e steigen, um so mehr wird der Konsum zurückgehen, namentlich nach Erhöhung auch der Getreidezölle. Die Industriellen stehen bither dem Zolltarif noch kühl bis an» Herz hinan gegenüber. Nur einzelne Zölle sind mit den Getreidezöllen verkoppelt worden. Es handelt sich dabei vornehmlich um die Eisenindustrie. Diese ist aber so stark und so vor trefflich organisirt, daß sie den Kampf mit Jeder mann aufnchmen kann. Die Eisenindustrie will eben so wie der Großgrundbesitz eine sichere Rente au« ihrem Besitze haben; sie glaubt, die Getreidezölle auf sich nehmen zu können und auch noch gut abzuschließen. Wir können diesen Bund nicht segnen. Man sucht mit der Verwendung der Mehreinnahmen zu Gunsten der Massen zu beruhigen; ehe aber die Zölle ein gegangen sein werden, werden Heer und Marine und Colonialwirthschaft die offenen Hände danach aus gestreckt haben. Der Reichskanzler sprach von Patrio tismus. Wenn einige Prozent Produzenten, Groß grundbesitzer und Industrielle auf Kosten der Allgemein heit sich eine sichere und recht auskömmliche Rente sichern wollen, so ist das eine Begriffsverwirrung, hier von Patriotismus zu sprechen. Die Patrioten sind die Consumenten, welche die erhöhten Zölle auf den Altar des Vaterlandes niederlegen, nicht die Produzenten, welche sie in die Tasche stecken. Württembergischer Minister Dr. von Pischek: In Württemberg überwiegen auch die landwirthschastlichen Interessen, der Uebergang vom Agrarstaat zum Industrie, staat ist bei uns noch weit entfernt. Bei unserer Land wirthschaft ist die Rentabilität auf einem Tiefpunkt an gelangt, der schon eine Gefahr darstellt. Die Vermeh. rung dec Zahl der Landwirthe beweist dagegen nichts; dadurch wird nur der Grundbesitz mehr getheilt. Die Betriebskosten der Landwirthschaft sind oft höher gestiegen als die Reinerträge. Wir in Württemberg haben über wiegend kleine und mittlere Betriebe, bei uns würde also der Vortheil der Zölle nicht den Großgrundbesitzern zufallen, sondern den Kleingrundbesitzern. Der Entwurf verfolgt die richtige Mittellinie. Es kommen noch ver schiedene andere Gesichtspunkte hinzu, welche für eine mäßige Erhöhung der Zölle sprechen, so die Vortheile, welche die gesammte Bevölkerung an einer Steigerung der Kaufkraft der Landwirtschaft hat. Gegen eine weitere Erhöhung der Getrcidezölle, als sie hier vorgeschlagen wird, haben wir die ernstesten Bedenken. Abg. Frhr. Heyl zu Herrnsheim (natl.): Die Rede des Herrn Ministers beweist, daß in Württemberg die Verhältnisse der Landwirthschaft eigenartige sind. Bei uns in Hessen ist die Anbaufläche sowohl für Weizen wie für Roggen zu vergrößern. Bei unS in Hessen interessiren sich gerade die kleinen Landwirthe für Er höhung der Getreidezölle. Eine Mindestgrenze von 6 Mk. wird von Kennern für richtig gehalten. Bisher ist in der Debatte noch nicht der sozialdemokratische Parteitag in Mainz erwähnt worden, welcher die Ab schaffung aller Lebensmittelzölle empfahl. Weshalb bringen dir Sozialdemokraten hier keinen darauf bezüg lichen Antrag rin. Nach meiner Auffassung theilt sich die Sozialdemokratie in zwei Kategorien: in die Hand arbeiter, welche die Parteigelder zahlen und die Akade miker, welche sie schließlich verbrauchen. Unsere Partei vertrilt 8 Millionen Arbeiter, Sie nur 2 Millionen. Auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Mainz ist uugefähr daS Gegentheil von dem über unsere Handels beziehungen gesagt worden, waS der Abg. Bebel gestern hier ausführte, er warnte davor, sich immer auf den Standpunkt zu stellen, daß die Arbeiter nur Konsumenten seien, sie seien auch Produzenten. Wir deutschen Ex porteure bezahlen die amerikanischen Zölle, nicht die Amerikaner. Gegen den amerikanischen Petrolcumunfug können wir unS vielleicht wie Frankreich schützen, indem wir getrennte Zölle für rohes und raffinirteS Petroleum einführen. Unsere Arbeiter werden ebenso von der amerikanischen Gefahr bedroht, wir die Fabrikanten. Als wir dem Freihandelsprinzip folgten und die Eisen- zölle strichen, that eS uns kein Staat nach, sondern alle führten Schutzzölle ein. Als wir den Petroleumzoll einführten, prophezeiet? der Abg. Richter für Deutschland völlige Dunkelheit, statt dessen ist die Einfuhr von Petroleum gestiegen. Der größte Fehler der Caprivischen HandelSvertragL-Politik war, daß die Vorbereitungen nicht genügende waren. Diese summarische Meistbe günstigung war ein Aderlaß für unser- Nation. Der russische Finanzminister Witte erhöhte vor Abschluß deS Handelsvertrags seine Importzölle um 30 bis 50 Proz. und kam unS damit zuvor. Der vorliegende neue Zolltarif hat. den Nachthcil, daß er ein Einheitstarif ist, während eigentlich ein Maximal- und ein Minimal- tarif aufgestellt werden müßte. Meine industriellen Freunde werden für die Minimalsätze eintreten. Redner verbreitet sich dann über die Zollverhältnisse de« Zuckers, der Baumwolle, sowie des Getreides rnd bestreitet auch hier, daß die Arbeiter unter diesen Zöllen zu leiden haben. Berlin, 6. Dezember. Das dem Reichstag zuge gangene EtatSgcsetz stellt die Einnahmen und Ausgaben auf 2 349 742 456 Mk. fest. Der Etat weist an Matri- kularbeiträgen 568135000 Mk., im Vorjahre 570933000 Mk, an Ueberweisungen an die Bundesstaaten 544225000 Mk., im Vorjahre 570 933 000 Mk. auf. Der Reichs kanzler wird ermächtigt, zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Ausgaben 182058 945 Mk. im Credit wege flüssig zu machen. Unter den Einnahmen ist an gesetzt eine Zuschußanleihe im Betrage von 35 Millionen Mark. Diese Summe ist in den Anleihebetrag von 182 Millionen Mack bereits eingerechnet. Die Denk schrift führt aus, der Etatsentwurf weise einen erheb lichen Fehlbetrag auf, die Finanzlage der Einzelstaaten mache eS unmöglich, zur Deckung der erforderlichen 589 Millionen die Matrikularbeiträge voll heranzu- zichen. Vielmehr wurden die Matrikularbeiträge mit 24 Millionen angesetzt, der Rest wird durch obige Zu schußanleihe gedeckt werden. — Die „Köln. Ztg." schreibt zu den französische« Preßerörterungen in Sachen einer eventuellen Ver ständigung mit Deutschland, bei all diesen Erörter ungen der Franzosen habe bisher Niemand gefragt, ob auch Deutschland einem solchen Bündniß geneigt sei. Es scheine, als ob man dieses in Frankreich ohne Weiteres annähme, doch würde man bei näherem Nach denken sagen müssen, daß Deutschland, so sympathisch es dem Gedanken einer beiderseitigen Annäherung und Verständigung im Sinne einer gemeinsamen Friedens politik gegenüberstehen mag, die auch die beiderseitigen Interessen zu wahren im Stande wäre, trotzdem von einem Bündniß mit Frankreich in seinem eigenen Inter esse ebenso entfernt sei, wie Frankreich von einem solchen mit Deutschland. — Strandung Infolge eine« Schreibfehlers. Das Oberkriegsgericht der Ostseestatiou m Kiel stellte am Sonnabend in fünfstündiger Verhandlung fest, daß die Strandung des Kreuzers „Cormoran" am Wirbel windgriff am 24. März 1899 auf der Fahrt von Friedrich Wilhelmhafen nach Matupi durch einen Schreibfehler herbeigeführt worden sei. Die Verhand lung ergab nämlich, daß der Wachunterofficier, Ober leutnant Reiche, am Abend des 23. März eine Peilung vorgenommen und diese als S.-S.-W. statt S. z. Wj