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Spitze, Ler nun mit Sicherheit seine Wiederwahl zum Präsidenten erwarten konnte. Er drückte ihr das tiefste Bedauern aus und sprach die Hoffnung aus, daß sie dem Klub erhalten bleiben würde. „Zum Zeichen unserer liefen Trauer', sagte er zu ihr, haben wir heute beschlossen... äh... unsere Meister schaftskämpfe um vierzehn Tage zu verschieben. Wir be dauern, daß es Ihnen, meine Gnädigste... äh... nicht mehr möglich sein wird, an dem Wettkampf teilzunehmen.' „Ich werde an dem Turnier teilnehmen", unterbrach sie ihn. Sein entsetzter Blick schien sich zum Himmel zu er heben, um die Götter als Zeugen zu beschwören. Das überstieg alles, was man je von ihr erlebt hatte. Und La wagten gewisse Leute über die angeblich niedrige Herkunft der schönen Jeanette Andeutungen zu machen, dieses gött lichen Weibes, das sicher in der Wirklichkeit vom höchsten Adel abstammte! Daneben dieses magere, von der ge wöhnlichen Sonne braungebrannte, eigensinnige Ding zu sehen — nein, es war ein Jammer, das so etwas Mil lionen erben sollte, mit denen es doch nichts Richtiges an zusangen wußte. „Das Trauerjahr... äh...' begann er vorwurfsvoll. „Es ist der ausdrückliche Wunsch des Geheimrats', erwiderte sie klipp und klar, „daß ich unter allen Umstän den an dem Turnier teilnehme. Ich habe ihm mein Wort geben müssen, daß ich mich davon durch nichts abhalten lassen werde." Der arme Baron konnte sich gar nicht fassen. Aber was blieb ihm übrig, als zu versichern, daß es allen eine besondere Freude sein werde, Fräulein Peters unter den Turnierspielern begrüßen zu dürfen. „Aeh... nicht wahr?" Die Gemütsroheit dieses Mädchens war sür ihn nur die Bestätigung seiner Ansichten über sie. Das war ihr Dank an den Geheimrat, der zwar selbst nicht viel wert gewesen war, aber immerhin als ein Mann von Rang und Geld gelebt hatte. Dann sah Erika den Kopf des dunkelbraunen Mannes vor sich, Ler so ganz anders aussah, als alle die förm lichen langweiligen Gesichter. Sie hatte niemals eine Vorliebe für die sogenannten schönen Männer gehabt, von denen sie behauptete, daß sie .unaussprechlich" dumm seien. Und hier lernte sie einen neuen Typ kennen, dessen Schönheit vielleicht darin zum Ausdruck kam, daß sie männlich war und nichts von der Süßlichkeit, Weichheit, ja selbst Regelmäßigkeit der anderen hatte. Von diesem ungebändigten Gesicht ging eine magnetische Kraft aus. Er hatte den feinen, hochgewölbten Kopf des Geheim rats, stellte sie fest und versenkte sich in diese Betrach tung, die sie ihre Vereinsamung vergessen ließ. Nein, sie glaubte nicht einen Augenblick daran, daß er ein Zucht häusler war. Der Instinkt sagte ihr, daß hier ein Irrtum waltete, übrigens ein segensreicher Irrtum; denn er er leichterte ihr die Ausgabe und brachte sie dem Ziele näher, das ihr der Geheimrat vorgezeichnet hatte. Sie lächelte über diesen Mann, den man zwingen, den man überreden mußte, das zu tun, was ihm zum Vor teil gereichte, was vor allem seine Pflicht gegenüber dem Verstorbenen war. Erika wird siegen! Konnten diese Worte überhaupt ein Mißverständnis verursachen? Wie fürchterlich mußte das Leben dieses Man^s »ewesen sein, wenn aus jedem seiner Blicke nichts anderes sprach als Mißtrauen und Menschenverachtung; wenn er diejenigen beleidigte, die ihm ihr hilfsbereites .^erz entgegen- brachten. Erika sah sich vor ihn hintreten und zu ihm sagen: „Hier, mein Herr, empfangen Sie alle Papiere, die Sie zur Uebernahme Ihres Vermögens brauchen. Es war ! nicht leicht, unter die anderen Gegner auch noch Sie selbst l einzuziehen und gegen eine Mauer von Mißtrauen und Haß zu kämpfen. Aber ich habe mein dem Geheimrat ge- > gebenes Wort gehalten, ohne mich um Ihre unsinnigen Be- > schuldigungen zu kümmern." Und wenn er sie dann sassungslos vor Bewunderung ! und Bedauern festzuhalten suchte: „Geben Sie sich keine ! Mühe, mein Herr, ich glaube nicht, daß wir uns noch l etwas zu sagen haben. Leben Sie wohl und behalten Sie für immer die Erkenntnis, daß man sich die Menschen zu ¬ erst ansehen muß, bevor man sie aufs tödlichste be- chimpft." Ich komme mir vor, wie ein kleines albernes Mädchen, ! das die gelesenen Romane gern in die Wirklichkeit um- etzen möchte und sich selbst als die Heldin sieht. Die tolze, kühne, aber auch so beklagenswerte Heldin. Dieser Gedanke ernüchterte sie. Es war doch gut, ! dachte sie, -aß ich Körber erst heute von dem zweiten ! Testament erzählt habe. Er hätte es sonst bestimmt vor- , zeitig ausgeplaudert. Und ihm erzählen, wen ich gestern im Schlafzimmer des Geheimrats gesehen habe, wäre das Dümmste, was ich tun könnte. Sie öffnete die Augen, wobei ihr Blick auf die ge- chlossenen Fenster siel. „Diese Feigheit ist einfach lächer- ich!" ries sie halblaut aus, stand auf und öffnete das Fenster sperrangelweit. Die Straße war menschenleer. Die Akazienbäume dufteten berauschend. Am Himmel war kein Stern zu sehen. Der Lichtschein der Laterne, die an der Straßenecke brannte, war in Nebeldunst eingehüllt. Erika legte sich ins Bett zurück und schlief sofort ein. Es war pechfinster, als sie sich plötzlich bewußt wurde, daß sie die Augen offen hielt und horchte. Ein Geräusch hatte sie aus dem Schlaf gescheucht, ein fremder Laut, der aus einer Zimmerecke zu kommen schien. Diese Reizbarkeit machte sie unwillig. Eben wollte sie die Augen wieder schließen, als sie im selben Augenblick das untrügliche Gefühl hatte, daß jemand sich im Zimmer befand und langsam, ganz langsam an ihr Bett schlich. Ihr Herz begann so laut zu klopfen, daß sie den Atem anhielt, um sich nicht zu verraten. Die Glocke, die aus dem Nachttisch lag, kam ihr sofort in den Sinn. Sie brauchte nur zu drücken, um Franz zu Wecken. Aber etwas hielt sie davon zurück, den Arm auszustrecken, die geringste Be wegung zu machen. Sie kauerte sich unhörbar zusammen, als erwartete sie jeden Augenblick den Schlag, der sie von irgendeiner Seite treffen sollte. Etwas bewegte sich im Zimmer, die Luft schien es ihr fast zuzutragen. Erika tastete sich mit Ler Rechten zur Wand und stellte fest, daß zwischen Bett und Wand ein leerer Zwischenraum vorhanden war. Das war kein Zufall. Erika hatte als kleines Kind sehr trübe Erfahrungen mit den Wanzen machen müssen, und seitdem duldete sie es nicht, daß ihr Bett an die Wand lehnte. Nie hätte sie gedacht, daß sie dieses dumme Vorurteil einmal als besonderen Glücksfall preisen würde. Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck. Sie schloß und öffnete sie gleich wieder, um sich zu überzeugen, daß sie nicht träumte. Der Fensterflügel, den sie vor dem Einschlafen geöffnet hatte, ging eben zu. Sie hörte es an dem leisen Aufschlagen der beiden Flügel. Jetzt zögerte sie nicht länger. Lautlos schob sie ihren Körper an den Rand des Bettes zur Wand und zwängte ihn durch den Spalt hindurch. Ihre gelenkigen Glieder bewegten sich folgsam: bald erreichte sie mit einem Fuß den Boden und ließ den ganzen Körper nachsolgen. Sie hielt den Atem an und horchte; aber nichts rührte sich. War alles eine Täuschung? Der kalte Fußboden machte sie ganz nüchtern. Sie zog die Knie an den Leib, um besser sehen zu können. Da — vor dem Bett stand etwas Schwarzes. Trotz der Dunkelheit erkannten ihre scharfen Augen den Schuh eines Mannes. Im nächsten Augenblick fiel etwas Schweres auf das Bett, das in den Federn aufstöhnte. Erika handelte rasch. Sie begriff, daß der Angriff ihr galt. Mit einer einzigen Bewegung schob sie sich nach vorn und biß sich in den Fußknöchel des Mannes fest. Er schrie auf. Krampfhaft bemühte er sich, den Fuß von der schmerzenden Fessel zu befreien. Aber Erika biß noch fester zu. Es knirschte verdächtig, und dann siel der Mann zu Boden. Diesen Augenblick hatte Erika abgewartet. Rasch schlüpfte sie unter dem Bett hervor, griff mit der einen Hand in die offene Lade des Nachttisches, in der ihr Re volver lag, während sie mit der anderen auf den Knopf der Glocke drückte. Der Mann stöhnte auf und versuchte, sich zu erheben, was ihm vorläufig nicht gelang. Erika hatte gründlich zugebissen. (Fortsetzung folgt.)