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sagen: „Schon wieder Du? Kommst Du mir immer in den Weg?" Doch sich gewaltsam überwindend, dankte sie mit leichtem Neigen des Hauptes, und den Arm der neben ihr stehenden Frau von Bronikowski ergreifend, verließ sie schnell mit derselben den Platz. Alles folgte ihr, Helles Lachen drang zu den Ohren Frau von Lützens, die stehen geblieben war und den Davoneilenden nachblickte; keiner hatte ein freundliches Wort für sie gehabt, keiner, selbst der Baron war von den andern mit fortgezogen worden, die Generalin hatte ihn in Beschlag genommen und es war ihm unmöglich gewesen, ohne aufzufallen, ein Wort an Frau von Lützen zu richten. Bald war die ganze Gesellschaft hinter einer hohen grünen Hecke vershwunden; jetzt verließ auch Frau von Lützen den Platz, aber nicht um der Gesellschaft zu folgen; langsam lenkte sie ihre Schritte nach dem House zurück, sie wußte ja, daß nie mand sie unter den Gästen vermißen würde. Und doch wurde sie vermißt, schmerzlich vermißt; zwei Augen suchten sie vergeblich, ein Herz schlug in glühender Sehnsucht nach ihr, aber sie ahnte es nicht. Oben auf einer Anhöhe waren Wein und Früchte zur Erfrischung aufgestellt. Man setzte sich um den einladend gedeckten Tisch, pries des Barons sinnige An ordnung, hier auf diesem anmuthigen Platze eine Er frischung servirev zu lassen. Von der einen Seite hatte man die Aussicht auf die See, die hinter dem niedrigen Gehölz in ihrer ganzen Majestät sich ausbreitete, auf der andern sah man über den Garten und seine schattigen Baumparthieen hinweg nach dem Herrenhause, das mit feiner Veranda, dem breiten Frontispiz und dem ausge dehnten Flügel einen imposanten Anblick bot. Die Früchte waren köstlich, der Wein von ausge zeichneter Qualität, und so wurde die Stimmung bald eine gehobene, heitere. Fräulein von Rütz war sehr lebendig, d'c Gegenwart Frau von Lützens störte sie nicht mehr. Alle befanden sich in angeregter Laune; Scherz und Lachen wechselten miteinander ab, Toaste winden ausgebracht und hell klangen die Gläser zu sammen. Nur der Baron war still. Fräulein Alicens Auge ruhte ost forschens auf ihm, er bemerkte es nicht; ihrem weiblichen Scharfblicke war es nicht entgangen, daß ihr in Frau von Lützen eine gefährliche Neben buhlerin erstanden war. — Sollte diese Frau wirklich ihre Pläne durchkreuzen? Doch nein, es war nicht möglich; selbst wenn der Baron Frau von Lützen liebte, würde der stolze Mann, der reichste Besitzer der Um gegend, der Schwager eines Ministers, seine Untergebene, eine hergelaufene, mittellos? Person zu seiner Gemahlin erheben? Unmöglich. Bei diesem Gedanken suchte sich Alice zu beruhigen und doch fühlte sie immer mehr, daß sie ihre Macht über den Baron verloren hatte. Vergeblich bot sie heute ihm gegenüber alle ihre Liebens würdigkeit auf, der so selten jemand zu widerstehen im stande war; er blieb still und einsilbig. Daß Frau von Lützen nicht da war, zeigte ihm, wie empfindlich sie durch das Benehmen seiner Gäste berührt worden war; er Hütte zu ihr eilen, von ihr Verzeihung dafür erbitten mögen, daß ihr das in seinem Hause geschehen mußte, aber er war hier gefesselt, die Kvnvenienz hielt ihn zurück; während man hier scherzte und lachte, war sie einsam und traurig, und er durfte sie nicht trösten, er mußte seine Aufmerksamkeit der Gesellschaft zuwenden, die in ihrer heiteren Laune tausend Neckereien gegen ihn losließ, die alle auf seine Liebe zu Fräulein von Rütz anspitlen, seine Lage begann qualvoll zu werden; er mußte derselben ein Ende machen. Bin ich denn nicht Mann genug, um frei meinen Herzen zu folgen? fragte er sich. Darf die Konvenienz und ein unglück liches Zusammentreffen von Verhältnissen mich bestimmen, einer ungeliebten Frau meine Hand zu reichen? Nein, niemals! das wäre ein größeres Unrecht, was ich Alicen anthäte, als wenn ich ihr durch ein unerwartetes Zu rücktreten eine augenblickliche Kränkung zufügte. Die Stimme Fräulein von Rütz' riß ihn aus seinen Betrachtungen. „Sehen Sie den schönen Sonnenunter gang, Herr Baron!" rief sie. „Wie eine Feuerkugel sinkt die Sonne in die Fluthen und giebt noch im Scheiden Leben und Licht dem Meere. Lassen Sie uns jetzt znrückgehen, daß wir dieses lebensvolle Bild mit uns nehmen. Ist erst das Sonnenlicht vom Meere ge wichen, dann sieht es dunkel und farblos aus; ein solcher Anblick stimmt mich stets traurig." Sie war aufgestanden; ihre hohe Gestalt, vom rosigen Abendschein umflossen, sah feenhaft schön auS. „Du beneidenswerther Mann," flüsterte Bronikowski dem Baron ins Ohr, „heute ist sie wieder zum Ent zücken." Der Baron erwiderte nichts; er bot der jungen Dame seinen Arm und folgte Bronikowski, der die Generalin führte, während der alte General und Frau von Bronikowski den Zug schloffen. Die Tafel in dem hohen lustigen Gaitensaal war schon bereit, als die Gesellschaft zurückkehrte. Die Fensterthüren, die auf die Veranda führten, standen offen und ließen den Blick über Garten und Wald bis zum fernen See frei. Der Saal und alle Nebenge mächer bis zum Musikzimmer, waren hell erleuchtet, die Tafel mit Blumen geschmackvoll dekorirt. Der Baron wai über daS Arrangement sehr erfreut und überrascht. Er sah, welch geschmackvoller Sinn hier gewaltet hatte und wie sein einsame» HauS durch den Schönheitssinn einer gebildeten Frau so viel ander« gestaltet worden, als eS bisher gewesen. Die großen Räume, die sonst so wenig Behagliches für ihn gehabt, erschienen ihm jetzt freundlich und angenehm. Auch die Gäste lobten die ansprechende Anordnung. „Sie haben ja ein wahres Feenschloß," sagte Fräu lein von Rütz. „Nur die Fee fehlt noch, die darüber herrschen soll," rief Herr von Bronikowski; „hoffentlich wird Ebendorf bald eine solche finden, die für dieses Zauberschloß paßt." Ec sah lächelnd Fräulein von Rütz an; sie verstand seinen Blick und wandte sich erröchend ab. Auch jetzt suchte der Baron vergeblich Frau von Lützen, um ihr seinen Dank auszudrücken. Sie kam erst, als man sich bereits plazirt hatte und setzte sich dann still an das Ende der Tafel zwischen die Inspektoren. Ihre Aufmerksamkeit schien sich nur auf die Bewirthung der Gäste zu concentriren; sie sprach wenig, aber ihre Augen wachten sorgsam darüber, daß nichts versäumt wurde, nichts fehlte. Am oberen Ende ging es in dessen sehr lebhaft zu. Der Baron widmete als liebens würdiger Wirth allen Gästen in gleicher Weise seine Aufmerksamkeit. Alice konnte deshalb nur wenig mit ihrem Nachbar sich unterhalten. Ihr Antlitz umflorte sich während des Essens mehr und mehr; sie iah das Ziel ihrer Wünsche immer weiter in die Ferne rücken; mit der festen Hoffnung war sie hergekommen, daß heute der entscheidende Schritt von feiten des Barons gethan werden würde, und nun? — Alle Hoffnungen begannen in ihrem Herzen zu sinken; es war ein harter Schlag für ihr stolzes Gemülh, und Zorn und Haß gegen die Frau, die so unerwartet ihr entgegengetreten, erfüllten ihre Seele. Zwar konnte sie noch immer nicht glauben, daß der Baron ganz zurücktreten könne, da er schon so weit gegangen — aber das sah sie klar, sein Herz ge hörte ihr nicht. Obwohl sie selbst ihn nicht liebte, er füllte sie der Gedanke, daß er eine andere lieben könne, mit bitterem Schmerz. Die Tafel wurde aufgehoben; man unterhielt sich in verschiedenen kleinen Gruppen. Der Baron benutzte den Augenblick, um zu Frau von Lützen zu gehen und ihr seinen Dank auszusprechen für die Mühe, die sie sich mit der Bewinhung seiner Gäste gegeben Fräulein von Rütz folgte ihm mit den Augen; sie sah, wie er Frau von Lützens Hand an die Lippen drückte. Eine Helle Zornesrölhe stieg ihr in die Wangen; hastig wandte sie sich zu ihrer Mutter: „Laß uns nach Hause fahren!" bat sie. Die Generalin sah ihrer Tochter überrascht in das erregte Gesicht: „Was ist Dir Kind?" fragte sie „Mir ist nicht wohl, liebe Mutter," erwiderte Alice, „ich sehne mich nach Hause." Die Generalin schaute sie besorgt an und wandte sich dann zu ihrem Gatten, der eben zu ihnen getreten war, um Alice aufzufordern, den allgemein schon bei Tische ausgesprochenen Bitten Gehör zu geben und etwas zu singen. „Heute entschuldige mich, lieber Vater," sagte Alice, „ich kann nicht singen." „Ach — was da — nicht können!" rief der General rauh. „Wozu hast Du denn singen gelernt, wenn Du nie etwas vortragen willst?" „Sie ist nicht wohl," flüsterte die Generalin ihm zu, „laß uns nach Hause fahren!" „Hm, hm, das kennt man schon," sagte der General; „Ihr Frauenzimmer seid immer krank, wenn Ihr nicht thun wollt, was man verlangt. Ja, ja, bester Baron," wandte ec sich zu diesem, der soeben hinzugetreten war, sie kann heule nicht singen, das sind Frauenzimmer launen. Gewöhnen Sie sich beizeiten daran." Auf Alicens Wangen wechselten Röthe und Blässe, aber sie erwiderte nichts. „Wenn Fräulein Alice nicht disponirt ist", nahm der Baron artic das Wort, „so darf man nicht weiter in sie dringen. " Vielleicht läßt sich Frau von Lützen erbitten — sie singt sehr schön." (Fortsetzung folgt.) Handels-Rachrichten. ttorllu, 26. November. (Wechsel-Cours). vaatz- vlsoout Mark Amsterdam 3 bT 168,60 B per 100 fl. d. 2M 167,50 G Brüstet und Antwerpen 3 ST 81,— G pr. 100 Francs. 3M 80,30 G Italienische Plätze - 10 T 79.— S pr. 100 Lire 2M — Schweiz. Pl. 100 Frc. 3'/.10T 80,95 G London 8 T 20,41 G pr. I Lstrl. 3 3M 20,24 T Madrid und Barcelona 5 "T — pr. 100 Pesetas 2M — Paris ° 8T 81,15 G pr 100 Franc 3M 80,60 G Petersburg 5'/, b T — pr. 100 Rubel /'8M —— Warschau 100 Rubel 5'/. 8 T —- Wien , br 85,15 G per 100 Kr. ö W. * 3M 84,40 T Reichsbank 4°/o, Lomb.-Z.-F. 5°/,. Uavckodurr, 26. Novbr. Kornzucker cxcl. 88°/ 0 Rendement 8,07 bi« 8,22. Nachproducte excl. 75°/« Rendement 6,10 biS 6,50. Stimmung: Ruhig. Krqstallzucker I mit Sack 28,20. Brodraffinadr 1 ohne Faß 28,45. Sem Raffinade mit Faß 28,20 <A«n. MeliS 1 mit Faß 27,70. Rohzucker I. Product Tranfito f. a. B. Hamburg per Nov. 7,37'/, Gd., 7,42 Br., per Dez. 7,40'/. bez., 7,45 Gd., per Jan.-März 7,62 Gd., 7,65'/, Br., per Mai 7,80'/, bez., 7,77 Br., per August 8,00'/, Gd., 8,02 Br. Tendenz: Ruhig. Ilumkur», 26. November. Weizen ruhig, Holsteiner loco 163—167, La Plata 126-136. Roggen ruhig, südrufs. cif. Hamburg 100—103, do. loco 102 bis 108, Mecklenburgischer 137 bis 148. MaiS fest, amerik. mixed. 135'/,. La Plata 115. Hafer fest, Gerste fest Wetter: Schön. Kromon, 26. Novbr. (Baumwolle». Tendenz: ruhig. Upl. middl. loco 40 Pfg. Livorpool, 26. Novbr. (Baumwolle.) Muthmaßlicher Um satz: 8000 Ballen. Stimmung: Fester. Import: 20000 Ballen. Preise '/««—V«« höher. Umsatz: 8000 Ballen, davon für Speculation u. Export 500 Ballen verkauft. Amerikaner ruhig, Ostindische unverändert. Lieferungen: Träge. Novbr. 4",«, Käufer, Nov.-Dezbr. 4"> a« bis 4"/»« Verkäufer, Jan.-Februar 4°/«. do., März-April 4'/«« Käufer, Mai-Juni 4'/»« Käufer. Zahlungsein st ellungen: Jacob Cappel, Aachen. Simon Gottfeld, Aachen. Joh. Gerh. Vosberg, Aurich. Karl Vogel und Co., Baden. Karl Mägde, Cöthen. Hugo Wittich, Baden. Heinrich Kauffmann, Bisch weiler. Arthur Morgenstern, Halle a. S. F. H. Klockenbring, Halle a. S. Schüttele und Co, Koblenz. Hermann Miehle, Thorn. E. A. Strube, Wormditt. Briefkasten. Abonnenten in Pl. Bitte erfreuen Sie mich öfters mit solchen anerkennenden Worten, die mich wahrhaft freudig erregt haben. Solch' süße Lektüre bietet in der Thal eine angenehme Abwechslung in der aufreibenden Zeitungsarbeit. Im übrigen bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mir Ihre Ansichten zu erkennen ge geben haben, und ich werde Ihrem Wunsche mit größtem Vergnügen nachkommen. Besten Gruß! Der Herausgeber. Telegraphische Nachrichten vom 27. November. Döbeln. Als gestern gegen Mittag der in der Mühle zu Sörmitz beschäftigte verheirathete Geschirrfühcer Hof mann mit seinem leeren Wagen den abschüssigen Mühl weg in Sörmitz hinabsuhr, gerielü er unter den Wagen und die Räder gingen ihm über den Leib. Schwerver letzt mußte er ins Krankenhaus gebracht werden. Thurm. Hier wurde kürzlich auf Anordnung der Siaatsanwalischaft Zwickau die Leiche einer schon im Oktober verstorbenen Frau ausgegraben. Da die Ein geweide fehlten, liegt jedenfalls ein Verbrechen vor; der Leib war mit Lumpen rc. ausgefüllt. Berlin. Wie die . Nationalliberale Correspondenz" hört, hat sich der preußische Kriegsminister v Goßler bereit erklärt, die Interpellation Bassermann über das Jnsterburger Duell sofort zu beantworten. Berlin. Von Seiten einiger Mitglieder des Cen trums werden Anregungen zur Aenderung der Geschäfts ordnung der Reichstages gemacht behufs Verhütung einer etwaigen Obstruktion. Diese Anregungen dürften indessen keine Aussicht auf Erfolg haben; Präsident Graf Balle- strem hat sich, nach der „Nalionallib. Corresp." auch früheren Anregungen auf Aenderung der Geschäftsord nung gegenüber ablehnend verhalten. Berlin. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hielt gestern nach Schluß der Plenarsitzung eine Fraktionssitzung ab, in der, dem „Vorwärts" zufolge, zunächst beschlossen wurde, bei der heutigen Wahl des ersten Vizepräsidenten den Abgeordneten Singer in Vorschlag zu bringen und Zettelwahl zu fordern. Für die Besprechung der Duellinterpellation wurden die Abgeordneten Haase und Bebel als Redner bestimmt. Sodann wurde beschlossen, eine Interpellation über die Völkerrechtswidrigkeiten der Engländer im Burenkriege, insbesondere über die Konzentrationslager nicht einzu bringen, sondern diese Fragen bei der Spezialberathung des Etats umfassend zu erörtern. Endlich wurde mit Einstimmigkeit eine Interpellation des Reichskanzlers über die herrschende Arbeitslosigkeit beschlossen. London. Wie amtlich festgestellt wird, ist die Zahl der in London sestgestellten Fälle von Wahnsinn in diesem Jahr um5000größer als die Durchschnittszahl der früheren Jchre. Sämmlliche Spezialärzte bezeichnen dies An wachsen der Geisteskrankheiten einzig und allein als eine Wirkung und Folge des südafrikanischen Krieges. London. In einem Brief an seine Schwester schreibt Kitchener, daß er müde sei und Ruheb-dürfniß habe; man schließt daraus, daß Kitchener in kürzester Frist seine Demission geben wird. London. Der Dampfer „Alerta" ist mit 100 Paffagieren bei Manila untergegangcn. Paris. „Echo de Paris" werdet über Wien: König Alexander von Serbien beabsichtigt, sich von der Königin Draga scheiden zu lasten, um sich mit der jüngeren Schwester derselben verheirathen zu können, diese halte sich seit einiger Zeit im P ilast auf, begleite den König überall hin und sei stet« seine Gefährtin. — Wie au« London gemeldet wird, bestätigt ein Telegramm des „Daily Telegr." die« Gerücht. Der König soll die Ehescheidung sogar bereits eingeleitet haben. (?) Detroit (Canada). Gestern Vormittag explodirte in der Penberthy-Ejectoren-Fabrik ein Kessel und zer störte das Gebäude, in welchem 36 Mann bei der Arbeit waren, vollständig. Die verletzten Arbeiter wurden nach dem Hospital geschafft, wo mehrere be reits den Verletzungen erlegen sind. Detroit. Nach weiteren Meldungen sind infolge der Explosion in der Penberthy-Ejectoren-Fabrik 14 Arbeiter getödtet und 38 verletzt worden.