Volltext Seite (XML)
Baron blickte lang, nach der schlanken, anmuthiaev Ge stalt, die nur rasch seinen sehnsuchtsvollen Blicken ent schwand. Der ruhige Ausdruck seines Gesichts machte Plötzlich einer tiefen Erregtheit Platz. Er ergriff daS feine weiße Batisttuch, da- auf dem Stuhle, den Frau von Lützen soeben verlassen hatte, liegen geblieben war, preßte eS mit leidenschaftlicher Glut an die Lippen, dann entfaltete er eS mit bebenden Händen und suchte nach einem Zeichen. In einer der Ecken stand zierlich ge stickt der Name: Clarissa. Lange ruhte sein Auge auf den verschlungenen Zeichen. „Clarissa," murmelte er; dann aber, wie seiner Weichheit sich schämend, sprang er auf, und daS Tuch in seiner Brusttasche verbergend, ging er, sich zur Ruhe zwingend, seinen gewöhnlichen Geschäften nach. Frau von Lützen verging der Bormittag in der an gestrengtesten Thätigkeit; der Baron erwartete sie ver- gebens zu Tische, sie ließ sich der vielen Geschäfte wegen entschuldigen. Erst gegen 4 Uhr Nachmittags trat sie, in einfacher aber geschmackvoller Kleidung, zum Empfang der Gäste bereit, in den Salon. Der Baron hatte sie ungeduldig erwartet und begrüßte sie mit zitternder Er regtheit. Sie lächelte leicht Die ungeduldige Erwart ung der Braut erklärte ihr die seltsame Unruhe deS Hausherrn. Kaum waren einige Worte zwischen beiden gewechselt, als das Heranrollen eines Wagens auch schon die Ankunft der Gäste anzeigte. Der Baron ging seinen Gästen bis zum Vorzimmer entgegen. Frau von Lützen blickte erwartungsvoll nach der Thüre; sie war sehr begierig, die, wie sie jetzt glauben mußte, heiß ge liebte Braut des Barons, von deren Schönheit Lisette ihr schon so viel erzählt hatte, kennen zu lernen. End lich öffneten sich die Flügelthüren. Der Baron führte eine ältliche, vornehm aussehende Dame, ein alter, statt licher Herr folgt ihnen, an seinem Arm schwebte die anmuthige Gestalt Alicens. Ein einfaches, weißes Kleid hob die zarte Fülle ihrer hohen Gestalt; eine einzige dunkelrothe Rose war leicht und graziös in tue reichen, blonden Locken gesteckt. Frau von Lützens Augen hafteten mit Bewunder ung aus ihr: io schön, so glänzend! Möchte nie der Sturm des Lebens, wie es ihr geschehen, den Duft des Glückes von ihrem Antlitz scheuchen. Die Vorstellung war bald «vorüber. Man wechselte mit Frau von Lützen einige ceremonielle Verbeugungen. Fräulein von Rütz sprach in ihrer leichten, anmuthigen Weise einige freundliche Worte zu ihr; dann beachtete sie niemand mehr. Die Damen nahmen den Baron vollständig in Anspruch; Alice scherzte und lachte mit ihm, und der alte General hörte mit offenbarer Be friedigung auf das heitere Geschwätz seiner Tochter, ohne sich selbst in die Unterhaltung zu mischen. Er war seiner Schweigsamkeit und eines, besonders in letzter Zeit hervortreienden, mürrischen Wesens wegen bekannt und niemand achtete deshalb viel darauf. Frau von Lützen zog ffich in eine Fensternische zu rück, aus der sie nicht eher hervortrat, als bis die An kunft des Bronikowski'schen Ehepaares eine neue Vor stellung nolhwendig machte. Die muntere Frau von Bronikowski, die heute besonders gut gestimmt war, da die Krönung ihres Werkes, wie sie meinte, so nahe bc- Vorstand, behandelte auch Frau von Lützen mit be sonders liebenswürdiger Herablassung. Das bescheidene, zurückhaltende und dabei ferne Wesen derselben machte auf sie einen sehr wohlthuenden Eindruck. Sie unter hielt sich längere Zeit mit ihr, doch die allgemeine Unterhaltung, an der Frau von Lützen, unbekannt mit allen Verhältnissen der Nachbarschaft, natürlicherweise wenig Antheil nehmen konnte, zog ihre Aufmerksamkeit bald von dieser fort. Bald dachte keiner mehr an die Dame des Hauses, die Untergebene des Barons. Der Kaffee wurde servirt; alles gruppirte sich um den runden Tisch, für Frau von Lützen blieb kein Platz frei; still verließ sie das Zimmer. Ein schmerzliches Wehe er füllte die Seele der armen Frau, als sie das heitere Lachen der Gäste zu sich hineinschallen hörte. Um sie kümmerte sich ja niemand. Die Unglückliche wird ja stets von der Welt gemieden; zum erstenmale fühlte sie mit Bitterkeit die Abhängigkeit, das Demüthigende ihrer Stellung im Hause des BaronS. Da öffnete sich plötzlich die Thür und dieser trat herein. Sich mit großer Artigkeit seiner Unaufmerksamkeit wegen ent- schuldigend, bot er ihr den Arm und führte sie mit ehrerbietiger Achtung zu der Gesellschaft zurück, indem er ihr seinen eigenen Platz neben Fräulein von Rütz überließ. So wohlthuend augenblicklich Frau von Lützen diese Aufmerksamkeit des Barons berührte, so mußte sie es doch sehr bald bedauern, daß er sie nicht lieber ruhig in ihrer Zurückgezogenheit gelassen hatte, denn aller Augen richteten sich jetzt forschend und fragend auf sie und den Baron. Eine solche Aufmerksamkeit von feiten eines Gebieters gegen seine Untergebene erregt« natür- licher Weise allgemeine» Erstaunen Auf Alicen» bi» dahin so heiterer Stirn zogen dunkle Wolken auf und ihr Auge schoß Blitze de» Unwillen» auf di« arme Frau, deren ganz« Erscheinung zu bedeutend war, um vor ihr al» Nebenbuhlerin unterschätzt »u werd«!«. Der gesell schaftliche Takt ließ Alice indessen bald Herr ihrer Ver stimmung werden. Ihre Stirn glättete sich wieder und als wäre nichts geschehen, wandte sie sich zu ihrem Nachbar zur Linken, dem Herrn von BronikowSki, und begann sich scherzend und neckend mit ihm zu unter halten; ihre neue Nachbarin beachtete sie nicht mehr. Frau von Lützen war nicht ganz so unbefangen al« Fräulein von Rütz, obgleich e» ihr auch an dem gesell- schastlichen Takt durchaus nicht fehlte, aber daS Gefühl ihrer unabhängigen Stellung nahm ihr die sonstige Sicherheit. Sie war froh, daß man so wenig ihrer achtete und athmete erst wieder auf, als die Herrschaften aufstanden, um einen Gang durch den Garten zn machen. Unbemerkt wollte sie sich zurückziehen, aber der Baron bat sie dringend um ihre Begleitung; so peinlich e- ihr war, sie mußte dieser Aufforderung folgen. Sie schloß sich daher der Gesellschaft an, die Garten und HauS mit großer Aufmerksamkeit und vielen Aus drücken der Bewunderung für die behagliche und schöne Einrichtung des Ganzen besichtigte. Fräulein Alice be sonders faßte olle», was sie sah, mit dem lebhaftesten Interesse auf, stets wandte sie sich fragend, lobend, an erkennend an den Baron, dessen ganze Aufmerksamkeit so peinlich von ihr gefesselt wurde. Ein Bildwerk aus Bronze, daß den heiligen Georg im Kampfe mit dem Drachen darstellte, schmückte den freien Platz vor der Veranda.. Fräulein von Rütz blieb vor demselben stehen und betrachtete eS lange. „O wie hübsch, sagte sie, sich an den Baron wendend, wie hübsch, daß Sie bei allem Sinn für das Praktische doch auch die Künste lieben und beschützen. Es ist in der That eine sehr freudige Ueberraschung für mich, ein solches Kunstwerk, wie dieses hier, in Ihrem Besitze und so würdig ausgestellt zu sehen." „Seit wann hast Du das Ding, Ebendorf," fragte Bronikowski, jetzt näher tretend und es durch die Lorg nette betrachtend. „Erst seit kurzem," erwiderte der Baron, „es ist ein Geschenk meiner Schwester; Sie sehen, mein gnädiges Fräulein, daß ich das Lob, daS Sie mir eben gütig ertheilten, nicht verdiene. Zu meinem Bedauern ver stehe ich wenig von den bildenden Künsten; die einzigen Künste, mit denen ich mich in meinem Leben zu be schäftigen Gelegenheit hatte, sind Musik und Poesie." — „Sie wissen aber doch jedenfalls, Herr Baron," fuhr Alice mit anmuthigem Lächeln fort, „welcher Künstler der Schöpfer dieser Gruppe ist. Ich interessice mich gerade besonders für Skulptur und Malerei, da ich selbst in beiden Künsten etwas gepfuscht habe." Leider muß ich auch hierin meine Unwissenheit be kennen, gnädiges Fräulein," entgegnete der Baron. „Armer Ebendorf," lachte Bronikowski. „Wie können Si« aber auch verlangen, mein gnädiges Fräu lein, daß wir, die wir täglich ein ganzes kleines Reich zu regieren haben, daß wir unser Gedächtniß noch zum Namenregister der Künstler machen sollen. Wir freuen uns an ihren Werken, wenn wir sie sehen, ist dar nicht genug?" Frau von Lützen halte die Unterhaltung gehört, sie trat jetzt näher und wandte sich in bescheidenem, freund lichem Tone zu Alicen: „Ich freue mich, gnädiges Fräulein, Ihnen die ge wünschte Auskunft über dieses Bildwerk geben zu können; ich war zufällig in der Residenz als daS Modell zu demselben ausgestellt wurde und sich allgemeine Aner kennung erwarb. Ein junger italienischer Künstler, Giovanni mit Namen, hat es gerechtfertigt; eS war zur Ausschmückung eines Platzes in der Residenz bestimmt und ist, soviel ich weiß, auf demselben bereits aufgestellt worden. Dieses hier ist eine verkleinerte Kopie davon." (Fortsetzung folgt.) Eingesandt. Unter der Bevölkerung unserer Stadt und der Um gebung scheint theilweise noch nicht genügende Ausklärung vorhanden zu sein über die mannigfachen Bestrebungen, welchen der hiesige Verein für Gesundheitspflege und Naturheilkunde huldigt, wie man überhaupt falschen An schauungen über das Wesen der Naturheilkunde selbst öfters begegnet. Der eine versteht unter Naturhetlkunde lediglich Wafferanwendungen, vielleicht gar möglichst recht kalt. Ein anderer denkt sich darunter gewisse Geheim mittel, die, um Geschäfte zu machen, in unlauterer Weise unter dieser Flagge segeln. Andere wohl gar denken an Sympathiedoktoren, welche Kcäutertränklein oder ge heimnißvolle Zeichen zur Anwendung bringen. Da» alle» ist nicht Naturheilkunde. Diese ist vielmehr eine Za- sammenfaffung der Mittel, welche uns die Natur in die Hand giebt, um gesund zu werden bezw. gesund zu bleiben. Dahin gehören besonder«: Sonne, Lust, Wasser, Diät, Bewegung bezw. Ruhe, Massage, Elektrizität, Dampf und dergl. Diese Mittel können so mannigfaltig ange- weudet werken, daß eine tndmiduelle Behandlung im vollsten Maaße möglich iß. Eine mächtige reformatorische Bewegung ist es, die sich diese Faktor«, zu eigen gemacht hat. Täglich schließen tfich neue Mtglietder an; viele Berzte haben sich ihr mehr oder weniger zugrwandt. Eine CentraUsation dieser Bestrebungen findet statt im „Deutschen Bund der Vereine für naturgemäße Leben», und Heilweise". Derselbe nms«,r iMgssfHr MO Vereine mit weit über 100060 Mitgliedern. Diese Körperschaften,, über ganz DeuUOlaNd verbreitet, setzen je« altz ihr- Muf-' gab« an, Licht und Aufklärung Über DolklGerstän bliche Gesundheilapflage O»d Mckmtztemtltze Heilweise zu breiten. Sie such« ihre Mitglieder durch geeignete. Mittel heranzubilden und zu unterrichten, wie man ein greifen kann im Falle der Krankheit an sich oder an anderen und wie man sich gesund erhalten kann. Wer offene Augen und Ohren hat, kann hier viel lernen, viel Unglück verhindern. Den Vereinen liegt es fern, gegen die Wissenschaft an und für sich zu kämpfen, noch gegen Personen, sondern nur gegen Jrrlhum und veraltete Vorurtheile. Die Vortheile, die der Verein bietet, können kaum von einem anderen Verein ausgewogen werden, da ste sich auf das höchste Gut des Menschen, die Ge- sundheit, beziehen. Im Winterhalbjahr werden immer mehrere volksverständliche Vorträge gehalten, auch werden praktische Vorführungen au-geführt, wozu die Mitglieder und deren Frauen unentgeltlich Zutritt haben. Auch steht den Mitgliedern die reichhaltige, lehrreiche Vereins- bücheret, sowie verschiedene Badeutensilien zur freien Be nutzung. Im Sommer finden gemeinschaftliche Spazier gänge statt. Auch ist mit einer hiesigen Badeanstalt ein Vertrag abgeschloffen worden, wo alle Mitglieder zu er- mäßigten Preisen behandelt werden. Ferner erhalten die Mitglieder die reichhaltige Bundeszeitschrift „Der Naturarzt", frei ins Haus. Außerdem werden noch ver schiedene kleine Merkchen gratis geliefert Auch ein Ball fehlt im Winter nicht. Aufnahme kann jede unbescholtene Person finden, auch Damen. Die Aufnahmegebühr be trägt 1 Mark. Der monatliche Beitrag 20 Pfennige. Anmeldungen nimmt der Vorsitzende sowie jedes Mitglied entgegen. LI. Telegraphische Nachrichten vom 26. November. Berlin. Wie der „Täglichen Rundschau" mitge- theilt wird, bringt die nationalliberale Fraktion am ersten Tage des Zusammentritte« des Reichstages folgende Interpellation ein: Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft zu geben über die Vorgänge, die zu dem am 4. Nov. 1901 in Insterburg stattgehabten Zweikampf zwischen Leutnant Blaskowitz und Oberleutnant Hilde brandt geführt haben, insbesondere darüber Mitthetlung zu machen, ob die Bestimmungen vom 1. Jan. 1897 zur Ergänzung der Einführungsordnung zu der Verord- nung über die Ehrengerichte der Officiere eingehalten worden sind? Welche Maßregeln gedenkt der Herr Reichskanzler zu ergreifen, um den Vorschriften, daß mehr als bisher den Zweikämpfen der Officiere vorge beugt werden soll, Wirksamkeit zu verschaffen? Insterburg. Mit Bestimmtheit wurde hier die Verabschiedung des Regimentskommandeurs, Oberst v. Reiswitz, erwartet, nachdem ihm bereits 48 nach dem Duell die Führung des Regiments abgenommen und dem ältesten Stabsoffizier übertragen worden war. — Die gestrige Kabinetsordre bestimmt, außer dem Abschied des Herrn v. Reiswitz, die Uebertragung der Führung des Regiments an den Oberst Pollier, bisher im Jnfanterie-Regiment Graf Dönhoff Nr. 44, das in Deutsch-Eylau garnisonirt, daß die Einforderung eine» Jmmediatberichts über daS Duell von der Divission durch den Kaiser verlangt worden sei, und daß ferner Herr v. ReiSwitz für den Ausgang des Zweikampfes als gesprochener Förderer des Duells als moralisch verantwortlich betrachtet würde. Hamburg. Nach hierher gelangten Privatdepeschen aus Kamerun wurden die Kaufleute Haesloop auS Bremen, Keltenich aus Köln und Wiesenberg au» Hamburg, wegen wiederholter Mißhandlungen mehrerer Neger mit tödtlichem Ausgang, verhaftet. Petersburg. In Nikolajew wurde eine auS fünf Personen bestehende Familie von »unbekannten Thätern ermordet und beraubt. Loudon. „Central News" melden aus Amsterdam, das Komitee habe beschlossen, den Boykott gegen die englischen Schiffe im Hafen von Amsterdam am 16. Dez. beginnen zu lassen. Konstantinopel. Dem Führer der armenischen Räuberbande, die sich deS armenischen Klosters bemächtigt hatte, gelang es, den türkischen Truppenkordon zu durch brechen und zu entkommen. bei der am 25. November 1901 stattgefundenen Ver- loosung de« Thterzuchtverein« Habenstein-Ernstthal. Die Gewinne sind beim Vorsitzenden Herrn Herm. Voit, Oststrah« 47, abzuholen. 119 444 681 823 947 615 593 60 924 201 783 280 287 988 189 56 114 553 580 900 923 856 930 405 283 242 360 809 126 330 944 169 264 770 241 664 872 862 827 196 425 390 255188 748 489 97 895 819 L3 811 600 350 375 980 35 688 SSL 294 L23 867 253 LS 528 336 34364 306 807 3S3 644 62 479 404 943 971 493 312 5L0 298 113 773 8S9 726 610.