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Einweisungskommission heiße ich Sie Alle, die Sie hier her gekommen sind, um gemeinsam zu rathen und zu thaten für das unzertrennliche Wohl von König und Vaterland, herzlich willkommen. Unseren Eingang in diesem Hause segne Gott, wie er auch unseren Aus gang segnen möge. Seitdem wir auseinander gegangen sind, hat schwere Sorge unser Volk heimgesucht. Es gab Tage und Wochen, in denen das Herz aller treuen Sachsen nur die eine bange Frage um das Befinden unseres vielgeliebten König!. Herrn erfüllte, in denen nur ein Gebet inbrünstig zum Throne des Höchsten emporstieg, daß er gnädiglich schützen möge das theuere Haupt, das er mit der Krone der Wettiner ge schmückt hat. Und der Allmächtige bat das Flehen unseres Volkes erhört und unseres König» Majestät wieder genesen vom schweren Kranksein, sodaß wir über morgen bei der feierlichen Eröffnung des Landtags da« Glück haben werden, unserem König in das treulich sorgende, landesväterliche Auge schauen zu dürfen. Da für wollen wir ihn, den allgütigen Gott, preisen und ihm Dank sagen aus unseres Herzens tiefstem Grunde. Unserer innigen Freude aber wollen wir Ausdruck geben, indem wir unserem König!. Herrn unsere ehrerbietige Huldigung darbringen und unsere Tagung beginnen mit dem begeisterten Rus: „Se. Majestät unser allerhöchster Herr, lebe hoch!" Mil großer Begeisterung stimmte die Kammer in diesen Hochruf ein. Geh. Hofrath Dr. Mehnert fuhr dann fort: „Lassen Sie mich, meine Herren, auch des Todesfalles gedenken, der seit unserer letzten Tagung unser hohes Königshaus betroffen hat. In der Blüthe seiner Jahre wurde Se. König!. Hoheit Prinz Albert durch jähen Unfall plötzlich dahingeraffl, tiesbetrauert von unserem Volke. Namens beider Kammern habe ich in Gemeinschaft mit dem Präsidenten der Ersten Kammer Sr. Majestät dem Könige und dem erlauchten Vater des dahingeschiedenen Prinzen die Gefühle unserer innigen Theilnahme und Mit- lrauer in besonderem Kondolenzschreiben zum Aus druck gebracht und an der Beisetzung nahm eine Deputation des Hauses Theil. Wie so ost aber im Leben das Vergehen und das Werden hart an einander stoßen, so konnten wir auch die vor wenigen Wochen erfolgte Geburt einer Prinzessin mit herzlicher Freude begrüßen. Möge Gottes Hand über diesem jungen Reis am alten Stamme der Wettiner immerdar walten." — Daraus widmete Redner den seit dem letzten Landtage verschiedenen Abgeordneten Stadtrath und Fabrikbesitzer Reinhold-Mesrane, sowie dem 1. Vicepräsi- denetn Geh. Kommerzienrath Georgi-Mylau und den früheren Präsidenten Geh. Rathen Dr. Ackerman» und Dr. Haberkorn-Zittau warme Worte ehrenden Gedenkms: „Sie mögen ruhen in seligem Frieden!" Die Kammer gab ihrer Zustimmung zu diesen Worten des Herrn Geh. Hofraths Dr. Mehnert durch Erheben von den Plätzen Ausdruck. — Wie die „Zeitschrift für die gesammte Textil industrie" erfahren haben will, sind in den jetzt be endeten Sitzungen der Bundesrathsausschüsse nicht nur die Zollsätze für Blech, sondern auch solche für Tex tilindustrie im Zolltarisentwurf nach den Wünschen der Interessenten geändert worden. Das Blatt meldet weiter, daß der Entwurf dem Reichstage bei seinen» Zusammentritt am 26. November zugehen, die Begründ ung jedoch, die 600 eng gedruckte Quartseiten umfaßt, erst einige Tage später an den Reichstag kommen werde. — Bei den Proviantämtern hat jetzt der An kauf von Roggen und Hafer wieder begonnen. Während Hafer von jedem Proviantamt gekauft wird, wird Roggen nur von den größeren Proviantämtern, Leip zig, Dresden, Riesa, angenommen. Der Ankauf dauert gewöhnlich bis zum Beginne des nächsten Frühjahrs. Jeder Landwirth kann außer vorgenannten Körnern auch Heu und Roggenschlittstroh direkt an die Proviant ämter bei sofortiger Bezahlung verkaufen. Auch die kleinsten Posten werden angenommen. Die Körner müssen im Viertelliter ein Gewicht voi» 179 Gramm beim Roggen und 112 Gramm beiin Hafer aufweisen, sie müssen möglichst frei von fremden Sämereien und sonstigen Unreinlichkeiten und ohne ^den Geruch sein. Um den Landwirthen die Lieferung zu erleichtern, werden auf Ansuchen von den Proviantämtern auch Säcke unentgeltlich zur Verfügung gestellt, sowie Fracht kosten verlagsweise bestritten u. a. m. — Anmeldungen zur Aufnahmeprüfung in die 6. Klasse des Fürstlich Schönburgischen Lehrer-Seminars in Waldenburg sind bis zum 21. Dezember l. I. zu bewirken. — Der Pächter einer Restauration in Plauen i, V. wurde jüngst von Gästen in seinen Räumen um eine Karte zum „Wendischspiel" angegangen. Der Mann gab die Karle her und kümmerte sich nicht weiter um das Spiel. Erst später sah er, daß die Spieler „lippten". Um die Gäste nicht zu verlieren, untersagte er ihnen das Spiel nicht. Einer der Gäste, ter beim Spiel seinen gejammten Wochenlohn verloren hatte, brachte kurz da rauf den Wirth zur Anzeige. Der Wirth, der noch un bestraft ist, wurde zu einer Geldstrafe von 170 Mk. ver- urtheilt. — Der Vorstand de« Verbandes der sächsischen Hausbcfitzervereine hat ein Schreiben ausgefertigt, in dem er um Unterstützung eine Petition an die 2. Stände kammer bittet. Letztere befaßt sich mit der Vermehrung der städtischen Landtagswahlkreise und der entsprechenden Aenderung des Landtagswahlgesetze» von 1896. — Ein glücklicher Gewinner gesucht! Der 60,000 Mk.-Haupttreffer der Meißner Dombau-Lotterie, deren Ziehung längst vorüber ist, wurde von dem Gewinner noch immer nicht erhoben. Er fiel auf die Nummer 263,878. Das Loos wurde im Kiosk am Jsarthalplatz in München verkauft. Dresden, 12. Nov. Einer der Höchstbesteuerten der Antonstadt, der Inhaber einer florirenden Fabrik für Holzbearbeitung in der Martin Luther-Stroße, Max Voigt, schoß sich heute früh '/,4 in seiner Wohnung eine Schrotladung mit seinem Jagdgewehr in den Kopf und war sofort todt. Der 36 Jahre alte, erst 2 Jahre verheirathcte Mann beging die That in Folge häuslicher Conslicte und wohl auch aus geschäftlichen Sorgen. Dresden. Eine furchtbare That verübte am Sonn tag ein Dienstmädchen in einem Hause der Ammon- straße. Sie begab sich in den Keller, übergoß sich dort mit Petroleum und brannte es an. Mit Brandwunden bedeckt verstarb da« Mädchen im Krankenhause. Leipzig, 12. Nov. Die studentische Protestkund gebung gegen die lügnerischen Schmähungen Chamber- lein« über das deutsche Heer findet am kommenden Freitag Abend im großen Saale des Zoologischen Gartens statt. — In dem Strafverfahren gegen den Vorstand und Aussichtsrath der Leipziger Wollkämmerei sind an geklagt : Kaufmann Corsica, Consul Offermann, General- conful Thieme Leipzig, Kaufmann Fuhrmann-Antwerpen und Kaufmann Hergersberg-Berlin. Außer Verfolgung gesetzt wurden Director Wilke und Geh. Commerzien- rath Gruner (letzterer infolge Ablebens.) Döbeln, 12. November. Im Dorfe Masten, un weit des hiesigen Bahnhofes, wurde gestern Abend */,8 Uhr der Fabrikarbeiter Schnee von hier, als -r auf der Eisenbahnstrecke ging und dem nach Chemnitz abfahrenden Personenzuge ausweichen wollte, von dem aus der entgegengesetzten Richtung angekommenen Schnell zuge erfaßt. Dem Unglücklichen wurde der Kopf vom Rumpfe getrennt. Grimma, 12. Nov. Die Geld-Sammlung für die Retter Thieles ist nunmehr geschlossen worden. Sie ergab insgesammt den ansehnlichen Betrag von 2758 M. 54Pf. Netzschkau. In der am Montag Abend abgehaltenen Sitzung des Stadtgemeinderathes ist Herr Bürgermeister Thienemann in Schöneck einstimmig zum Bürgermeister unserer Stadl gewählt worden. Reichenbach. Der Konsumvereins-Expedient Robert Müller wird seit Sonnabend abend vermißt. Nach einem an seine Angehörigen gerichteten Schreiben scheint Müller in Hamburg den Tod gesucht zu haben. Er schein! die That in einem Anfalle von Geistesstörung begangen zu haben. — Der Schieferdcckergehilfe E. R. Reuter in Thum glitt beim Aussteigen auf das Dach der Scheune in der sogenannten Wagnermühle aus, hob beim Zugreifen die auf dem Dache liegende Leiter aus und rutschte mit ihr das Dach herunter. Die Leiter blieb an der Dachrinne hängen und auch Reuter konnte sich an der Dachrinne eine Zeit lang in der Schwebe erhalten. Doch nach kurzer Zeit versagten die Kräste und Reuter stürzte herab in das hart an der Scheune vorbeiführende Bachbett. Bei dem Sturze hat sich Reuter das rechte Schullergelenk ausgefallen und das rechte Bein oberhalb des Knies gebrochen. — Zur Deckung dec Kosten des neuen Schulhauses in Adorf, die 350,000 Mk. betragen, soll eine Anleihe in Höhe von 100,000 Mk. bei der Allgemeinen Ver sicherungsanstalt für das Königreich Sachsen ausgenommen werden. — In der Nähe der Heßmühle in Zschorlau i. Erzgeb. ist am Sonntage im Walde eine vollständig wohnlich eingerichtete Diebeshöhle aufgefunden worden. In ihr befanden sich Lebensmittel, sungefähr 12 Pfund Gänsefleisch in einem Fäßchen und verschiedene Ein- richtungsgegenstände, eine Petroleumlampe mit Kanne, Bratpfanne, Axt, Säge und Hackebrett. Die Gänse federn bildeten das Lager des Höhlenbewohners; 16 Gänseflügel lagen am Boden. Die in der Höhle abge schlachteten Gänse stammen jedenfalls von einem Dieb stahle iu Aue her. Die Bewohner der Höhle waren zur Zeit des Auffindens derselben auSgeflogen. Gerichtsverhandlungen. 8 Dresden, 12. November. Mit einer unglaublich großen Zahl von Mißhandlungen und Beleidigungen von Untergebenen durch den 25jährigen, auf der Unter- osficierschule zu Marienberg ausgebildeten Bataillons tambour und Vizefeldwebel der 9. Kompagnie des 2. König!. Sächs. Grenadierregiments Nr. 101 Max Herm. Gustav Fleischer mußte sich gestern das Kriegsgericht der 1. Division Nr. 23 beschäftigen. Der verheirathete Angeklagte hat, wie die Beweisaufnahme, in welcher 25 Zeugen vernommen wurden, ergab, in etwa 200 Fällen ihm zur Ausbildung anvertraute Soldaten bei Trommel übungen mit dem schweren Tambourstab, der Säbel scheide, dem Seitengewehr, einer Ruthe, Trommelschlägel rc. auf die Schultern, den Rücken, die Oberschenkel, in die Kniekehlen und gegen die Brust geschlagen. Außer dem hat er Redensarten wie „Hund, ich erwürge Dich" und „Kommen Sie nur bald wieder, sonst schlage ich Ihnen den anderen Arm auch noch kaput" gebraucht. Fast keine vebungsstunde verging, ohne daß der ge wissenlose Vorgesetzte seine Untergebenen in geradezu systematischer und grausamer Weise mißhandelte und ihnen das Soldatenleben gründlich verleidete. Da» Gericht ging gegen ihn mit aller Strenge vor und ver- urtheilte ihn zur Degradation, zur Verbüßung von einem Jahr sechs Monaten Gesängniß und ordnete seine so fortige Verhaftung an. » Vermischtes. * Ein hübsches Abenteuer hatte in Paris der Großfürst Alexis von Rußland. Während er auf den Boulevards flanirend seine Frühstückscigarre rauchte, trat ein wohlgekleideter Herr auf ihn zu und bat ihn um Feuer. „Ich werde Ihnen Oriqinalfeuer produciren", sagte der riesig gewachsene russische Prinz, und indem er eine wundervolle, mit Edelsteinen besetzte Streichholz büchse aus der Tasche zog, zündete der Onkel des Zaren dem Unbekannten höflich die Cigarette an. Nach einem Wort des DankeS bemerkte der Fremde: „Wollen Sie mir erlauben, die Streichholzbüchse einmal näher zu betrachten? Sie ist wirklich sehr geschmackvoll nnd ein Kunstwerk ersten Ranges. Ich bin Kenner". Das Kunstwerk wurde dem Kenner überlassen, der eS auf merksam musterte und dem anscheinend daran lag, die Conversation in die Länge zu ziehen. „Herrlich! Fürst lich! Eines Prinzen würdig!" so und ähnlich lautete das Urtheil. Der Kunstkenner konnte sich von dem kostbaren Gegenstand nicht trennen und schien immer auf etwas zu warten. „Sind Sie Russe?" fragte er schließlich, nur, um wieder etwas zu sagen. „Ein ganz klein wenig", war die ironische Antwort, als der Kunstkenner plötzlich in rohester Weise von einem Passanten anqerempelt wurde. „Elender, Sie entschuldigen sich nicht einmal!" rief der Kunstkenner nun entrüstet und eilte mit drohend geschwungenem Stock dem Unverschämten nach. Aber auch der Großfürst machte ein paar Sätze und kain ge rade recht, als der Kunstkenner von einem Herrn im schwarze»» Ueberrock festgehalten wurde, der von Weitem die Scene beobachtet haben mochte. „Ein alter Kunde von uns! Kaiserliche Hoheit wollen bitte Ihr Eigen thum an sich nehmen." — Es soll der Schaden des französischen Detecliv« nicht gewesen sein, bemerken hier zu die „Mch. N. Nchr.", daß er seine russischen College» in Bezug auf die Wachsamkeit über den Großfürsten noch übertroffen hat. * Neber einen furchtbaren Verbrecher wird aus Odessa berichtet: Seit drei Monaten befindet sich die Stadt Kiew in ständiger Aufregung und Furcht infolge der furchtbaren Verbrecher» eines Individuums, das die Polizei erst vor einigen Tagen hat festnehme»» können. Die Opfer dieses dämonischen Verbrechers, der ein junger, achtzehnjähriger Mann Namens Iwan Kapranow ist, sollen nicht »veniger als 67 Persone»» sein, und zwar meist Schulmädchen der höheren Gymnasien zwischen 15 und 18 Jahren und junge, unverheirathete Mädchen. Die gebrauchte Waffe war ein Taschenmesser mit langer Klinge, und die Stöße wurde»» entweder ii» den Unterleib oder in den Hals geführt. Drei Fälle habe»» sich als verhängnißvoll erwiesen, und eine An zahl Opfer befindet sich noch in ärztlicher Behandlung. Die Verbrechen wurden alle nach Sonnenuntergang be gangen, aber verhältnißmäßig früh am Abend und nicht selten auf öffentlichen Promenaden. Als der Gefangene den Untersuchungsbeamten gegenüberstand und um Er klärung seiner verruchten Verbrechen gefragt wurde, brach er in einen leidenschaftlichen Paroxysmus aus, erklärte, alle Frauen zu hassen, und ihr bloßer Anblick erregte in ihn» eine Wuth, die er unfähig sei zu be herrschen. Die Frauen, fügte er hinzu, wären eine Schöpfung des Teufels. Vorläufig ist Iwan Kapranow der psychiatrischen Abtheilung des Kiewer Krankenhauses zur Untersuchung überwiesen worden. * Ein Satzungcheuer. Wen»» man, wie üblich, Wortreihen, die von zwei Punkten begrenzt sind, einen Satz nennt, — die Grammatiker rede»» hier freilich von einer Periode — so hat Friedrich Hebbel sich wohl den längsten Satz geleistet, den die deutsche Sprache kennt. Da Hebbels „Maria Magdalena" jetzt wieder in den Spielplan des deutschen Theaters ausgenommen ist, so dürfte die Wiedergabe dieses Satzes nicht uninteressant sein. Er umfaßt 239 Worte, braucht 2 eine halbe Minute um gelesen zu werden, und findet sich in Hebbels Vorwort zu seiner „Maria Magdalene." Er lautet: „Ist nun aber solchem nach das materielle Fundament der Geschichte ein von vorn hereii» nach allen allen Seiten durchlöchertes und durchlöcherbares, so kani» die Aufgabe des Dramas doch unmöglich darin bestehen, mit eben diesem Fundainent, diesem verdächtigen Con- glomerat von Begebenheitskizzen >»nd Gestaltenschemen, einen zweifelhaften Galvanisirungsversuch anzustellen, und der nüchterne Lessingsche Ausspruch in der Drama turgie, wonach der dramatische Dichter die Geschichte je nach Befund der Umstände benutzen oder unbenutzt lassen darf, ohne in dem letzten Fall einen Tadel oder in dein ersten ein spezielles Lob zu verdienen, wird, wenn man ihn nur über die Nagation hinaus dahin erweitert, daß das Drama dessen ungeachtet den höchsten Gehalt der Geschichte in sich aufnehmen kann und soll, in voller Kraft verblieben, am wenigsten aber durch Shakespeares Beispiel, in dessen historischen Dramen,