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Wenßm-ErMaler Anzeiger Gersdorf, Lugau, Beilage. Sonntag, den 10. November 1901. Nr. 263. TUM str Werßck-Wthlll, MlmM, lstenbrand, Urspnmg, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken u. s. w. Berliner Brief. 8. November 1901. Die Wahlschlacht für das Berliner Stadtparlament ist vorüber. Wie vorauszusehen war, endete sie mit einem Sieg der Sozialdemokratie, welche gleich auf dem ersten Ansturm sechs neue Sitze von den Freisinnigen eroberte und ihre sieben alten behauptete. Diesen Ausgang der Wahlen kann man als einen offenen Protest der Berliner Bevölkerung gegen das Ver halten des freisinnigen Stadtregimentes in den letzten Affairen betrachten, er ist aber auch ein beredtes Zeugniß dafür, daß die freisinnige Fraktion völlig zerfallen ist und ihrer Auflösung entgegen geht. Völlig ver- schwunden ist durch die Wahl die letzte an die antise mitische Pracht erinnernde Säule, der Kandidat der so genannten „Bürgerpartei". Er mußte, ohne in die Stichwahl zu kommen, dem sozialistischen Gegner weichen. Einen gleich großen Sieg haben an demselben Tage die Charlottenburger Sozialdemokraten errungen. So haben sie sechs Sitze erobert, während sie mit ihren alten zwei Sitzen in die Stichwahl kommen. Die Entscheidung wird allerdings von den Wählern der freisinnigen Fraktion abhängen, welche sich, wie die „Freisinnige Zeitung" grollend berichtet, höchst „wahlfaul" verhalten haben. Eine ganz neue Erscheinung in Berlin sind „arbeits lose" Chinakrieger, von denen sich etwa einhundert Mann an den Kaiser mit der Bitte gewandt haben, ihnen, die mit ihrem Leben die Ehre des Vaterlandes vertheidigen halsen, irgend eine Anstellung im Staatsdienste zu ver leihen. Dieser Fall von Arbeitslosigkeit ist charakteristisch für den Umfang der Arbeitsnoth selbst. Es giebt nämlich in Berlin noch viele patriotische Arbeitgeber, die gerne einen Krieger beschäftigen würden, wenn sie überhaupt imstande wären, dies zu thun. Es ist ihnen aber schlechterdings unmöglich, ohne einen ihrer alten treuge dienten Arbeiter auf die Straße zu werfen, und so blieb dann den darbenden Chinakriegern in der That nichts anderes übrig, als ihre Petition an den obersten Kriegs herrn abzusenden. Während der Krieg zwischen den Apothekern und Krankenkaffen seine ganze Heftigkeit verloren hat, wird er zwischen der Milchzentrale und den Milchhändlern mit aller ursprünglichen Erbitterung weitergesührt. Es regnet nur so Beleidigungsklagen, und wer Sieger bleibt, ist noch nicht abzusehen. Denn der „Ring" ist mächtig, er kann es aushalten, und die Milchhändler erfreuen sich der allgemeinen Unterstützung des Publikums. Man denkt jedoch, daß er zu Weihnachten vorüber sein wird, das jetzt schon seine Schatten vorauswirft. So haben gestern die Weihnachtsbaum.Engroshändler eine Sitzung abgehalten, um sich über die hohen Fracht sätze der Eisenbahnverwaltungen und eine entsprechende Petition um Ermäßigung derselben an den Eisenbahn minister auszusprechen. Am nächsten Tage sind sie ab- gereist, um ihren Bedarf im voraus zu decken. ck. N. OertlicheS «»rd Sächsisches. Hohenstein-Ernstthal, den 9. November. ' — Es ist heraus, das große Loos der König!, sächs. Landeslotterie. „Es war also wieder einmal nichts!" werden gar viele sagen, die ihre Hoffnungen auf Fortunas Gunst gesetzt hatten. Nun, sie werden sich aber auch zu trösten wissen; das Glück kann ihnen ja noch ost lächeln. Die Ziehung währt noch eine ganze Reihe von Tagen und da« Glücksrad enthält noch recht ansehnliche Gewinne. Der Hauptgewinn von 600 000 Mk. ist auf die Nummer 87 115 in die Kollektion von Hcyser in Leipzig gefallen. — Der 10. November läßt im Geiste eines jeden Deutschen die Erinnerung an drei Männer wieder auf leben, die, allerdings durch längere Zeiträume getrennt, an diesem Tage das Licht der Welt erblickten, und denen für alle Zeiten ein feststehendes Denkinal in der Geschichte gesichert ist. Diese Kinder des 10. Novembers sind Martin Luther, der Vater des Protestantismus, Friedrich Schiller, der schönheitsbegeisterte Dichter und Gerhard Scharnhorst, der scharfsinnige Erneuerer des preußischen Heeres. Kämpfer waren sie alle drei, und jeder von ihnen hat an der Stelle, die ihm das Ge schick angewiesen, mit kühnem Mannesmuth und uner müdetem Eifer den Zielen nachgestrebt, die er als die wahren und rechten erkannt hatte. Ist Luthers, des Augustinermönches, Werk auch weitaus das Gewaltigste, so hat doch nicht minder Schiller, der mit dem Zauber stabe der Dichtkunst zahllose Herzen gerührt und ent flammt hat, Anspruch auf Bewunderung und Verehrung. Die aufrichtige Dankbarkeit Deutschlands bleibt aber seinem Scharnhorst sicher, dessen organisatorisches Talent den ersten Grundstein zur Festigung und zum Empor blühen unseres Vaterlandes legte. Oberlungwitz. Nach längerem Leiden ent schlief am Freitag Abend unser langjähriger Gemeinde-Vorstand Herr Bernhard Oppermann, der unserer Gemeinde stets ein gewissenhafter und fürsorglicher Leiter der Ver- waltungsgeschafte und unseren Einwohnern zu jeder Zeit ein freundlicher und liebevoller Berather ge wesen ist. Die Gemeinde wird Seiner stets in Ehren gedenken! Gersdorf. Hier wird eine erneute Eingabe an das Kgl. Ministerium des Innern vorbereitet wegen Erbauung einer elektrischen Eisenbahn von Hohenstein- Ernstthal durch Gersdorf nach Oelsnitz i. E. durch den Staat. Das Komitee kann sich nicht dabei beruhigen, daß durch das Fallissement Kummer oll' die Vorarbeiten verlorene Mühe gewesen sein sollen. Lichtenstcin-Callnberg. Die vor kurzem wieder eingeleiteten Verhandlungen betreff« Vereinigung der beiden Schwesterstädte zu einem Gcmeindewesen sind nunmehr endgiltig abgebrochen worden. Der Grund hierzu mag darin zu finden lein, daß die Callnberger KommissionSmitglieder nach Einsichtnahme des HauS- haltplanes für die Stadt Lichtenstein zu der Ueberzeug- ung gelangt sind, daß nach den daraus ersichtlichen Be dürfnissen — gegenüber den zur Verfügung stehenden Deckangsmitteln — ein Vortheil für Callnberg nicht zu erwarten steht. Demzufolge wurde mit 7 gegen 5 Stimmen beschlossen, in weitere Verhandlung mit Lichtenstein in dieser Beziehung vorläufig nicht einzu gehen. Leipzig. Der Vereinsbezirk Leipzig des Vereins sächsischer Gemeindebeamten hat beschlossen, das Direktorrum des letzteren zu ersuchen, bei dem sächsischen Gemeindetag, sächsischen Bürgermeistertag und bei der Vereinigung der Bürgermerster und Gemeindevorstände die Einleitung von Schritten für Einführung einer all gemeinen Gemeindebeamten-Prüfung anzuregen. Chemnitz. Das Preisgericht für die Beurtheilung der Entwürfe für einen figürlichen religiösen Schmuck auf dem städtischen Friedhöfe an der Reichenhainerstraße hat den drei Entwürfen mit den Kennworten „Himmel reich", „Ev. Johannis 10. 9" und „Auferstehung" den Vorzug vor den übrigen zuerkannt und den zur Preisvertheilung zur Verfügung stehenden Betrag von 2000 Mark zu gleichen Theilen an die Urheber dieser drei Entwürfe zu vertheilen beschlossen. Der Entwurf des Herrn B ldhauer Richard König-Radebeul hat zwar als verspätet eingegangen auf Grund der Wett bewerbsbedingungen bei der Preisvertheilung" außer Berücksichtigung bleiben müssen, ist aber vom Preisgericht als zur Ausführung besonders geeignet empfohlen worden. Die Entwürfe sind von Sonntag, den 10., bis ein schließlich Sonntag, den 17. d. M. und zwar an den beiden Sonntagen von 11—1 Uhr und während der Werktage von 10—1 Uhr in der Aula des städtischen Realgymnasiums an der Reitbahnstraße öffentlich aus gestellt. Chemnitz. In der letzten Stadlverordneten-Sitzung kam eine Eingabe des „Vereins für Feuerbestattung" zur Verlesung, in der vom Rathe der Stadt auf dem Friedhöfe ein Areal von 800 Quadratmetern gratis verlangt wird zum Bau eines Krematoriums, sowie die Erlaubniß zum Bau eines solchen. Bürgermeister Gerber gab sofort die Entschließung des Rathes, an den eben falls eine Eingabe desselben Inhalts gerichtet worden war, bekannt. Danach will der Rath dem Verlangen de« Vereins wohlwollend näher treten, sobald dieser die bei der höheren vorgesetzten Kirchenbehörde einzuholende Genehmigung zum Betriebe des Krematoriums erhalten hat. Dieser Beschluß des Rathes wurde von den Stadt verordneten mit lebhaftem Bravo entgegengenommen. Stollberg. Am Freitag morgen um 2 Uhr brannte da« Herrn Ludwig gehörige Restaurant „Felsenkeller" auf der Her, ensiraße mit seinen Nebengebäuden nieder. — Am Dienstag war die Frau die Glasschleifers Richard Kother in Bischofswerda ihrem Manne beim Räumen von Glaskisten behilflich gewesen und hatte eine nicht allzu große Kiste selber gehoben und fortge tragen. Bald darauf verspürte sie heftige Schmerzen im Leibe, was sie veranlaßte ihre Wohnung aufzusuchen. Die Schmerzen vergrößerten sich schnell, sodaß man einen Arzt holen mußte, welcher Darmverschlingung konstatirte. Die bedauernswerthe Frau, welche sechs unerwachsene Kinder, das jüngste Jahr alt, hinter läßt, ist von ihren furchtbaren Schmerzen durch den Tod erlöst worden. — Der auf der Flucht vermuthete vormalige Kämmerer Ulbricht aus Königsbrück hat sich der Staatsanwaltschaft in Bautzen gestellt. Geyer, 7. Nov. Heute Mittag wurde Herr eanä rvv. will. Apelt von Herrn Bürgermeister Kneschke al« Direktor der Beamlenschule in Gegenwart der Stadt vertretung, der Lehrer der Beamtenschule und einer De putation Beamtenschülern feierlich verpflichtet. Schleiz. Allgemeine Theilnahme erregt hier der Tod des Schneidermeisters Herrn Tiersch. T. hatte sich ein Hautpickel am Nacken mit dem Fingernagel aufgekratzt. Da er vorher farbigen Stoff bearbeitet hatte, ist anzunehmen, daß er sich durch die Farbe an den Fingernägeln eine Blutvergiftung zugezogen hat. Auch wir, König Eduard, beten! König Eduard brachte einen Trinkspruch aus, indem er u. A. sagte: „Leider dauert der Krieg immer noch fort: aber wir beten inbrünstig um Wiederherstellung des Friedens und der Wohlfahrt." Auch wir, König Eduard, beten! Herr Gott im Himmel, hör' zu! Auch wir, König Eduard, beten, Nur etwas Anderes als Du! Das war kein Wort eines Königs, Bei so viel Jammer und Pein! . . . Du brauchst ja nur den Frieden zu wollen, Und es wird Friede sein! Das war kein Wort eines Königs, Und besser war's, du bliebest still! . . . Es darf nicht um Frieden beten, König Eduard, wer ihn nicht will! Auch wir, König Eduard, beten, Doch, ob Untergang oder Sieg, Wir beten nicht mehr um Frieden, König Eduard, wir beten um Krieg! Wir beten um Krieg bis auf's Messer, Um Krieg bis zum letzten Mann! . . . „Die Ehre hat's längst euch gekostet, Nun komm' noch der Geldbeutel dran!" Caesar Fleischlen, in der „Täglichen Rundschau." Vermischtes. * Ein Bild aus dem Berliner Leben wurde in einer Verhandlung vor Augen geführt, die am Dienstag vor der neunten Strafkammer des Berliner Landge richts I stattfand. Auf der Anklagebank befand sich der Rittmeister a. D. Erich v. W., welcher beschuldigt war des Vergehens gegen die Konkursordnung durch übermäßigen Aufwand, Spiel und Wette, sowie ferner des Betruges in sechs Fällen. Der jetzt 46jährige An geschuldigte hatte als Erkadronchef in Bromberg mit den Einkünften seiner Frau ein Jahreseinkommen von etwa 54 000 Mk. Im Januar 1883 hielt der Ange klagte sich eine Zeit lang in Berlin auf. Nach einem glänzenden Abendessen führte ihn sein Unstern nach dem Unton-Klub. Er will bis dahin keine Karte angerührt haben und verlor in der einen Nacht beinahe eine halbe Million. Das Geld mußte schleunigst beschafft werden. Es blieb dem Angeklagten nichts anderes übrig, als sich an seine Mutter zu wenden. Die sehr strenge Dame ließ sich durch Fürsprache des Generalfeldmarschalls Moltke, der dem Angeklagten gewogen war, bewegen, dem letzteren 150000 Mk. zur Verfügung zu stellen. Sie brachte ihm dafür aber einen Theil de« ihm ge währten Zuschusses in Abzug und stellte dann später den ganzen Zuschuß ein. Das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn hatte einen Riß erhalten und es kam zwischen ihnen zu einem Prozeß. Der Angeklagte hatte