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: Oie Muiier Von H. A. Berger. (Nachdruck verboten.) ! Vier Buben zu haben ist für eine Mutter, wenn sie ! allein steht, keine Kleinigkeit. Erst recht nicht, wenn diese I Buben eigentlich keine Buben mehr sind, sondern längst ! ausgereifte Männer. In diesem Jahr hatte die Witwe Göbel ihren acht- I zigsten gefeiert und ihre vier Söhne froh und gesund um I sich gesehen. Auch den jüngsten, der allein von allen aus ! eigenen Füßen stand und auch allein von den vieren, fern ! von zu Hause, einem bürgerlichen Berufe nachging. Was konnten da die anderen drei schon groß Geburts- > tagsgeschenke machen, von den paar üblichen Blumen ab- ! gesehen! Zwei, die beiden Maler, hatten srüher ab- I wechselnd der Mutter Bild in Oel und goldenem Rahmen I gespendet, so daß die Unmöglichkeit, sie alle an die Wand ! zu hängen, die meisten aus den Speicher verbannte, wo ! sie jetzt allerdings in dicken Mappen ruhten, da ihr gegen I Geldeswert jederzeit eintauschbarer Nahmenschmuck Stück i für Stück inzwischen lohnende Verwendung finden konnte. ! Von jedem ein Mutterbildnis, und vom dritten, dem Bild- I Hauer, eine Bronzebüste — das waren genügend sichtbare I Zeichen kindlicher Liebe und künstlerischen Ehrgeizes. ! Damit wäre über die äußeren Lebensumstände der ! vier eigentlich schon alles gesagt. Im Grunde besaßen die I drei Künstler ja nichts als ihren Idealismus, einschlicß- ! lich Wohnung und täglich gedeckten Tisch bei ihrer Mutter ! und freilich wohl auch die Nutznießung einer kleinen I Rente, die der Mutter seit zwanzig Jahren — so lange I war ihr Mann, der berühmte Akademicprosessor, schon I tot — rechtens zukam. Mit dieser Rente bestritt sie in ! den Notzeiten der Kunst — und wie lange währten sie! — I nahezu den gesamten Unterhalt der Familie. Denn was ; ihre Söhne, nach Abzug der Ateliermiete, der Kosten für f Farbe und Leinwand oder Ton vom gelegentlichen Ver- l kauf ihrer Werke erübrigten, reichte gerade zu einem be- I scheidenen Taschengeld hin. Dabei ging der älteste schon i aus die Fünszig zu. Es hatte etwas von hierarchischer Würde, die Brüder, I die übrigens alle in ihrer schlanken, hochstämmigen Er- > schcinung dem Vater nachgeartet waren, zusammen die s Straße cntlanggehen zu sehen oder sie in einem Kafsee- l Haus, wozu es manchmal eben noch langte, Zeitschriften I lesend, zu beobachten. Dabei fiel die Zugehörigkeit zu ; ein und derselben Familie zunächst gar nicht ins Auge, ' so verschieden gaben sie sich in ihrem Aeußeren, das bei spielsweise den Aeltesten im Schmucke eines kohlschwarzen > Spitzbärtchens zeigte, während dem Jüngsten der drei ; die Haare flachsblond in den Nacken sielen. Nur ließen i sie sich eben selten in der Oefsentlichkeit sehen, und schon I gar nicht an hohen Festtagen — nian wird wohl ver- » muten, warum. Denn wenn ihnen auch gleich der Künstler » anzusehen war, und sie nicht den geringsten Anlaß hatten, I sich ihrer Not zu schämen, so war doch mit der Zeit ihre > Garderobe in einen Zustand geraten, daß sie kaum noch » vor ihren eigenen Augen bestehen konnte. Trotzdem hätten sie sich, und wären ihnen goldene I Berge versprochen worden, niemals zu einer Herabwürdi- > gung ihrer Kunst verstanden. Und schützend trat immer « wieder die Mutter vor ihre Kinder, sobald man ihnen I das Unschickliche ihres Verhaltens klarmachen wollte, wo I es doch, so etwa lauteten diese Vorwürfe, ihre Sohncs- ! Pflicht wäre, der alten Mutter die Sorgen abzunehmcn, > anstatt sie noch zu vermehren. Frau Göbel hätte ja nicht I die Witwe eines großen Künstlers sein müssen, um die i Denkweise ihrer Kinder nicht nur zu verstehen, sondern ! im Gegenteil noch zu begünstigen. „Nur gut, daß ich noch t geben kann", dachte sie oft und sagte es auch manchmal lächelnd. „Und daß ich immer noch die gesündeste von j allen bin." In der Tat war die Gesundheit der alten Dame er» « staunlich. Einmal warf eine böse Grippe ihre Buben alle l nacheinander aufs Krankenbett. Was wäre Wohl geschehen, I wenn sie nicht stark und rüstig aus ihrem Posten gestanden » und ihre Nachtruhe noch geopfert hätte, um ihre Kinder i nur bald wieder wohlauf und den Kreis zukunftsfroher I Männlichkeit um sich geschlossen zu sehen? Die meisten Sorgen machte ihr in dieser Hinsicht, » solange sie denken konnte, der Aelteste. Von allen hatte I er den zartesten Körper, und mit der Brust wollte es I schon gar nicht stimmen. Mehr als einmal, wenn er » sterbenskrank zu Bette lag, schien es, als ob nur noch der ! Tod Erlösung bringen könne. Und dann teilten sich alle, I wie die Soldaten eines Wachtkommandos, in die Pflege, > bis es ihren vereinten Kräften gelungen war, den halb ' schon Totgesagten wieder flottzubringen. Aus ihn aber setzte die Mutter und setzten die Brüder I alle ihre Hoffnung. Zweifellos war er unter ihnen der I begabteste. So hatte es Gerhard verstanden, durch regel- ! mäßige Ausstellungen die öffentliche Aufmerksamkeit auf I sich zu lenken. Die Erinnerung an seinen berühmten Vater, ! die dadurch aufgesrischt wurde, sprach ebenfalls ein Wört- ! chen mit, als es sich darum handelte, eine demnächst ent- I stehende Lücke im Lehrpersonal der Akademie auszufüllen. I Vor wenigen Jahren noch hätte er sich aus einer solchen i Berufung nicht viel gemacht, weil er die völlig un- ! gebundene Freiheit seines Schaffens über alles liebte. Nun I aber sehnte er förmlich diesen Schutz herbei. Was würde ! schließlich auch werden, wenn die Mutter nicht mehr war, f was aus ihm und den Brüdern? In diesen Tagen einer sich anbahnenden Entscheidung I war es, daß die Mutter zum erstenmal in ihrem Leben i hoffnungslos erkrankte. Zu einer nicht wichtig genom- ! menen Erkältung trat überraschend Lungenentzündung f hinzu, die das Herz über Gebühr strapazierte. Und nun war die Reihe an ihren drei Söhnen, Tag und Nacht I an ihrem Krankenlager zu wachen. Aber ihre Aufopferung I führte sowenig zu einem Erfolg, wie die ärztliche Kunst; I sie starb ihnen unter den Händen weg, mit einem letzten ; verklärten Lächeln im eingefallenen Gesicht: gerade war die ! Nachricht von Gerhards Ernennung zum Malprofessor an I der Akademie eingctrosfen. Der letzte Seufzer, mit dem sie ihr Leben aushauchte, ; mag aus dem erleichterten Bewußtsein gekommen sein, > daß ihr Aeltester schon nach Kräften für seine Brüder f sorgen werde. Die Gute, ob sie auch wußte, daß es mit > der leiblichen Sorge allein nicht getan war? Doch diese ' Frage hatten die Söhne ganz mit sich selber abzumachen. I Goldene Worte Man mag sich noch so sehr zum allgemeinen ausbil- ; den, so bleibt man immer ein Individuum, dessen Natur, « indem sie gewisse Eigenschaften besitzt, andere notwendig > ausschließt. Goethe. ! * ; Nicht hoffe, wer des Drachen Zähne sät, Erfreuliches I zu ernten. Jede Untat trägt ihren eigenen Racheengel ' schon, die böse Hoffnung, unter ihrem Herzen. Schiller. ! * Wenn du den Mut verlierst, verlierst du die Kraft Zu wirken, und dein Werk verkümmert krüppelhaft. ! Friedrich Rückert, j * Hcrzdamgrett ist bloß Tempcramcntseigenschaft. Der ' Mut dagegen beruht aus Grundsätzen und ist eine Tugend. » Immanuel Kant.