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weiten Mantel und mit einem Schlaxphut auf dem Haupte, vor uns auf, wa» un« zu dieser Stunde und auf einem Schlachtfelds immerhin verdächtig erscheinen müßte, zumal schon in den letzten Tagen Geschichten von den sogenannten „Hyänen de» Schlachtfeldes" bei uns laut geworden waren. Auf einen energischen An ruf erfolgte jedoch zu unserem nicht geringen Erstaunen im gemüthlichen Sächsisch die Antwort resp. Gegenfrage: „Heda, Ihr Landsleute, ich suche Wasser und finde keens, wißt Ihr ntch welche»?" — Die Stimme hören und meinen leibhaftigen Vetter Hermann erkennen, war Eins und im nächsten Moment hatte ich die vermeintliche Hyäne vor Freude umhalst. Nach langer Trennung ein Wiedersehen an solcher Stätte, zu solcher Stunde! — und um so überraschender, als ich ja nicht wußte, daß mein Vetter als Kammerdiener Sr. König!. Hoheit des Prinzen Albert mit in's Feld gezogen war und er hingegen gar keine Ahnung hüte, daß ich inzwischen Soldat geworden. — Die erste Rührung bemeisternd, faste ich nun die Gelegenheit beim Schopf mit der hier gewiß verzeihlichen Frage nach etwas Eßbarem, nachdem mein Vetter kurz erzählt hatte, daß er in der Nähe am Wege niit den Equipagen die Ankunft seines hohen Herrn erwarte. Mein kühner Angriff auf das bekannte edelmüthige Herz war insofern von Erfolg, als mir kurz darauf beim Schein einer Wagenlaterne aus einer blech beschlagenen Vorrathskiste ein Stück Brot, ein Fetzen Schink.-n, eine halbe Feldflasche voll Bitteren, einige Zündhölzer und schließlich sogar eine einzige liebe Cigarre autgehändigt wurden, während dessen die Ge- sichrer meiner beiden Kameraden (wenn ich nicht irre hießen sie Bäsler und Lenk) ein ungemein freundliches Schmunzeln verklärte. Mehr konnten wir nicht haben, denn selbst die Vorräthe unserer höchsten Führer waren an diesem Tage außerordentlich knapp, wie wir soeben selbst gesehen hatten, und so traten wir nach herzlichem Dank den Rückzug an den Waldrand von Jaumont an. Eine ernste Berathung, ob wir unsere soeben gehobenen Schätze an das Bataillon abliefern müßten oder nicht, führte zum Beschluß, daß diese lieber unter uns Dreien getheilt werden sollten, denn unserem Hunger nach hätte Jeder von uns Drei solche Portionen recht nöthig ge habt, als wir sie gemeinsam leider nur einmal besaßen. An einem kleinen Gebüsch machten wir Halt, ich theilte das Brot in drei Brocken, legte auf jeden ein Drittel unseres Schinkenvorraths und dann kam der Moment des hohen Genusses: ein Druck und ein Schluck, ver schwunden war die ganze Herrlichkeit! Nun kam der Bittere an die Reihe und die Flasche machte die Runde und wenn nun auch für Jeden nur ein einziger tüchtiger Schluck abfiel, so war es unter derzeitigen Verhältnissen doch ein Hochgenuß und eine Labe für den von Staub und Rauch innerlich zerkratzten Hals und die wie Bims stein im Munde liegende Zunge. Dem Lagerplatz des Bataillons schon ganz nahe, machte einer meiner Be gleiter seine Rechte auf ein Drittel der vorhandenen einen Cigarre geltend, indem er darauf hinwier, daß das ganze Bataillon würde daran ziehen wollen, wenn wir die edle Nauchrolle im Biwak selbst zum Vorschein kommen ließen, was doch Unsinn wäre, denn dann hätte ja Keiner was. So gern ich ja den Genuß auch den anderen Kameraden gegönnt hätte, so entbehrte der ge machte Vorschlag nicht der Begründung, wir setzten uns und bald duftete das köstliche Kraut. Vereinbart hatten wir Drei, daß jeder abwechselnd immer nur drei Züge thun dürfe und, um dabei ja nicht zu kurz zu kommen, zog Jeder so kräftig als möglich und jede ausgeblasene Dampswolke hatte die Dimension des Rauches der heute so oft gesehenen und gehörten Gewehrsalven. Bei solcher Habgier und Genußsucht konnte dar Vergnügen ja nicht lange dauern und, arm wie wir ausgezogen waren, sanden wir uns wieder ein, aber immerhin doch in dem erhabenen Gefühl, heute im ganzen 105ten Regiment vielleicht die Glücklichsten gewesen zu sein. Sollten einige alte Kameraden (11 Kompagnie) diese kleine Er innerung lesen, so würde es mich ganz außerordentlich freuen, wenn ich von ihnen ein Lebenszeichen in Form eines Briefes oder einer Karte erhielte; einer pünktlichen Antwort könnten sie versichert sein." Vermischtes. * Ein schreckliches Familiendrama hat sich in Wiesbaden Nachts in einem Hause auf der Neroberg, straße abgespielt. Seit etwa acht Tagen wohnt dort im Erdgeschoß eine Familie — Mann, Frau und ein etwa 7- bis Zjähriges Mädchen — Namens Maier aus Bremen. Freitag früh fand die Aufwärterin die drei Personen in ihrem Blute auf dem Bette liegen. Die Frau war todt, während der Mann und das Kind, beide mit Schußwunden in der Herzgegend, noch Lebens zeichen von sich gaben. Das schwer verletzte Kind, ein hübsches blondlockiges Mädchen, wurde zum Kranken hause „Rothes Kreuz" gebracht. Nach den Andeutungen des noch vernehmungsfähigen Mannes — einer impo santen, kräftigen Erscheinung mit schwarzem Vcllbarl — hat seine Frau die unselige That ausgeführl und zu erst auf ihn, den Mann und dann auf ihr Kind ge schossen, worauf sie die Waffe gegen sich selbst richtete. Aus den ziemlich unverständlichen Andeutungen des Mannes scheint jedoch hervorzugehen, daß er mit der That einverstanden war. Die Beweggründe sind noch vollständig unklar. Die Frau — eine Schwedin — wohnte mit dem Kinde schon seit einiger Zeit im Hospitz „zum hl. Geist", auf der Friedrichstraße, und fiel schon immer durch ihr verschlossene» Wesen auf. Vor etwa acht Tagen kam der Mann hierher, wie verlautet von Amerika, worauf die Familie die Wohnung auf der Nerobergstraße miethete. In der sehr elegant und voll ständig neu eingerichteten Wohnung sah e« sehr wüst aus. Im Eßzimmer war noch der Tisch gedeckt; etliche leere und halbvolle Wein- und Champagnelflaschen ließen auf ein gemeinsames Mahl schließen, da» die Ehegatten noch, bevor sie ihre Absicht ausführten, ein genommen. Die That wird auch mit dem Leipziger Bankkrach in Verbindung gebracht, doch läßt sich da rüber vorläufig noch nichts Bestimmtes sagen. * Ein Jubiläum ohne Jubilar. Dieser Tage ereignete sich in Haidhausen, einer Vorstadt von München, ein hübsches Stückchen: Ein Verein, dem viele städtische Bedienstete angehören, veranstaltete aus Anlaß des 70. Geburtsfestes eines Mitglieds eine solenne Jubiläumsfeier in einem dortigen Gasthause. Das Gastzimmer war prächtig dekorirt, Blumensträuße standen auf den Tischen, Musik war bereits erschienen, vom Dach des Hauses wehte eine Flagge und auf einem Seitentischchen waren die Geschenke kür den Jubilar, eine werthvolle Standuhr, eine hübsche Frucht schale und ein Riesenstrauß, aufgestellt. Aber die Zeit verstrich und der Jubilar kam nicht. Endlich nach längerem Harren schickte man eine Droschke zu ihm, um zu sehen, was los sei. Man traf ihn kreuzfidel zu Hause, aber schon im Bett liegend an, und der Gefeierte erklärte, er stehe unter keinen Umständen mehr auf. Entrüstet eilte der Bote zurück und die Vereins mitglieder feierten das Jubiläum ohne Jubilar bis zum Morgen, Andern Tages hörte der „Ehrengreis" von den ihm bestimmten Geschenken und wollte diese abholen lassen, allein noch am Abend zuvor bestimmte der Verein einstimmig, daß dieselben dem Vereinsver mögen zufallen sollten, wovon der Jubilar uunmehr sehr unangenehm berührt war. Handels-Nachrrchten 20. Aug. SV, 5 3 Reichsbank 3'/,, Lomb.-Z.-F. 8 T '3M 10 T 2M 10 T 8 T r 81,— G 20,42 G -0,28 G 5 4 2M 8 T ' 3M 8 T 5M 81,- B 80,60 G 85,25 G 84,— G 4'/.- Amsterdam per 100 fl. b. Brüssel und Antwerpen pr. 100 Francs. Italienische Plätze pr. 100 Lire Schweiz. Pl. 100 Frc. London pr. 1 Lstrl. Madrid und Barcelona pr. 100 Pesetas Paris pr 100 Franc Petersburg pr. 100 Rubel Warschau 100 Rubel Wien per 100 Kr. ö W. Mark 168,65 G 167,80 G 81,— B 80,40 G 77,50 G . 8T^ 3M> (Wechsel-Cours). ÜUllti- Vtsvont S T " 2M 3'/. 3M ! 14 T. Huiräoburx. 20. Aug. Kornzucker cxcl. 8S°/o Rendemenl —,— bis —. Nachprodurte excl. 75°/« Rendement 7,00 bis 7,35. Stimmung: ruhig. Krystallzuckcr I mit Sack 28,95. Brodraffinade I ohne Faß 29,20. Gem. Raffinade mit Faß 28,95. Gem. Melis 1 mit Faß 28,45. Rohzucker I. Product Transito f. a. B. Hamburg per Aug. 8,25 Gd., 8,30 Br., per Sept. 8,30 Gd., 8P7'/, Br., per Okt. 8,35 Gd., 8,40 Br,. per Okt.-Dez. 8,37'/, Gd., 8,35 Br., per Jan.-März8,50 Gd., 8,55 Br. Tendenz: Schwach. Humburg, 20. Aug. Weizen stetig, Holsteiner loco — bis —, La Plata 130. — Roggen stetig, cif. südruss. Hamburg 105—108, do. loco 106 bis 109, Mecklenburgischer 136 bis 142. Mais fest, amerik. mixed. 124, La Plata 102. Haser fest, Gerste fest. Wetter: Heiß. Uremon, 20. Aug. (Baumwolle,. Tendenz: Ruhig. Upl. middl. loco 42'/«- Pfg. Liverpool, 20. Aug. (Baumwolle.) Muthmaßlicher Um satz: 8 000 Ballen. Stimmung: Ruhig. Import: 1 000 Ballen, Preise V«« bis Vo« höher. Umsatz: 4000 Ballen, davon für Speculalion und Export 600 Ballen verkauft. Amerikaner ruhig, höher, Ostindische und Egypter ruhig. Middling amerikanische Lieferungen. Aupust-Septbr. 4's/«« Käufer, good ordin. Lieferungen: Oktober 4'/«« Verkäufer, November-Dez. 4^«i Käufer. Januar-Februar 4'/»« do. Zahlungseinstellungen: Stuhlfabrik Adolph Rose, A.-G., Beuthen O.-S. Maschinen fabrikant Eugen Oskar Zimmermann, Chemnitz. Kfm. Ernst Paul Richard Rottmann, Dresden. Cigarrenfabrikant Carl Schönherr, Freiberg. Kaufm. Ferd. Schlun, Münster i. Wests. Schnittwaarenhändl. Ernst Wilh. Hensel, Pirna. Die Thürmer von Allerheiligen. Kriminalgeschichte von Friedrich Thieme. 5. Fortsetzung. „Haben Sie Gelegenheit gehabt das Familienleben des Fabrikanten zu beobachten?" „Seit fast zehn Jahren. ES ist daS Beste von der Welt. Man weilt nur gern bei den liebenswürdigen Leuten." „Hüllemann gilt al? reich?" „Und ist es auch. Er kam schon wohlhabend hier her." „Wie lange ist das her?" „Etwa 11 Jahre. Seitdem hat er sich das allge- gemcine Vertrauen erworben, er ist Mitglied des Kirchen ratHS der Allerheiliqengemeinde, Stadtverordneter, Kurator der Sparkasse und vieles andere mehr." „Besitzen Sie nicht einen Brief von jhm?" „Mehrere." „So bitte ich Sie, senden Sie mir sofort einige davon her, möglichst einen darunter, den der Fabrikant auch selbst adressirt hat." Noch am selben Tage gelangte der Staatsanwalt in den Besitz einiger Schreiben Hüllemann's. Diese wurden dem bereits vernommenen Briefträger vorgelegt, welcher mit Bestimmtheit die Adresse eines KouvertS als von derselben Hand herrührend erkennen wollte, welche die Aufschrift des an den Thürmer gerichteten Briefes geschrieben hatte. „Also doch", sagte Eilert zu sich selbst. „Und doch scheint der Gedanke mir so absurd. Ein so angesehener, ehrenwerther Mann, ein thatsächlich edler und guter Mann, ein Mann, den ich persönlich einer solchen That nicht für fähig halte! Mein ganzes Innere sträubt sich gegen den Glauben — und daS Motiv? WaS sollte das Motiv gewesen sein?" Mit Spannung wartete er noch auf eine Antwort der Behörde zu R., dem Geburtsorte Albolt's. Er hatte gebeten, ihm telegraphisch den genauen Namen derjenigen Personen mitzutheilen, mit welcher Albolt seiner Zeit nach Amerika ausgewandert war. Endlich brachte der Bote das sehnlichst erwartete Telegramm. ES lautet: „Betreffender hieß Alfred Berbich, Vater Anton Berbich, Schlossermeister hier, Mutter Emma Berbich, geb. Hüllemann. Beide verstorben. War einziger Sohn und ist nach Verbüßung einer Gefängnißstrafe ausge wandert, die ihm wegen Unterschlagung zudiktirt war." Jetzt bestand für den Beamten kein Zweifel mehr, daß dieser Alfred Berbich mit Hüllemann identisch war. Der Fabrikant hatte in Amerika den Familiennamen seiner Mutter angenommen. Aber das Motiv? Diese Frage blieb noch immer ungelöst. Und doch nicht — war hier nicht die Rede von einer entehrenden Strafe, die jener Berbich verbüßt hatte? Nun, sein Reisege fährte Albolt kannte jedenfalls die Thaksache, die, wenn sie bekannt geworden wäre, die ganze Stellung, sein Geschäft, seinen Ruf vernichtet hätte! Albolt hatte ihm wohl mit Verrath gedroht, oder er war es satt geworden, von der Großmuth eines solchen Menschen abhävgig zu sein — gewiß, so und nicht anders mußte der Fall sich erklären. Die Verzweiflung hatte den Fabrikanten zum Mörder gemacht. „Noch einige psychologische Wahrnehmungen", resol- virte sich Eilert, „und ich schreite zur Verhaftung. Doch sicher will ich gehen, ganz sicher, denn mein ganzes Gefühl empört sich gegen die Ueberzeugung der Thäter- schäft des Mannes." * 4- * Die an demselben Abend stattfindende Sitzung des Jagdvereins war außergewöhnlich zahlreich besucht. Nicht nur die Hälfte der Mitglieder, sondern auch einige Gäste waren anwesend, unter ihnen Staatsanwalt Eilert, welcher absichtlich dem Fabrikanten gegenüber Platz ge nommen hatte. Der Staatsanwalt folgte nur zerstreut den für ihn gleichgültigen Verhandlungen — ein Mitglied hielt einen Vortrag über „Jagdgewehre in alter und neuer Zeit" — seine ganze Aufmerksamkeit war vielmehr seinem Tischgegner zugewendet, und er machte bald die Be obachtung, daß auch dieser ihn eifrig im Auge habe. Der Eindruck der Perlon Hüllemann's erschien nicht ge eignet, den Verdacht des Juristen zu bestärken. Hüllemann besaß ein durchaus sympathisches Wesen, eine stattliche volle Figur, ein einnehmendes Gesicht mit grauem Vollbart und gutmüthigen Zügen, nur seine Augen zeigten eine ihm sonst nicht eigene, auffällige Be weglichkeit. Nach dem Portlag fand eine längere Pause statt, welche die Anwesenden durch zwanglose Unterhaltung ausfüllten. Eilert wandte sich wie zufällig an den Fabrikanten. Das Gespräch drehte sich zunächst um den gehörten Vortrag. „Sie werden die Behauptungen des Herrn Redners jedenfalls besser zu beurtheilen verstehen, als ich", er widerte der Jurist auf eine entsprechende Bemerkung seines Gegenübers, „Sie sind ja wohl lange in Amerika gewesen und dort vermuthlich auch auf die Jagd ge gangen ?" „Zuweilen, gewiß," sagte Hüllemann etwas ver legen. „Aber Sie sind nicht geborener Amerikaner?" „Nein." „Ihr Name ist in Deutschland wenigstens ziemlich häufig vertreten; so gab es, wenn ich nicht irre, in R. eine Familie Ihres Namens." Eilert blickte scharf auf sein Opfer — der Fabri kant zuckte in der That bei seiner Bemerkung zu sammen. „So, — ich kenne die Stadt nicht," versuchte er in gleichgültigem Tone zu entgegnen, aber der Staats anwalt merkte wohl, daß seine Stimme leise vibrirte. „Er ist cs," dachte er bei sich, „nun bin ich meiner Sache sicher." „Sprachen Sie nicht von einer kleinen Ueberrasch- ung für uns, Herr Staatsanwalt?" redete in diesem Augenblicke bei Vorsitzende den Beamten an. „Darf ich fragen, was Sie uns mitgebracht haben?" Der Staatsanwalt stand auf und holte aus dem Nebenzimmer einen verhüllten Gegenstand. Lächelnd schlug er das darum geschlagene Tuch zurück, — ein.