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Nr. 223. Dienstag, den 24. September 1901. 28. Jahrgang. piefts Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Pfg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. Redaction und Expedition: Bahnstraße 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. Jnsertionsgebühren: die fünfgespaltene Corpuszeile oder deren Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg., für auswärts 12 Pfg., Reclame 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt. Annahme der Inserate für die folgende Nummer bis Borm. 1V Uhr. Größere Anzeigen Abends vorher erbeten. sm Wensim-kniWll, MsiiiWitz, ArMis, Lagaa, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken, Meinsdorf u. s. w. Dienstag, den 24. September 1901, Nachm. 4 Uhr, kommen an der Wohnung des Waldwärters Johann Hahn in Langenberg eine größere Parthie anstehender Kartoffeln, ca. 110 Zeilen, und ca' 7 Ctr. Korn- und Hafergewirr zur Versteigerung. Hohenstein-Ernstthal, den 19. September 1901. Der Gerichtsvollzieher des Königl. Amtsgerichts. Lage r- gefchich t e. Deutsches Reich. — Ja der „North American Review" veröffeat licht Jemand, der sich als persönlicher Freund der Kaiserin Friedrich gnalifizirt, Erinnerungen an die Kasten» Friedrich. Ec erzählte, wie er im Januar 1900 von ihr in der Villa Pearse am Golf von Lerici empfangen wurde, und wie sie sogleich auf den süd afrikanischen Krieg zu sprechen kam. Nachdem die Kaiserin sich über die neuesten Ereignisse ausführlich hatte berichten lassen und eine rege Theilnahme zur Schau getragen hatte, antwortete sie: „Ich arbeite emsig jeden Tag an den Gegenständen, die ich für die armen Soldaten in Südasrika fertig stelle; es ist eine wohlthucnde Beruhigung für mich und die einzige Act, in der ich meine Theilnahme bezeugen kann. Als Engländerin würde ich jetzt nicht nach Deutschland zu- rückkehren können; die Meinung des Volkes ist von der falsch unterrichteten Presse irre geleitet. Doch Gott sei Dank sind die Gefühle meines Sohnes, des Kaisers, — und dies zu Deutschlands eigenem Wohle — gänzlich England zugewandt." Die Aeußecung der Kaiserin Friedrich läßt allerdings an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig Hiernach wird wieder Bismarck's Wort, sie habe nie aufgehört, „Engländerin" zu sein, glänzend bestätigt. — Die Hebung des Rumpfes des Kreuzers „Wacht" ist definitiv ausgeschlossen, da er 49 Meter tief im Wasser liegt. Bei einer Tiefe von nur 30 Metern würde der Druck der Wassersäule die Hebung des Schiffes gestattet haben. Von den Geschützen sind nur die Rohre geborgen, die Lasteten nicht. Die Rohre sind stark vom Seewasser mit Rost bedeckt und bedürfen des Abschleifens in der Geschützgießerei, so daß es noch nicht völlig feststeht, ob sie wieder gebrauchsfähig werden. Der Kreuzer erlitt, da er in starker Fahrt sank, auf dem steinigen Meeresgründe auch am vorderen Schiffsrumpf mehrere Beschädigungen, sodaß ein Wiederdichtmachen und Auspumpen ganz ausgeschlossen ist. — Neber die häufige Abwesenheit des Grafen Eulenburg von seinem Posten als deutscher Botschafter in Wien ist in der letzten Zeil viel geschrieben worden. Einen guten Witz leistet sich bei dieser Gelegenheit die „Deutsche Reichsztg." in Wien. Sie schreibt: Wie wir aus sicherster Quelle erfahren, ist dem Fürsten Philipp Eulenburg, dem deutschen Botschafter in Wien, dieser Tage eine besondere Ehrung zu Theil geworden. Der Verband deutscher Geschäftsreisender hat den um die Füllung der Elsenbahn-Coupös so hochverdienten Mann, der trotz seines anstrengenden diplomatischen Beruses dreiviertel de» Jahre« zwischen Gastein-Nordcap und Baden-Baden unterwegs ist, zu seinem Ehrenmitglied ernannt. Die Deputation, die ihm das Ehrendiplom überreichen soll, ist bereit« vor drei Monaten von Berlin abgefahren, konnte aber des Botschafters bis heute noch nicht habhaft werden. Der Krieg i» Südafrika. — Von englischer Seite ist sowohl durch die im Felde stehenden Generale, wie durch die Minister wieder holt erklärt worden, daß der südafrikanische Krieg in naher Zeit beendet sein werde. Jetzt bringt zum ersten Male die „Morning Post" eine Begründung, die sich hören läßt. Das Blatt sagt, Anfang August wurden die kämpfenven Buren auf 12-—13000 geschätzt, ihre Verluste betrugen in fünf Wochen nach den Berichten des Oberbefehlshabers 2678. Hier soll nicht darauf eingegangen werden, daß die Angaben des englischen Obercommandos sich als recht unzuverlässig erwiesen haben, ferner daß die britischen Truppen in Südafrika noch viel stärker zusammenschmelzen als die Buren. Auch soll die Thaisache außer Acht bleiben, daß die Cap holländer sich in immer größeren Schaaren als Mit kämpfer auf seilen der Buren stellen. Nimmt man die bloßen Zahlen, so ist es unauSblcibich, laß die Buren nach kurzer Zeit den Kampf einstellen müßten, falls sie monatlich über 2000 Mann einbüßten. Auch wenn dieser Fall eintrete, so stände England als der Besiegte da. Die ganze Armee des Königreichs ist in einen Zustand gebracht, der anscheinend nicht bester ist, als derjenige des französischen Heeres nach dem Kriege von 1871: eine völlige Erneuerung ist unumgänglich, ohne daß man weiß, woher das Menschenmaterial zu nehmen ist. Die Briten zogen aus, um ein stark aüsblühendes Land zu erobern; sie bekommen jetzt aber eine Wüste. Das An sehen Englands hat durch den Krieg in der ganzen Welt so gelitten, daß sicherlich daraus mit der Zeit noch weitere unangenehme Folgen entstehen werden. Eine der uner wartetsten Wirkungen des Krieges ist die finanzielle; zu nächst hat der Krirg so große Kosten verursacht, daß sie wohl auf 5 Millionen zu schätzen sind. Daneben ist der Handel ganz Südafrikas vernichtet; dadurch entsteht für England ein Schaden, der sich auch auf Milliarden be läuft. Sachverständige behaupten, daß auch der britische Handel nach anderen Richtungen hin gelitten hat. Die Wiederherstellung der Armee wird ebenfalls ungeheuere Summen verschlingen. Endlich hat England sich zu den Afrikanern in einen unversöhnlichen Gegensatz gebracht, die Verwaltung Südafrikas kann ferner nur mit Hilfe einer starken Truppenmacht und mit vielfach höheren Kosten ausgeübt werden. Englands Finanzen werden daher durch den Krieg sicher stark alterirt. — Die schwierige Lage der Engländer in Trans vaal beweist am besten der Umstand, daß sie — fast zwei Jahre nach Beginn des Krieges — wieder einen Einfall der Buren in Natal befürchten und aufs neue Freiwillige mobilisiren müssen. Die Gefangennahme von drei Compagnien berittener Infanterie mit drei Ge schützen unter Major Gough durch die Buren hat sich bei De Jagers Drift am Buffalo-Flusse, der Transvaal von Natal trennt, abgespielt, etwa 15 km von Dundee, wo die Engländer die erste schwere Niederlage erlitten. Louis Botha selbst soll dem unglücklichen Major Gough den Hinterhalt gelegt haben und wir werden wohl in den nächsten Tagen noch mehr von dem kühnen Buren, sührer zu hören bekommen. Die Engländer werden ver- muthlich alle ihre Truppen nöthig haben, um nur die Eisenbahnlinie Johannesburg-Newcastle-Pietermaritzburg vor Angriffen zu schützen. Schon am 13. September scheint eine englische berittene Truppe unter den Haupt leuten Barker und Hodgkinson südlich von Standerton in einen Hinterhalt gefallen zu sein, doch gelang es der selben, unter Verlust von zwei Todten und vier Ver- mundeten zu entkommen. Da in Südafrika der Winter vorbei ist und überall frische« Gras für Vieh und Pferde sprießt, so erhalten die Buren wieder größere Bewegungs freiheit und die Engländer werden genug zu thun haben, um sich nur in den von ihnen besetzten Orten zu halten. Berliner Brief. 21. September 1901. „Die Woche fängt gut an", hätte der Berliner sagen können, als er am Montag die Schreckenskunde von zwei grauenhaften Morden und einem Selbstmord in den Blättern lesen konnte. Wie man bereits durch Tages zeitungen erfahren hat, handelt es sich bei dem einen Mord und Selbstmord um ein Capitel der sündhaften Liebe. Ein Liebhaber erwürgt im Streite seine Ge liebte, um derentwillen er Frau und Kinder verlassen hat, mit denen er io lange glücklich gelebt, und erschießt sich dann nach einem ergreifenden Abschied von den Seinen selbst. Diesem Fall, der durch das bekundete Aufdämmern der Reue und der offenen Verzweiflung unserem Empfinden näher liegt und begreiflicher erscheint, reiht sich ein zweiter Mord an, der jedoch so furchtbar in seiner Aus führung, so teuflisch in seiner Berechnung genannt werden muß, wie ihn die Criminalgeschichte der letzten zehn Jahre nicht mehr aufzuweisen vermag. Ein kaum aus dem Gefängniß entlassener Sträfling im Alter von zweiundzwanziq Jahren schlägt in Gegenwart ihrer zwei Kinder die Frau seines Freundes zu Boden, dem er un zählige Wohlihaten verdankt, nur zu dem Zweck, um eine Summe von 170 Mark zu rauben, die er bei seiner nach vier Stunden erfolgten Verhaftung bis auf wenige Mark in Gesellschaft von Dirnen vergeudet hatte. Diese That, welche weder durch das Motiv der Noth, des seelischer) Affekts, oder der Trunkenheit im milderen Lichte erscheinen könnte, ist nur aus dem thierischen Verlangen nach niedrigster Sinnlichkeit be gangen worden, wie der Mörder mit entsetzlicher Kalt blütigkeit und Gleichgiltigkeit auch bereits gestanden hat. Er hat selbst nicht einmal das Verlangen gezeigt, sich nach dem Morde zu flüchten, er war also mit sich im Klaren, daß er dem Henkerbeil verfallen war, vor dem er sein Leben nicht mit der geringsten Mühe zu retten trachtete. Bei den zahlreichen Vorstrafen und dem zu den brutalsten Gewaltthätigkeiten geneigten Charakter des Mörders dürfte unseren Criminalpsychologen im Verlaufe des Processes die undankbare Aufgabe erwachsen, zu untersuchen, ob man es mit dem Thäter wirklich mit einer Persönlichkeit zu thun hat, die nach den Thesen Lomboroses als erblich belastet, unwiderstehlich zum Verbrechen neigt. Ihrem Urtheil muß es überlassen bleiben, zu entscheiden, ob der Thäter das Schaffst be steigen oder sein Leben hinter den Gittern der Irrenanstalt beschließen wird. Am letzten Sonntag begann in Berlin das Vie» undzwanzig-Stundenrennen der berühmtesten Dauerfahrer Europas. Wie jedes Rennen eigentlich einen unästhetischen Eindruck auf den zarter besaiteten Menschen macht, so konnte man das letzte Vierundzwanzig-Stundenfahren nicht ohne eine gewisse Beklemmung, einen gewissen Ekel „genießen". Wer es gesehen hat, wie diese „Renner" hinter dem stinkenden Motor hereinsausten, staubbedeckt, blut- und kothbespritzt, mit keuchendem Athem die letzte Kraft der Nerven anspannend, der wird e« sich gestehen haben müssen, daß eine solche wahnsinnige Jagd nach dem Golde sicherlich nicht den edelsten Trieben der Menschheit entspringen kann. Wohl ist es wahr, der Radfahrsport hat eine große Industrie in's Leben ge rufen, die Tausende von Arbeitern ernährt, es ist nicht abzuleugnen, daß ein mäßiges Radeln die Muskeln stärkt und viel Vergnügen bereitet, wenn ssich aber der Radler zum Rennpferd herabwürdigt, und stieren, blut leeren AugeS, nur von der Leidenschaft nach Gewinn angespornt, sich freiwillig an den stinkenden Benzinmotor heftet, und vierundzwanzig Stunden lang in tödtlicher Langweile die engbegrenzte Bahn umkreist, da könnte man fast auf Gedanken kommen, daß wir wieder in die