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Redaktioneller Teil Verlagsbuchhändler und Buchgewerbler in und nach dem Kriege. Ängstliche Scheu vor der Kritik und längeres Ausschalten der Kritik haben noch immer und überall Schaden an gerichtet. Biilorv, Deutsche Politik. I. Vorbemerkungen. In Nr. 200 des Börsenblattes wird in dem Artikel über das Buchhandels« und Werbeamt die Frage erörterst für wen die Buchhändler schaffen: Für die Wissenschafter, für einige we nige Literatur- und Kunstverständige und für die große Masse. Daß die Buchhändler, wenigstens die Verleger, in erster Linie und am angestrengtesten für die Buchgewerbler arbeiten, wird nicht gesagt. Und doch ist es so. Ein Beispiel möge diese Behauptung erläutern. Gewisse Bücher von Tagesgrötzen, ins besondere von militärischen, hätten auch dann einen reißenden Absatz gefunden, wenn sie 2 statt 1 kosten würden. Vielleicht wären statt je hunderttausend nur je sieb zigtausend verkauft worden, aber ein We niger wäre auch in diesem Falle ein Mehr gewesen. Denn siebzigtausend Zweimark- bllcher hätten 140 000 ord. erbracht ge genüber den 100 000 ^ ord. des Markbuches: Das Plus von 40000 ^ beim Zweimark buche hätte einen Gewinn für die Buch händler bedeutet, während das Plus der Auflage beim Markbuche lediglich den Pa pierfabrikanten, Buchdruckern und Buchbin dern sowie den Gewerben, die hinter jenen stehen, einen mühelosen Gewinn verschafft. Diesen Tatsachen gegenüber kann man von höherer Warte aus verkünden, daß das Markbuch eine größere Verbreitung findet, als das Zweimarkbuch, also auch den Ärmeren, der Allge meinheit, der Kultur oder dem Vaterlande dient und nützt. Dieser ideale Standpunkt mag gelten in gewöhnlichen Zeiten. Leute jedoch, wo die meisten der »bildungshungrigcn Arbeiter« so gut, wo ganze Gewerbe so reichlich am Kriege verdienen, daß jene oft nicht wissen, was sie mit dem Gelde anfangen sollen, diese statt des Markbuchcs ebensogut ein Fünf- oder ein Zchn- markbuch kaufen würden, heute soll für uns Buchhändler allein der Standpunkt maßgebend sein, daß auch wir uns in unserer Lebenshaltung der allgemeinen Teuerung anpassen müssen, wollen wir anders nicht zugrunde gehen oder von den zeitgemäß gedeckten Tischen nur die abfallenden Brocken verzehren. Dringt diese Ansicht durch, so wird das Buchgewerbe trotzdem nicht zu kurz kommen. II. Rückblicke. Wie war cs doch bei Verlagsbuchhandel und Buchgewerbe vor dem Kriege, in der Zeit, wo die Zahl der jährlichen Neu erscheinungen auf 30 000 dis 36 000 gestiegen war? Die Verleger grübelten Tag und Nacht darüber nach, welch ein noch nicht dagewesenes Buch veröffentlicht werden könnte; sie verwirrten ihr schon sowieso geplagtes Gehirn mit dem fortlaufenden Lesen einer Menge von Zeitschriften und einer Masse von Manuskripten oder bezahlten Leute dafür, die dieses taten; sie nahmen Literaten in ihre Dienste, um alte Geistesschätze ausgraben zu lassen, und stellten Reisende an, die gewissen Ge lehrten Manuskripte, die noch gar nicht geschrieben waren, ab kauften .... Besaßen sie nach langen Und kostspieligen Vor arbeiten schließlich Handschriften, die ihrer Meinung nach als gedrucktes Buch Absatz finden konnten, so trugen sie diese freude strahlend zum Buchdrucker hin oder, damit der Nimbus gewahrt blieb, sie ersuchten ihn um eine Preisanstellung. Häuften sich große und kleine, bestellte und unbestellte Handschriften, so wurde oft eine neue Zeitschrift herausgegeben. Die Preisanstellung war gemacht, der Druckauftrag erteilt. Vorher bestellte der Verleger noch eine, meist fabelhast große Menge Papier, damit der Buchdrucker Stoff zur Er ledigung seiner Arbeit hatte. Nach deren Beendigung wurde die Auflage des Buches abgeliefert — gewöhnlich viel später als vereinbart! — und die Rechnung dafür übersandt — oft viel früher als man vermutete. Sie wurde bezahlt, meist bevor auch nur ein geringer Bruchteil der Herstellungskosten durch den Ver kauf von Exemplaren hereingekommen war. und wie immer sich auch das Schicksal des Buches gestalten mochte. Um den Absatz herbeizufllhren, mußte der Verleger gewöhnlich eine Unmenge Prospekte — oft mehrere Millionen! — drucken lassen, was ihm selbst beträchtliche Auslagen verursachte, denBuchgcwerblcrn aber neue Gewinne brachte. Er mußte ferner all seine Intelligenz und die Intelligenz, ja oft Raffiniertheit seiner Mitarbeiter mobil machen, um die Auflage von oft fünf—zig—tau—send Stück (manchmal waren cs auch nur zehntausend) zu verkaufen, j damit er schließlich an jedem dieser fimfzigtausend Bände bei einem Preise von z. B. zwei Mark — 10 Pf., sage und schreibe: zehn Pfennig verdiente. Dieser Gewinn war sozusagen die Provision für den an Papierfabrikanten, Buchdrucker und Buch binder gegebenen ArbcitSauftrag, vorausgesetzt, daß die ganze Auflage abgesetzt wurde. Gewiß, jene verdienten am einzelnen Stück noch weniger, aber sie bekamen ihre Arbeitsleistung sofort oder innerhalb weniger Monate auf einmal bezahlt. Er mutzte seinen Handel aber schon gut verstehen, der Ver leger, wollte er die Auflage glatt verkaufen. Um dies zu er reichen, wurden oft Unsummen für Inserate und Prospektbei- lageu ausgegeben, Unsummen, die bei manchem durch den Reise- und Versandbuchhandel vertriebenen Werke ein Vermögen aus machten, von dessen Zinsen eine Verlegerfamilie sorgenfrei leben konnte, ohne die aufreibende Tätigkeit, ohne die in Hangen und Bangen verbrachten Tage und Nächte des Fainilienvorstandes. Hat der Buchgewerbler aber auch nur den geringsten Anteil an diesen Sorgen seines Provisionsagenten, will schreiben seines Verlegers? Keineswegs. Er besitzt den Papier- und Druck auftrag, oft auf ein mehrbändiges Werk (Auflage: fllnfzigtau- send!). Der Verleger ist durchaus zahlungsfähig. Also keine Sorge, die Sache ist gut! Fast alle Arbeiter seiner Fabrik, seines vierstöckigen Betriebes sind beschäftigt mit Papieranfertigung, Satz, Stereotypie, Zurichtung, Druck usw. usw. des ersten, des zweiten und der folgenden Bände. Fast alle seine Papierbahnen oder Schnellpressen laufen Tag für Tag, Tag für Tag. Das kann bei einem mehrbändigen Werke drei Jahre hindurch dauern. 1281