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Nr. 199. 28. Jahrgang. Dienstag, den 27. August 1901. Redaction und Expedition: Bahttstrgßf S (nahe dem K Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. !d Hsheiislkiil-AiistlMl, NkklMWitz, 8ttsiais, Lugau, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Benisvm, Langenberg, Falkm, Meinsdorf u. s, w. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Ml. 25 Pfg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. Reclame 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt, «rmahme der Inserate für die folgende Nummer bis o 10 Uhr. Größere Anzeigen Abends Wer wollte es einem alten Soldaten, der den 18- August 1870 von der Mittagszeit bis zu Sonnenunter gang mit durchkämpfte, verübeln, wenn er in seiner Erinnerung das damalige Ringen an seinem Geiste vorüberziehen läßt, und wer wollte es ihm verübeln, wenn er, in natürlicher Folge, seinen Blick nach der mittlerweile durchlebten friedlichen und nach der jetzt abgeschlossenen kriegerischen Episode in Ostchina richtet? Die Gedanken, die sich diesem alten Soldaten am 18. Aug. 1901 aufdrängten, geben die „Münchn. N. 4!." bei der jetzt erfolgenden Rückkehr der Ostasiaten wieder: „Wer je auf der kahlen Höhe von Saint-Privat gestanden und hinunter geblickt hat auf den trostlos einförmigen Hang, dessen einzige Deckungen die Massen gräber und Trauerweiden sind, die seit jenem 18. Aug. entstanden, wer das Gefechtsbild der 38. Brigade, die Oertlichkeit bei Spicheren in Augenschein genommen hat, und sich der überlegenen Bewaffung der französischen Infanterie, ihrer hie und da örtlich überlegenen Zahl entsinnt, und der Formen, in welchen die Deutschen angegriffen haben, der wird sich vor der Majestät der Thatsachen beugen und sagen, daß hier nur der rück sichtsloseste Schneid, nur das grimmigste Draufgehen, nicht aber taktische „Kunst" zum Erfolge führten." So charakerisirte C. von B—k., einer der geistvollsten Militärschriftsteller der Neuzeit, die deutsche Kriegsweise und das Geheimmittel zum Siege in der damaligen Zeit, die aufs kräftigste im weiteren Verlauf durch das grimmige Draufgehender Bayern in Bazeilles illustrirt wird. Der Sieg war unser! Wir sahen 70/71 keinerlei „Kunst," weder in der Taktik noch in der Strategie. Die Führung war die denkbar einfachste, den Verhält nissen bei Freund und Feind angepaßt und es entstanden ihr nur dann Schwierigkeiten, wenn durch das schneidige, rücksichtslose Draufgehen der Unterführer schwierige Situationen zum Nutzen des großen Ganzen wieder eingerenkt werden mußten. Während der darauf folgenden Friedenszeit wurde in den theoretischen Erörterungen, die nahezu zahllos waren und ein glänzendes Licht auf die geistige Arbeit innerhalb des Offizierskorps werfen, hauptsächlich nach zwei Richtungen hin Versuche gemacht, Folgerungen aus der Vergangenheit zum Nutzen der Zukunft zu ziehen. Einerseits will man der Initiative der Unter führer, deren Werth man wohl zu schätzen weiß, den Typ des rücksichtslosen Draufgehens nehmen und den des „bedachten" aufzudrücken versuchen und andererseits will man der Taktik den Stempel des „unnöthigen Verlusterleidens" aufdrücken. Beide Tendenzen sind zweifellos ganz vorzüglich. Leider ergab die erste kriegerische Thätigkeit nach 70/71 unseren Truppen in Ostasien keine Gelegenheit nach den beiden Richtungen hin, unter größeren Ver hältnissen, zu zeigen, ob die beiden Tendenzen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Sie gingen bei den einzelnen Expeditionen flott vor und schlugen mit deutscher Bravour den minderwerthigen Feind zurück, wo er sich zeigte. Die Probe auf das Exempel kann demnach erst in der Zukunst stattfinden. Werden bis dahin unsere Truppen so erzogen, daß der Schneid und der Grimm in erster Linie bleibt und daß der „Kunst des Sichdeckens" nur ein solcher Werth beigelegt wird, daß daraus kein verderblicher Trieb entsteht, so haben wir nichts zu befürchten. Aber in anderer Beziehung haben die kriegerischen Thätigkeiten in Ostasien dem „alten Soldaten" Herz erfrischendes gezeigt. Er sah, daß der alte Geist der Initiative unseren Führern jetzt noch in demselben Grad innewohnt wie in der eisernen Zeit. Nur die Thaten des Kapitäns Lans, des Grafen Soden und des Major Christ seien hervorgehoben. Hier war wirkliche Initiative und ein wahrhaftes Drängen zum Handeln, das über dies von Erfolggekrönt war. Sie mußten nach unseren alten Traditionen so handeln, wie sie thaten. Die Frage läßt sich schwer beantworten: Sind sie in der Schule der „bedachten" Initiative ausgewachsen? Wenn ja, dann ist zu hoffen, daß ihre Schüler auch in der Zukunft von dem Uebelstand — hier die Zaghaftigkeit oder des Verpaffen des richtigen Moments — den jede Theorie in sich birgt, frei sich halten werden. Seien nun diese Initiativen als „bedacht" oder „unbedacht" zu bezeichnen — sie waren richtig! In eine andere Kategorie fällt die des Admirals Seymour zu seinem Zug auf Peking. Sie war pflichtmäßig ge boten und Diejenigen, die nach dem Mißlingen der Expedition dem Admiral den Vorwurf machten, daß er sie „ohne Bedacht" begonnen habe — und das waren zahlreiche hochstehende Männer —, die berücksichtigten nicht, daß nach dem, was damals Seymour bekannt war, ein Erreichen von Peking innerhalb kürzester Zeit mit der Bahn in sicherer Aussicht stand. Der Fall Seymour bildet ein hochinteressantes Blatt in der kriegsgeschichtlichen Litteratur über Initiative. Der „alte Soldat vom 18. Aug. 1901" freut sich darüber und selbst über den Wetteifer, den die einzelnen Nationen im späteren Verlauf der kriegerischen Aktionen ent wickelten, mag er erzeugt worden sein durch Brotneid oder durch Initiative. Er zeiligte Gutes. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß der Entschluß zum Handeln, sei er durch Brotneid» Wetteifer oder bedachte Initiative diktirt, in den vorliegenden Fällen durch die mittlerweile erlangte Kenntniß der Minderwerthigkeit des Feindes wesentlich erleichtert war. Damit seien die Betrachtungen eines alten Soldaten geschlossen. Er ist beruhigt, daß die Jungen noch so sind, wie die alten waren: Schneidig und voller Initiative, nicht angekränkelt von der „bedachten" oder „Vorsichts"-Theorie. Möchten sie auch einem eben bürtigen Feind gegenüber sich so erweisen. TattsZgeschichte. Deutsches Reich. — Für den Empfang des chinesischen Sühne- Prinzen in Berlin werden Vorbereitungen getroffen, die diesen leicht über die eigene Bedeutung und den wahren Zweck seiner Mission täuschen könnten. Jetzt heißt es, daß das Kaiserpiar den Prinzen per Bahn abholen wird. Und nach der „Kreuz-Zeitung" werden dem 17- jährigen chinesischen Prinzen der Inspekteur der Marine- Infanterie, Generalmajor von Höpffner, und der Major Freiherr von Lüttwitz vom Generalcommando des Garde corps bis Basel entgegenfahren. Sie sind zum Empfange bezw. zur Begleitung des Prinzen befohlen worden. — 1350 Millionen Mark beträgt die Ent schädigung an die Mächte, zu der sich China verstanden hat, in deutschem Gelbe berechnet. Davon entfallen 280 Millionen Mk. auf Deutschand. Das ist aber auch nur eine Summe, die zur Kostendeckung gerade aus reichen würde, wenn die China-Expedition am 1. Oktober dieses Jahres vollständig zu Ende wäre. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall. Ein volles Drittel der Ex- peditionüstärke bleibt noch auf unbestimmte Zeit in China zurück. Es sind dies 3600 Combattanten, also im ganzen mit den Nichtcombattanten über 4000 Mann. Dazu kommt noch die Beibehaltung einer Verstärkung der ost- asiatischen Station der Marine — Wer sicht hinter dem Zolltarifentwurfe? Die „Franks. Ztg." bespricht die Frage, wer denn eigent lich hinter dem Zolltarifentwurfe steht; dabei tritt sie der Auffassung entgegen, daß dieser Entwurf als eine Vorlage der preußischen Staatsregierung zu^ sei, und daß ihm das preußische Sta« gestimmt habe. Der Entwurf sei, 8 präsidial- preußische Vorlage, sondern eine sogena P Vorlage, die in Reichsämtern : Dazu Reichskanzler an den Bundesrath gebrach s - bemerkt die „Kreuzzeitung": „Uns ist sehr h kannt, daß der Ausdruck Präsid,alvo^ lichen Schriftstücken oft gebrancht wird. A p Wortlaute und dem Geiste der Verfassung kannP Vorlage nichts Anderes sein, als eme Vorlage Selbst wenn man mit dec „Franks. Ztg. eme g Jndentitäl bestreiten, also hier von einer Vorlag Reichskanzlers sprechen und annehmen wollte, daß diese das preußische Staatsministerium nicht gehört sei, so muß man doch als feststehend annehmen, daß Reichskanzler die Vorlage mit Ermächtigung Se Majestät des Kaisers an den Bundesrath gebracht hat. Diese Ermächtigung kann aber nur den Sinn Haven, daß auch Seine Majestät der Kaiser in erster Lime die Erledigung des Gegenstandes durch den Bundesrath nach Maßgabe der Vorlage gewünscht. Deshalb kann man sicherlich nicht mit der „Franks. Ztg." sagen, daß der König von Preußen sich über die Stellung der preußischen Regierung zum Entwürfe noch nicht ent schieden habe. Denn der König von Preußen ist ver möge dieser seiner Stellung zugleich deutscher Kaiser; er kann, so lange es sich lediglich um die Aeußerung seines durch keine andere Instanz gebundenen Willens handelt, als König von Preußen nicht eine andere Meinung bekunden, als in seiner Eigenschaft als deutscher Kaiser." Auch der „Reichsbote" beschäftigt sich mit den Ausführungen der „Frankf. Ztg." und schreibt da zu: „Diese verschiedenen Nachrichten erklären sich aus den in den Ministerien und Reichsämtern vorhandenen Gegensätzen. Der Reichskanzler, Graf Posadowsky und auch noch andere Minister sind für den verstärkten landwirthschaftlichen Zollschutz, allein unter ihren Räthen, den Geheimräthen, sollen sich eine Menge von Gesinnungsgenossen der liberalen Presse befinden. Auf sie stützt sich die letztere und hofft offenbar mit ihnen auch noch die Führer der Regierung, insbesondere den Reichskanzler, auf ihre Seite zu bringen durch allerlei lärmende Einschüchterungen. Der Reichskanzler dürfte daraus ersehen, daß es gut wäre, wenn er selbst in seinem Hause so laut spräche, daß von da nur seine Stimme, aber diese recht hell und klar zu hören wäre, und die anderen nicht mehr in Betracht kämen. So war es unter Bismarck, und er ist gut dabei gefahren; viele Köchen verderben den Brei." — Ein Mitarbeiter des „Berl. Local-Anz." hatte ein Interview mit dem früheren Minister v. Miquel in welchem sich letzterer über eine Reichsfinanzreform sehr pessimistisch aussprach. Es fehle hierfür im Reichs tage bei manchen Parteien sowohl das Verständniß, wie der gute Wille. Die Hauptfürsorge für dos Reich werde den einzelnen Staaten überlassen, wodurch die ReichSverdrossenheit gefördert werde. Ohne die äußerste Noth würden für das Reich heutzutage keine neuen Einnahmequellen erschlossen. Ferner sprach sich Herr v. MuM gegen die Einführung von Reichseisenbahnen aus. Preußen könne wegen der hohen Einnahmen auf fiine Staatseisenbahnen nicht mehr verzichten. Bei den Reichseisenbahnen würde das finanzielle Eraebniß ein recht problematisches sein, und das Reich würde hierdurch nur Einbußen erleiden. mi V in Württemberg will man sich eine Waffelverbindung mit dem Meere schaffen Württ-^ berg ,st der einzige der süddeutschen Staaten der lich noch keine schiffbare Wasserstraße wärtig besteht zwar KettenschlenpsEsaf.^' b» LL7Ä,7'j-U