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Philipp Am 1. August werden 100 Jahre vergangen sein, seit Carl Johann Philipp Spitta, einer der bedeutendsten geist lichen Liedersänger des 19. Jahrhunderts, in Hannover geboren wurde. Nach dem frühen Tode seines Vaters, eines Buchhalters, wuchs er unter der treuen Obhut seiner Mutter, einer getauften Jüdin, heran. Zuerst erlernte er das Uhrmacherhandwerk und widmete sich diesem mit Eifer. In seinen Freistunden aber las er die Bibel und machte Versuche, die Gedanken, die er dabei hatte, in Verse zu bringen. Unter diesen Studien reifte in ihm der Entschluß, ein Gottesgelehrter zu werden. Mit Muth und Ausdauer erwarb er sich die nöthigen Vorkenntnisse und bezog „Gott befohlen" im Frühling 1821 die Universität Göttingen, deren rationalistische Professoren er später in gerechtem Zorn „philosophisch-theologische Raubmörder" nannte. Er verkehrte mit einem Kreise junger, geistig angeregter Katho liken und war dabei ein frisches begeistertes Glied der deutschen Burschenschaft. Einer vorübergehenden Freund schaft mit dem damals ebenfalls in Göttingen studirenden Heinrich Heine machte er ein rasches Ende, als er dessen unreine, frivole Seele kennen gelernt hatte, (wofür sich später Heine in kleinlicher Weise in seinen Reisebildern gerächt hat.) Aber erst am Schlüsse seines akademischen Lebens gelangte Spitta vornehmlich durch Prof. Tholucks „Wahre Weihe des Zweiflers", zum lebendigen Glauben. Dieser erhielt kräftige Nahrung durch seinen Verkehr mit seinem geförderten, geistvollen Freunde von Arnswaldt, sowie während seiner Hauslehrerthätigkeit in Lüne bei Lüneburg durch seine Beziehungen zu den erweckten Christen der dortigen Umgegend. Von 1827—30 wirkte er als Pastor in Südwalde, von 1830—37 als Garnisonprediger und Spitta. Seelsorger der Sträflinge in Hameln. Durch seine schlichte aber herzandringende Predigtweise gewann Spitta großen Einfluß auf feine Zuhörer, allein es fehlte ihm auch nicht an gehässigen Angriffen rationalistischer Gegner. Von 1837—1847 wirkte er als Pastor in Wechold, dann als Superintendent in Wittingen und Peine. Wenige Monate nach seiner Versetzung von hier nach Burgdorf starb er am 28. September 1859. In confessioneller Beziehung immer klarer geworden, hatte Spitta mehrere, z. Th. fehr sehr verlockende Rufe in unirtes Kirchengebiel abgelehnt. Seine geistliche Thätigkeit war eine reich gesegnete, und er hat nicht wenig zum Wiedererwachen lebendigen Glaubenlebens in der hannöver schen Kirche beigetragen. Den weitesten Kreisen aber ist Sp., der 1855 zum Doctor der Theologie ernannt wurde, zum Segen geworden durch seine geistlichen Lieder, deren erste Sammlung er unter dem Titel „Psalter und Harfe" 1833 herausgab. 1843 erschien die 2. Sammlung und 1861 noch eine Nachlese seiner Dichtungen. Spittas geistliche Lieder sind der schlichte und doch so warme und edle Ausdruck einer tiefen, kindlichen Frömmig keit, einer christlichen Erfahrung, eines hoffnungsfrendigen Glaubens. Mehrere von ihnen, wie „Ich und mein Haus, wir sind bereit", „O selig Haus, wo man dich ausge nommen", „Bei dir, Jesu, will ich bleiben", „O komm, du Geist der Wahrheit", „Der Christen Schmuck und Ordensband", sind Lieblingslieder unseres singenden Christen volkes geworden und in das Gesangbuch übergegangen. „Psalter und Harfe" hat bereits weit über 50 Auflagen erlebt und ist in fremde Sprachen übersetzt worden. Nie schlechter Als ich eines Tages mit Herrn N., einem wohlgesinnten Mann, der den Pfarrern im Allgemeinen nicht abhold ist, auf den Pfarrer H. zu reden kam, theilte er mir entrüstet eine Aeußerung mit, die der Pfarrer vor kurzem gethan habe, ein Wort, das allerdings besser ungesprochen geblieben wäre, weil es nicht von großer Sanftmuth und Weisheit zeugte. Ich erwiderte Herrn N.: „Ach, der Herr Pfarrer wird das in übler Laune gesagt haben. Sie müssen es ihm nicht so hock anrechnen." Darauf Herr N. rasch und mit nachdrücklicher Betonung: „Ein Pfarrer soll überhaupt nie schlechter Laune sein!" Dies Wort gab mir zu denken. Ich mußte mir sagen: Es liegt eigentlich darin ein schönes Zeugniß dafür, wie hoch manche vom Pfarramt und seinen Trägern denken. Sie nehmen an (und haben sie denn un recht?) die Knechte dessen, der nach einer alten Ueber- lieferung von seiner Umgebung „die Freundlichkeit" genannt worden ist, sollten ihrem Meister in solchem Grade ähnlich sein, daß man aus ihrem Munde keine Worte, die von übler Laune zeugen, zu hören bekomme. Die Pfarrer dürfen sich's überhaupt gesagt sein lassen: man erwartet viel von ihnen. Man sucht an ihnen eine recht große Ueberein stimmung von Wort und Wandel. Man wünscht, daß, was sie den Leuten anpreisen, vor allem bei ihnen gefunden werde, immer reichlicher und schöner. Dagegen ist nichts Laune sein! einzuwenden. Ich mußte mich eben, als ich die strenge Forderung hörte: „Ein Pfarrer soll überhaupt nie schlechter Laune sein," doch fragen: Warum nur der Pfarrer? Warum erwartet man die Bekämpfung und Unterdrückung der üblen Laune nicht von allen, die den Namen des sanft- müthigen, liebreichen Jesus Christus tragen? Steckt nicht hinter jener Aeußerung ein Stückchen Unterscheidung zwischen Priestern und Laien und den Anforderungen, die an beide gemacht werden dürfen? Wir evangelische Christen kennen keinen Priesterstand der sich auf einer höheren Stufe christ licher Frömmigkeit zu halten hat. Wir sollen mit der Lehre vom allgemeinen Priesterthum der Christen auch darin Ernst machen müssen, daß wir vom Plärrer nichts anderes er warten, als von jedem Gemeindeglicd auch den Laien nichts zulasssn, was dem Pfarrer übel anstände. So wollen wir denn das Wort: „Ein Pfarrer soll überhaupt nie schlechter Laune sein", gelten lassen, obwohl wir fühlen, wie so gar h"ch dies Ideal ist — wollen ober ebenso ernst und nach- d nklich beifügen: Ein Christ gleichviel welchem Stand er ü! gehöre, soll nie übler Laune sein. Merken wir aber, daß wir aus uns selbst das nicht erreichen können, so möge Pauli Wort uns Weisung geben: „Ich vermag alles durch den der mich mächtig macht, Christus." Druck und Verlag von Richard Decker, Hohenstein-Ernstthal.