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28. Jahrgang. Freitag, den 22. März 1901. Redaction und Expedilion: Bahnstraße 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Crnstthal. Annahme^der Inserate aus seinem Geschäfte ausgetreten sei. Eine Partei, gegen deren Präsidenten so etwas gerichtlich festgestellt sei, habe das Recht verwirkt, von Sympathien für die Arbeiter zu reden und einem Anderen Gewissenlosigkeit oorzu werfen. Abg. Wurm (Soz.) verbreitet sich über die Ge fahren des Steinarbeiteiberufs unter Vorwürfen gegen die Gewerbeaussichtsbeamten. — Staatssekretär Graf Posadowsky theilt mit, daß ein Verordnungsentwurf bereits ausgearbeitet sei, über den sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gehört würden. Wenn Vorredner wieder von einem Beamten im Reichsamt des Innern als von dem böien Geiste der Sozialreform gesprochen habe (v. Woedtke), so habe sich gerade dieser Beamte um die Sozialreform große Verdienste erworben. -- Abg. Singer: Der Unterschied zwischen Stöcker und mir besteht darin, daß ich ihn angreife, wegen dessen, was er selbst gethan hat, während er mich angreift, wegen dessen, was Andere gethan haben. Den von Herrn Stöcker erwähnten A> sspruch hat Niemand mehr ver- urtheilt als ich selbst. Im Uebrigen hat die Firma nachgewiesenermaßen niemals nach jenem Ausspruch ge handelt. Ich möchte aber fürchten, daß Herr Stöcker wiederum mit dieser gemeinen Lüge und Verleumdung kommen wird. — Abg. Bebel kennzeichnet das Verhalten Stöcker's, der eist angreise und dann zum Antworten nicht erscheine, später die Antworten im Stenogramm lese, um dann nach 4 Wochen wiederum von Neuem anzugreifen. D.:s fei geradezu ein anarchistisches Ver fahren. Singer habe sich um seine Partei hohe Ver dienste erworben. Singer ist ein Mann, der jeder Partei Ehre macht. Hätten wir freilich in unserer Partei einen Mann von Ihrer moralischen Qualifikation, Herr Stöcker, dann hätten wir ihn längst hinaurgeworsen. — Abg. Stöcker: Das Verhä'tniß Singer's zu seinem Sozius Rosenthal und sein (Redners) Verhältniß zu Hammer stein seien gar nicht zu vergleichen. Das sei eben die öffentliche Perfidie, daß man immer so thue, als hätte er allein mit Hammerstein zu tkun gehabt. Er hätte ihn im Jahre etwa nur 4 Mal besucht. (Rufe: Briefe! Politische Briefe!) Mit wie Vielen wechselt man nicht politische Briese. Redner legt sodann Singer die Worte in den Mnnd, die sein Sozius gesprochen, was links stürmische Rufe „Lüge!" zur Folge hat. Daß die Partei Herrn Singer halte, finde er begreiflich, denn er sei ja ihr Geldmann. — Abg. Bebel: Herr Singer hat nie mit seinem Sozius gesellschaftlich und freundschaftlich verkehrt, Stöcker hat dies aber gethan mit Herrn v. Hammerstein. Das zeigen auch seine Briefe, so der Scheiterhaufenbrief. Die Anrede lautet: „Lieber Hammerstein!" also nicht einmal Herr v. Hammerstein. Da muß man doch schon sehr intim sein. Der Schluß „herzliche Grüße an Sie und Ihre liebe Gatlin!" und die Unterschrift „Ihr treuer Stöcker". Die Behauptung, daß unsere Partei Singer nur halte, weil er unser Geldgeber sei, ist eine Gemeinheit. Wenn Herr» Stöcker überhaupt noch in der Achtung tiefer sinken konnte, dann hat er dies mit seinen heutigen Aeußerungen gethan. Nach dem, was wir heute von Herrn Stöckner gehört haben, glaube ich allerdings fast, daß er für sein Thun nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann, weil er an moral insanit^ leitet. Aba. Stöcker: Ich soll, wie Herr Bebel sagt, an moral insauit^ leiden. — Präsident Graf Ballestrem: Ich habe diesen Ausdruck nicht gehört. Sollte er gethan sein, — es wird dies nicht bestritten — so rufe ich Herrn Bebel zum dritten Mal zur Ordnung. Da derselbe das Wort nicht mehr hat, so brauche ich es ihm nicht mehr zu entziehen. — Abg. Stadthagen zieht sich gleichfalls einen Ordnungsruf zu, weil er sagte, er habe in seiner Partei stets de» Standtpunkt einge nommen,-daß man Herrn Stöcker sehr wehe thun würde, wenn man von ihm annehmen wollte, daß er sich über die Bedeutung und Heiligkeit des Eides klar sei. — Nach (154 846 Mk.), Reuß ä. L. 732 706 Mk. (10 681 Mk.), Reuß j- L. 1491 366 Mk. (77 346 Mk.). — Der „Rektor aller Deutschen", Herr Ahlwardt, ist, nachdem er seit länger als einem Jahr verschollen zu sein schien, wieder in seinem märkischen Wahlkreise auf getaucht und hat seinen Friedeberger Wählern am Montag ziemlich phantastische Mittheilungen über seine jetzige materielle Lage und seine politischen Pläne ge macht. Das dortige Kreisblatt berichtet hierüber: Ein guter Freund von Ahlwardt, der Oberbergamts bibliothekar v. K. in Dortmund, hatte auf Grund seiner bergwissenschaftlichen Studien in Böhmen ein noch aus zubeutendes Bergwerk entdeckt und legte es Ahlwardt nahe, durch Gewinnung reicher Leute das Werk in Betrieb zu setzen. Ahlwardt folgte dem Nathe, ge wann Kapitalisten, und das große Werk wurde eröffnet. Da jedoch der Name „Ahlwardt" vielleicht geschäftliche Hindernisse bringen könnte, so wurde Ahlwardt mit einer anständigen Abfindungssumme bedacht und schied aus dem Betriebe. Jetzt sei er ein wohlhabender Mann und brauche Niemanden mehr, seine Familie sei gedeckt. Auf diesem gesicherten Boden wolle er für den Rest seines Lebens den Kampf gegen das Juden thum rücksichtslos aufnehmen. Im Uebrigen machte Ahlwardt die Mittheilung, daß er seinen Wohnsitz künftig entweder in Arnswalde, Woldenberg oder Friedeberg aufschlagen wolle. Von hier aus soll eine Organisation in der antisemitischen Partei stattfinden, einer kurzen Entgegnung Stöcker's, der Stadthagen auffordert, doch einmal darüber nachzudenken, weshalb er nicht mehr Rechtsanwalt sei, schließt die Debatte. Die Resolution Schmidt-Elberfeld wegen Verkaufs von Kohlen und Coks nach Gewicht wird einstimmig ange nommen und der Etat des Innern genehmigt. — Benn Militäretat erklärt Generalleutnant von Vielbahn aus eine Beschwerde Kunert's, daß in verschiedenen Fallen von im Dienste erlangter Invalidität die Heeresverwalt ung jederzeit ihre Schuld den Betreffenden gegenüber gethan habe. — Auf eine Beschwerde des Abg. Thiele erklärt Minister von Goßler, es durchaus zu billigen, wenn von den Militärgeistlichen auf die noch ungetauften Rekruten eingewirkt werde, die Taufe nachzuholen. — Nach Auseinandersetzung über Boykottirung eines Wirthes, über militärbehördliche Berufserklärung gegen einen Bankdirektor in Barmen, sowie über Arbeits- und Lohn- > Verhältnisse in den Spandauer Militärwerkstälten wird der Militäretat genehmigt. — Bei dem Marinetat er klärt Abg. von Kardorf die Angaben der Presse über ungeheure Preistreibereien für die Panzerplatten für aufgebauscht. — Abg. Schwartz (Soc.) bespricht den Untergang der „Gneisenau" und fragt, ob Anweisungen ergangen seien, daß fortan die Schiffe auf der Rheede unter vollem Dampf bleiben. — Admiral von Tirpitz: Es kommt ganz darauf an, ob eine Rheede gefährlich ist oder nicht. Die Kapitäne müssen ganz nach ihrer Ver antwortlichkeit handeln. Das Barometer stand vorher nicht niedrig, sondern hoch; ein Kessel stand unter Dampf, die Maschine hat leider versagt. Nähere Angaben hierüber könnte nur der Jngineur machen. — Nach Erledigung des Marineetats kolat Ver tagung. ' " — Die Beiträge der Staaten zum Reiche, die soae- "E^n -.Matrikularbeiträge" der Bundesstaaten für 43 270 626^ (gegen das Vorjahr 43 270 626 Mk. mehr) angesetzt. Davon entfallen ans Preußen 369 784 879 Mk. (mehr 28 879 725 Mk) 'L? AB'" (185 515 L»k.),- Sachsen-Altenburg 2 084 508 Mk. Tagesgeschichtc. Deutsches Reich Berlin, 20 Mär» des Etats, Abschnitt Reickeaf^ britte Lesung gesetzt. - Abg. Herold ^Centr)^?^ ""d ^t- wünschen allmonatlich um as ende (Neichsp.) gänge aus dem international "ber die Vor- bildung, Verschiffung, VorE über Preis ¬ sekretär Graf Posadowsky sag^zu d prüfen, und nimmt sodann den dem n Anregung zu in Paris beigegebcn gewesenen ^^üellungskommissar Professor Hofacke^ den Bebel bei der zweit^Lesu^ L welche Bebel (Soz.) wendet sich gegen die hgestr'iae^ Stöcker's, der übrigens wochenlang „ dann plötzlich erscheine, um anzuareffen ^und da. verschwinde; sei Stöcker doch auch heute nickt Stöcker habe ihm Leichtfertigkeit in fernen Ae L KckmikL^r^ Tuckerbrief vorgeworfen. De! Abg. Schmldt-Elberfeld sei zugegen gewesen, als ihm dem Redner, von einem hochangesehenen hochachtbaren Herrn die Mtttheilung über den Tuckerbrief gemacht worden sei. Wenn dies sich hinterher als unrichtig herausgestellt habe, wenn er also damit hereingefallen sey so habe er selbst ledenfalls in gutem Glauben ge handelt. Redner fuhrt sodann eine Reihe bekannter Falle an, um die Wahrheitsliebe Stöcker's zu illustriren Wenn ein Sozialdemokrat eines fahrlässigen Falscheides überführt worden wäre, so wäre er sicher auf so und so lange Zeit ins Gefängniß oder gar ins Zuckthaus gewandert, Herrn Stöcker schütze sein Amt als Hef- prediger. — Abg. Singer: Daß Stöcker erst sein Gift gegen uns verspritzt und dann nicht hier erscheint, um unsere Antwort zu hören, das beweist einen solchen Mangel an Anstand .... (Vize Präs. Büsing: „Sie dürfen nicht einem Abgeordneten Anstand absprechen, ich rufe Sie deshalb zur Ordnung.") Redner erinnert an die Busenfreundschaft Stöckers mit Hammerstein und sucht dann den Kommerzienrath Sanden den Konser vativen an die Rockschöße zu hängen. (Währenddem betritt Abg. Stöcker den Saal) Bezeichnend für den Tiefstand der Konservativen sei es, daß diele gestern Stöcker Beifall gezollt hätten, als er sogar eine politische Partei mit Hunden verglich; er erinnere nur an diese Worte: Nichts Hündischeres giebt es als einen Menschen, dessen Zunge zwiespältig ist. (Vize-Präs. Büsing ruft den Abg. Singer wegen dieser Aeußerung zur Ordnung.) — Abg. v. Levetzow (kons.): Ich will nur zwei Worte sagen: Herr Singer hat Herrn Sanden mit den Kon servativen in Verbindung gebracht. Ich habe den Namen erst neuerdings zum ersten Male gehört. Der Mann ist mir ganz unbekannt, ebenso seine Frau. Zweitens kann ich nur sagen, daß die Brandmarkung des Artikels im „Vorwärts" zur Zweihundertjahrfeier meinen Freunden und mir durchaus gefallen hat. — Abg. Stöcker ent gegnet zunächst aus eine Behauptung des Abg. Smger, er sei freiwillig aus dem Amt als Hofprediger geschieden, und zwar gerade um seiner Grundsätze w'üen. Wie diese Angabe, so würde er alfi die anderen Angriffe aut ihn, während deren er noch nickt ""wAend gewesen spielend widerlegen. (Lachen links.) Alle diese Ang ff seien thöricht. Vize-Präsident Busmg bezeichnet diese Ausdrucksweise als unzulässig, nachdem er bereits zuv den Abg. Stöcker dringend ersucht hatte, nur auf d ebenso sei festgestellt, daß Singer nicht au- diesem Grunde sir MrlWMtz, Eersims orr iisonn- und Festtage Zu beziehen durch die Expedition und — —usiräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Psg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. Nr^ I WW ! kl-'