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Bezug auf die nicht weniger lebhaft in der deutschen Presse erörterte Frage, ob und in welchem Maße der Artikel, welcher die Presse und die öffentliche Meinung in Deutschland aufgeregt hätte, den Charakter einer Regierungskundgebung besitze, wird darauf hingewiesen, daß die Handels- und Industrie-Zeitung und der Westnik Finansiow als wirthschaftliche Organe in allen Rußland interessirenden volkswirthschaftlichen Fragen, als deren eine auch die hochwichtige Frage der Handelsbeziehungen zwischen zwei Nachbarstaaten anzusehen sei, dieselben unabhängig von allen politischen Stimmungen frei und ungezwungen behandeln, indem sie Erscheinungen kritisiren ohne Rücksicht darauf, von wo und von wem sie hec- rühren. Die Verantwortlichkeit für die Darstellungsweise liege dabei voll und ganz auf den Redactionen, nicht aber auf dem einen oder anderen Regierungsbeamten. Als officiöse Organe des Finanzministeriums richteten sich diese Organe aber in den Grundzügen nach den Ansichten dieses Ressorts. Die ganze Bedeutung dieses Artikels habe aus den Gedanken an die Folgen beruht, welche die neue Richtung der deutschen Handelspolitik haben müsse, und diese Gedanken gehörten voll und ganz dem russischen Finanzministerium an. Zum Schluß des Artikels heißt eS: „Jeder Staat hat das volle und unbestreitbare Recht, in seinen inneren wirthschaftSpolitischen Angelegenheiten zu verfahren, wie er es für nothwendig und nützlich für das Wohl seines Volkes findet. Das russische Finanzministerium ist ebensoweit entfernt von dem Gedanken, daß es Rußland möglich sei, sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einzumischen, wie Deutschland entfernt ist, an die Möglichkeit zu denken, sich in die inneren Angelegenheiten Rußlands cinzu- mischen. Aber man kann nicht außer Acht lassen, daß die Rückkehr zur ökonomischen Autonomie den Entschluß zur Erneuerung der Verständigung über Zolltarife ganz wesentlich erschwert, dessen Wesen darin besteht, daß die vertragschließenden Parteien von ihrer Autonomie theilweise etwas aufgeben und sich im Interesse des gegenseitigen Nutzens mit wechsel seitigen Zugeständnissen in wirthschaftlicher Hinsicht be gnügen. Auf diesem Principe ist namentlich der russisch deutsche Handelsvertrag vom Jahre 1894 gegründet. Er stellte ein gewisses Gleichgewicht in den wirthschaft- lichen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten her. Die Belegung des Grundproduktes der russischen Arbeit mit erhöbten Tarifen verändert radikal die Ver tragsbedingungen von 1894. Jeder autonome ökonomische Schritt von deutscher Seite in der Richtung, das be stehende Gleichgewicht zu verändern, wird einen ent sprechenden Schritt von russischer Seite erfordern. Jedes überflüssige Gewicht in Art einer Zollerhöhung oder Erschwerung der Einfuhr, das von Deutschland in die Waagschale des Handelsaustausches mit Rußland gelegt wird, wird auch Rußland veranlassen, ein ebensolches Gewicht in seine Waagschale zu legen. R ßland wird hierzu gezwungen keineswegs aus seinen Kampfneigungen, nicht durch den Wunsch, den Gegner zu verwunden, sondern einzig und allein nur deswegen, um die Waage im Gleichgewicht zu erhalten." — Ueber einen anscheinend recht erheblichen Studenten krawall in Petersburg wird berichtet: Anläßlich eines Trauergottesdienstes für die vor zwei Jahren in der Peter-Pauls-Festung verstorbene Studentin Wetrowa beabsichtigten die Studirenden der hiesigen Hochschule eine große Manifestation vor der Kasanschen Kathedrale. Die Polizei, welche seit Tagen davon unterrichtet war, hatte die nöthigen Vorkehrungen getroffen, um Straßen unruhen zu verhindern. Als die Manifestanten, unter denen sich zahlreiche Studentinnen befanden, sich auf dem Platz vor der Kathedrale eingefunden hatten, er schienen Abtheilungen von Gardekosaken, berittene Gendarmerie nnd Polizei, zerstreuten dieselben und nahmen zahlreiche Verhaftungen vor. Die Vorgänge spielen sich ziemlich ruhig ab. — Es muß doch wohl recht arg zugegangen sein; die Petersburger Meldung geht offenbar von dem Bestreben aus, den Vorgang in möglichst harmlosem Lichte darzustellen. Oertliches und Sächsisches. Hohenstein-Ernstthal, den 19. März. — Morgen Mittwoch wird von Vormittag 9 Uhr ab in der Hausflur des hiesigen Rathhauses das Fleisch eines wegen Tuberkulose beanstandeten Kalbes in ge kochtem Zustande, L Pfd. 40 Pfg., öffentlich verkauft. — Sie brauchen keine Fortbildungsschule. Unter dieser Spitzmarke befindet sich in der letzten Nummer der „Sächs. Schulzeitung" ein der „Deutschen Schlosser zeitung" entlehnter Bericht, nach dem sich kürzlich in einer westfälischen Mittelstadt die Stellmacher, Schmiede, Sattler, Klempner und andere Handwerker zusammen» gethan halten, um vom Magistrate eine Unterstützung für die dortige Fortbildungsschule zu erlangen. Der Magistrat war auch bereit, dem Gesuch stattzugeben, mußte aber zunächst die Angelegenheit der Gemeinde- Vertretung unterbreiten. Hier beantragte nun eine Ab- theilung von Stadtverordneten, die Vorlage abzuweisen, und zwar au« folgenden Gründen: 1. ES sei nicht gut, wenn alle Handwerker gor zu viel lernten; es wolle naher niemand mehr arbeiten, und Arbeiter müße man doch behalten; 2. der preußische Staat gehe noch an der Bildung seiner Bürger zu Grunde; 3. die gewerb- ichen Fortbildungsschulen züchteten Sozialdemokraten; 4. die dort erworbene Bildung komme der Sozialdemo kratie zu gute; 5. eine Tracht Prügel mit dem Ende einer Dachlatte sei den Lehrlingen bester, al« der Besuch einer Fortbildungsschule; 6. man müsse die Bewilligung der nothwendigen Mittel ablehnen, damit man oben auch merke, wie man in der Bürgerschaft über solche Schulen denke! Leipzig, 18. März. Vor der 3. Strafkammer des hiesigen Landgerichts beginnt morgen der große Sensationsprozeß gegen den Großindustriellen Neuer, den früheren Inhaber der Buntpapierfabrik Neuer u. Co. in Leipzig-Lindenau. Die im Oktober 1899 erfolgte Verhaftung Neuers hatte um so größeres Aufsehen hervorgerufen, da sie einen Mann betraf, der in den Gesellschaftskreisen größte Achtung und Vertrauen genoß und außerdem nach seinem Auftreten in der Oeffentlich- keit zu den „ersten" Leuten Leipzigs zu zählen schien — abgesehen von den Kreisen seiner Berufsgenossen, in denen er von Anfang an erkannt worden war. Die Buntpapierfabrik in Lindenau, deren Mitinhaber er war, gehörte zu den bedeutendsten des Continents. Ungeheuere Sensation und allgemeine Entrüstung er weckten deshalb die Enthüllungen, die seiner am 17. Oktober 1899 erfolgten Verhaftung folgten. Es stellte sich heraus, daß der so hochgeachtete Mann seit Jahren Betrügereien und Fälschungen begangen und sich, während er für sehr reich galt, die Mittel zu seinem luxuriösen Leben durch Wechselreiterei beschafft hatte. Neuer hatte laut Gesellschaftsvertrag mit seiner Tantieme ein Ein kommen von etwa 9000 M.; sein jährlicher Aufwand belief sich jedoch auf über 30000 Mark. Frauen scheinen den Grund zu seinem Ruin gelegt zu haben. So kaufte er einer seiner „Damen" für eine horrende Summe die prunkvolle Villa des aus ähnlichen Straf prozessen wohlbekannten ehemaligen Consuls Müller, die er dann später selbst bezog. Auch dem Sport und Spiel huldigte er im reichsten" Maße, was ihn jedoch nicht abhielt, den zahlreichen Wohlthätigkeitsvereinen der Stadt sein regstes Interesse und materielle Unter stützung zuzuwenden. Aus dieser Thatsache erklärt sich die große Verehrung und Achtung, mit der die höchsten Persönlichkeiten der Stadt Neuer begegneten. Der Wechselverkehr Neuers hatte inzwischen einen Umfang angenommen, daß sich schließlich die Summe der dis- contirten Accepte auf über */„ Million Mark belief. Schließlich fiel den Banken die enorme Anzahl der Wechsel auf und sie suchten sich durch Einsicht in die Geschäftsbücher Auskunft über den Stand des Geschäfts zu verschaffen. Zu diesem Zwecke aber hatte Neuer durch seinen Buchhalter Müller falsche Bücher anlegen lassen, in denen fingirte Commissionen für die Firmen, mit denen er im Wechselverkehr stand, eingetragen waren. Diese Bücher wurden vorgelegt und dienten zur Beruhigung und Fortgewährung des Discont- Credits. Endlich aber hatten Angestellte des Geschäfts den Commanditisten von Neuers Manipulationen Mit- theilung gemacht und hierauf erfolgte Anzeige und Verhaftung Neuers, des Buchhalters Müller und des Agenten Apel. Die Anklage gegen diener lalltet auf Betrug und einfachen Bankerott. Neuer ist 41 Jahre alt, die Mitangeklagten Apel-Charlottenburg, Müller- Leipzig 37 bezw. 32 Jahre. Apel ist verheirathet und Vater von zwei Knaben. Chemnitz, 19. März. Gestern Abend gegen ^9 Uhr sprang vom Pforlensteg eine 57jährige Wutwe aus Hohenstein-Ernstthal, nachdem dieselbe sich ihrer Kleidung bis aus Hemd und Blouse entledigt hatte, in selbst mörderischer Absicht in den Chemnitzfluß Vorüber gehende Personen fanden die Kleidungsstücke und be merkten schließlich auch die Frau im Master, das infolge der starken Strömung über die Wehraufsatzbretter das Untersinken der lebensmüden Person hinderte. Ein herbei gerufener Schutzmann stieg eine von hilfsbereiten Leuten hcrbcigeschaffte Leiter hinunter und holte die erstarrte, aber noch lebende Person, der er ein Seil um den Leib geschlungen hatte, wieder auss Trockene. In einer nahen Wirthschaft erhielt die Frau die erste Pflege und wurde dann auf Anordnung eines Arztes mittelst Droschke in das Krankenhaus gebracht. Das Motiv zu dieser That ist unbekannt. Zwickau, 16. März. Die berüchtigten Falsch münzer Löffler und Morgner, deren Falsifikate in ganz Sachsen und darüber hinan« beschlagnahmt wurden, hatten sich am Sonnabend Nachmittag vor dem hiesigen Schwurgericht wegen des Verbrechen« der Falschmünzerei zu verantworten. Der Tischlermeister Max Paul Lösfler ist 1869 in Wilkau und sein Komplize, der in Wilkau wohnhafte Cchuhmachermeister Gustav Adolf Morgner, 1865 in Nemlengrün geboren. Morgner ist vorbestraft. Die beiden Falschmünzer wurden Ende Dezember v. I. in Ebersbrunn bei der Verausgabung falscher Zwei, markstücke abgefaßt und der Behörde zugcsührt. Es wird ihnen zur Last gelegt, in ihrem Wohnort Wilkau seit Oktober 1900 bis zur Festnahme gcmeinschufllich inländisches Metallgeld nachgemacht zu haben, um es als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen. Die Oeffentlichkeit war mährend der Verhandlung aus geschlossen. Die von den „Geldmachern" angeferligten Münzsorten sind Zweimarkstücke mit dem Bildniß Kaiser Wilhelm I., Münzzeichen ^4 und den Zahlen 1876 und 1877, oder mit dem Bildniß König Albert« und der Zahl 1899, sowie Einmarkstücke mit den Zahlen 1875 und 1882. Die Geschworenen gewährten Löffler mildernde Umstände und verurtheilten ihn zu 3 Jahren 6 Monaten Gefängniß. Morgner wurden die mildernoen Umstände versagt. Auf 5 Jahre Zuchthaus lautete das Urtheil für ihn. Außerdem erkannte man beiden die bürger lichen Ehrenrechte auf 5 Jahre ab und verfügte weiter die Einziehung der angefertigten Falschstücke und der verwendeten Werkzeuge. Zwickau, 18. März. Auf dem Wilhelmschacht sollte gestern ein Motor in den Schacht hinabgelassen werden. Dabei löste sich der Motor los und stürzte in die Tiefe, wo er zerschmettert wurde. Der Schaden beträgt 25 000 Mark. Von den 10 Leuten, die bei der Arbeit beschäftigt waren, kam Niemand zu Schaden. Plauen i. V., 18. März. Das 1ft, Jahre alte Kind einer in der Langenstraße wohnenden Wittwe stolperte in der Nähe des Ofens und stieß dabei einen mit heißem Kaffee gefüllten Topf um. Der Kaffee ver brühte das Kirlo derart, daß es nach längeren, qual vollen Schmerzen seinen Geist aufgab. Reinsdorf, 17. März. Ein eigenartigs Vor kommniß bildet im hiesigen Orte vielfach das Tages gespräch. Vor einigen Tagen begab sich ein bei einem hiesigen, wohlsttuirten Gutsbesitzer in Diensten befindlicher Knecht aus ein Dorf bei Werdau, um dort Bekannte zu besuchen, und verblieb daselbst während der Nacht. Am andern Morgen erschien dort sein Dienstherr und theilt« ihm mit, daß während der verfloßenen Nacht bei ihm eingebrochen und dem Knecht ein Sparkaffenbuch über 1000 Mark gestohlen worden sei. Der Knecht kehrte alsbald mit seinem Herrn nach Reinsdorf zurück und fand hier die Mittheilung bestätigt. Sein in seiner Kammer stehender Koffer war erbrochen und fehlte nicht nur das erwähnte Sparkaffenbuch, sondern auch eine Uhrkette. Außerdem waren aber zwei gute An züge, Hüte, Wäsche, ein Paar Stiefel rc. durch Messer stiche und Schnitte derart beschädigt worden, daß sie völlig unbrauchbar sind und dem Knechte dadurch ein Schaden von ungefähr 300 Mark erwachsen ist. Die von der Gendarmerie angestellten Erörterungen lenkten den Verdacht der Thäterfchaft alsbald auf den Dienst herr» selbst unv dieser Verdacht fand auch bald seine Bestätigung. Derselbe hat den Knecht wegen des Schadens an den Kleidern entschädigt, Sparkassenbuch und Uhrkette ihm aber ohne weiteres zurückgegeben. Nach Lage der Sache dürste auch eine Diebstahlsabsicht bei dem Gutsbesitzer nicht vorliegen, voch kann man sich andererseits den Grund seiner merkwürdigen Handlungs weise nicht erklären. Netzschkau, 18. März. In der mechanischen Weberei des Herrn Franz Anger ereignete sich heute Vormittag ein schwerer Nnglücksfall. Der Arbeiter Herr Hans Jacobi aus Limbach war damit beschäftigt, in den Webschützen eine neue Spule einzustecken. Er kam dabei dem Schlaqarm des Webstuhles zu nahe, erhielt einen Schlag auf die Hand und stach sich in folgedessen den Webschützen in den Hals. Er hat sich eine sehr gefährliche Verletzung der Luftröhre zugezogen, und wurde sofort in ärztliche Behandlung gegeben. Netzschkau. Der hiesige Turnverein „Turner bund" hat vor acht Tagen für seine Turnhalle einen Sprungtisch angekauft. Ain Freitag Abend während der Turnstunde ereignete sich leider ein schwerer Un glücksfall an diesem Sprungtisch. Der verheirathete Turner Simon Friedrich führte eine Nebung aus (Seitensvrung über Eck), kam unglücklich zu Fall und brach beide Röhren eines Armes. Nachts Uhr wurde der Verunglückte nach dem Kreiskrankenstift zu Zwickau gebracht. — In Auerbach wurde der Geschirrführer Platzer von einem umstürzenden Wagen gequetscht. Im Krankenhause wurden dem Bedauernswerthen beide Beine amputirt. Coswig, 18. März. Die Kunde von einem Raub- anfall durcheilte am Sonnabend die hiesige Gegend. Ans dem Wege von hier nach Naunhof bei Moritzburg, unweit des Kalkwerkes in der Nähe der sogenannten „Grünen Telle", wurde eine in Mitte der 60er Jahre stehende Frau namens Grütze, die sich auf dem Wege nach ihrem Wohnort Naunhof befand, von einem jungen Menschen überfallen. Der Räuber würgte die sich heftig wehrende Frau, die übrigens den Weg von Coswig nach Naunhof schon ost zurückgelegt Hot, am Halse und ver setzte ihr dann mehrere Schläge, vermuchlich mit einem Hammer, auf Stirn und Schläfe. Auf die Hilferufe der Frau eilte ein Bauer aus Brockwitz, der Holz au« dem Walde fuhr, herzu, woraus der Räuber unter Mit nahme der Eßwaaren, die die Frau im Korbe trug, flüchtete. Ein im Korbe liegender Geldbetrag entging seinen Händen. Die schwerverletzte Frau ging noch bis in die ersten Häuser von Weinböhla, eine Bluffpur be zeichnete den Weg, den sie gegangen. Von dort aus wurde sie mittel« Geschirr nach hier in die Behausung ihres hier wohnenden Sohnes gebracht. Letzterer, den die Nachricht von dem Raubansall in der Spitzgrund- mühle erreichte, machte sich sofort an die Verfolgung des Unholdes, doch ohne Erfolg. Der Räuber ist noch nicht ergriffen; er wird geschildert als ein junger Mensch, der übrigens noch nicht lange Zeit aus dem Gefängniß entlassen sein soll. Er soll sich schon seit einiger Zeit in dieser Gegend umhergetrieben haben. Ob die Frau mit dem Leben davon kommt, steht noch dahin.