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Nr. 34 28. Jahrgang- Sonnabend, den 9. Februar 1901. Redaction und Expedition: Bahr»strahe 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. neulichen Erklärungen des preußischen Justizministers im Abgeordnetenhaus? in Bezug auf die Concession der Notare. Recht ist Recht, und wenn man ein verfassungs mäßiges Recht nicht zur Ausübung kommen läßt, so ist das eine Verdrehung des Rechtes. (Vicepräsident Büsing: Herr Abgeordneter, Sie dürfen nicht einem preußischen Justizminister nachsagen, daß er das Recht verdrehe) Redner sucht alsdann klarzulegen, daß die Gerichte nicht unabhängig und unbefangen urlheilen. Das Schlimmste sei die allgemeine Willensschwäche der Richter gegenüber den Wünschen von oben, gegenüber brutalen Zumuth- ungen. — Staatssekretär Niebcrding: Vorredner hat Vorwürfe gegen die Ehre bestimmter Richter gerichtet, wie sie schwerer nicht sein können. Wenn ich solche Vorwürfe erhöbe, würde ich das an anderer Stelle thun, wo man Mann gegen Mann steht, wo der Andere sich vertheidigen kann. Vorredner selbst hat zugegeben, daß ein nur nicht bekannter Versuch, Herrn Schmidt gegen seinen Willen an eine Civilkammer zu versetzen, erfolg los blieb; der betreffende Richter hat erst auf Zureden freiwillig den betreffenden Antrag gestellt. Meine Herren, wenn Sie sich diesen Zusammenhang vergegen- wärtigen, dann können Sie sich, meine Herren, die sprühende Phantasie des Redners vorstellen. (Beifall rechts.) — Abg. Rickert (freis. Ver.) wendet sich ein gehend gegen die Ausführungen des Abg. Liebermann v. Sonnenberg, indem er an das Luther'sche Wort von der Narretei in Bezug auf Ritualmorde abermals erinnert. Weiter verurtheilt Redner die Acußerungen des Justiz ministers in der Jndennotariatsfrage. Der Minister habe sich darüber beklagt, daß man gerade ihn der Zu rücksetzung der Juden beschuldige, wahrend cs in anderen Ressorts in dieser Beziehung noch ganz anders aursehe. Wir werden die Anklage des Justizministers gegen seine College» in anderen Resiorts noch zur Sprache bringen und Antwort verlangen; wir werden es nicht dulden, daß in solcher Weise die Verfassung verletzt wird. (Bei fall und Lachen.) — Abg. Werner (Ant.) meint, bestreite man auf gegnerischer Seite den Rilualmord, so sollen die Juden doch endlich dem beistimmen, daß einmal der Talmud amtlich übersetzt werde. An der Debatte betheiligten sich noch die Abgg. Liebermann v. Sonnen berg und Bindewald (Ant.), Hase und Heine (Soc.), worauf gegen '/^8 Uhr der Titel „Staatssekretär" be- willigt wird. — Die englische Presse kann gar nicht begreifen, daß die Lobpreisungen, mit denen sie augenblicklich den Kaiser Wilhelm II. in England überhäuft, kein Echo in Deutschland finden. Der gegenwärtige Zustand der Ge fühle in Deutschland gegenüber England, sagt der Ber liner Correspondent der „Daily News", sei einfach ein Räthsel. Als die Samoa Angelegenheit die öffentliche Meinung aufregle oder als die Beschlagnahme deutscher Schiffe im vorigen Jahr den „Haß gegen England" steigerte, habe man die Anglophobie verstehe» können, aber jetzt sei nichts vorgekommen, was eine Verstimmung zwischen beiden Völkern zu erregen geeignet sei, im Gegentheil, die britische Nation habe dem Deutschen Kaiser alle nur möglichen Ehren erwiesen — allein trotz- dem zeige sich derselbe Haß, nur daß er aus Rücksicht auf den Kaiser in gemäßigterer Sprache ausgedrückl werde. Die Redaktionen einiger Blätter, welche stolz darauf waren, ihren Lesern lange Berichte über die Vorgänge in England geben zu können, hätten Zuschriften erhalten mit dem Ersuchen, ihre Spalten nicht mehr mit solchen Dingen zu füllen. „Es ist nicht unsere Königin," hätten Einige geschrieben. „Wir wünschen etwas über die Buren zu lesen." So weit der englische Berichterstatter." Hierzu bemerkt die „Franks. Ztg.": „Vor Allem sollten die Engländer bedenken, daß da« deutsche Volk in seinen Ansichten und Stimmungen nicht so wandelbar ist, wie die Regierenden in Berlin. In ! seinen Augen werden die Briten auch dann Unrecht bleiben, wenn es ihnen gelinge Wunsch gänzbch zu unterdrücken. In Deutschland -st allgemein, friedliche Beziehungen zu Enal ö . . halten, aber Alles, was darüber hmouLgeb, Mißtrauen betrachtet, ersten« weil man mch plötzlichen Wechsel der Gesinnung der § gegenüber den Deutschen glauben narae- weil in Berlin schon wiederholt Wandlunge, 6 kommen sind, die mit den wahren Interesse' lands unvereinbar zu sein schienen, und weil vor - dies da« Bestreben erkennbar ist, dem deutsch die Bethätigung seiner Ansichten zu verkümmern und zu beschränken. An« diesen und manche'! anderen Grun , die hier nicht näher angeführt zu werden brauchen, > den Huldigungen, die dem deutschen Kaiser m Eng an dargebracht worden sind, keine politische Bedeutung ber- zulegen. Das giebt selbst ein englisches Blatt zu. — Ueber die Lösung der Frage, wie wen die Forderung der Todesstrafe für die schuldigen chinesischen Würdenträger aufrecht erhalten werden soll, sind die Gesandten in Peking zu einem seltsamen Comproimß gekommen. Einer Pekinger Privatmeldung zufolge gab der deutsche Gesandte Mumm v. Schwarzenstein nach langer, heftiger Diskussion in einer erneuten Conferenz der Gesandten mit den chinesischen Delegirten seine Zu stimmung zu folgendem Vermittelungsantrag: Die Vertreter der Mächte verlangen einstimmig die Hinricht ung der Prinzen Tuan und Lan, überlassen es aber dem Ermessen des kaiserlichen Hofes, diese Strafe aus Rücksicht auf dynastische Interessen in Festungshaft zu verwandeln. Der Ernst, mit welchem die chinesische Regierung diese Forderung ausführen wird, soll für den weiteren Fortgang der Conferenzen bestimmend sein. — Wie weiter aus Peking telegraphirt wird, zeigte sich bei der Conferenz der Gesandten mit den chinesischen Bevollmächtigten, daß die Chinesen sich vor her auf unrechtmäßige Weise ein Exemplar der An klageschrift gegen die zu bestrafenden chinesischen Würdenträger verschafft hatten und bereits über die abweichenden Meinungen der verschiedenen Regierungen bezüglich der Schwere der zu verhängenden Strafen insormirt worden waren. Deshalb hatten sie sich ihre Antworten schon zurecht gelegt, und antworteten hart näckig ausweichend auf die Forderung der Todesstrafen. In der Frage der Kriegsentschädigung findet bei den Gesandten nach einer englischen Meldung der Vor- chlag am meisten Zustimmung, daß ein Pauschalbetrag festgesetzt und jeder einzelnen Regierung der Theilbetraq zugenuesen werden solle. Man veranschlagt, daß China ohne besonders schwere Belastung 4 Millionen Pfund Sterling (80 Millionen Mark) extra für einen Anleihe- dienst zahlen könnte, was einer Kriegsentschädigung in Höhe von 80 Millionen Pfund Sterling (1600 Mill Mark) entspräche. — Rußland will, wie der Petersburger Berickter- erfährt, gegen einen Getreide- z5 Mk keinen ernsten Widerspruch erhebem Es scheine, daß der Reichskanzler sich RuA ands Zustimmung zu einer Erhöhung in diesem Um fange gesichert habe. ' — Ein Berichterstatter der „N. F P " schildert i« einem, Pretoria, 20. Oktober, datirten Briefe wie die Engländer in der Nacht vom 15. auf den 16 Oktober als Strafe für die Beschädigung der Eisenbahn zwischen Heidelberg und Standerton 15 an der Strecke oeleo-»- Farmen niedergebrannt haben. Er schreibt - Es A da« Bettzeug auf dem Tisch in der Mitte des" aufgehäuft, mit Petroleum Übergossen und Natürlich sind die Engländer so human V m welches reqmrirt wird, die Frauen und Kind? * Pn-u.,utt-!b-n. und »,nn dk-- mch b„ Nach, ,AZ TageSgeschjH, Deutsche« Reich Berlin, 7. des Etats der Relchsjustizverw»?^^ Berathuim Abg. Liebermann von So»^^ Mordproceß in KonitzMan^ttoo^"" erörtert den sächlich schon, daß die Judcnfurcb? ^°"de that- ergriffen habe. Die nach Kim die Behörden Polizei habe von vornherein 1,^11-^'^ kriminal- bracht, daß der Mörder überall tu ^^^urig bei den Juden. Bei solck? sei, nur nicht natürlich schwer möglich, ^i es zu finden. Daß nn aanttrÄ^ richtige Spur in Konitz gewesen sei, darin habe man'Rich ^ralstab belogen, wohl aber sei j» König ein " schmählich Verwirrungs. und Vertuschnn^comitte?^ L^Vzb"^ LN: °d7"^ bliebenen Spuren, die sämmtlich nur aus"e?L weisen sorgfältig verfolgen würden. - Abg Reckb Akis. Bo ksp.) plaid,rt für bedingte Verurthelluna im Gegenthett zur bedingten Begnadigung und verlang?Ab- mMißstände im preußischen Genchtsvollz.eherwesen, sowie Entschädigung für un- schuldig Verhaftete, um sodann auf den Mordproceß in Komtz uberzugehen Das Märchen vom Ritualmorde sollte doch langst als überlebt gelten. Gleichwohl diese Hetze in Konitz, und nun hier im Reichstag! Die An- tisemiten hätten in Konitz einen Untersuchungsausschuß neben dem staatlichen eingesetzt, nm die Untersuchung in die Fährte eines Ritualmordes zu leiten. Bindewald habe neulich unter Hinweis auf Sello von Verfolgung jüdischer Rechtsanwälte gesprochen, nun, Verfolgungen kommen überall vor, ohne Unterschied der Consession. Er berufe sich demgegenüber auf ein Kaiserwort, das in letzter Zeit gefallen sei. (Zuruf rechts: Männerstolz vor Königsthronen!") Was Sie mir da zurufen, sollten lieber die Herren beobachten, die ihre Stellung als Ab geordnete verwerthen, um nach oben hin Vortheile zu erreichen. (Präsident Graf Ballestrem bezeichnet diese Wendung mit Bezug auf die Abgeordneten als unzu lässig.) — Abg. Stadthagen (Soc.) bedauert, daß man immer noch mit dem blödsinnigen Märchen des Ritual mordes hausiren gehe; er meine natürlich Leute außer- halb des Hauses. Ein solches Verfahren richte sich von selbst in den Augen aller anständigen Menschen. Redner geht dann auch auf den Sternbergproceß ein, der schwere Mißstände auf dem Gebiete unserer Rechtspflege aufge deckt habe. — Staatssecretär Nieberding bemerkt auf eine Aeußerung des Vorredners, daß der Behörde von unsittlichen Annoncen von Masseusen nichts bekannt ge- wesen sei. — Abg. Spahn (Centr.): Der Reichstag sei allerdings der Ort, um RechtSfälle zur Sprache zu bringen, damit eventuelle Mißgriffe Anlaß zu gesetz geberischen Schritten geben können. Doch warne er davor, mehr auf die Details solcher Proccsie^ In Bezug auf den Könitzer 'st den Beamten ich der Borwurf gemacht worden, daß sie , . - .' nickt aetban hätten. — Staatssecretar Nieberding- habe °dem Hause nicht das Recht beschränken wollen, über RechtSfälle zu sprechen; er habe "»e uesag - - ei gegen eine Einmischung m schwe , berbeizu- dem Zwecke, darüber ein Urthnl des ^e,^ ühren; 2. er sei gegen eine Bemthellung r- ^n ührter Processe, ""r "m sachv^ Gerichtshöfen einer anderen Beurth ^g Reichstag Er habe nicht l"r unzulässig I Insertionsgebübren: die - L --«ll sm Lugau, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Henns o Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Psg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage.