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Reinigung des Trottoirs von Schnee und EiS über tragen wolle. Der abgehärmte und blasse Mann hatte einst bessere Tage gesehen. In einem Hause wurde ihm die Reinigung übertragen. Der Mann machte sich an die Arbeit. Kaum hatte er begonnen, so fiel er, von Schwäche übermannt, bewußtlos zu Boden. Andere Arbeiter versuchten vergebens, den Besinnungslosen wieder zu sich zu bringen. Man trug den Erkrankten in eine Wirthschaft, wo man ihm Wein und Cognac einflößte. Nach längerer Zeit schlug der Mann die Augen auf und erholte sich langsam. Der Schneeschaufler ist der Sohn eines früheren höheren Beamten in Berlin. Sehr jung kam er in die Kadettenschule, um von dort als neunzehnjähriger Jüngling in ein Infanterie-Regiment als Osficier eingereiht zu werden. Jetzt begann für den jungen Osficier ein Leben in äulei jubilo. Er spielte, machte viele Schulden und mußte mehrere Male an die Großmuth seines BaterS apelliren, der eS stets unter großen Opfern möglich machte, seinen leichtsinnigen Sohn über Wasser zu halten. Da starb der Vater plötzlich, ohne Vermögen zu hinterlassen. Für den Sohn war der Tod deS Vaters um so schlimmer, als gerade wieder einmal größere Schulden vorhanden waren. Der Osficier konnte die Summe nicht decken und mußte, da ihm Niemand Geld vorstrecken wollte, seinen Abschied nehmen. Er wurde Versicherungsagent. In dieser Stellung verdiente er aber nicht so viel, um sein Leben, so wie er es gewohnt war, zu verbringen. Er ließ sich verleiten, eine größere Summe zu unterschlagen. Der Generaldirector der Versicherung, der ein Freund des VaterS gewesen ist, sah aus diesem Grunde von einer Strafverfolgung ab und deckte den Fehlbetrag aus seiner Tasche. Mit dem ehemaligen Osficier ging es immer weiter abwärts. Er wurde „Künstleragent". Seine Thätigkeit bestand aber nur darin, Chansonetten von mehr als zweifelhaftem Ruf an kleine und kleinste Etablissements, die ständig unter Polizeiaufsicht stehen, zu vermitteln. Das ging so lange gut, bis der „Agent" wegen Kuppelei bestraft wurde. Aus dem Gefängniß entlassen, wurde der Mann Arbeiter, dann Gelegenheits arbeiter und schließlich, als er sich dem Trünke ergab, Vagabund. Seine Gesundheit war zerrüttet, die Lebens geister hielt er nur noch durch Schnaps aufrecht. Jetzt wird der tief Gesunkene einer Anstalt übergeben. * Eine der eigenartigsten Blüthen, welche die weit gehende Frauen-Emanzipation in Amerika bisher ge trieben hat, ist Frau Carrie Nation, die Temperenz- Fanatikerin des Staates Kansas, welche sich kein ge ringeres Ziel gestellt hat, als allen Schanlstätten dieses wildwestlichen Staates ein- für allemal den Garaus zu machen. An der Spitze einer gleichgesinnten Schaar hat sie den Sturm auf die Salons unternommen. Eine stattliche Reihe von Trümmerhaufen zeigen die Spuren dieses eigenartigen Feldzuges, denn wehe dem Lokale, in welches diese holde Weiblichkeit den Fuß setzt. Von oem schweren Bartische angefangen bis zum leichtgeschliffenen Glase wird Alles in Trümmer ge schlagen. An einem der letzten Tage trat Frau Nation in Begleitung der Genossin Anna Diggs, der Führerin der Populistenpartei, ohne weiteres Ceremoniell in das Bureau des Gouverneurs von Texas, an welchen sie die folgende kleine Ansprache hielt: „Herr Gouverneur! Ich bin gekommen, um mich mit ihnen einmal frei und frank und in allem Ernste auszusprechen. Der Herr hat mir befohlen, zu ihnen zu kommen und von ihnen die Schließung aller Kneipen in Topeka zu fordern. Wenn Sie meinen Bitten kein Gehör schenken, so werde ich alle Frauen dieser Stadt organisiren, und wir werden mit vereinten Kräften jede einzelne dieser Kneipen in Trümmer schlagen. Wir hoffen bestimmt, daß Sie, Herr Gouverneur, uns dabei behilflich sein werden." Die schüchternen Versuche des Gouverneurs, der energischen Dame dieser Idee auszureden, hatten nur den einen Erfolg, daß sich auf den armen Staatsbe amten ein neuer Redestrom ergoß, der gegen den Schluß folgende pathetische Form annahm: „Eine Schaar von Frauen, muthig und entschlossen wie ich, wird sich erheben und dreinschlagen, bis jeder Gesetzesüber treter, der unter dem Schutze der Exekutive dieses Staates steht, aus Topeka vertrieben ist. Wir gehen mit der Säuberung dieses Sodom und Gomorrha vor an, Sie aber stehen als der Feigling da, der uns seine Mithilfe abgeschlagen." Der Gouverneur wußte sich selbst und Frau Carrie keinen besseren Rath zu er- theilen, als sie zum Generalanwalte des Staates zu schicken, der sie wieder an den County-Anwalt wies, von wo sie zum Sherif und schließlich zum Polizeichef geschickt wurde. Ueberall spielten sich ähnliche Scenen ab, und keiner dieser Würdenträger hatte den rechten Muth, die Autorität der Staatsgewalt den mündlichen Explosionen dieser Schreierin im Streite gebührend entgegenzusetzen. Eine am selben Tage in Topeka abgehaltene Konvention der .Kansas State Temperen; Union" faßte den Beschluß, für Frau Nation eine eigene goldene Medaille prägen zu lassen. Dem wahnwitzigen Treiben der Salon-Stürmerinnen von Topeka ist that- sächlich schon eine Reihe von Geschäftsleuten zum Opfer gefallen, welche ihr ganzes Hab und Gut in Trümmern gehen sehen mußten, ohne daß ihnen von irgend einer Seite Hilfe geworden wäre. Es ist leicht möglich, daß der Schwur Frau Carrie's, nicht eher zu ruhen, als bis die letzte der 120 Wirthschaften dieser Stadt dem Erdboden gleich gemacht sei, thatsächlich in Erfüllung geht. * Der verhätschelte Liebling des Publikums in den großen Städten der Vereinigten Staaten ist gegenwärtig ein kleines Phänomen Namens Carl Gulick. In den Privatgeschäften und in den öffentlichen Concerten, wie in den Kirchen, überall reißt man sich um den Wunder knaben, und jedesmal, wenn er sich zeigt, ist das Publikum faszinirt und wie betäubt. Es ist dies ein kaum zehn jähriges Kind mit einer so schönen Sopranstimme, wie man sie selten hört. Die Stimme hat nach den Aeußer- ungen der amerikanischen Kritik ein wunderbares Timbre, einen großen Umfang und ist von absoluter Sicherheit. Aber so wunderbar das an sich schon ist, noch über raschender ist das musikalische Temperament, das aus gezeichnete Gefühl und die Kunst, mit der dieses Kind die ihm von der Natur geliehenen kostbaren Gaben gebraucht. Es singt mit Vorliebe Romanzen und Volkslieder, aber so wirkt es auch in Solopartieen bei Aufführungen von Oratorien Händels, Haydus und Mendelssohns mit und ist immer von der gleichen Vollendung und hat immer denselben Erfolg. HasdelS-Nachrichten. ttsrllo, 18. Februar. Wechsel-Cours). Laak- vlsoont Mark Amsterdam o„ 8 T 3 ' 2M 169,40 B per 100 fl. b. 168,25 G Brüssel und Antwerpen 4 ST 81,10 G pr. 100 Francs. 3M 80,45 G Italienische Plätze . 10 T 76,75 G pr 100 Liere 2M — Schweiz. Pl. 100 Frc. 5 WT 81,— G London 8T 20,47 G pr. 1 Lstrl. 4 3M 20,27 G Madrid und Barcelona 5 "T — pr. 100 Pesetas 2M — Paris g 8T 81,15 G pr 100 Franc 3M 80,65 G Petersburg 5-/. 8 T /'3M — pr. 100 Rubel — Warschau 100 Rubel 5-/, 8 T — Wien 4-, 8 T 4 /'3M 85,— G per 100 Kr. 3 W. 84,10 G Reichsbank 5"/«, Lomb.-Z.-F. 6"/o. Herlin, 18. Febr. Spiritus 7vcr loco ohne Faß 44,20 M. Umsatz: 4 000 Lit,r. L»Lckod rr, 18. Febr. Kornzucker cxcl. 88 Rendemeni 10,05 bi- 10,8). Nachprodu te excl. 75°/» Rendement 7,60 bis 8,05. Stimmung: Ruhig. Krystallzucker I mit Sack 28,95. Brodrafnnade ' ohne Faß29,20. Gen. Raffinade mit Sack 28 95 Gem. Melis l mit Sack 28,45. Rohzucker l. Product Transit» f. a B Hamburg per Febr. 9,22'/, Ed., 9,30 Br., per März9,277« Gd., 9,32'/, Br., per Mai 9,45 Gd., 9,47'/, Br., per August 9,6 > bez., 9.67 Gd., per Okt.-Dez. 9,15 Gd., 9,22 Br. Stimmung Ruhig. N»md>r ,18. Febr. Weizen behauptet, Holsteiner loco 150 bis 160, La Plata 134—137.— Roggen behaupt t, südruss. cif. Hamburg 107 bis 110, do loco >08 bis 112, Mecklenburgischer 138 bis 145 Mais f st, loco 108,00 La Plata 85. — Hafer fest, Gerste fest, Wetter: Schnee. lZrsmea, 18. Fe ruar. (Baumwollri. Tendenz: Ruhig. Upl. middl. loco 49 Pfg. Iüvarp»ol, 18. Febr. (Baumwolle.) Muthmrßlicher Umsatz: 8000 Ballen, wlunmung: Ruhig. Import: 15 000 Ballen. Preise '/«. bis niedriger. Umsatz: 80 0 Ballen, da von für Speculation und Export 50^ Ballen verkauft. Amerik. ruhig, Ostindischc träge, Egypter '/>« niedriger. Middling amerikanische Lieferungen. Febr.-Mürz 5"/«« Werth, April- Mai.ö"/,« do., Juni-Juli 5°/«. Käufer, Aug -Sept. 4°°/«, Werth. Z a h l u n g s e i n st e l l u n g e n: Kaufm. Louis Rieß, Allenstein. Kaufm. Fritz Peschel, Breslau. Kaufin. Johann Menzel, Erle-Buer W. Delicat ssenh. Oskar Gerstenberg, Chemnitz. Kaufmann Adolf Zschoepe, Bockwitz-Elsterw>rda. Möbelstoffh. Carl Hunger, Chemnitz. Kaufin. Harry Voges, Hannover Kaufm. Bruno Sawallich, Kulm. Kaufm. Friedr. Wilhe m Schmidt, Leipzig. Kaufm. Otto Ernst, Pritzwalk. Kausm. Oswald Hämmerling (Nachlaß), Ratibor. Comtetz K a t h r e i n. Roman von B. v. d. Lancken. 2l. Fortsetzung. Fürstin Amölie Egloffstein, die Großmutter des jetzigen Majoratsherrn, saß auf dein Divan vor einem zierlichen Tischchen und legte Patience; sie war schon sehr alt, aber selbst diesem sehr alten Gesicht mit den vielen feinen Fältchen und in die Höhlen zurückge sunkenen dunklen Augen sah man es noch an, daß es einst sehr schön gewesen sein mußte, die Figur war zierlich, fast gebrechlich, aber sie hatte etwas beinahe jugendlich Anmnthiges, trotzdem die Fürstin sich beim Gehen eines Stockes bedienen mußte. Silberweiße, reiche Löckchen und ein schwarzes, kostbares Spitzen- tüchlein umrahmten das feine Greisenantlitz. Die Fürstin trug, seit sie wirklich alt und Wittwe ge worden, nur noch schlichte, schwarze Roben, die in ihrer eleganten Einfachheit enorme Summen kosteten; vorwiegend Seide, aber auch Sammet und Spitzen bildeten je nach der Jahreszeit das Material, Wolle fand nur bei Trauerfällen Verwendung. »Fifi, sie geht wieder nicht auf," klagte sie" ihrer langjährigen Vertrauten und Gesellschafterin, einer Dame, nicht viel jünger als sie selbst, die mit einer groben Häkelarbeit beschäftigt, ihr gegenüber in einem Sessel lehnte. Baronesse Fif sah, ein halb moguantes, halb mit leidiges Lächeln auf dem klugen Gesicht mit den scharf beobachtenden Augen zn der Fürstin hinüber. „?nuvitz Amolie, das ist ein rechter Kummer! — welche Lebensfrage hattest Du denn gestellt?" „Ach, nichts für mich, es war wegen des Lipp' und der Kalh'rin'." „So, so — na, mit den Beiden scheint's mir noch etwas im Argen zu liegen", meinte die Französin. „Weshalb meinst Du?" fragte Fürstin Ainslie, die Karten mit den welken feinen Händchen, an denen kostbare Steine funkelten, zusammenschiebend und zu ihrer Cousine hinüberblickend. „Ich habe keine positiven Anhaltspunkte dafür, aber es will mir so scheinen." „Guten Morgen, Großmama, 'morgen Fifi." Der Fürst trat mit festem dröhnenden Schritt in den Pavillon und ließ sich ohne Umstände in den ersten besten Stuhl fallen, legte den Hut neben sich auf einen Tisch und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. „Eine schmähliche Hitze heute. Na, Großmama, wie lst's Befinden? Gut geschlafen? Ist der neue Medicus schon zur Consultation angetreten?" „Ja, und er gefällt mir noch immer recht gut." „Der Himmel gebe, daß es so bleibt. Wo ist Kath'rin' ?" „Vermuthlich auf ihrem Zimmer mit Briefschreiben beschäftigt." „Was diese jungen Mädchen immer zu schreiben haben! Ich schreibe an Niemand. Briefschreiben ist in meinen Augen eine lasterhafte Beschäftigung. Uebrigens, — sie sind angekommen, die Mangolds meine ich; ich begegnete dem Inspektor, also können wir uns in den nächsten Tagen auf ihren Besuch ge faßt machen. Womit man doch nicht alles verkehren muß, es geschieht natürlich in diesem Fall nur Katha rina wegen." „Natürlich," bestätigte die Fürstin. „Da kommt sie übrigens selbst. Sie ist doch wirklich eine Erschein ung eomms U kant." Dabei hob sie ihre langgestielte Lorgnette vor die Augen und musterte die sich Nähernde, die ahnungslos den Weg vom See heraufkam. Ein breitrandiger Strohhut beschattete das Gesicht, dazu trug sie ein einfaches, weißes Piquskleid, das kurz genug war, die schmalen hochgewölbten Füßchen in gelben Lederschuhen frei zu lassen; sie hatte einen wunderschönen, leichten Gang und eine fesselnde An- muth in jeder Bewegung. Fürst Philipp Egloffstein verwandte keinen Blick von ihr, ja die Großmutter hatte recht, sie war sehr distinguirt, sie gefiel ihm gut. Darum stand er auch auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen; das war eine Auszeichnung von seiner Seite, die die Fürstin im Stillen erfreute. „'N Morgen, gnädigste Cousine," in diesem Mo ment war er ganz der vornehme Cavalier. „Sie kommen vom See herauf; gerudert, geangelt, welchem Sport haben Sie gehuldigt? Großmama hatte Sie im Verdachl, dem Laster des Briefschreibens gefröhnt zu haben." „Ich bin um den See herum ein Stück in den Park hinein spazieren gegangen. Und Sie, Philipp?" „Geritten — aber es war schändlich heiß. Da kommt eben eine Stärkung für mich. Trinken Sie nicht ein Glas Mosel mit zur Gesellschaft?" „Ich danke, ich möchte jetzt wirklich einen Brief schreiben!" „Aber an wen denn nur?" rief Fürst Philipp un wirsch, „Sie sind doch nicht im Pensionat erzogen und infolgedessen von sogenannten Mädchenfreund schaften hoffentlich verschont geblieben." ..Ja, — ich habe keine einzige Freundin, was ich darunter verstehe; es ist aber ein alter Herr, an den ich schreiben will." „Man könnte den alten Herrn fast beneiden um die Vorrechte, die die jungen Damen ihn zu Theil werden lassen," bemerkte Philipp Egloffstein, nahm ein großes Stück Wildpastete und goß sich ein zweites Glas Mosel ein; er aß und trank mit sichtlichem Be hagen. „Wie materiell er ist," dachte sie, während sie ihm zusah; er war ihr manchmal direkt unangenehm, wäh rend dann wieder Stunden kamen, in denen sie ihn ganz erträglich fand; warum wollte sie ihn sich eigent lich absichtlich verleiden? er war nutonä vielleicht nicht schlechter als hundert andere Männer, aber unbestreit bar sehr viel reicher, dazu Fürst und Majoratsherr. Sie drehte sich fort und machte Miene, den Pavillon zu verlassen; Niemand hielt sie auf. „Viel Vergnügen und gute Gedanken beim Brief schreiben, und einen Gruß von mir an den alten Ried," rief der Fürst ihr nach. Langsam ging sie um das Boskett herum, spannte ihren großen, weißen Sonnenschirm auf, und als man sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie unschlüssig, wie überlegend stehen und schlug dann einen Weg ein, der vom Schloß fort in den Park hineinführte; die garten artigen Anlagen hörten sehr bald auf und auf breiten, gut gepflegten Wegen befand sie sich mitten im Wald unter den dichten, leise rauschenden Kronen alter Buchen und Eichen, hie und da huschte ein Eichhörnchen über den Weg, zwitscherte ein Vöglein über ihrem Haupt. Die Stille ringsumher that ihr ungemein wohl, sie ging weiter und weiter, bis sie auf eine Lichtung hinaus trat. Es war ein runder, freier Platz, in dessen Mitte sich eine Art Musiktempel befand, achteckig in der Form, an allen Seiten offen, Bänke von Sand stein standen in weiteren Zwischenräumen im Kreise an der äußersten Grenze des Platzes; früher mochten hier allerlei gesellige Vergnügen stattgefunden haben, jetzt machte alles den Eindruck, als sei lange Niemand hierher gekommen. Der Platz war zum größten Theil