Volltext Seite (XML)
Wenstein-ErllMer Anzeiger Tageblatt fßr Wnstein-Wthal, NbkckliDitz, GerSdorf, ?iMU, Wüstenbrand, Urspnnia, Nittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken u. s. w. Nr. 5. Sonntag, den 6. Januar 1901. Beilage. Kink elMle KMMön tik juM »MW, f Lvluo. Lstkst von LIK. 1.— an Lvlns. Lakkot oann6I6, wunäskvolls I/iektkardon, ksin ^sstreikt. Kolne. ka^ono^ von LIK. 2.— an Lolus. Vama8868 - - 2.3V - Rvlu8slck. koularcka - - 1.— - Iivln8elck. ?onxü v»u LIK. 1.— an Ksias. LrckAscdseräs - - I.— - Itvnxaliiiv - - 1.2» - Iivin8vi<i. (laiisrv - - 2.— - Kvliwelü. Ikrlllauts xavr vorsü^Iick im 'Kraxen dkÄkdt wM su8 äer Wensleim 8e l>8M8kRLi I.v!rö, Nv»'.Zli8!kin-^. i. 8. Qe2SllL2liKkt2- unä Oorkcert-Kodsn. Iieln88iü. 'lnilol, -Ine^naiil, LInirö vvloui'8, /.iinüis, I!u«Ii«88e U><>8- «I»88iquo, Va!iia88ü, Llcrveillenx u. s. v., für Imckkme 'I'oilotv n v»l> <!«» / rartsvtsa dis r« äeu äuukslstvu ^»wirini»"«! L s UsdAMM WMMsI ML", kÄMM-kreMl. Xönixl., Oros8ker-o--I. uiul Ile7/o^I Nntp k rant. d <-r»88ts I'adnik liir 8oi,Ieii8toNo nini 8j»(,t!i:lI-8v!.I<-nI>n>i8 in 8»tüi8e». H Filiale: l_6!PL!L, Noi^Ii88li-. 33/35. Epiphanias. s Eusebius, der erste Kirchengeschichtsschreiber und anderes altchristliche Schriftsteller, die den Anfängen des Christenthums auf Erden historisch noch nahe standen, beschreiben das Auskommen der christliche» Religion, die Gründung einer Kirche auf den Namen Jesu Christi des Herrn, gerne als ein plötzliches Anbrechen des Lichtes mitten in der Finsterniß; sie thun dies in mannigfachen Wendungen und in den bunten Bildern, die die alte Zeit liebte: wie ein Stern sei der Glaube in der Nacht Her ständigen Menschheit aufgetaucht, wie eine Sonne sei er über den dunkelen Gründen dieser Erde in die Höhe gestiegen und suche nun mit seinen Strahlen alle Menschen, auch die schlechten und sündigen zu fangen, zu erreichen und zu erwecken. Bibelleser wissen, daß diese farbenreiche Anschauung den letzten Grund in der heiligen Schrift selber hat, wo sie in der einfachen und doch hohen und reinen Poesie dieses einzigartigen Buches oftmals vorgetragen und verkündigt wird; die Welt liegt im Argen, Finsterniß bedeckt das Erdreich; da kommt aus Gott das Licht des Glaubens und der Persönliche Träger desselben sagt von sich selbst die ewig denkwürdigen Worte: ich bin das Licht der Welt. Und diesen Vorstellungen verdankt auch Name und Brauch des heutigen Festes seine Entstehung. Epiphanias ist ein griechisches Wort, eben das Wort, mit dem das Aufsteigen des neuen Glaubens von den alten, ersten Christen gern bezeichnet wurde und bedeutet: Aufleuchten des GlaubeuSlichtcs, Erscheinung und Aufgang der Glaubenssonne in der Nacht der Welt. Es ist aber auch wirklich so, wie jene alten Männer Gottes auf ihre Weise die Bedeutung, den Erfolg und den Sieg des Glaubens geschildert haben. Das Christenthum ist das bleibende Epiphanias der Welt. Nimm zwei Völker, ein heidnisches mit jahrhnnderte oder jahrtausende langen heidnischen Traditionen und ein christliches, bei dem irgend einmal in seiner Geschichte der Glaube zum Durchbruch gekommen ist, und ver gleiche sie mit einander, etwa das kluge, gescheite Volk der heidnischen Inder, unter denen die evang.-lutherische Mission unseres Vaterlandes arbeitet, oder unser deut sches Volk, das den Bonifacius und den Luther gehabt hat. Auch der Gleichgültige muß zu Epiphanias sagen, daß der Abstand auf dem Gebiet des innersten Denkens und Empfindens zwischen beiden unermeßlich ist. Welche Grausamkeit und Herzlosigkeit dort in Indien, welches lüsterne und wieder verbrecherische Wesen, ohne daß die öffentliche Meinung es verurtheilt. Da stehen wir bei allen Schattenseiten und Wunden des öffentlichen wie besonderen Lebens doch weit höher an Herz, Gemüth und Gewissen und haben nur die eine Angst, daß unser Volk den Höhestand bewahrt, den es durch Golles Gnade erklommen hat. Das hat die Epiphanie des Glaubens unter uns gelhan; Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesum Christum. Aber eins dürsen wir allerdings, wenn wir uns dieses Unterschiedes billig und dankbar freuen, ja nicht vergeßen. Der christliche Glaube geht eigentlich weniger auf Eroberung ganzer Völker, a'.s auf Gewinnung und Erfüllung der einzelne» Persönlichkeiten an. Was nützt es, wenn daS ganze Volk und die ganze Welt Glaube hat, und du hast keinen! so hoch, respektvoll, mitleids voll, göttlich steht der Glaube der einzelnen Menschen seele gegenüber. Jede Menschenseele soll de» Sonnen- aufgang aus Gott haben, soll den Umschwung von Nacht zum Licht, vom Dienste der Eitelkeit und Sünde zum freien Dienste am lebendigen Gotte erleben. Und es ist ein großer Unterschied, ob jemand in diesem Sinne den Glauben hinnahm oder nicht. Wer ihn recht annahm, wird demülhig constatiren, daß eine große Wandlung mit ihm vorging. Die alten Sünden starben, die aste Oede und Leere, die „Langeweile' des inneren Lebens, an der viele weltlich glückliche Leute leiden, mich, die Nacht verging, ein neues Leben brach sich Bagn. O über die schöne Epiphanie des Glaubens in der demüthig gewordenen Menschenseele! Wer sie erlebte! Ganz umecht haben die „Pietisten" doch nicht, wenn sie immer wieder den einzelnen Menschen anrufen, er solle sich b,kehren. Im Gegeutheil! Bekehrung ist doch nicht Stupidität, Thorheit, Schwarzseherei, Finsterniß. Wer das sogt, kennt die Dinge nicht. Bekehrung ist, lieber Freund, freie, demülhige Hinwendung zum Lichte, zu dem großen geschichtlichen Lichte, aus dem dereinst der Glaube wie eine Sonne über der Welt aufgegangen ist. Und so ermähnt und bittet dich, wer du auch seiest, das Epiphaniassest allen Ernstes, daß du dich bekehrest. Bitte Golt, daß er dich hinwende zu dem Lichte, aus deni schon so viele — Völker wie einzelne — Gnade um Gnade angenommen haben. In diesem Gebete steht dein wahres Epiphanias. Libirisches Sträflingsleberr. In einem kl n n Hause nahe bei der Avenue Louise in Brüssel lebt der Maler Alexander Sochaczewski, der Jabrzehnle lang als Verbannter in Sibirien schmachten mußte, ehe er dur ch die Gnade des Czaren die Frei heit wieder erlangte. Ein Mitarbeiter der „Jndüpen- dance Belge" besuchte den Maler vor Kurzem in seinem Atelier, dar in einer Art Schuppen eingerichtet und mit grauenerregenden Gemälden, die sämmtlich die in Sibirien üblichen Follerstrafen darstellen, ausgestaltet ist. „Ich habe diese Strafen alle mit eigenen Augen gesehen," sagte Sochaczewsk-. „Der Gedanke, sie eines Tages der civilisirte» Welt in Wort und Bild zu schildern, war mein einziger moralischer Trost. Als ich nach zweiundzwanzigjähriger Verbannung begnadigt wurde, nahm ich sofort Zeichen- und Malunterricht." Sochaczewski ist j tzi 58 Jahre alt. Die Salzbergwerke haben seinen kräftigen Körper nicht besiegen können, aber sie haben seinen Teint mit einer unzerstörbaren maltgrauen Farbe „bestreut". „Ich war Student in Warschau," erzählte er, „als die letzte polnische In surrektion z u» Ausbruche kam. Eines Morgens wurde ich aus me nem Bett heraus verhaftet, auf die Festung gebracht, m Kelten gelegt und in einen finsteren Kerker geworfen, wo ich >in Jahr lang blieb. Ich sollte daun mit dreie» meiner Genossen hiugerichtel werde». Der Czar verwandelte jedoch die Todesstrafe in lebensläng liche Zwangsarbeiisstrafe. Zwei von uns waren be reits hingerichlet, als der Bote von Petersburg mit der Nachricht von unserer traurigen Begnadigung eintraf. Wir Sträflinge wurden sofort nach Sibirien tranS- porlirt. Ich war zwanzig Jahre alt, sprach acht Sprachen und studirlr mit Lciderrschaft Medizin. Ich wurde nach den Salzbergwerken am Baikalsee bei Irkutsk geschickt." Der Maler zeigte dem Journalisten ein großes Gemälde: „Die Verbannten an der Grenze Sibiriens." Etwa dreißig Unglückliche stehen im Schnee, mit Ketten an den Füßen, und betrachten den Grenzstein, der inmitten einer Suppe die Grenze zwischen Europa und Asien bezeichnet. „Das sind lauter Porträts, und wenn ich sie betrachte, fahre ich stets zusammen, denn jedes von ihnen erinnert mich an eine Marter." — „Es sind ja auch Frauen darunter!" sagte der Journalist. — „Ja, drei oder vier, die freiwillig ihren Ehemännern folgte». Nur eine ist verurtheilt, es ist die schöne Frau GudzinSka, die Sie auf der rechten Seite der Gruppe, im Schnee kauernd, sehen, Polin von hoher Geburt, wurde sie ver urtheilt, weil sie die Handlungen des Warschauer Revolutionsküinitees gebilligt hatte. Sie machte den weiten Weg zu Fuß und in Ketten wie wir Alle. Einer unserer Osficiere hatte ihr den Vorschlag gemacht, sie in seinen „persönlichen Dienst" zu nehmen. Sie wissen wohl, was ich sagen will? Me spie ihm ins Gesicht. Seit damals war man erbarmungslos. In den Salinen am Baikalsee mußte sie zwölf Stunden hintereinander, im Schnee liegend, die Salzsäckc in eiskaltem Wasser waschen. Das Salz drang in die Riffe ihrer erstarrten Hände ein. Wenn sie eine Minute ausruhen wollte, schlug sie der Kosak, der sie bewachte, mit der Peitsche. Zu ihrem Glück starb sie schon nach wenigen Wochen. Die russische Armee schickt ihre ehrlosen Osficiere und ihre wegen Zuchtlosigkeit bestraften Soldaten als Wächter nach Sibirien. Diesen Schurken, die fast immer be- trunken sind, giebt man die Verwtheilten preis " Der Maler-Sträfling zeigte hier ein entsetzliches Gemälde, auf welchem Henker einen mit Sir cken festgebundenen Ver- urtheilten mit der Knute bearbeiten. „Der kaiserliche llkas, der die Knute in Rußland abschafft, isi in Sibirien nie zur Anwendung gekommen. Die Knute ist eine Peitsche aus Leder, die mit einer Bleikugel versehen ist. Sie zerbricht die Knoche» und kann oft schon beim ersten Schlage den Tod herbeiführen. Der Henker kann aber die Agonie auch sehr lange dauern lassen. Die Osficiere wohnen diesem „Vergnügen" in Gala-Vniform bei. Diese Zeichnung hier stellt die Spießruten-Strafe dar. An einem Gewehrkolben gefesselt, läuft der Ver- urtheilte durch die Reihen der Soldaten, die ihm einen Hagel von Schlägen zu theil werden lassen. Von Zeit zu Zeit salzt der Arzt die Wunden auf dem Rücken des Opfers, um es etwas „aufzumuntern." Wenn der Ver- nu: theilte nicht mehr stehen und gehen kann, bindet man ihn an einen Schlitten, wo er so lange bleiben muß, bis er den letzten vorgeschriebenen Schlag erhalten hat. Der Schlitten trägt dann aber meist nur noch einen blutigen Fleischklumpen. Dostojewski, der diese SchreckeuSscene auch schildert, ist niemals in den Berg werken gewesen. Er ist in der Nähe von Tomsk ge blieben, an der Schwelle der Hölle. Hat er jemals einen Mann in der Grube gesehen? In der Grube, die so aussieht wie die Gruben, in welchen, die Bauern in Europa Feldfrüchte und Getreide aufbewahren! Inden Bergwerken setzt man Menschen in solche Gruben. Der Naum ist zu niedrig, als daß sie aufrecht stehen könnten. Der Verurtheilte muß also kriechen. Bald fühlt er ein eigenartiges Jucken an den Beinen, die von zahllosen Insekten zerfressen werden. Er kratzt sich und das Blut lockt nur noch größere Schaaren von Blutsaugern herbei. Ich Hube mit meinen eigenen Augen in einer Grube die Leiche eines Mannes gesehen, der bis zu den Knochen von Jnseklen zerfressen war. Bestrafungen dieser Art stehen natürlich in keinem Reglement. Es sind „in- dividuelle Phantasien," die den oberen Behörden unbe kannt bleiben. Aber das Reglement gestattet auch schon unmenschliche Gräuel. Ich durste einmal für Geld und gute Worte einen unterirdischen Keller der Festung be suchen, wo ein Mann seit zwanzig Jahren in Kelten lag. Durch ein Kellerloch drang ein schwacher Licht schimmer, der seine trüben Augen und seinen weißen Bart beleuchtete. Diese fleischlose Mumie mit den irren Blicken mar einmal ein reicher sibirischer Bauer gewesen. Aber russische Soldaten, die an seinem Hochzeitstage eine Haussuchung in seinem Hause vornahmen, hatten seine Braut vergewaltigt. Er erschlug den Officier. Seit damals liegt er in dem imteriidischen Keller in Ketten. Als ich ihn sah, erhoffte er seme Begnadigung. Seine Begnadigung! Sie hätte sich darauf beschränkt, daß er wieder ein gewöhnlicher Sträfling geworden wäre, der, von Ketten befreit, hin und wieder einmal im Hofe der Festung spazieren gehen dürfte. Diese einzige Hoff nung hielt den Mann seit zwanzig Jahren aufrecht." Die Stimme des Malers zitterte bei der Schilderung solchen Jammers. „Mit zwanzig Jahren wurde ich aus der menschlischen Gesellschaft ausgeschlossen," sagte er. „Mit 42 J .hren wurde ich dem europäischen Leben wiedergegeben. Alle meine Bagnogenossen sind todt. Mich aber hat der Gedanke, das Entsetzliche der ganzen Welt zu schildern, aufrecht erhallen Ich habe die Pläne und die Zeichnungen eines großen Panoramas vollendet, das das Innere der sibirischen Bergwerke in getreuer Nachbildung zeigen soll. Ich will dieses Panorama durch beide Welten führen, damit der Czar davon sprechen höre und es auf einer seiner Auslandsreisen selbst be trachte. Ich hoffe, daß die sibirischen Höllenqualen dann sicher abgeschafft werden würden."